Hands-On: Ein Erfolgskonzept
Die Münze wurde nämlich nicht aus einer Ausstellungsvitrine gestohlen, sondern kommt von einem Hands-On-Tisch, wo Freiwillige anhand historischer Objekte Besuchern deren Geschichte erklären. Der Besucher darf nicht nur, er soll die Stücke in die Hand nehmen. Die auf diesen Tischen gezeigten Münzen sind natürlich sorgfältig ausgewählt. Es handelt sich zumeist um häufige, historisch interessante, finanziell günstige Objekte. Sie kommen oft nicht einmal aus der eigenen Sammlung, sondern wurden auf dem freien Markt eigens für diesen Zweck erworben. Wahrscheinlich gilt das auch für die gestohlene Münze. Sie war jedenfalls nicht inventarisiert. Schlecht erhaltene Stücke dieses Typs sind unter 1.000 Euro erhältlich.
Das Hands-On-Projekt des British Museum gibt es seit Januar 2000. Es handelt sich um ein inzwischen in vielen Museen nachgeahmtes Konzept, das Besuchern einen direkten Zugang zu historischen Gegenständen gewährt. Die Idee ist, dass Besucher ein historisches Objekt in die Hand nehmen können, um es im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Einige Museen, aber auch andere Institutionen wie zoologische Gärten, haben diese Idee übernommen. Vielleicht haben Sie selbst schon einmal eine Hands-On-Station gesehen. Es handelt sich dabei meist um einen Tisch, auf dem unterschiedliche Gegenstände liegen. Dahinter sitzt ein Freiwilliger und gibt ihnen die Objekte in die Hand. Während Sie sie betrachten, spricht er mit Ihnen darüber, was Sie sehen.
Hands-On-Führungen im Bereich der Numismatik werden besonders gerne genutzt, weil man mit ihnen auch Menschen erreicht, die normalerweise nicht mit Kunst / Numismatik / archäologischen Objekten in Kontakt kommen. Ein Mitarbeiter des BM erzählte einmal, dass es für ihn immer wieder an ein Wunder grenze, wie leicht er mit Hilfe von Münzen an Schüler mit Migrationshintergrund herankommt. Während diese Schüler sonst oft nicht zu den Klassenbesten gehören würden, läsen sie an seinem Tisch mühelos die Aufschriften von Münzen in arabischer, chinesischer oder thailändischer Sprache. Sie würden sich so im Klassenverband in einer ganz anderen Rolle erleben, in der Rolle des Spezialisten. Das gäbe einen richtigen Schub fürs Selbstbewusstsein.
Man könnte also beim Hands-On-Projekt von gelebter Inklusion sprechen. Dass ausgerechnet dieses Projekt nun von Ilé Sartuzi benutzt wird, um seinen Namen in die Presse zu bringen, indem er das „Problem von Universalmuseen“ thematisiert, ist einfach nur traurig.
Die von Freiwilligen betreuten Stände des Hands-On-Projekts. Foto (2011): UK.
Zwischen Schutz der Objekte und Zugänglichkeit für den Besucher
Denn jedes Museum muss heutzutage einen Drahtseilakt vollbringen, bei dem es den Besucher einerseits anlocken, andererseits die Objekte vor ihm schützen soll. 99,99999% aller Besucher wollen nichts anderes, als sich an der Schönheit der Objekte zu erfreuen. Doch die kleine Minderheit, die im Museumsobjekt ein Mittel sieht, um sich – auf die eine oder wie Ilé Sartuzi auf die andere Weise – zu bereichern, macht Sicherheitsmaßnahmen notwendig, die häufig das Budget sprengen.
Die Hands-On-Stände sind ein Kompromiss, bei dem ein Diebstahl nicht ausgeschlossen, aber erschwert wird. Tatsächlich wurde auch Ilé Sartuzi bei seinem ersten Versuch, die Münze zu entwenden, erwischt, erst der zweite Versuch am nächsten Tag gelang.
Ganz gleich, wie man zu seiner Aktion stehen mag, der Erfolg von Hands-On wiegt den möglichen Schaden durch den Verlust einzelner Stücke bei weitem auf. Das Gefühl, eine Münze in Händen zu halten, die mit historischen Ereignissen in direkter Verbindung steht, ist für viele Menschen ein Erlebnis, das ihre Weltsicht verändert hat.
Und damit sind wir bei der existentiellen Bedeutung, die Museen für unsere kulturelle Identität haben, angelangt. Ilé Sartuzi zeigt mit seiner Aktion lediglich, dass er nicht verstanden hat, dass London eine multikulturelle Gesellschaft beheimatet, die ihre unterschiedlichen Wurzeln im British Museum findet. Dass Ilé Sartuzi nur eine einzige englische Münze auf dem Hands-On-Tisch sah, hängt sicher nicht damit zusammen, dass das British Museum – wie er meint – „ein grundlegender Teil des kolonialistischen, imperialistischen Systems“ ist, sondern damit, dass sich der Hands-On-Tisch eben nicht nur an englischstämmige Besucher richtet.
Was bringt der Diebstahl Ilé Sartuzi?
Was hat nun der Diebstahl von Ilé Sartuzi gezeigt? Nichts. Denn dass es möglich ist, an den Hands-On-Ständen etwas zu stehlen, wissen alle Beteiligten. War es also eine Protestaktion gegen die koloniale Vergangenheit, die sich im British Museum zusammenballt? Ehrlich, davon hatten wir jetzt wirklich genug. Die „Letzte Generation“ spricht ja auch nicht von Kunst, wenn sie Kartoffelbrei über einen Monet kippt.
Die ganze Aktion hat eigentlich nur eines geschafft, den Namen eines Menschen in die Medien zu bringen, der gerne ein Künstler sein möchte. Durch diese Aktion wird das wirklich wahrscheinlicher, weil sie den Marktwert von Ilé Sartuzi steigert.
Denn heute ist es schwer, Künstler von denen, die sich nur so nennen, zu unterscheiden. Deshalb entscheidet der Markt durch die Preise, die für Kunstwerke gezahlt werden, wer aktuell ein großer, ein kleiner oder gar kein Künstler ist. Jede öffentliche Aufmerksamkeit für ein Kunstwerk hilft, ob es sich um eine Ausstellung handelt oder in diesem Falle um einen Diebstahl.
Also, eine Protestaktion gegen die Mechanismen des Kunstmarktes hätte ich persönlich spannender gefunden.