Karriereziel: Heiliger – Bernward von Hildesheim
Der älteste Sohn erbt das Land, der zweitälteste übernimmt ein kirchliches Amt, so war es auch im Fall von Bernward, der 993 zum Bischof von Hildesheim gesalbt werden sollte. Er stammte aus bestem sächsischen Adel. Sein Onkel Folkmar diente am Hof von Kaiser Otto II. als Kanzler. Und selbstverständlich nahm sich der des 960 geborenen und sehr bald sehr viel versprechenden Sohnes seiner Schwester an. Folkmar sorgte dafür, dass Bernward von frühester Jugend an in der Domschule von Hildesheim erzogen wurde, damals eine Art Kaderschmiede, an der die zukünftigen Beamten des sächsischen Kaiserreiches das lernten, was sie wissen mussten, um das Reich zu verwalten.
Sie erinnern sich sicher: Die seit 916 herrschende Dynastie der Liudolfinger, heute besser bekannt als die Ottonen, hatte ihren politischen Schwerpunkt im Herzogtum Sachsen. Dazu gehörte damals Ostfahlen und damit der auf die Karolinger zurückgehende Bischofssitz Hildesheim. Dort gab es nicht nur einen prächtigen Dom, sondern eben auch die viel wichtigere Domschule, an der Bernward seine Ausbildung erhielt.
Bernward soll sich nicht nur für die sieben freien Künste interessiert haben, die sozusagen Pflichtfach waren. Seine Leidenschaft galt bereits zu diesem Zeitpunkt dem Handwerk, und das war höchst ungewöhnlich für einen Adligen!
977 führte Onkel Folkmar seinen etwa 17jährigen Neffen am kaiserlichen Hof ein. Der Kaiser beschäftigte ihn als einen seiner Sekretäre, eine angesehene und wichtige Position in einer Zeit, in der die geschriebene Urkunde verbrieftes Recht bedeutete. Bernward dürfte dabei mit der kaiserlichen Familie in engsten Kontakt gekommen sein, denn als Theophanu, Witwe Ottos II. einen Erzieher für ihren siebenjährigen Sohn, später Kaiser Otto III., suchte, entschied sie sich für ihn.
Ob Bernward als Lohn für seine Dienste im Jahre 993 zum Bischof des wichtigen Hildesheim gesalbt wurde? Oder ob Ottos damalige Großmutter Adelheid erkannte, über welchen Schatz an Talenten Bernward verfügte? Auf jeden Fall überliefert uns der Geistliche selbst in seiner Stiftungsurkunde für St. Michaelis, dass er sich schon anlässlich seiner Weihe zum Bischof fest vorgenommen habe, zu einem Heiligen zu werden.
Er plante, dieses Ziel nicht als Märtyrer oder Asket zu verwirklichen, sondern als Architekt der himmlischen Pracht auf Erden. Und dazu gehörte nicht nur der Bau des heute mit dem UNESCO-Weltkulturerbe-Prädikat geadelte Klosters St. Michaelis, sondern auch die vielen liturgischen Gegenstände, die Bernward in Auftrag gab – und selbstverständlich alle mit seinem Namen zeichnete.
Am bekanntesten dürften wohl die Bernwardstür und der Bernwardsleuchter sein, beides Schmuckstücke der Romanik, die heute im Hildesheimer Dom besichtigt werden können. Die Ideen dazu dürfte Bernward sich auf seinen Reisen nach Rom (Santa Sabina für die Tür; die Kaisersäulen für den Bernwardsleuchter), nach St. Denis und Tours (für die Architektur von St. Michaelis) geholt haben.
Bernwards Stiftungen bestanden bevorzugt nicht aus vergänglichem Material, sondern aus Stein oder Bronze, so dass Bernward sicher sein konnte, dass sich die Menschen viele Generationen nach ihm noch seiner erinnern würden. Bernward nutzte die Medien seiner Zeit systematisch – von keinem seiner bischöflichen Zeitgenossen gibt es eine vergleichbare Menge an Inschriften. So ließ Bernward zum Beispiel auf Tausende von Ziegeln, mit denen er das Dach des Doms neu decken ließ, seinen Namen stempeln.
Und da sich Münzen selbstverständlich ebenfalls wunderbar dazu eignen, den eigenen Namen der Nachwelt zu überliefern, führte Bernward eine umfangreiche Münzprägung durch, bei der wir auf der Vorderseite der Pfennige seinen Namen und Titel, auf der Rückseite den Namen seines Bistums Hildesheim lesen können.
