Mehr als Gold – Glanz und Weltbild im indigenen Kolumbien
Über Jahrhunderte hat man in der westlichen Welt das vorspanische Kolumbien vor allem mit dem Mythos des „El Dorado“ in Verbindung gebracht. Dabei wurde der Blick auf den wahren Reichtum der Kunst der dort lebenden indigenen Menschen verstellt. Die bahnbrechende Ausstellung „Mehr als Gold – Glanz und Weltbild im indigenen Kolumbien“ eröffnet eine völlig neue Sicht auf die Kunst und Kultur dieser Region. Erstmals widmet sie sich der Vielfalt des meisterhaften künstlerischen Schaffens im vorspanischen Kolumbien und beleuchtet die Werke aus indigener Perspektive.
Inhalt
Die Ausstellung wurde vom Los Angeles County Museum of Art (LACMA), dem Museo del Oro in Bogotá, dem Museum of Fine Arts in Houston und den Mitgliedern der indigenen Gemeinschaft der Arhuaco in Kolumbien konzipiert und realisiert. In Europa wird sie ab März 2024 in einer erweiterten Übernahme mit rund 400 Objekten nur im Museum Rietberg in Zürich zu sehen sein. Viele der Werke werden zum ersten Mal in der Schweiz zu bewundern sein. Neben Goldobjekten, werden auch Keramikgefäße, Steinskulpturen und Federschmuck aus kolumbianischen, nordamerikanischen, deutschen und Schweizer Sammlungen präsentiert.
Neuer Kuratorischer Zugang
Nicht nur die herausragende künstlerische Bedeutung der Werke zeichnet die Ausstellung aus. Neu ist auch der kuratorische Zugang, der spannende Einblicke in diese bei uns bislang weitgehend unbekannte Kunst gewährt. Während bisherige Präsentationen meist vom westlich-akademischen Blick bestimmt waren, bezieht „Mehr als Gold“ wesentlich indigenes Wissen mit ein. Über einen Zeitraum von fast sieben Jahren haben Julia Burtenshaw und Diana Magaloni (LACMA) mit Mitgliedern der Arhuaco Wissen zu den Objekten zusammengetragen und es in das Ausstellungskonzept einfließen lassen. Für die Zürcher Station hat Fernanda Ugalde, Kuratorin am Museum Rietberg, die Ausstellungsinhalte im Austausch mit den beiden Kuratorinnen des LACMA, den Archäolog*innen des Museo del Oro, Partner*innen der Arhuaco und kolumbianischen Künstler*innen um einige wichtige Aspekte erweitert.
Natur und Kosmos
Die Arhuaco leben zusammen mit drei weiteren indigenen Gruppen in der Sierra Nevada de Santa Marta, im karibischen Teil Kolumbiens. Sie beziehen sich in ihrem Selbstverständnis auf die Tairona, die lange vor dem Eintreffen der Spanier in dieser Gegend lebten und die sie als ihre Vorfahren betrachten. Daher sind die archäologischen Stätten dieser Zeit, wie die in den 1970ern wiederentdeckte vorspanische Stadt Ciudad Perdida, für die Arhuaco nicht nur Zeugen der Vergangenheit, sondern heilige spirituelle Orte, die sie bis heute pflegen und verehren. Genauso sehen sie die von den Tairona hergestellten Werke nicht als Kunst der Vergangenheit an, sondern als lebendige Objekte und Träger von grundlegenden Werten. Sie beziehen sich sowohl auf kosmologische Vorstellungen als auch auf symbolische Werte und Bezüge zur Natur. Für die Arhuaco sind die Objekte Zeugnisse einer menschlichen Sichtweise und eines Weltverständnisses, das auch für die Gegenwart von Bedeutung ist. Die Anwesenheit der Vorfahren ist ein Grundsatz in der Vorstellung der indigenen Gesellschaften. Daraus ergibt sich eine spezielle Sichtweise auf das eigene Leben, die Vergangenheit, die Zukunft und die Beziehung zu anderen Wesen. So gehen die Arhuaco davon aus, dass jedes Wesen eine Seele hat, dazu zählen auch Bäume, Steine und Gefäße. Sie alle sind Teil der Schöpfung und haben daher keinen Anfang und kein Ende. In der Ausstellung wird diese Vorstellung berücksichtigt, indem keine Jahreszahlen auf den Etiketten der Objekte vermerkt werden.
