Der Befreiende: August der Jüngere und seine Glockentaler

Am 14. September 1643 zogen die kaiserlichen Truppen aus der Braunschweiger Festungs- und Residenzstadt ab. Durch den Separatfrieden zwischen Kaiser Ferdinand III. und den Welfen hatte das kaiserliche Heer auch diesen wichtigen Standort verloren. Gewinner waren die Braunschweiger Bürger. Sie befreite der Abzug von Einquartierungen, Sondersteuern und all den lästigen Begleiterscheinungen, die ein feindliches Heer in einer Stadt bedeutete. Sie verdankten diese Freiheit ihrem neuen Herrscher, August dem Jüngeren. Der feierte seine Bemühungen im Dienste der Stadt mit einer umfassenden Münzserie. Die Numismatik spricht zumeist von den „Glockentalern“, obwohl diese Prägungen nicht nur als Taler ausgegeben wurden, sondern – wie es sich für Schaustücke gehört – viele verschiedene Nominale existieren.

August der Jüngere, Herzog von Braunschweig und Lüneburg. Kupferstich von Anselm van Hulle.

August der Jüngere und sein kulturelles Kapital

Als August der Jüngere seine Herrschaft antrat, war die Akzeptanz seiner Untertanen alles andere als gesichert. Schließlich hatte er sich beim diplomatischen Ringen um die Nachfolge Friedrich Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel gegen sechs Konkurrenten durchsetzen müssen – und das als Außenseiter: Als siebtes und letztes Kind des Heinrich von Braunschweig-Dannenberg war seine Position juristisch gesehen mehr als schwach, dafür verfügte August der Jüngere über ein großes kulturelles Kapital. Das war im 17. Jahrhundert durchaus von Bedeutung. Als bedeutender Autor und Besitzer einer weithin gerühmten Bibliothek war August der Jüngere ein Mann, dessen Bekanntschaft alle suchten und pflegten, die als gebildet gelten wollten.

Obwohl Hitzacker, wo August der Jüngere residierte, nur ein Fischerdorf an der Elbe mit gerade mal 500 Einwohnern war, brachten ihm seine Boten Briefe von Standesgenossen aus dem gesamten Römischen Reich Deutscher Nation. Wesentlicher Teil seines Netzwerks war die Mitgliedschaft in der Fruchtbringenden Gesellschaft, der im 16. Jahrhundert wohl exklusivsten Vereinigung des gebildeten Adels. Diese Gesellschaft wurde 1617 am Vorabend des 30-jährigen Krieges von protestantischen Fürsten gegründet. Sie setzte sich zum Ziel, die deutsche Sprache als Hochsprache durchzusetzen, um so das Latein der katholischen Kirche und das Französisch der Diplomatie zu verdrängen. August der Jüngere wurde 1632 in diese Gesellschaft aufgenommen. Wie alle Mitglieder erhielt er einen Ehrennamen, und zwar „der Befreiende“.

August verfügte also über zahlreiche Verbündete unter den Fürsten Europas und vor allem ihren gebildeten Beratern, die durchaus bereit waren, ihren Einfluss in die Waagschale zu werfen, um ihm trotz seiner schwachen juristischen Position den Titel zu sichern. Sogar der katholische Kaiser Ferdinand II. fand sich zur Unterstützung bereit. Ein Erbschaftsvertrag vom 14. Dezember 1635 machte August den Jüngeren zum Herzog. Doch in seine Residenzstadt konnte er vorläufig nicht einziehen. Sie war seit 1627 von kaiserlichen Truppen besetzt. Ein militärischer Versuch, sie zurückzugewinnen, war noch Anfang des Jahres 1642 spektakulär gescheitert. So musste sein primäres politisches Ziel erst einmal die Befreiung von Wolfenbüttel sein.

August der Jüngere. Taler 1657 Zellerfeld. Äußerst seltener Jahrgang. Sehr schön bis vorzüglich. Taxe: 750 Euro. Aus Auktion Künker 361 (21. März 2022), Nr. 125.

„Der Befreiende“ befreit Wolfenbüttel

Voraussetzung einer Befreiung Wolfenbüttels war ein Separatfrieden der Welfen mit dem Kaiser. Seit Oktober 1641 wurde in Goslar darüber verhandelt. Ob die Ernennung von Octavio Piccolomini zu einem Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft im Jahr 1641 damit in Verbindung steht? Immerhin war Octavio Piccolomini katholisch und gleichzeitig einer der wichtigsten Feldherrn von Kaiser Ferdinand III. Jedenfalls unterzeichneten die Verhandlungsparteien im April 1642 den Goslarer Akkord. Darin verzichteten die Welfen auf weitere Militäraktionen, während der Kaiser die Restitution der Residenzstadt Wolfenbüttel zusicherte. Doch Ende des 30-jährigen Krieges waren Quartiere, in denen die Verpflegung der Truppe gesichert war, selten und äußerst wertvoll. Deshalb wurden die Verhandlungen über den Abzug der kaiserlichen Truppen aus Wolfenbüttel fortgesetzt.

