Das Haus Hohenems und seine Bischöfe
1. Marcus Sitticus von Hohenems
Den Aufstieg zu dem bedeutendsten Adelsgeschlecht in Vorarlberg verdankten die Herren von Ems ihrer Treue zu den Habsburgern. Zwei Mitglieder der Familie waren in deren Diensten in der Schlacht von Sempach gegen die aufständischen Schweizer Bauern gefallen. Als Vögte der Habsburger und Landsknechtführer in Deutschland und Oberitalien verdienten sich in den darauf folgenden Jahrhunderten viele Angehörige des Hauses Ems den Lebensunterhalt. Den letzten, entscheidenden Schub für ihre Karriere allerdings sollten die Emser nicht der kaiserlichen Macht verdanken, sondern ihrer klugen Heiratspolitik.
Wolf Dietrich von Ems (*1507, † 1538), Vogt von Bludenz und Sonnenberg, heiratete im Jahr 1528 eine Medici – wenn auch nicht direkt aus der berühmten Florentiner Familie. Sie war die Schwester eines Berufskollegen von Wolf Dietrich, eines Condottiere namens Gian Giacomo de’ Medici, seines Zeichens Marchese von Marignano. Sechs Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, die bereits im Jahr 1538 durch den vorzeitigen Tod Wolf Dietrichs endete.
Marcus Sitticus als Condottiere.
Uns interessiert in diesem Zusammenhang das zweite der sechs Kinder, der zweitälteste Sohn von Clara und Wolf Dietrich, Merk Sittich – oder wie sein Name auf Lateinisch lautete Marcus Sitticus. Der ging bereits als junger Mann nach Italien, wo er 10 Jahre lang wie sein Vater als Condottiere sein Geld verdiente. Doch im Jahr 1559 bahnte sich die entscheidende Veränderung im Leben des jungen Mannes an: Sein Onkel mütterlicherseits, der Jurist und Protonotar Gian Angelo de’ Medici, wurde vom römischen Kardinalskollegium zum Papst Pius IV. gewählt.
Sofort machte sich der mittlerweile 27jährige Marcus Sitticus auf den Weg nach Rom. Zur Verwunderung aller wechselte er bei dieser Gelegenheit den Beruf. Der Condottiere trat in den geistlichen Stand über. Eine erbauliche Geschichte liefert uns den Grund dafür: Ein himmlisches Zeichen habe den Marcus Sitticus dazu bewogen, das Kriegshandwerk aufzugeben. Er sei nämlich bei einem Verkehrsunfall aus einem Wagen gestürzt. Während ihm selbst nichts dabei geschah, brach sein Degen entzwei.
Boshafte Zungen behaupteten, nicht ein Wunder, sondern eine ihm immer wieder Schwierigkeiten machende Wunde in der Schädeldecke habe – zusammen mit den günstigen Aussichten auf die Protektion des päpstlichen Onkel – Marcus Sitticus dazu bewogen, die niederen Weihen zu nehmen.
Porträt des Karl Borromäus von Ambrogio Figino.
Allerdings hatte der frisch gebackene Kleriker einen ernst zu nehmenden Konkurrenten hinsichtlich der Gunst seines Onkels. Der hatte nämlich nicht nur eine nach Deutschland verheiratete Schwester, sondern eine weitere, die in die oberitalienische Adelsfamilie der Borromäer eingeheiratet hatte. Ihr dritter Sohn Karl war ein begabter junger Mann, der seit 1552 in Pavia Jura studierte. Ihn rief Pius IV. nach Rom, während er Marcus Sitticus vorerst wieder fortschickte. Zum Trost gab er ihm eine Botschaft an den Hof der Habsburger mit, daß nämlich der neue Papst mit der traditionell antikaiserlichen Politik seiner Vorgänger brechen wolle. Ferdinand I. war darüber so erfreut, daß er die Herren von Ems am 27. April 1560 in den Reichsgrafenstand erhob. Von nun an hießen die Brüder des Marcus Sitticus nicht mehr von Ems, sondern von Hohenems. Doch er selbst mußte auf eine einträgliche Pfründe vorerst noch warten. Während sein Cousin Karl Borromäus zum neuen Erzbischof von Mailand wurde, scheiterten seine eigenen Verhandlungen mit den Domkapiteln von Köln und Salzburg. Erst das Domkapitel von Konstanz erklärte sich auf Vermittlung Hans Werners von Raitenau dazu bereit, Marcus Sitticus zum Bischof von Konstanz zu erheben.
