Aktdarstellungen zur Zeit der dritten Französischen Republik
Viele Kunstwerke dieser Zeit sind nur schwer einem bestimmten Stil zuzuordnen, da die Künstler viele Anregungen aufnahmen, vermischten und zu neuen Werken verarbeiteten. Diese zeigen die Merkmale der unterschiedlichsten Schulen, wie Historismus, Orientalismus, Impressionismus, Art nouveau / Jugendstil, Surrealismus, Art decó. Eine wichtige Neuerung war, dass neben den runden Medaillen häufig rechteckige Plaketten entstanden. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass die Medaille als Kunstform aufgewertet wurde und neben Skulptur und Malerei ihren Platz fand.
Verstärkt griffen die französischen Künstler auf die Aktdarstellungen der Rokokozeit zurück, die häufig mitten in der Natur platziert wurden. Das Rokoko liebte die Gärten. In ihrer idyllischen Atmosphäre glaubte man, die von antiken und zeitgenössischen Dichtern geschaffene Traumlandschaft Arkadiens wiederzufinden. In ihr hatte man die Chance, auf verführerische Quellnymphen, Göttinnen oder bezaubernde Hirtenmädchen zu treffen, die zu galant-erotischen Spielen bereit waren.
Diese Phantasien gewannen in den Jahrzehnten vor dem Grauen des Ersten Weltkriegs an Attraktivität, vermischten sich aber mit ganz neuen Ideen und Gefühlen: Die um sich greifende Urbanisierung, die Industrialisierung und die immer deutlicher werdenden Umweltschäden riefen eine Sehnsucht nach der Idylle des Landlebens hervor. Viele Franzosen erholten sich auf dem Land von den ökonomischen Zwängen und den politischen Intrigen des Molochs Stadt.
Diese Medaille von César Isidore Henry Cros aus dem Jahre 1904 spiegelt die fortschreitende Zerstörung der Wälder. Sie zeigt auf der Vorderseite den nackten Oberkörper einer jungen Frau, der von einem Laubkranz – besonders auffällig sind die Blätter der Eiche – umgeben ist. Die Eiche gilt seit keltischer Zeit als Wahrzeichen Frankreichs. Die Legende TERRARVM DECVS (= die Zierde der Erde) ist auf die schöne Frau, die man als Waldgöttin identifizieren kann, und damit auf die Wälder zu beziehen.
Die Rückseite zeigt einen Kentauren, der versucht, eine knorrige Eiche umzureißen. Die halbnackte Waldgöttin versucht, ihn davon abzuhalten. Die Legende der Medaille ist eindeutig: SYLVAE SERVANDAE (= die Wälder müssen geschützt werden).
Die künstlerische Phantasie assoziierte die Heiligkeit der Wälder mit den Quellnymphen, die – wie die antike Literatur überliefert – hier ihren Wohnsitz hatten. So zeigt Georges Henri Prud’homme eine völlig nackte Quellnymphe in einem angedeuteten Wald. Die Nymphe legt ihre Hand auf einen Fels, aus dem eine Quelle sprudelt. In kleinen Kaskaden stürzt das Wasser in einen Teich, der durch Schilf angedeutet wird.
Auf der Rückseite sitzt ein nackter Knabe am Rande eines Gewässers und angelt. Das Angeln war ein besonderes Vergnügen des Landlebens. Claude Monet und andere Maler der Zeit haben dies in ihren Bildern immer wieder festgehalten.
Quellnymphen-Bilder wie das von Prud’homme haben ihr Vorbild in Ingres’ Bild einer Quellnymphe aus dem Jahr 1856. Durch den Wettbewerb mit der Malerei und der Fotographie, die Ende des 19. Jahrhunderts immer raffiniertere und provozierendere Aktdarstellungen schufen, wurden auch die Medaillenkünstler zu immer expliziteren Darstellungen inspiriert.
