Seien wir gnädig, hängen wir sie auf: Der Fall Catherine Heyland
Im März 1788 stürmte ein Polizeikommando der Gemeinde Westminster in London ein versperrtes Zimmer. Man hatte einen Hinweis bekommen, daß in diesem Haus zwei Personen ein Verbrechen begingen, das damals mit der Todesstrafe geahndet wurde: Geldfälscherei. Die Polizisten unter dem Kommando von Edward Treadway stellten zwei Personen in flagranti: Den neunzehnjährigen Christian Murphy und seine Komplizin Catherine Heyland.
Sixpences aus den Jahren 1708, 1731 und 1787 – Münzen wie diese werden Christian Murphy und seine Komplizin Catherine Heyland gefälscht haben. Quelle: Baldwin’s Auctions, London 52 (2007).
In der Fälscherwerkstatt
Sorgfältig sammelten die Staatsbeamten jedes Beweisstück ein, das sie im Zimmer entdecken konnten. Auf dem Fensterbrett zum Beispiel stand eine Untertasse voll mit feuchtem Sand. Darauf lag ein Häufchen alter Sixpence-Stücke, daneben zwei frische Fälschungen. Ferner kam bei der Durchsuchung folgendes zum Vorschein: eine Feile, ein wenig Schleifpapier, ein Stück Korken, etwas „schwarzes Zeug“ und eine Pinzette. Noch verdächtiger waren ein Schmelztiegel und, gut versteckt zwischen Decke und Dach vor dem Fenster, ein „eisernes Fläschchen“. Auf dem Kaminsims stand eine Ampulle mit „Aqua fortis“ (= Salpetersäure), ferner ein Gefäß, um das Metall in die Gußform zu bugsieren, eine Waage und weißes Arsen. All dies identifizierten die Staatsbeamten als die klassische Ausstattung einer Fälscherwerkstatt. Der letzte Beweis wurde noch während der Durchsuchung ins Haus geliefert: Ein Mann brachte dem verdächtigten Christian Murphy ein paar Hemden – in einem davon fand man Falschgeld. Bei der gründlichen Körperdurchsuchung beschlagnahmten die Polizisten zwei weitere Beutel mit Falschgeld. Sie hatten sie im Mieder Catherines gefunden.
Gerichtssaal in Old Bailey, Foto aus dem Jahr 1895.
Vor Gericht
Dem Protokoll des Prozesses verdanken wir eine genaue Erklärung, wozu unsere Fälscher die verschiedenen, bei der Haussuchung gefundenen Utensilien benutzt hatten. John Nicholls, damals Leiter der königlichen Münzstätte im Tower, trat im April 1788 höchstpersönlich vor das Gericht im Old Bailey, um den Richter und die Geschworenen darüber aufzuklären. Das eiserne Fläschchen, das die beiden Angeklagten so sorgfältig außerhalb des Zimmers verborgen hatten, sei der Stempel, mit dem man in dem mit Sand gefüllten Gefäß einen Abdruck von beiden Seiten der Münze anfertige. Der erste Abdruck werde mit grobem Sand gemacht, dieser mit feinerem ausgeglichen, „ansonsten entstehen im gegossenen Werkstück kleine, unregelmäßige Löcher“. Die Sandform trockne man danach über dem Feuer. Anschließend müsse man das für den Guß vorgesehene, unedle Metall schmelzen. Durch Zugabe von weißem Arsen könne man Kupfer einen Ton heller aussehen und damit Silber ähneln lassen. John Nicholls nannte diese Mischung das „ostindische“ Kupfer. Die Salpetersäure habe nach dem Guß einen ähnlichen Effekt. Solange die Mischung nur eine Spur von Silber enthalte, bringe das Tauchen des Werkstückes in Salpetersäure dieses an die Oberfläche der Fälschung. Nach dem Abkühlen werde das falsche Sixpence-Stück noch mit Feile, Schleifpapier und Kork bearbeitet. Zusammenfassend erklärte John Nicholls dem Hohen Gericht, Christian Murphy und Catherine Heyland hätten eine „vollständige Ausrüstung für die Falschmünzerei“ besessen und sicher auch benutzt.