Und so war Marcus Sitticus oberster geistlicher Hirte dieses bedeutenden Bistums am Bodensee, von dem aus nicht nur der Süden Deutschlands, sondern auch große Teil der katholischen Kantone der Eidgenossenschaft betreut wurden. Allerdings sah der doch eher weltlichen Freuden zugeneigte Kirchenfürst sein Bistum insgesamt lediglich drei Mal. Pius IV. brauchte seinen Nepoten für anderes. Zunächst schickte er ihn als seinen Vertreter nach Trient, wo das Reformkonzil tagte. Dort zeichnete sich der ehemalige Condottiere vor allem durch seine mangelnden Lateinkenntnisse und seine fehlende theologische Schulung aus. Mehrere Witze über ihn sind überliefert. So kursierte in Trient ein Wortspiel, in dem die wichtigsten Teilnehmer des Konzils charakterisiert wurden: vom schwerhörigen Kardinal Gonzaga sagte man, daß er nichts höre, vom gelehrten, aber sehr vorsichtigen Seripando, daß er nichts wage, der Bücherfreund Hosius lese dauernd, während der Konzilssekretär Simonetta dauernd schreibe. Vom Hohenemser aber gelte folgendes: „er hört nichts, wagt nichts, liest und schreibt nichts.“ Auch unterstellte man Marcus Sitticus, daß er erst noch das Vater Unser auf lateinisch beten lernen müsse. Die Teilnehmer am Konzil zu Trient waren sichtlich erleichtert, als Marcus Sitticus am 22. Oktober 1562 vom Papst aus seiner theologischen Verantwortung entlassen wurde, um dem neuen König des römischen Reichs Deutscher Nation, Maximilian II., seine Glückwünsche zu übermitteln.
Auch wenn er in Rom wegen seiner mangelnden Lateinkünste eine Zielscheibe des städtischen Witzes war, Marcus Sitticus von Hohenems besaß großen Einfluß auf das Kardinalskollegium, dem er seit 1563 angehörte. Er wirkte an insgesamt sieben Papstwahlen mit und verhinderte, daß ein ihm feindlich gesinnter Papst an die Macht kam. Bei dieser Gelegenheit legte er sich sogar mit seinem später heilig gesprochenen Cousin Karl Borromäus, dem Bischof von Mailand an. Er verhinderte, daß dessen Kandidat, ein überaus strenger Asket und Ordensmann, zum Papst gewählt wurde.
Denn Askese war es nicht, was Marcus Sitticus lag. Er verbrauchte seine Einkünfte aus den unterschiedlichen kirchlichen Pfründen vor allem für den Luxus, den die ausgehende Renaissance in Italien zu bieten hatte. Zwischen 10 und 20.000 Goldgulden jährlich kamen allein aus seinem vernachlässigten Bistum Konstanz. Insgesamt dürfte der Günstling von Pius IV. über mehr als 40.000 Goldgulden im Jahr verfügt haben. Wie sich der Kardinal seine Mittel „erwarb“ zeigt ein Schreiben an seinen Bruder Jakob Hannibal von Hohenems, das am 6. Oktober 1564 abgefaßt wurde. Darin schreibt Marcus Sitticus, daß eine Abtei „ledig geworden (ist), die lange im Besitze des Geschlechts des Signor Julia Cesarino gewesen ist … Diese Abtei hab ich erschnappt. Wiewohl sie 6 oder 7000 Kronen wert sein und Signor Juliano und sein Sohn 4000 Scudi Pension darauf haben soll, so ist es doch ein guter Griff. Denn es ist der schönen Stuck eines, so in Italien mag sein und ein solches Stuck in ein Geschlecht bringen ist nicht wenig.“
Die Villa Mondragone.