Es waren nicht nur Quellnymphen, auf die man bei einem Aufenthalt auf dem Lande zu treffen hoffte: Es waren die schönen Bauernmädchen, die erotischen Phantasien aufkommen ließen. Die klassische Philologie hatte durch ihre Übersetzungen den Hirtenroman des Longos über die aufkeimende Liebe zwischen den Jugendlichen Daphnis und Chloë (= die frische Grüne) bekannt gemacht. Er erlangte durch seine künstlerischen Adaptionen einen solchen Bekanntheitsgrad, dass noch Karl Lagerfeld im Jahr 1975 ein Parfum nach seiner Titelgestalt nennen konnte: Chloé.
Jean-Baptiste Daniel-Dupuis fand darin Anregung für seine Plakette aus dem Jahr 1899. Sie zeigt die nackte Chloë vor einem Brunnenbecken, auf dessen Rand ihr abgelegtes Kleid liegt. Mit den Händen schöpft sie sich einen Trunk. Auf der Rückseite taucht ein geflügelter Amor seinen Finger in das Wasser der Quelle – eine Anspielung auf die erwachende Liebe von Chloë zu Daphnis.
Anrührende Szenen wurden in die Haine und Wälder der Plaketten verlegt. Eine Plakette von Daniel-Dupuis mit dem Titel Le nid (= Das Nest) zeigt ein nacktes Mädchen – man kann es als Baumnymphe verstehen –, das aufmerksam das Nest eines Vogels beobachtet; auf dem Revers ist ein nacktes Kind zu sehen, das einen Vogel füttert. Es sind Bilder von einer paradiesischen Unschuld, die durch solche Medaillen evoziert wurden.
Voyeuristisch sind dagegen jene Darstellungen, die badende Mädchen wiedergeben. Zwar werden damit die alten Themen wie die badende Venus oder die vom Jäger Aktaion beim Baden beobachtete Artemis aufgegriffen, doch sind die Badenden des ausgehenden 19. und 20. Jhdts. keine Göttinnen. Es sind Mädchen der Zeit, meist Aktmodelle. Sie erinnern an die Modelle von Pierre Auguste Renoir, der dieses Bildthema in immer neuen Variationen malte.
Viele bildende Künstler griffen zunehmend auf Nacktmodelle zurück, die oft mehr als bloße Modelle waren. Nicht selten waren sie die Geliebten der Künstler, manchmal auch ihre Musen, die sie zu grandiosen Werken inspirierten. Daran erinnert eine Plakette von Georges Dupré. Sie zeigt das Brustbild eines jungen Mädchens mit der Legende INSPIRATION. Die Plakette entstand, wie wir aus einer Aufschrift schließen können, 1898 in Rom. George Dupré hatte 1896 den Premier Grand Prix de Rome gewonnen und durfte eine bestimmte Zeit in der Villa Medici arbeiten und so am antiken Beispiel seine Kunst vervollkommnen. Wahrscheinlich verbirgt sich hinter der dargestellten Frau eine römische Geliebte, die Duprés künstlerisches Schaffen stimulierte.
Offensichtlich waren sich die französischen Medailleure dieser Epoche der Tatsache bewusst, welchen Rang ihre Graveurkünste in dieser Zeit hatten. Sprechend ist eine zweiseitige Plakette, mit der der Graveur Alphonse Lechevrel sich und seinen Kollegen ein Denkmal gesetzt hat: Die nackte Personifikation der Graveurkunst – ein schöner Rückenakt – graviert in eine Tafel, die an einer Eiche aufgehängt ist, die Namen der bedeutendsten Graveure. Darüber hängt ein Spruchband mit der lateinischen Aufschrift Magistris caelatoribus gloria in aeternum! (= Den Meistergraveuren [bzw. den Lehrern in der Graveurkunst] sei Ruhm in Ewigkeit beschieden!).
Diesen Ruhm haben sich die Künstler, deren Werke wir Ihnen hier vorstellen durften, tatsächlich verdient.
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