Obwohl der junge Fälscher sich ritterlich vor seine Gefährtin stellte und alles tat, um sie zu entlasten, glaubte das Gericht ihm nicht. Beide wurden wegen Falschmünzerei zum Tode verurteilt. Doch was bedeutete das damals? Christian Murphy mußte mit dem Galgen rechnen. Seine Gefährtin würde nicht so billig davonkommen. Ihr drohten der Scheiterhaufen und eine Verbrennung bei lebendigem Leibe.
Die Verbrennung der Ann Beddingfield im Jahre 1763, damals hatte das Gericht ihr die Gnade erwiesen, vor dem Verbrennen erwürgt zu werden.
Drei Hinrichtungen
Nicht daß man damals, ein Jahr vor der Französischen Revolution, nicht schon darüber nachgedacht hätte, ob das denn auch gerecht sei. Aber so war es nun einmal. Und das sogar nicht wirklich selten. So waren im April des Jahres 1788 unsere beiden Angeklagten nicht die einzigen, die wegen Geldfälscherei verurteilt wurden. Ein zweites Pärchen, Jeremiah Grace und Margaret Sullivan, hatten im gleichen Monat vor Gericht gestanden und warteten nun zusammen mit unseren Protagonisten am Montag, dem 23. Juni 1788, im Gerichtssaal, um das Datum ihrer Hinrichtung zu erfahren. Die beiden Männer sollten am Mittwoch gehängt, Margaret Sullivan am gleichen Tage verbrannt werden. Catherine würde nicht mit den anderen sterben. Sie hatte einen hohen Beamten überzeugt, daß sie entweder nicht schuldig war oder wenigstens nicht so schuldig, daß sie diese grausame Strafe verdiente. Sheriff Bloxham, ein hoch anständiger und engagierter Mann, sollte sich immer wieder zu Gunsten seines Schützlings einsetzen. Bei dieser Sitzung am 23. Juni 1788 war es ihm gelungen, das Gericht dazu zu bringen, die Strafe Catherines wenigstens für einen Monat auszusetzen. Bloxham hegte die Hoffnung, daß die öffentliche Meinung für die junge Frau eintreten würde. Und tatsächlich schrieb die Times am 24. Juni 1788 folgendes: „Muß die Menschheit nicht über unsere großen Reden über die Sklaverei in Afrika lachen … solange … wir einen Mitmenschen bei lebendigem Leibe rösten, weil er Quecksilber für einen Penny mit Messing des halben Wertes vermischt hat?“
So kam er dann heran, der 25. Juni, an dem Christian Murphy, Jeremiah Grace und Margaret Sullivan sterben sollten. Schon am frühen Morgen drängten sich die Schaulustigen vor dem Newgate Gefängnis, wo seit 1783 alle Hinrichtungen stattfanden. Schaudernd blickte das Publikum auf ein unfreundliches Gebäude aus roh belassenen Steinen, das erst sechs Jahre zuvor errichtet worden war. Hier waren die Gefangenen untergebracht, vor seinen Mauern würden sie sterben – keine sehr erfreuliche Aussicht. Im 18. Jahrhundert setzte man auf Abschreckung – und der Abschreckung diente die öffentliche Hinrichtung, auch wenn so ein „Event“ eher einer Volksbelustigung als einer moralischen Erbauung glich.
Derweil schlugen sich die Zuschauer um die besten Plätze. Junge Männer kletterten auf die Balkone der umstehenden Häuser. Die nahe gelegenen Gaststätten machten Rekordumsätze und kleine Souvenir-Miniaturgalgen wurden zu einem Bombengeschäft.
