Dichter und ihr Einkommen: Walther von der Vogelweide
Walther von der Vogelweide, er dürfte wohl der bekannteste Minnesänger des Deutschen Reichs sein. Und doch wissen wir nicht allzu viel über sein Leben. Beste Quelle sind immer noch seine Gedichte, eindrucksvolle Gedichte, die uns zahlreiche Einzelheiten seines Lebenswegs illustrieren.
Walther von der Vogelweide. Codex Manesse, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol 124r.
Erste Werke beziehen sich auf sein Leben am Hof von Herzog Friedrich von Österreich. Der Schüler des Hofsängers, Meister Reinmar, gehört zum herzoglichen Gefolge. Das bedeutete freie Unterkunft, Verpflegung und von Zeit zu Zeit zu besonderen Anlässen ein Geschenk aus der Hand des Herrn.
Walther war einer, der für Lohn arbeitete, nur dass es die mittelalterliche Terminologie anders formulierte. Walther rechnete mit der „milte“ seines Herrn, also mit dessen Freigebigkeit. Dafür leistete er ihm seine Dienste.
Doch 1198 kam es für Walther zur Katastrophe. Sein Herr starb auf dem Kreuzzug, und dessen Nachfolger, Leopold V., fand, dass ein einziger Sänger für seine Verhältnisse durchaus genüge. Er bevorzugte Meister Reinmar und entließ Walther. Damit stand der junge Mann sprichwörtlich auf der Straße.
Die Vorliebe des 19. Jh. für das Mittelalter machte den guten Walther zum Star, leider erst lange nach seinem Tod. Postkarte nach dem Gemälde von Wilhelm von Kaulbach.
Walther von der Vogelweide gilt heute als ein genialer Dichter. Leider wussten das seine Zeitgenossen nicht zu schätzen. Genialität ist ein Begriff, der sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts herausbilden sollte. Im Mittelalter schätzte man Walther als ausgezeichneten Handwerker, der eine neue Gattung von Gedichten geschaffen hatte: Das politische Gedicht, das die Zuhörer von den Fähigkeiten seines Auftraggebers überzeugen sollte.
Die Zeiten waren damals für den politischen Dichter günstig. Wir sprechen heute vom Interregnum: Kaiser Heinrich VI. war gestorben und hatte mit Friedrich II. einen minderjährigen Sohn hinterlassen, der zu jung war, um den Kampf um sein Erbe anzutreten. Statt seiner bewarben sich der Kandidat der Staufer, Philipp von Schwaben, und sein welfischer Gegner, Otto IV.
Walther stellte sich auf die Seite Philipps. Und Philipp nahm ihn an seinen Hof. Wundervolle Zeiten brachen für Walther an. Er war endlich wieder Mitglied eines geachteten Hofs. Nahrung, freie Unterkunft und hin und wieder ein Geschenk als Zeugnis der „milte“ seines Herrn. Doch die Enttäuschung kam schnell: Philipp war nicht der großzügige Herr, den Walther sich erträumt hatte:
König Philipp, die dich aus der Nähe beobachten, werfen dir vor,
du seist nicht aus freien Stücken zum Geben bereit; mir scheint,
dadurch verschenkst du um so mehr.
Du solltest lieber freiwillig 1.000 Pfund geben,
als 30.000 widerwillig. Du weißt noch nicht,
wie man durch Geben zu Ansehen gelangt.
Denk doch an den schenkenden Saladin:
der sagte, Königshände sollten löchrig sein:
dann würden sie gefürchtet und geliebt.
Ob Philipp sich durch diese kühnen Worte beleidigt fühlte? Schließlich hatte Walther ihn in einer seiner primären herrscherlichen Tugenden gekränkt. Die „milte“ war genauso wichtig wie Tapferkeit oder Treue. Wir wissen nicht, ob Walther wegen des schlechten Lohns aus freien Stücken ging, oder ihn sein Herr wegen seiner Frechheit hinauswarf. Wie auch immer, jedenfalls stand Walther wieder auf der Straße.
Was das bedeutete, hat er in vielen Gedichten beschrieben. Die anstrengenden Reisen auf schlechten Wegen, die Kälte, die Nässe, die unfreundlichen Adligen, die ihm nur widerwillig Unterkunft und Mahlzeit für seine unsterblichen Lieder gewährten. Walther wird es gehalten haben wie viele seiner Zeitgenossen: er suchte die überregionalen Feste auf. Dort traf er die großen Herrn, die vielleicht Verwendung haben würden für einen wie ihn.
Nennung von Walther in der Reiserechnung des Bischofs.