Umfassendes Rahmenprogramm
Die Kooperation mit den Communities der Sierra Nevada de Santa Marta sowie mit Kulturschaffenden aus Kolumbien beschränkt sich nicht nur auf die kuratorische Zusammenarbeit. Für die Zürcher Station hat das Museum Rietberg gemeinsam mit ihnen ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm erarbeitet. So wird auch das Theaterstück „Tungurahua“ von Leonardo Abonía zu sehen sein. Der Theaterdramaturg und Wissenschaftler aus Cali erforschte über viele Jahre das vorspanische Theater, ein bisher kaum bekanntes Gebiet. Gemeinsame Meditationen mit den Arhuaco, die in den Ausstellungsräumen und im Park stattfinden werden, machen die Besuchenden mit ihrer Weltsicht vertraut. Der Musiker und Musikethnologe Juan Fernando Franco, der auch am Ausstellungskonzept beteiligt war, stellt sein klangvolles Werk vor und spielt dabei verschiedene Aerophoninstrumente wie Flöten, Pfeifen und vorspanische Okarinas. Auf diese Weise verbindet er sich mit den der Klangwelt seiner Vorfahren. Darüber hinaus werden auch Okarina-Workshops für Familien angeboten.
Der Mythos „El Dorado“
Das Land, das wir heute Kolumbien nennen, liegt exakt in der Mitte des amerikanischen Doppelkontinents. Es verbindet den Norden und den Süden, erstreckt sich vom Atlantik bis zum Pazifik und steht seit Jahrtausenden über weite Netzwerke im Austausch mit fernen Kulturen.
Die vorspanische Kunst dieser Region ist für viele mit dem Mythos von „El Dorado“ verbunden – dem sagenhaften Goldland im Inneren des nördlichen Südamerikas. In einigen der ersten Geschichten wird mit „El Dorado“ kein Ort, sondern eine Person bezeichnet. Tatsächlich gibt es Belege für Zeremonien, bei denen ein goldener Mann eine Rolle spielte. Ein solcher Ritus wurde 1638 für die Krönung eines Kaziken der Muisca beschrieben. Es heißt, er habe in der Mitte des Guatavita-Sees von einem Boot aus einer Vielzahl von Goldobjekten als Opfergaben versenkt. Die Geschichte vom sagenhaften Goldschatz weckte nicht nur unter den Konquistadoren des 16. Jahrhunderts Begehrlichkeiten. Sie befeuerte zahlreiche Expeditionen und Überfalle, die allerdings alle erfolglos blieben.
Die Fixierung auf Goldobjekte als Inbegriff materiellen Wohlstands wurzelt tief in westlichen Wertvorstellungen. Wie der Reichtum an Materialien und künstlerischen Ausdrucksformen in den Kulturen Kolumbiens jedoch zeigt, war Gold zwar hochgeschätzt, allerdings nicht für seinen materiellen Wert. Objekte aus Stein, Keramik oder Federn konnten ein ähnlich hohes Prestige gehabt haben. Dies zeigt sich in jahrtausendalter Felsbildkunst, meisterhaften Steinskulpturen, Gefäßen und Figuren aus Keramik, sowie aufwändig gefertigtem Federschmuck.
Die Symbolische Macht der Metalle
Das alte Kolumbien ist für seine hochentwickelten Techniken in der Metallverarbeitung bekannt: Das Wachsausschmelzverfahren wurde in den nördlichen Regionen perfektioniert, wahrend die südlichen Kulturen das Hämmern und die Arbeit mit Blech bevorzugten. Die Bewohner der kolumbianischen und ekuadorianischen Pazifikküste waren die einzigen in der antiken Welt, die Platin gewannen und bearbeiteten.
Der Wert dieser Gegenstände liegt in ihrer symbolischen Bedeutung, und nicht, wie nach westlichen Wertmaßstäben, in der Reinheit von Gold oder Edelsteinen. So bestehen die meisten Goldobjekte eigentlich aus „Tumbaga“, einer Legierung aus Kupfer und Gold. Sie wurde absichtlich hergestellt, weil dies Konzepten von Dualität und Komplementarität entspricht, die von zentraler Bedeutung im indigenen Weltbild sind. Kupfer und Gold ergänzen einander perfekt. Gold – gelb, glänzend, unveränderlich wird im indigenen Kolumbien traditionell mit der Sonne und mit Männlichkeit assoziiert. Der rötliche Farbton des Kupfers wiederum wird mit weiblichen Eigenschaften in Verbindung gebracht. Seine Fähigkeit, sich durch Korrosion in Farbe und Textur zu verändern, wird mit der wechselnden Beschaffenheit des Mondes assoziiert. Das „Tumbaga“ steht somit für die Verbindung des Männlichen mit dem Weiblichen, für Befruchtung, die neues Leben hervorbringt.
Weitere Informationen
Die Ausstellung „Mehr als Gold – Glanz und Weltbild im indigenen Kolumbien“ findet vom 22. März bis zum 21. Juli 2024 im Museum Rietberg in Zürich statt. Ein Katalog ist bereits erschienen. Informationen zum reichhaltigen Begleitprogramm finden Sie online.