Diese Verhandlungen dokumentierte der kulturbeflissene Herzog numismatisch: Seine Glockentaler sind als Kommentar zu verstehen, der den Beinamen von Herzog August dem Jüngeren aufgreift: Man erlebt „den Befreienden“ bei der Durchführung der Befreiung von Wolfenbüttel.

Sieben oder nur vier Glockentaler?

Die Akten der herzoglichen Verwaltung geben ein eindrucksvolles Bild, wie konkret der Herzog in die Gestaltung der Münzen eingriff. Er selbst legte Umschriften fest, zeichnete Entwürfe und ließ sich Probeprägungen schicken, um zu kontrollieren, ob seine Anweisungen auch buchstabengetreu ausgeführt wurden. Man weiß, dass August seine neuen Münzen in seiner Korrespondenz nicht nur erwähnte, sondern Entwürfe mitschickte und kommentierte. Die erhaltene Korrespondenz mit dem württembergischen Theologen Johann Valentin Andreae und dessen Lebenserinnerungen zeugen davon. Andreae war nämlich stolz darauf, dass August die drei geplanten Typen von Glockentalern auf seinen Rat hin um einen vierten Typ ergänzte.

Das zeigt, dass die wesentlich detailliertere Unterteilung der Numismatik, die sieben verschiedene Typen identifizieren will, den historischen Sachverhalt verfälscht. Tatsächlich muss man von vier Typen ausgehen, die an vier verschiedenen Zeitpunkten der Verhandlungen bzw. der Übergabe ausgegeben wurden, und die sich auf Grund der ausgeführten Änderungswünsche von Herzog August dem Jüngeren in verschiedene Varianten teilen lassen.

August der Jüngere. 3 Dukaten 1643, Goslar oder Zellerfeld. Äußerst selten. Sehr schön bis vorzüglich. Taxe: 7.500 Euro. Aus Auktion Künker 361 (21. März 2022), Nr. 119.

Die Verhandlungen – Eine Glocke ohne Klöppel

Die ersten drei Varianten des Glockentalers, die nach archivalischen Quellen Ende des Jahres 1642 – also während der Verhandlungen – entstanden sind, zeigen eine Glocke als Symbol der städtischen Freiheit. Die Stadtglocke im Rathaus rief alle Bürger zu Gerichts- und Wahlversammlungen zusammen; fehlte ihr Klang, war die Autonomie dahin. Dieses erzwungene Schweigen während der kaiserlichen Besatzung illustriert der fehlende Klöppel.

Was die beiden Varianten der Umschrift SIC NISI resp. UTI SIC NISI bedeuten sollen, hat Herzog August selbst aufgelöst: Wie eine Glocke ohne Klöppel, so sind die Verhandlungen von Salder, Goslar und Braunschweig ohne Umsetzung wertlos, wenn nicht letztere folgt.

Für die Buchstaben TSGEB, die man auf der Glocke sehen kann, fehlt dagegen eine zeitgenössische Interpretation. Spätere Numismatiker wollten aus ihnen unterschiedliche Sätze herauslesen, die alle darauf hinauslaufen, dass irgendwann der Auszug des kaiserlichen Heeres aus Braunschweig erfolgen wird.

August der Jüngere. Glockentaler 1643, Zellerfeld. Sehr schön. Taxe: 400 Euro. Aus Auktion Künker 361 (21. März 2022), Nr. 134.

Der Durchbruch – Ein Klöppel auf dem Eckstein

Am 19. April 1643 schloss der Herzog mit dem Kaiser den Braunschweiger Vertrag, der die Details einer Übergabe Wolfenbüttels festlegte. Dieses Datum ist auf dem Klöppel zu finden, allerdings in verschlüsselter Form. Mit der römischen Variante „13. Kalenden des Mai“ illustrierte Herzog August einmal mehr seine Bildung.

Die kommt auch durch das Bibelzitat zum Ausdruck, das die Vorderseite des Quaders ziert. Das Ende des Verses der Offenbarung 13,10 lautet folgendermaßen: Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen!

Was die lateinische Frage „SED?“ zum Ausdruck bringen soll, weiß man aus dem Briefwechsel des Herzogs mit dem Theologen Johann Valentin Andreae. Es muss zusammen mit dem Bibelzitat gelesen werden: Wann aber wird die Übergabe Wolfenbüttels endlich erfolgen? Hier ist Geduld und Glaube verlangt!

Was der Eckstein soll? Darüber scheint sich noch niemand Gedanken gemacht zu haben. Man könnte vielleicht an das Bibelwort denken, dass der Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden ist (Ps. 118,22), dass also der Außenseiter August der Jüngere durch seine Verhandlungen zur Basis für die Freiheit Wolfenbüttels wurde.