So war Walther auch bei der Hochzeit von Leopold VI. anwesend. Ob er noch als freier Sänger kam und dort seine Anstellung bei Bischof Wolfger von Passau fand, oder ob Wolfger ihn zu dem Fest als Attraktion für seine Gäste mitgenommen hatte, und ihn danach entließ, weil er ihn nicht mehr brauchte, wir wissen es nicht. Jedenfalls verdanken wir diesem Auftritt Walthers einzige Erwähnung in einem zeitgenössischen Dokument.
Wolfger von Passau war ein bedeutender Reichspolitiker und ein kluger Hausvater. In seinem Rechnungsbuch zeichnete er genau die Gaben auf, die er am 12. November 1203 – dem Tag nach St. Martin – in Zeiselmauer, einem kleinen Ort an der Donau, an sein Gefolge verteilte.
Walthero cantori de vogelweide pro pellicio v solidos longos: Walther erhielt bei dieser Gelegenheit 5 Solidi longi für einen Pelzmantel, keine fünf Goldmünzen wie man dem Wort nach annehmen könnte, sondern fünf Schillinge zu 30 Pfennigen, also 150 Pfennige. Dies war viel. Andere Mitglieder des bischöflichen Haushaltes, Kleriker, die in der Kanzlei dienten, erhielten an diesem Tag die gleiche Summe.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sie alle nicht einfach das Geld erhielten, sondern ausdrücklich dessen Bestimmung angegeben wurde: für einen Pelzmantel. Der eine oder andere Beschenkte mag sich tatsächlich einen Mantel gekauft haben, die meisten werden das Geld lieber für anderes aufgespart haben. Diese kleine Stelle ist jedenfalls ein prächtiges Zeugnis für die Zeit des Übergangs, in der wir uns befinden. Ungefähr 100 Jahre vorher hätte keiner Geld erhalten; sie alle wären mit Sachwerten be- bzw. entlohnt worden. Und einige Generationen nach dieser Urkunde sollte es kein Schenker mehr für notwendig erachten, das übergebene Geld mit einem scheinbaren Zweck zu bemänteln.
Hl. Martin teilt seinen Mantel. Skulptur am Basler Münster von 1340. Foto: Jacob Burckhardt / CC BY-SA 3.0
Apropos Mantel, diese Gabe dürfte nicht willkürlich gewählt worden sein. Immerhin fand die Zeremonie am Tag des hl. Martin statt, an dem Tag, an dem Zins und Abgaben fällig wurden, und das Gesinde seine Stellung wechselte. Dies war ein Tag, um einmal im Jahr seine „milte“ zu zeigen, und wie konnte man das besser als mit dem Hinweis auf den hl. Martin, der in einer großzügigen Geste der Legende nach seinen Mantel mit einem Armen geteilt hatte.
Jedenfalls leistete sich Wolfger den anspruchsvollen Sänger nicht allzu lange. Bald war Walther wieder auf der Straße. Die großen Herren wollten ihn nicht haben, die kleinen konnten sich ihn nicht leisten. Ein kurzes Engagement auf Seiten Ottos IV. blieb eine Episode. Auch dessen „milte“ fand Walther nicht befriedigend. Und so war es für den Sänger ein großes Glück, dass der Knabe aus Apulien, Friedrich II., propagandistische Unterstützung in seinem Kampf um die deutsche Königskrone brauchte.
Er gab Walther endlich das, wonach der sich so sehr gesehnt hatte, eine feste Einkommensquelle. Dabei handelte es sich nach mittelalterlichen Vorstellungen selbstverständlich nicht um eine feste Anstellung, sondern um ein Lehen, also um ein Gut, das Walther an Bauern verpachten konnte, deren Tribute ihm den Lebensunterhalt sicherten. Sein kleiner Besitz bei Würzburg bedeutete für Walther die lang erstrebte finanzielle Sicherheit. Nun konnte er jubeln:
Ich hab’ mein Lehen, alle Welt, ich hab’ mein Lehen:
jetzt fürchte ich nicht mehr den Frost an den Zehen
und will alle geizigen Herren umso weniger bitten.
Der edle König, der „milte“ König hat mich versorgt,
dass ich im Sommer frische Luft und im Winter Wärme habe.
Österreich. Pfennig, ca. 1190-1210, Enns. Geflügelter Panther. Rv. Zwei Drachen. Aus Auktion Künker 130 (2007), 2595.
Die wunderschönen Pfennige des Mittelalters, sie hatten für Walther nur so lange eine Rolle gespielt, als er auf den schlechten Landstraßen dahinziehen musste. Nun konnte er – wie ein adliger Herr – von den Naturalabgaben seiner Bauern prächtig leben. Pfennige mag er nur noch gesehen haben, wenn sein Besitz so viel produzierte, dass er den Überschuss auf dem nahegelegenen Markt verkaufen konnte.
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