Sammler, Mäzen, Patient – Das tragische Leben von Rudolf II. Teil 1: Der junge Mann

Er ist in die Geschichte als der weltfremde Kaiser eingegangen, der sich lieber in den Hexenküchen der Alchemisten verbarg, als mit den Großen seines Reichs über Politik zu diskutieren. Seine eigenen Brüder empörten sich gegen ihn und beraubten ihn noch zu Lebzeiten seiner Kaiserkrone. Zu Recht? Zu Unrecht? Versuchen wir, diese Frage zu beantworten.

 

Die familiäre Ausgangssituation

Rudolf II. wurde am 18. Juli 1552 in Wien als drittes Kind und ältester überlebender Sohn von Kaiser Maximilian II. und seiner Gemahlin Maria von Spanien geboren.

Nun war ein Grund für den Erfolg der Habsburger ihr Kinderreichtum. Es gab in jeder Generation mehr als genug Söhne, um die Nachfolge zu sichern, keine Selbstverständlichkeit in der frühen Neuzeit mit ihrer hohen Kindersterblichkeit. Maximilian II., der Vater Rudolfs, war eines von fünfzehn Kindern gewesen, von denen drei Söhne und zehn Töchter so alt wurden, dass man sie für dynastische Zwecke nutzen konnte. Maximilian seinerseits produzierte beeindruckende sechzehn Kinder, darunter zehn Söhne, von denen fünf das Erwachsenenalter erreichten.

Bronzegussmedaille von Antonio Abondio 1575. Maximilian II. und seine Gemahlin Maria. Aus Auktion Peus 413 (2014), Nr. 2655.

Bronzemedaille auf vier der Söhne Maximilians II. von Antonio Abondio ohne Jahr (1577?). – Es fehlen Ernst und Rudolf. Aus Auktion Peus 413 (2014), Nr. 2658.

Viele Söhne bedeutete dynastisch gesehen eine gesicherte Erbfolge und damit eine starke Familie, hätten denn alle an einem Strang gezogen. Leider passierte es aber immer wieder, dass die jüngeren Brüder Ehrgeiz entwickelten und sich nicht in den Dienst des familiären Machtzuwachses stellten, sondern einen eigenen (natürlich möglichst großen) Anteil an der Macht forderten. Das Konzept der Primogenitur, also dass ausschließlich der älteste Bruder die gesamte Herrschaft erben sollte, während seine Brüder leer ausgingen, war im 16. Jahrhundert nämlich noch äußerst umstritten. Nicht umsonst hatte Karl V. seine Macht mit seinem Bruder Ferdinand I. geteilt und so das Haus der Habsburger in die spanische und die österreichische Linie aufgespalten. Und auch Rudolf II. kam nicht umhin, seinen Brüdern wichtige Regierungsämter anzuvertrauen…

 

Eine ererbte Geisteskrankheit?

Rudolfs Eltern Maximilian und Maria stammten von denselben Großeltern ab, von Philipp dem Schönen und Johanna, die bezeichnenderweise als „die Wahnsinnige“ in die Geschichte einging. Viele populärwissenschaftliche Werke breiten sich deshalb seitenweise darüber aus, welche geistige Krankheit Rudolf II. von ihnen erbte.

Begeistert wird da erörtert, ob Rudolf unter Schizophrenie gelitten habe, manisch depressiv oder eine Art Borderliner gewesen sei. Breiter Raum wird der Beschreibung der Phasen gegeben, in denen der Kaiser jeglichen Kontakt mit anderen mied, sich zurückzog, unter Schüben von Verfolgungs- und Größenwahn litt. Dazu kam der Alkohol. Tatsächlich erzählen schon Rudolfs Zeitgenossen von Szenen echten Wahnsinns. Wir wissen, dass er mehrfach versuchte, Selbstmord zu begehen. Er schnitt sich mit Glasscherben in den Hals oder rannte gegen ein Hirschgeweih, um sich aufzuspießen.

Auch Rudolfs Cousin Don Carlos (hier als Prinz von Asturien zwischen 1555 und 1559) litt an einer Geisteskrankheit. Seine Taten inspirierten Friedrich Schiller zu seinem Theaterstück Don Carlos.

Außerdem war Rudolf mit seiner Krankheit nicht alleine. Auch der Bruder seiner Mutter, Philipp II. von Spanien, hatte ein geistesgestörtes Kind gezeugt: Don Carlos, den erst Schiller von einem Geisteskranken zu einem Freiheitskämpfer beförderte. Und Rudolfs unehelicher Sohn war noch weit schlimmer betroffen: Nach dem bestialischen Mord an seiner Geliebten, deren Leiche er zerstückelte, nahm man ihn in eine ehrenvolle Haft, wo er nach anderthalb Jahren im Zustand geistiger Umnachtung starb.

So weit, so skandalös. Aber auf der anderen Seite steht das, was wir über Rudolfs Leben wissen. Er gehörte zu den kunstsinnigsten Persönlichkeiten seines Zeitalters. Der Kaiser beherrschte sechs Sprachen, war bewandert in der Mathematik, der Physik und in dem, was sich später zur Chemie entwickeln sollte. Er diskutierte mit den intelligentesten Wissenschaftlern seiner Zeit und rief einen berüchtigten Kontroverstheologen an seinen Hof, um mit ihm über seinen Glauben zu sprechen.

