Krähenbühl, Hans (1924-2010)
Regierungsrat Dr. iur. Hans Krähenbühl kam am 3. Juli 1924 als ältestes von vier Kindern des Ehepaares Karl und Martha Krähenbühl-Gerber zur Welt. Der hoch veranlagte Junge – er soll sich im Alter von fünf Jahren das Lesen selbst beigebracht haben – zeigte früh ein auffälliges Interesse an Latein und Geschichte und bestand die Matura mit Auszeichnung. Das Studium der Rechtswissenschaften führte Herrn Dr. Krähenbühl aus seiner Heimat Steffisburg im Berner Oberland an die Universität Bern, ein Weg, den er im Lauf seiner langen Karriere im öffentlichen Dienst noch oft auf sich nehmen sollte. In seiner Freizeit war der Gymnasiast und Student Hans Krähenbühl ein begeisterter und erfolgreicher Handballspieler, der als Stürmer mit dem TV Steffisburg und der Mannschaft der Universität Bern an nationalen und internationalen Turnieren teilnahm. Als junger Fürsprecher zog es Herrn Dr. Krähenbühl für fünf Jahre nach Interlaken in die Praxis von Fritz Graf, der, selbst politisch aktiv, sein Interesse am öffentlichen Dienst förderte und zu einem persönlichen Vorbild werden sollte. Nach bestandenem Staatsexamen trat Herr Dr. Krähenbühl als Notar in die Kanzlei seines Onkels Hugo Gerber ein und führte diese anschliessend selbst für viele Jahre, bis seine zunehmenden Verpflichtungen im öffentlichen Dienst und seine zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten ihm dies nicht mehr erlaubten.
Privat hatte Herr Dr. Krähenbühl sein Glück zu diesem Zeitpunkt bereits in der Liebe zu Rosa Marie Reusser gefunden, die er seit frühester Kindheit kannte, waren Grossvater Krähenbühl und Grossvater Reusser doch Vettern. Die im Oktober 1951 geschlossene Ehe blieb kinderlos, doch sorgten ihre vielfältigen, sich oftmals überschneidenden kulturellen Interessen und die zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten dafür, dass es dem Ehepaar Krähenbühl-Reusser dennoch nie langweilig wurde. Frau Krähenbühl-Reusser engagierte sich unter anderem für die Schweizer Hilfsorganisation „Enfants du Monde“, für das „Schweizerische Hilfswerk für Polenkinder“, sowie für die „Hilfsaktion Region Thun“. Sie unterstützte Ihren Mann auch von Anbeginn an in seinen politischen Ambitionen.
So trat Herr Dr. Krähenbühl früh in die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) ein und kandidierte 1954 erfolgreich für den Grossen Gemeinderat Steffisburg, den er 1959 präsidierte. 1960 wechselte er in den Gemeinderat und wurde Finanzvorsteher der Gemeinde Steffisburg, eine Position, die er für die nächsten zwanzig Jahre innehaben sollte. 1966 gelang ihm auf Anhieb der Sprung nach Bern in den Grossen Rat des Kantons, 1979 wurde er gar zum Präsidenten des Kantonsparlamentes gewählt. Im Jahre 1980 erfolgte mit Herrn Dr. Krähenbühls Wahl in den Regierungsrat der Wechsel in die Exekutive, als Polizeidirektor sollte er die Sicherheitspolitik seines Kantons in den folgenden Jahren massgeblich prägen. 1984/5 sass er als Regierungsratspräsident der Berner Kantonsregierung vor. Die bis dahin höchst erfolgreiche Karriere von Herrn Dr. Krähenbühl fand mit der Berner Finanzaffäre ein Ende, als er und verschiedene andere Politiker im Zuge hoher Spesenabrechnungen und rückvergüteter Privatausgaben in die Kritik gerieten. Um die Wogen zu glätten, entschied sich Herr Dr. Krähenbühl, 1986 nicht zur Wiederwahl anzutreten, dennoch wurde seine Partei von den Wählern abgestraft und war in der folgenden Legislaturperiode zum ersten Mal seit der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848 nicht in der Berner Kantonsregierung vertreten.
