Sestos und Abydos, Hero und Leander: Eine Liebesgeschichte auf Münzen
von Claire Franklin
Antike Münzen können uns besser in das Alltagsleben und in die Gedankenwelt der Antike versetzen als andere überlieferte Gegenstände, denn an ihnen sehen wir, was die Stadtstaaten bewegte und interessierte zu der Zeit, als die Münzen geprägt wurden. Für die Stadtstaaten (poleis) Kleinasiens, die in das römische Reich eingefügt worden waren, war die Münzprägung eine Möglichkeit, immer noch ihre Geschichte darzustellen und zu glorifizieren.
Die Vorderseite der Münzen trug das Bild des jeweiligen gerade regierenden römischen Kaisers, aber auf der Rückseite zeigte die Stadt oft Szenen aus ihrer eigenen Vergangenheit oder das, was ihr daraus wichtig war.
Sestos und Abydos liegen einander gegenüber auf zwei Seiten des Hellespont. Dorieo21 / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Viele Münzen, die in den römischen Provinzen geprägt wurden, zeigen Götter und Helden der Mythologie, die eine spezielle lokale Bedeutung hatten, und auch die Städte Abydos und Sestos prägten solche Münzen, zwei Städte an den sich gegenüber liegenden Ufern des Hellespont, der Meerenge, die Troas von der thrakischen Chersonesos trennt und damit die Grenze zwischen Europa und Asien bildet. Dort gab es eine Sage, die damals schon in der Literatur verarbeitet worden war und die auch später noch weiter leben sollte.
Griechische Münzen unter römischer Herrschaft. Thrakien, Sestos. Septimius Severus, 193-217. Bronze. BMC vgl. 200, 18 (Caracalla, mit gleichem Revers). Vgl. Auktion F. Sternberg 28. /29. 11. 1975, 147 (dieses Exemplar). Knapp vorzüglich Aus Auktion F. Sternberg, Zürich 28. /29. 11. 1975, 147.
Im zweiten Jahrhundert n. Chr. prägten beide Städte Münzen mit einer Szene aus der Erzählung von Hero und Leander (die Münze von Sestos ist ein Unikum). Hero war eine Priesterin der Aphrodite in Sestos am europäischen Ufer des Hellespont. Bei einem Fest der Aphrodite traf sie den schönen Jüngling Leander aus Abydos, und die beiden wurden ein Liebespaar.
Den nächsten Teil der Geschichte kann man auf den Münzen dargestellt sehen: Jede Nacht schwamm Leander durch den Hellespont (glücklicherweise waren die fauces abydenae, wie Vergil die Meeresenge nennt, an dieser Stelle am schmalsten – sieben Stadien, aber das waren immerhin noch 1344 Meter. Die Münzen von Abydos und Sestos zeigen, wie Hero auf einem hohen Turm am Ufer des Meeres steht und mit einer brennenden Öllampe dem auf sie zu schwimmenden Leander den Weg weist.
Griechische Münzen unter römischer Herrschaft. Thrakien, Abydos. Severus Alexander, 222-235. Großbronze. SNG von Aulock 7543 (dieses Exemplar). Bräunlich grüne Patina. Knapp vorzüglich Aus Slg. H. von Aulock und aus Auktion Bank Leu AG, Zürich 18 (1977), 180.
Auf der Münze von Severus Alexander ist noch ein kleiner Eros abgebildet, der auch hilft, den Weg zu erleuchten; er erinnert an die Worte Leanders in Ovids Heroides:
est aliud lumen, multo milii certius istis, non errat tenebris quo duce noster amor (Heroides XVIII 155-156):
„Ich hab ein anderes Licht, viel sicherer als die genannten,
führt mich dies, irrt mein Gefühl auch in der Dunkelheit nicht.“
Wenn wir der antiken Sage glauben, wiederholte Leander diese sportliche Leistung jede Nacht und schwamm bei Tagesanbruch zurück. In dem Bild auf der Münze des Severus Alexander hat er seine Kleider und sein Schwert auf der asiatischen Seite des Hellespont zurückgelassen, obwohl Ovid von Hero (auf der europäischen Seite) schreibt:
quid referam, quotiens dem vestibus oscula, quas tu Hellespontiaca ponis iturus aqua (Heroides XIX 31-32)
„Was bericht’ ich, wie oft deinem Kleide ich Küsse gab, das du
von dir wirfst, wenn du steigst ins hellespontische Meer!“
Unsere zwei Münzen stellen den Höhepunkt der Beziehung Heros und Leanders dar, als er heldenhaft das wogende Wasser durchschwimmt. Aber die antiken Betrachter der Münzen, wie auch die antiken Leser von Ovids Heroides, wussten bereits, dass die Geschichte ein tragisches Ende fand. In einer stürmischen Nacht blies der Wind die Lampe aus, und Leander, seines wegweisenden Lichts beraubt, ertrank im tobenden Meer.
William Etty, Hero and Leander, 1828. Quelle: Wikicommons.
Hero fand seine an den Strand gespülte Leiche, stieg auf ihren Turm und stürzte sich hinab in den Tod. In dieser Hinsicht ist es ein seltsam zweideutiges Bild, eine Erzählung voll von persönlicher Tragödie und der privaten Liebe zweier Individuen aus verschiedenen Ländern (die in verschiedenen Provinzen des römischen Reiches lagen), gesungen von einem Dichter, dessen erotische Dichtung ihm schon die Ungnade eines früheren Kaisers zugezogen hatte. Es kontrastiert stark mit dem normalen, offiziellen Portrait des Kaisers, umgeben von seinen Titeln, auf der Vorderseite der beiden Münzen. Es muss eine Erzählung gewesen sein, die die Bürger von Abydos und Sestos anrührte und bewegte (oder zumindest ihre Münzbeamten). Wahrscheinlich war sie mit dem Bild von diesen Stadtstaaten so stark verbunden, dass sie die nächstliegende Wahl eines symbolischen Bildes war, wo andere Stadtstaaten ihre Kultstatuen, Gebäude oder ihre Gründungslegende abbildeten.
Im Rückblick sehen wir, dass es auch ein dauerhaftes Bild ist – die Erzählung von Hero und Leander wurde von Marlowe, Schiller, Grillparzer und Byron bearbeitet. Sie bildete die Grundlage für Tragödien und Opern, und sie diente als Thema von Gemälden. In der nächsten Auktion der Münzen & Medaillen GmbH am 4. Juni 2014 in Stuttgart haben Sammler die Gelegenheit, auf diese Bilder einer dauerhaften Liebesgeschichte zu bieten.
Beide Münzen werden angeboten in der Auktion 40 der Münzen & Medaillen GmbH.
Einen Vorbericht der Auktion lesen Sie hier.