Ob diese Münzen den Prägeherren selbst auf der Vorderseite zeigen? Die Möglichkeit besteht durchaus. Bernward war innovativ genug, um die Wirkung eines Porträts zu verstehen und stolz genug, um sich selbst für würdig zu halten, auf einer Münze abgebildet zu sein.
Als Bernward 1022 starb, ließ er sich zentral in der Krypta seiner St. Michaeliskirche beisetzen im sicheren Wissen, dass dies bald eine Pilgerstätte für ihn als zukünftigen Heiligen der katholischen Kirche sein würde. Auf seine Grabplatte ließ er folgenden Text schreiben: „Teil der Menschheit war ich, Bernward, jetzt liege ich gepresst in diesen schrecklichen Sarg, wertlos und, sieh nur, als Asche. Wehe mir, dass ich mein so hohes Amt nicht gut geführt habe! Gnädiger Friede sei meiner Seele beschieden und ihr, singt euer Amen.“
Natürlich war Bernward überzeugt, sein Amt tatsächlich sehr gut geführt zu haben. Aber Demut machte sich halt bei einem zukünftigen Heiligen gut. Nur zu dumm, dass sein Nachfolger Godehard dieses Spiel nicht mitspielte. Godehard war nämlich nicht aus dem Hochadel. Er stammte aus einer kleinen Dienstmannenfamilie und hatte seine Erziehung in Niederaltaich erhalten, damals ein Zentrum der cluniazensischen Reform. Und dort mochte man die stolzen Bischöfe von altadliger Abstammung so gar nicht. Einer, der seinen eigenen Namen auf eine Münze schreibt! Disgusting! Auf Godehards Prägungen ist sein eigener Name selbstverständlich gar nicht erwähnt. Nur die verschleierte Mutter Gottes ist auf der Vorderseite seiner Münzen zu sehen. Nein, Godehard konnte nichts Heiliges in Bernwards Tun erkennen. Im Gegenteil. Wie widerlich er seinen Vorgänger fand, entnimmt man der Tatsache, dass er versuchte, den Konvent von Bernwards St. Michaelis zu verlegen. Was ihm allerdings nicht gelang.
Langer Rede, kurzer Sinn. Cluny und seinen Reformgeistlichen gehörte die Zukunft. Nicht Bernward, sondern der 1038 verstorbene Godehard wurde 1131 heilig gesprochen. Sein Kult verbreitete sich in ganz Mitteleuropa. Wir kennen 439 Orte, an denen er verehrt wurde. Damit kamen jede Menge Pilger nach Hildesheim, und die schauten natürlich auch bei den Mönchen von St. Michaelis vorbei. Eine wunderbare Gelegenheit für die Benediktiner, doch noch die späte Heiligsprechung ihres Gründers (und damit einträgliche Reliquien) zu erhalten. Man berichtete also nach Rom, was damals so als Vorbedingung für eine Kanonisation galt: Blinde, die wieder sehen, Lahme, die wieder gehen, befreite Gefangene, gerettete Schiffsbrüchige, das Übliche halt. Und tatsächlich kam die Provinzialsynode nicht umhin, dem Abt von St. Michaelis zu gestatten, einen Altar über den Gebeinen des Bernward zu errichten. Aber nicht mehr.
Es war letztlich dann doch der Bau des Klosters von St. Michaelis, der Bernward seinen Platz im katholischen Himmel sicherte. Ein päpstlicher Legat kam nämlich aus Skandinavien zurück und saß im Sommer des Jahres 1192 in Hildesheim fest. Die Mönche von St. Michaelis gewährten ihm Quartier – und er bedankte sich, indem er die Heiligsprechung Bernwards in Rom vorantrieb. Der Abt von St. Michaelis, der mit ihm nach Rom gereist war, bracht 1193 das Mandat Coelestins III. mit der Heiligsprechung zurück nach Hildesheim.
Allerdings wurde Bernward nie so beliebt wie Godehard. Sein Kult blieb mit wenigen Ausnahmen auf das Bistum Hildesheim beschränkt, von wo wir aber durchaus Münzen mit seinem Porträt kennen. Wie auch immer, das älteste Siegel der Stadt Hildesheim zeigte nicht den Baubischof Bernward, sondern den Reformbischof Godehard.