Kunsthistorisch interessierte Besucher von Rom und Umgebung werden es Marcus Sitticus zu danken wissen, daß er so eifrig Geld zusammenbrachte – und es mit einer noch größeren Begeisterung für die Förderung der Künste wieder ausgab. Torquato Tasso stand z. B. auf seiner Gehaltsliste. Und dann war der Kardinal ein begeisterter Baumeister. Die in den Albanerbergen errichtete Villa Mondragone, wo im Jahr 1582 die Gregorianische Kalenderreform verkündet wurde, wurde für ihn erbaut. Sein weiträumiger Palazzo nahe der Piazza Navone beeindruckt heute noch Touristen und seine Titularkirche Santa Maria in Trastevere verdankt ihm einige wichtige Teile ihrer Ausstattung.
An seinem Bistum Konstanz dagegen interessierten Marcus Sitticus dagegen ausschließlich die Goldgulden, die es ihm einbrachte. Obwohl die römische Amtskirche mittlerweile ihren Bischöfen vorschrieb, in ihren Diözesen zu leben, und sowohl das Domkapitel von Konstanz als auch die katholischen Kantone der Schweiz mehrmals erbost am päpstlichen Hof über diesen Mißstand Klage führten, blieb der Marcus Sitticus seinem Bistum fern. Dies nahm Erzherzog Ferdinand II. von Österreich zum Anlaß, die Resignation des abwesenden Bischof zu betreiben. Schließlich verfügte er aus seiner ersten (morganatischen) Ehe mit Philippine Welser über einen Sohn, den es zu versorgen galt. Doch Marcus Sitticus war ein harter Verhandlungspartner. Erst im Jahr 1589 kam ein Vertrag zustande, der Ferdinands Sohn, Kardinal Andreas von Österreich, das Bistum Konstanz einbrachte. Allerdings ließ sich der Hohenemser für seine Resignation mit klingender Münze bezahlen. 12.000 Goldkronen Jahrespension, also ungefähr 18.000 Gulden, mußte der neue Bischof jährlich an seinen Amtsvorgänger abführen. Und auch gegen einen plötzlichen Tod seines Nachfolgers hatte sich Marcus Sitticus abgesichert. Für diesen Fall waren bereits 40.000 Goldkronen an einer sicheren Stelle hinterlegt.
Marcus Sitticus, Kardinal und ehemaliger Bischof von Konstanz, starb, schwer von der Gicht geplagt, am 15. Februar 1595 in Rom. Er liegt mit seinem Sohn Roberto in der Kirche Santa Maria in Trastevere in Rom begraben.
KONSTANZ. Marcus Sitticus von Hohenems, als Bischof von Konstanz 1561-1589. Guldentaler zu 60 Kreuzer, 1573. Wappen, darüber Kardinalshut. Rv. Nimbierter Reichsadler, auf der Brust Reichsapfel mit der Wertzahl 60. Jahreszahl 15-73. Berst. 405var. Museum zu Allerheiligen Inv. N10651. Aus Auktion Leu Numismatik AG 73 (1998), 967.
KONSTANZ. Marcus Sitticus von Hohenems, als Bischof von Konstanz 1561-1589. Halber Guldentaler zu 30 Kreuzer, o. J. Wappen. Rv. Nimbierter Reichsadler, auf der Brust Reichsapfel mit der Wertzahl 30. Berst. 406. Museum zu Allerheiligen Inv. N10652. Aus Auktion Leu Numismatik AG 73 (1998), 969.
Die höchst seltenen Münzen, die im Namen des Marcus Sitticus in Konstanz geprägt wurden, haben wohl in erster Linie repräsentativen Charakter. Sie zeigen auf der Vorderseite ein Wappen, das zusammengesetzt ist aus dem der Familie Medici (die sog. palle oder Kugeln), dem der Hohenemser (Steinbock), dem des Bistums Konstanz (Kreuz) und der Abtei Reichenau (Kreuz), sowie des Ritterordens von Santiago de Compostela (Flammenschwert). Auf fast allen Stücken ist darüber der Kardinalshut zu sehen.
Die Rückseiteninschrift der Guldentaler und halben Guldentaler informiert den Benutzer der Münze darüber, daß die Stücke gemäß dem Münzedikt Maximilians II. im Gewicht von 60 bzw. 30 Kreuzer ausgegeben wurden.
Außer diesen Großsilbermünzen gibt es noch Stücke im Wert zu 10 Kreuzern, sowie Halbbatzen zu 2 Kreuzern.