Ja, Rudolf war depressiv oder das, was man zu seiner Zeit melancholisch nannte. Seine Melancholie wurde mit den Jahren immer schlimmer und mag ihn von wichtigen Geschäften abgehalten haben. Aber wir dürfen in dieser Diskussion nicht vergessen, dass seine Krankheit das einzige Argument war, mit dem sein Bruder und Nachfolger Matthias seinen eigenen Ehrgeiz bemänteln konnte. Wir besitzen also kaum unvoreingenommene Quellen. Wir können seine Persönlichkeit nur mehr aus seinen Taten erahnen.

 

Maximilian II. (1527-1576) und seine Gemahlin Maria von Spanien (1528-1603) um 1563 (nach einer Vorlage von 1553/54) mit den Kindern Anna (1549-1580), Rudolf (1552-1612) und Ernst (1553-1595). Gemälde von Giuseppe Archimbolido.

Rudolf in Spanien

Rudolfs Vater, Maximilian II. galt in seiner Jugend als äußerst unsicherer Kandidat für den Kaiserthron. Das hing damit zusammen, dass der hochintelligente junge Mann schon sehr früh Neigungen zum protestantischen Glauben erkennen ließ. Deshalb beorderte sein Onkel Karl V. den Siebzehnjährigen an seinen Hof und verheiratete ihn mit seiner eigenen Tochter, Maria von Spanien. So sollte nicht nur das Erbe in der Familie bleiben, sondern auch gesichert sein, dass die Nachkommen des Paares im katholischen Sinne erzogen wurden.

Tatsächlich musste die spanische Infantin Maria ihrem Vater bald nach der Geburt ihrer ersten Kinder schreiben, dass sie so ganz und gar nicht glücklich war mit deren liberaler Erziehung. Philipp reagierte: Er drohte und übte massiven Druck aus, so dass sich Vater Maximilian gezwungen sah, den elfjährigen Rudolf zusammen mit dem um zwei Jahre jüngeren Ernst nach Madrid zu schicken.

Acht Jahre blieben die beiden in Madrid, fügten sich in das strenge spanische Hofzeremoniell und die strikte Glaubenspraxis. Als Rudolf nach Wien zurückkehrte, war Maximilian entsetzt darüber, was für ein steifer, förmlicher Mensch aus seinem kleinen Jungen geworden war. Das schüchterne, aber unbekümmerte Kind hatte sich in einen wortkargen Mann verwandelt, den auch seine engsten Freunde kaum lachen sahen.

Rudolf brachte aus Spanien zwei Dinge mit: Seine unumstößliche Überzeugung von der absoluten Würde des Kaisertums und das spanische Hofzeremoniell, dessen wichtigste Aufgabe es war, den Herrscher aus dem Kreis alles Menschlichen zu entfernen und über seine Mitmenschen zu stellen. Für seine Brüder bedeutete das, dass sie nur noch im formellen Rahmen Zugang zu Rudolf fanden. Vieles, was als eine Diskussion am Familientisch hätte abgehandelt werden können, wurde so zu einer Staatsaktion, was das Verhältnis unter den Brüdern natürlich komplizierte.

In religiöser Hinsicht war Philipp II. dagegen nicht so erfolgreich gewesen. Nur Ernst entwickelte sich zu einem glühenden Anhänger des Katholizismus. Rudolf dagegen zweifelte. Für ihn stand der Kaiser über den streitenden Parteien, ohne selbst einer anzugehören. Deshalb achtete er stets darauf, den spanischen Einfluss an seinem Hof nicht zu stark werden zu lassen. Dies dürfte wohl einer der Gründe gewesen sein, warum er so lange zögerte, seine Cousine Isabella Clara Eugenia zu heiraten, die Philipp II. ihm aufzudrängen versuchte.

 

Rudolf als Erzherzog von Österreich.

Rudolf übernimmt Verantwortung

Seit seiner Rückkehr im Jahr 1571 bereitete Maximilian II. die Herrschaftsnachfolge von seinem ältesten Sohn Rudolf systematisch vor. Der erhielt erst den Titel eines Statthalters von Niederösterreich, also über das Machtzentrum der Habsburger. Welche zentrale Bedeutung dieses Gebiet hatte, illustriert die Tatsache, dass der Erzherzog von Niederösterreich den höchsten Rang im Reich nach Kaiser und Kurfürsten bekleidete.

1572 erfolgte die Krönung zum König von Ungarn, 1575 die Krönung zum König von Böhmen. Im gleichen Jahr wurde Rudolf zum römisch-deutschen König gewählt und damit zum Nachfolger von Maximilian erhoben. Der starb überraschend nur ein Jahr später während des Reichstags von Regensburg.

 

In Teil 2 lesen Sie, wie Rudolf zum Kaiser gekrönt wird und vor welche Herausforderungen er sich gestellt sah.

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