August der Jüngere. Glockentaler 1643, Zellerfeld. Mit Datierung 13. September 1643. Sehr schön bis vorzüglich. Taxe: 400 Euro. Aus Auktion Künker 361 (21. März 2022), Nr. 135.

August der Jüngere. Glockentaler 1643, Zellerfeld. Mit Datierung 14. September 1643. Sehr schön. Taxe: 250 Euro. Aus Auktion Künker 361 (21. März 2022), Nr. 136.

Der Abzug – Eine Glocke mit Klöppel

TANDEM – Endlich! Das liest man auf dem dritten Typ des Glockentalers, der anlässlich des Auszugs der kaiserlichen Truppen geprägt wurde. Man weiß aus einem Brief von Herzog August an Andreae, was die Buchstaben auf der Glocke bedeuten. Er schrieb am 16. September 1643: Vergangenen Donnerstag sind am Fest der Kreuzeserhöhung, dem 14. des Monats, die unrechtmäßigen Besetzer wenn auch ungern endlich abgezogen. Dieser in Frühneuhochdeutsch formulierte Satz enthält einige lateinische Phrasen im Wortlaut, mit denen Numismatiker traditionell die Buchstaben auf der Glocke auflösen: Wolfenbüttelum Ab Injustis Detentoribus Invite Restituitur (= Wolfenbüttel wird von den ungerechten Besetzern wider Willen zurückgegeben.)

Auch was das E auf dem Klöppel bedeutet, erläutert der Herzog persönlich. Es steht für EXECUTIO (= Ausführung).

Warum der Taler mit zwei verschiedenen Daten geprägt wurde, weiß man ebenfalls aus einem Brief, diesmal vom zuständigen Münzmeister. Der Ausmarsch der Kaiserlichen war nämlich für den 13. September 1643 geplant gewesen, konnte aber dann erst am 14. September durchgeführt werden. Der Münzmeister fragte daraufhin an, ob er die Münzstempel abändern solle.

August der Jüngere. Glockentaler 1643, Zellerfeld. Sehr schön (2 Exemplare). Taxe: 300 Euro. Aus Auktion Künker 361 (21. März 2022), Nr. 137.

Endlich frei – Die Glocke läutet den Frieden ein

Endlich ist die Geduld Siegerin, damit feiert die Inschrift des letzten Talertyps die Freiheit Wolfenbüttels. Gezeigt ist die weithin schallende Glocke, auf der eine abgekürzte lateinische Inschrift verkündet, dass der Glockenklang die Botschaft vom Frieden verbreite. Ob das der Typ ist, den der Theologe Andreae angeregt zu haben glaubt? Immerhin schickte er am 20. September 1643 dem Herzog ein selbst verfasstes Gedicht, in dem er den Fürsten für die Befreiung von Wolfenbüttel lobt, und dazu die auf den Glockentalern verwendeten Bilder in Worte umsetzt, was übrigens auch andere Gratulanten in ihren Schreiben taten. Die Illustrationen der Glockentaler scheinen schon unter den gebildeten Zeitgenossen weithin bekannt gewesen zu sein.

August der Jünger. Reichstaler 1643, Zellerfeld. Sehr schön bis vorzüglich. Sehr selten. Taxe: 2.000 Euro. Aus Auktion Künker 361 (21. März 2022), Nr. 133.

Ob die ursprünglichen Glockentaler, die eine Glocke ohne Klöppel zeigen, zum Zeitpunkt des Abzugs noch einmal in abgeänderter Form ausgegeben wurden? Man kennt nämlich von diesem Typ Stücke, bei denen das Wort GLORIA nachträglich eingraviert bzw. in einen abgeänderten Stempel geschnitten wurde.

Denkmal für Herzog August auf dem Marktplatz von Wolfenbüttel aus dem Jahr 1904. Foto: KW.

Auch wer heute nach Wolfenbüttel reist, kommt nicht an Herzog August dem Jüngeren vorbei. Die bekannteste Sehenswürdigkeit von Wolfenbüttel ist die Herzog August Bibliothek, die schon zu Lebzeiten ihres Gründers als achtes Weltwunder gefeiert wurde.

Vielleicht noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass sich Herzog August der Jüngere mit der Befreiung Wolfenbüttels die Loyalität seiner Untertanen derart gesichert hatte, dass man ihn auswählte, als Anfang des 20. Jahrhunderts beraten wurde, wem auf dem zentralen Platz von Wolfenbüttel ein Denkmal errichtet werden sollte.

 

Zum Weiterlesen ist zu empfehlen Wolfgang Leschhorn, Braunschweigische Münzen und Medaillen. 1000 Jahre Münzkunst und Geldgeschichte in Stadt und Land Braunschweig. Braunschweig (2010), zu den Glockentalern S. 214-218.

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