Herr Dr. Krähenbühl hat sich neben seinem Beruf als Fürsprecher und Notar sowie seiner politischen Tätigkeit in verschiedensten Funktionen engagiert. Seinen Militärdienst beendete er nach über 2000 Diensttagen im Rang eines Obersten der Artillerie. Er war Verwaltungsrat der Gebäudeversicherung Bern, der Kraftwerke Oberhasli AG, der Engadiner Kraftwerke und des Flugplatzes Belpmoos; der Spar- und Leihkasse Steffisburg (heute Valiant) sowie der Autoverkehr Heimenschwand AG sass er zudem als Verwaltungsratspräsident vor. Viele Jahre nahm er als Sekretär und Geschäftsführer des Arbeit- geberverbandes Thun und benachbarte Gebiete (heute Arbeitgeberverband Wirtschaftsraum Thun und Berner Oberland) Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung seiner Heimatregion, die ihm zeit seines Lebens sehr am Herzen lag.
Besondere Verdienste erwarb sich Herr Dr. Hans Krähenbühl durch seine vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten und seine Förderung von Kunst und Kultur. Durch seine Frau Rosa Marie Krähenbühl-Reusser, eine Lehrerin mit ausgeprägten musischen Interessen, lernte er viele Musiker kennen und schätzen, die er wo immer möglich mit Rat und Tat unterstützte und einem breiteren Publikum bekannt zu machen suchte. Als Präsident des Stiftungsrates des Museums für Uhren und mechanische Musikinstrumente Oberhofen setzte er sich für die sachgemässe Konservierung der wertvollen Ausstellungsstücke ein, als Präsident der Allgemeinen Orchestergesellschaft Thun führte er nicht nur die Wahl zweier neuer Dirigenten durch, es gelang ihm auch, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Steffisburg und Thun sowie dem Männerchor Thun und der Musikschule Region Thun die Anschaffung eines grossen Steinway-Konzertflügels zu finanzieren. Und dass die Musikschule Region Thun heute im prachtvollen historischen Schloss Bellerive in Gwatt residiert, verdankt sie nicht zuletzt der Initiative des Herrn Dr. Krähenbühl.
Eine besondere Beziehung verband Herr Dr. Krähenbühl mit dem historischen Museum Bern, dem er nach seinem Ausscheiden aus dem Regierungsrat auch als Präsident vorstand. So war er federführend in der Organisation des Ankaufes der Münzsammlung Jean-Pierre Righetti im Jahre 1982. Diese Sammlung von mehr als 3000 römischen Provinzialprägungen wurde nicht zuletzt auf Betreiben des damaligen Regierungsrates Dr. Krähenbühl in zwei unabhängigen Gutachten durch die Leu Numismatik AG und Herrn Prof. Dr. Peter Robert Franke im Wert geschätzt und anschliessend en bloc durch den Kanton Bern erworben. Die 1993 erfolgte Publikation der Sammlung Righetti durch Dr. Balasz Kapossy in der Reihe der Sylloge Nummorum Graecorum zählt heute zu den Standardwerken der Fachliteratur über die Münzprägung griechischer Städte im römischen Reich. Ähnliches lässt sich über die Sammlung C.A. Burns sagen, einer wichtigen Spezialsammlung der Münzen der Kushana, welche 1987 als Legat an das Münzkabinett des historischen Museums Bern ging und von Prof. Dr. Robert Göbl aus Wien wenige Jahre vor seinem Ableben wissenschaftlich aufgearbeitet wurde.