Pünktlich um sieben Uhr morgens führte man William James und Jeremiah Grace aus dem Gefängnis. Den Kopf bedeckten schwarze Kapuzen, ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Der Henker legte ihnen die Schlinge um den Hals, während die Menge „Mützen runter!“ brüllte – damit meinte sie nicht etwa, man möge als Zeichen der Ehrfurcht vor dem Tod die Mütze abnehmen; nein, die Schreie galten den schwarzen Kapuzen, die die letzten Gesichtszuckungen der Verurteilten gnädig verbargen. Der Geistliche hielt noch eine kurze Predigt, dann öffnete sich um acht Uhr die Luke unter den Füßen der Delinquenten und die Fälscher baumelten.
Danach führte man Margaret im weißen Büßergewand vor. Man hatte für sie einen Scheiterhaufen errichtet, in dessen Mitte sie auf einen Schemel stieg. Feierlich zündeten Männer des Sheriffs diesen an – Margaret verbrannte.
Moralische Bedenken
Während der wohl inzwischen ziemlich besoffene Mob dem Schauspiel begeistert zuschaute, fühlten sich die besseren Schichten durch den widerwärtigen Gestank eines brennenden Menschenkörpers abgestoßen. Man war ja schließlich human, und so fand die Times großen Beifall, als sie am Tag nach der Hinrichtung folgendes schrieb: „Dieses Land war immer stolz darauf, daß unsere Verbrecher ohne jede Spur von Grausamkeit bestraft werden. Ist das Verbrennen einer Frau etwa keine Folter? Pfui zu solcher Barbarei. Sogar die Wilden in den unwirtlichen Gegenden der Welt achten ihre Frauen, während Großbritannien einzig und allein ihre schwachen Körper den grausigsten Qualen unterwirft.“
Zwischen Leben und Tod
Während man sich an den Teetafeln des Empire über die Ungleichbehandlung von Mann und Frau echauffierte, wartete Catherine im Gefängnis auf ihre Verbrennung. Ihre Gönner waren in den Sommerferien und erholten sich. Catherines Schicksal schien vergessen. Nichts passierte, und das bedeutete, daß der Aufschub ablaufen und die Hinrichtung damit am 21. Juli fällig sein würde. Doch noch gab es Sheriff Bloxham. Als ihm klar wurde, daß es keinen neuen Aufschub geben würde, schwang er sich höchstpersönlich auf sein Pferd und ritt im vollen Galopp zum Landhaus des Innenministers. Um drei Uhr morgens kam er an, verlangte von dem verblüfften Diener, ihn sofort zu seiner Lordschaft zu führen. Der tat wie ihm geheißen, und eine Stunde später hielt Sheriff Bloxham das rettende Papier in der Hand.
In London hatten die Gefängnisbeamten inzwischen schon den Scheiterhaufen errichtet. Wie im Monat zuvor stand die blutrünstige Menge da, um die Fälscherin brennen zu sehen. Ihr Getümmel wird bis ins Gefängnis zu hören gewesen sein, wo Catherine sich zusammen mit einem Geistlichen auf ihr unerfreuliches Ende vorbereitete. Zwei Stunden vor der Hinrichtung erreichte Bloxham Newgate. Er stürmte ins Gefängnis und schenkte Catherine Heyland vier weitere Tage. Der Scheiterhaufen wurde vorläufig abgebaut, die Scheite weggebracht, um am Mittwoch wieder für den neuen Scheiterhaufen hergeschleppt zu werden. Erst da traf endlich das Schreiben ein, das Catherines Hinrichtung aussetzte und damit auf unbestimmte Zeit verschob.
Plan des 1782 errichteten New Gate Gefängnisses. Quelle: Wikipedia.
Gefangen!
