Einheits-Münze säht Zwietracht: Mehr als nur eine Geschmacksfrage?
Von Sebastian Wieschowski
Bereits als die Pläne einer 2-Euro-Gedenkmünze zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit bekannt wurden, war viel Kritik in den einschlägigen Sammler-Foren zu vernehmen: „Noch mehr Einheits-Münzen braucht es wirklich nicht. Führt das Volk auch nicht näher zusammen“, war noch einer der freundlicheren Kommentare.
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Kritik auch von prominenter Stelle
Als Mitte September 2024 das finale Motiv veröffentlicht wurde, brachen alle Dämme: Als „Einfallslosigkeit in Reinstform“ wird die Typographie in einem Forum geschmäht, ein Sammler resümiert: „Die Einheit ist auch nach 35 Jahren nicht abgeschlossen.“ Doch es sind nicht nur anonyme Trolle, die sich zu Wort melden – auch prominente Numismatiker reihen sich in den Kanon der Kritiker ein.
Professor Dr. Bernhard Weisser, Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, schreibt bei „X“ (vormals „Twitter“): „Deutschland im Jahr 2024: An dieser Münze ist alles falsch: ein rein graphischer Entwurf für ein Münzrelief, eine Bildgestaltung, die der Eigenschaft der Münze als runde Form nicht gerecht wird. Und „Wir sind ein Volk“, wie hilf- und einfallslos.“ Als Empfänger seiner Kritik verlinkt hat Weisser unter anderem die Kulturstaatsministerium sowie das Bundesfinanzministerium.
Was war passiert? Das Bundesfinanzministerium hatte das Ergebnis des Gestaltungswettbewerbs für die Münze zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit veröffentlicht. Die Darstellung auf der nationalen Seite zeigt eine typografische Komposition: „An einer leicht nach links verschobenen Längsachse befindet sich auf der linken Seite rechtsbündig untereinander der Schriftzug „Wir sind ein Volk“. Auf der rechten Seite linksbündig, steht untereinander „35 Jahre Deutsche Einheit“. Beide Blöcke sind entlang der Mittelachse leicht verschoben und werden jeweils oben und unten durch eine horizontale Linie gehalten. Die Verbindung wird durch ein leicht vergrößertes D in der Mitte geschaffen“, heißt es in der offiziellen Beschreibung durchaus sperrig. Der Clou: Die kompositorische Verschiebung der beiden Schriftblöcke soll die Tatsache verdeutlichen, dass es Deutsche in Ost und West gegeben hat, die seit 35 Jahren durch das D vereint werden. „Trotz der scheinbar einfachen Komposition der Münze, weckt diese verschiedenste Assoziationen, wie z. B. die durch die getrennten Linien angedeutete, geöffnete Mauer“, resümiert das Bundesfinanzministerium.
Diese hohe Symbolkraft will bei vielen Sammlern jedoch nicht durchdringen. Dabei setzen sich die meisten Kommentatoren offenbar gar nicht mit dem tieferen Sinn der Gestaltung auseinander, sondern stören sich schlicht an der Optik der Münze. Diese Kritik wirft die Frage auf: Geht es auch anders? Und die Antwort lautet: Ja – dokumentiert wird dies in den Unterlagen des Gestaltungswettbewerbs. Insgesamt acht Entwürfe standen der Jury zur Auswahl. Dabei ist auffällig, dass nicht nur der siegreiche Entwurf von Thomas Serres aus Hattingen auf einer starken Typographie basiert, auch andere Vorschläge beschränken sich auf Buchstaben. Auf weiteren Münzentwürfen sind Symbole wie eine Deutschlandkarte oder das Brandenburger Tor zu sehen.
Deutsche Sammler vereint im Zorn?
Die deutsche Wiedervereinigung und die Numismatik – diese Verbindung ist offenbar von besonders komplizierter und konfliktträchtiger Natur. Denn schon einmal zuvor sorgte eine andere 2-Euro-Münze mit Bezug zur Wiedervereinigung für Gesprächsstoff in der deutschsprachigen Numismatik: Im Februar 2019, als das Prägeprogramm für das laufende Jahr längst feststand, gab das Bundesfinanzministerium überraschend eine Ergänzung bekannt: Die 2-Euro-Münze „30 Jahre Mauerfall“, die im Herbst 2019 als (fast) motivgleiche deutsch-französische Gemeinschaftsausgabe ausgegeben wurde.
Ein starkes Zeichen – jedoch nur auf den ersten Blick: Nicht wenige Sammler wunderten sich, dass dieses Jubiläum nicht viel früher im regulären Prägeprogramm im Vorjahr angekündigt wurde. Der Verdacht vieler Münzenfreunde: Ursprünglich war diese Sonderprägung offenbar gar nicht geplant – und es kam den Verantwortlichen im Bundesfinanzministerium ganz gelegen, dass Frankreich eine ganze Reihe an Gedenkmünzen zum Mauerfall geplant hatte und seinen Chefgraveur Joaquin Jimenez höchstpersönlich auf die künstlerische Umsetzung einer 2-Euro-Gedenkmünze angesetzt hatte. Die Deutschen konnten sich also – ganz ohne eigenen Gestaltungswettbewerb – an die Arbeit der französischen Nachbarn dranhängen.
Offenbar hatte man sich im Bundesfinanzministerium im Jahr 2019 auch an den Shitstorm erinnert, den Deutschland im Jahr 2014 in der numismatischen Community dafür geerntet hatte, dass anders als viele andere Euro-Staaten wie beispielsweise San Marino oder der Vatikan keine deutsche Gedenkmünze zum 25. Jahrestag des Mauerfalls ausgegeben wurde. Die erste 25-Euro-Silbermünze, die daraufhin im Jahr 2015 zum „25. Jahrestag der Deutschen Einheit“ erschien, konnte den Zorn vieler Sammler nicht besänftigen – und es war für viele kritische Geister in der Münzenwelt nur ein weiteres Zeichen für die geringschätzige Behandlung der Einheit, dass das Motiv der Silbermünze kurzerhand auf einer 2-Euro-Münze „recycelt“ wurde.
Auch ganz losgelöst von der Deutschen Einheit lenkt die gegenwärtige Diskussion in der Welt der deutschen Münzen die Aufmerksamkeit auf eine grundsätzliche Frage: Wie vielfältig lässt sich ein und dasselbe Ereignis immer wieder aufs Neue auf Münzen darstellen – und wieviel Gestaltungsspielraum haben die Designer wirklich? Die Euro-Länder haben es beispielsweise im Jahr 2008 vorgemacht, als Belgien, Finnland, Italien und Portugal jeweils eigene 2-Euro-Gedenkmünzen zum 60. Jahrestag der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausgegeben hatten – selbstverständlich ohne Absprache untereinander, sodass die nationalen Künstler „ihr eigenes Ding“ machen konnten. Alle vier Länder bewiesen, wie vielfältig die Münz-Kunst sein kann – und dass es gerade diese Vielfalt der Gestaltungsansätze ist, die das Münzensammeln so reizvoll macht.