Das vielfach bezeugte persönliche Interesse von Herrn Dr. Krähenbühl an Kunst scheint ihm in die Wiege gelegt zu sein. Früh übte insbesondere seine Grossmutter, die Schwester des bekannten Emmentaler Malers, Radierers und Bildhauers Karl Stauffer-Bern (1857-1891), Einfluss auf ihn aus. Aus der Faszination für Kultur und Geschichte entstand auch seine Sammlung an Stichen und Möbeln des 17. und 18. Jahrhunderts, die er über Jahre pflegte und, wo nötig, liebevoll restaurieren liess. Das eigentliche Herzblut von Herrn Dr. Krähenbühl jedoch steckte in der antiken Numismatik. Wir kennen den Funken nicht, der sein Begeisterungsfeuer entzündete, doch dürfte seine klassisch-humanistische Bildung und seine Liebe zur lateinischen Sprache einen fruchtbaren Nährboden für die jahrzehntelange Sammeltätigkeit bereitet haben.
Herr Dr. Krähenbühl hat seine Sammlung antiker Münzen über fast ein halbes Jahrhundert hinweg zusammengetragen. Dies ist selbst nach den Massstäben des mittleren und späteren 20. Jahrhunderts, als die (numismatischen) Uhren noch etwas langsamer tickten als in der hektischen Welt des 21. Jahrhunderts, eine lange Zeit. Und doch fällt auf, dass die Sammlung von Herrn Dr. Krähenbühl kaum Fluktuationen aufwies. Der Sammler hat von Anfang an mit Kennerauge ausgesuchte Einzelstücke erworben, er hat sein Sammelgebiet von Beginn weg breit angelegt, es im Laufe der Zeit weder erweitert noch eingeschränkt, und ist nach vielen Jahrzehnten durch Beharrlichkeit und Geduld an sein Ziel gelangt, ein möglichst breites numismatisches Panorama der griechischen und römischen Antike zusammenzutragen. Hier zeigt sich eine langfristige Perspektive und ein Denken in grossen Zeiträumen, welche den erfahrenen Fürsprecher und Politiker Dr. Krähenbühl zweifellos auszeichneten. Wenn er einmal eine Münze erwarb, so wusste er, dass es die richtige war, nur in absoluten Ausnahmefällen wurde ein Stück jemals ersetzt.
Am Ende entstand so eine wunderbare Sammlung aus einem Guss, mit prachtvollen Münzen der Kelten und Griechen und eindrucksvollen Serien aus der römischen Republik und der römischen Kaiserzeit. Und wie bei allen gepflegten Sammlungen lassen sich auch in jener von Herrn Dr. Krähenbühl Vorlieben und Interessen gut nachzeichnen. So suchte er in der griechischen Numismatik eine möglichst breite Übersichtssammlung von Gallien bis Baktrien, und von Pontos bis Ägypten und der Kyrenaika zusammenzustellen. Darunter finden sich nicht nur eindrucksvolle Serien aus der Magna Graecia, sondern auch Prägungen aus dem griechischen Mutterland, aus Kleinasien und aus nicht-griechischen „Randgebieten“ wie Karthago und dem keltischen Britannien. Ganz besonderes Interesse zeigte Herr Dr. Krähenbühl an der Münzprägung der Seleukiden, für die er von der Reichsgründung durch Seleukos I. im Jahr 312/1 v. Chr. bis zum Ende der Tetradrachmenprägung im seleukidischen Typ in spätrepublikanischer Zeit eine komplette Herrscherreihe zusammenzutragen versuchte – was ihm auch annähernd gelang (Losnummern 93-170 in Leu Auktion 8).