Fast ein Jahr lang stand der Name der Fälscherin auf der Todesliste, fast ein Jahr lang wartete die Frau auf die Festsetzung des Tags ihrer Hinrichtung oder eine Begnadigung. Sie tat es unter schrecklichen Bedingungen. Die Gefängniszellen von Newgate waren um drei Höfe gruppiert. Wer über Geld verfügte, der konnte sich hier relativ gemütlich einrichten, indem er für die Unterbringung in einer Einzelzelle zahlte und sich das Essen von Außerhalb schicken ließ. Catherine war arm. Sie hatte diese Möglichkeit nicht. Sie lebte mit den anderen einhunderteinundfünfzig weiblichen Häftlingen, die man im Dezember des Jahres 1788 zählte, in den drei Frauenzellen des Gefängnisses, die eigentlich nur für siebzig Insassinnen geplant waren. Ein Fenster belüftete das überfüllte Massenlager. Betten gab es nicht, nur einen Sims an einem Ende des Raumes, auf dem Holzbalken angebracht waren, die als Matratze und Kopfkissen dienten. Für das Privileg, hier schlafen zu dürfen, mußte man wöchentlich bezahlen. Eine Decke aus rauem Hanf kostete zusätzliche Gebühr. Wer sich das nicht leisten konnte, rollte sich auf dem feuchten (wir wollen lieber nicht darüber nachdenken von was) Boden zusammen. Es soll so gestunken haben in diesen Zellen, daß die Gefängniswärter am Morgen, wenn sie die Zellentüre öffneten, ein Glas Schnaps tranken, um nicht in Ohnmacht zu fallen, denn „der üble Gestank und der Pesthauch“ verschlugen selbst den hart gesottenen Männern den Atem. Catherine wird sicher nicht genug zu essen bekommen haben. Die Essensration war für die geplanten siebzig Personen bemessen – und die mußten sich nun die real anwesenden Frauen teilen. Sie litten unter der Enge, der Kälte, dem Hunger, dem Dreck, dann kam auch noch das Fieber dazu. Und täglich wurden neue Frauen in den Kerker geworfen. Zwischen ihnen lebte Catherine Heyland mehr als ein Jahr, bis, ja bis ein kleines Wunder geschah.
George III. im Krönungsmantel – ein Bild aus guten Tagen. Seiner Krankheit und vor allem seiner Gesundung verdankte Catherine Heyland ihre Begnadigung. Quelle: Wikipedia.
Die Rettung
Im Herbst des Jahres 1788 war König George III. ernsthaft erkrankt. Er litt an einer Geisteskrankheit, die ihn unfähig machte, die Regierungsgeschäfte auszuüben. Es gab Gerüchte, der König habe einem Baum den Ast geschüttelt, um den vermeintlichen König von Preußen zu begrüßen, und ähnliches. Die Folge der königlichen Krankheit war eine ernsthafte Regierungskrise, denn die Parlamentarier konnten sich zwar auf einen Regenten einigen – auf den Prince of Wales und offiziellen Nachfolger des Königs, aber nicht darauf, ob ihm von Rechts wegen der Titel eines Prinzregenten zustünde oder das Parlament das Recht besäße, ihn zu ernennen. Die Regierungsgeschäfte verschleppten sich, als relativ unerwartet der König genas. Im April 1789 feierte man, daß George III. offiziell für zurechnungs- und regierungsfähig erklärt worden war. Im ganzen Land wurden großartige Feste durchgeführt, bei denen auch die Armen ihren Teil erhielten. Und Catherine Heyland wurde zusammen mit 15 anderen Frauen begnadigt. Sie würden nicht hingerichtet werden, sondern nur Zeit ihres Lebens in Australien als Deportierte leben.
Wie so ein Schiffstransport nach „Down Under“ damals ablief und welches Schicksal eine Frau in der neuen Welt erwartete, das kann man in Siân Rees Buch „Das Freudenschiff – Die wahre Geschichte von einem Schiff und seiner weiblichen Fracht im 18. Jahrhundert“ (Piper Verlag) nachlesen. Die Autorin hat die Einzelschicksale zahlreicher Verurteilter anhand archivalischer Quellen rekonstruiert – unser Beispiel, der Fall der Geldfälscherin Catherine Heyland, ist ebenfalls ihrem interessanten, gut geschriebenen und manchmal ein wenig erschütternden Buch entnommen.