Breiten Anteil nimmt zudem die Münzprägung der römischen Republik und des römischen Reiches ein. Die Serie republikanischer Denare besticht durch ihre hervorragende Erhaltung und die vielfach prachtvollen Tönungen. Man spürt auch hier die Faszination des Sammlers für antike Porträtkunst, die Münzen mit den Bildnissen republikanischer Helden wie L. Junius Brutus und C. Servilius Ahala (Los 259), C. Coelius Caldus (Losnummern 262-263) und C. Antius Restio (Losnummer 269) gehören mit zum Feinsten, was an numismatischen Zeugnissen dieser Epoche überliefert worden ist. Die Porträtreihe setzt sich mit den Köpfen der Imperatoren Octavian und Julius Caesar (Los 280), Pompeius Magnus (Los 282) und Marcus Antonius (Los 283) fort, um dann zu einer von Augustus bis Julius Nepos in weiten Teilen vollständigen Kaiserreihe in Silber und Gold überzuleiten. Am Ende der Sammlung steht eine byzantinische Goldmünze sowie – passend zu Herr Dr. Krähenbühls Herkunft – ein Berner Guldiner aus dem Jahr 1494 und eine Berner Duplone aus dem Jahr 1819.
Für Herrn Dr. Krähenbühl war das Sammeln von antiken Münzen nie Mittel zum Zweck, sondern immer Sinn der Sache. Viele Weggefährten wussten nicht um die Existenz seiner Sammlung, denn er lebte die Passion für sich selbst aus und nicht, um andere damit zu beeindrucken. Die Förderung der Numismatik lag ihm dennoch immer am Herzen, und so erstaunt es nicht, dass er seine Sammlung gleich zweimal als Leihgabe einer öffentlichen Institution zur Verfügung gestellt und somit einem breiteren Publikum zugänglich gemacht hat: ein erstes Mal vom 21. Oktober bis 3. Dezember 1967 in der Ausstellung „Antike Kunst aus Privatbesitz, Bern – Biel – Solothurn“ in der Zentralbibliothek Solothurn, sowie vom 6. November 1982 bis 6. Februar 1983 in der grossen Ausstellung „Gesichter. Griechische und römische Bildnisse aus Schweizer Besitz“ im Historischen Museum Bern. Es ist bezeichnend, dass Herr Dr. Krähenbühl seinen Namen in beiden Ausstellungen nicht erwähnt haben wollte, denn es sollte um die Münzen gehen, nicht um den Besitzer. Unter den der Leu Numismatik durch die Erben überlassenen wertvollen Schriftstücken ist ein persönlicher Brief von Prof. Dr. Hans Jucker an Herrn Dr. Krähenbühl diesbezüglich besonders aufschlussreich, in welcher sich der bekannte Berner Archäologe in gewundenen Worten erklärt, er habe den Namen des Regierungsrates als Besitzer der Münzen keinesfalls, wie ihm berichtet worden sei, gegenüber einer Drittperson erwähnt. Glaubwürdig klingen die Zeilen nicht, und man möchte nicht in der Haut des Professors stecken, als er dem wortgewaltigen Regierungsrat das nächste Mal begegnete.
Nach seiner Pensionierung erfüllte sich Herr Dr. Krähenbühl im Zusammenleben mit eigenen Pferden einen langgehegten Traum, für den er nie die Zeit gefunden hatte. Als passionierter Reiter und Präsident der Rotary-Reiter nahm er in den Folgejahren an verschiedenen Distanzritten teil, so ritt er mit einer internationalen Gruppe von Teilnehmern von Basel nach München und organisierte Expeditionen in den Vereinigten Staaten und in Mexiko. Seine Liebe zu den mächtigen Tieren lässt sich auch in der auffälligen Häufung von Münzen mit Pferdemotiven oder Pferdesymbolen in seiner Sammlung erkennen. Ein letztes Mal ritt Herr Dr. Krähenbühl 2007 im hohen Alter im Schwarzwald mit Freunden aus.
Herr Dr. Krähenbühl ist am 10. Dezember 2010 in seinem 87. Lebensjahr an den Folgen eines schweren Sturzes auf einer verschneiten Treppe verstorben. Der numismatischen Welt hinterliess er mit seiner prachtvollen Sammlung antiker Münzen, seiner wertvollen Schriftkorrespondenz und seiner Patronage des Münzkabinettes des Historischen Museums Bern gleich ein dreifaches Erbe.
Dieser Artikel wurde zuerst in einem Auktionskatalog des Auktionshauses Leu Numismatik veröffentlicht.