Britanniens Gegenkaiser: Carausius und Allectus
Von Graham Barker und Sam Moorhead
Carausius und Allectus – diese Namen dürften den meisten Menschen nicht viel sagen, außer so manchen Münzensammlern, und -händlern oder Museumskuratoren. Ende des dritten Jahrhunderts nach Christus herrschten diese beiden Gegenkaiser nacheinander für insgesamt zehn Jahre in Britannien und über Teile der Küste Galliens. Sie prägten ihre eigenen Münzen, etablierten Britanniens erstes voll integriertes Verteidigungssystem und schlugen die Angriffe des mächtigen Römischen Reiches zurück. Wirklich beeindruckende Leistungen!
Inhalt
Das im April veröffentlichte Buch erzählt die unglaubliche Geschichte dieser beiden Gegenkaiser. Obwohl manche Elemente ihrer Geschichte spekulativ bleiben, haben wir doch genug Anhaltspunkte, um diese spannende Phase in Britanniens Geschichte zu rekonstruieren. Das Buch „Rebel Emperors of Britannia: Carausius and Allectus“ von Graham Barker und Sam Moorhead untersucht den Blick Roms auf Britannien und warum das Sonderreich als so große Bedrohung für die Autorität von Diokletian und Maximian empfunden wurde. Die Autoren zeichnen nicht nur nach, wie Carausius das Sonderreich gründete, sondern auch wie die Menschen darin lebten, auf welche Götter die Gegenkaiser sich beriefen und welche Städte Britanniens für sie von zentraler Bedeutung waren.
Die beachtenswerte Menge und Vielfalt der Münzprägung ist der Hauptbeleg für die Zeit der beiden Gegenkaiser. Insbesondere die vielen Motive und Münzlegenden des Carausius erlauben zahlreiche Rückschlüsse auf seinen Charakter und Aspekte seiner Herrschaft.
Römische Historiker als Quelle
Zwei römische Historiker aus der Mitte des vierten Jahrhunderts n. Chr. berichten in sachlicher Weise über Carausius und Allectus. Eutropius, ein Beamter am Hof Kaiser Valens’ (364-378 n. Chr.), schrieb um 369 n. Chr. eine „Kurze Geschichte des Römischen Reiches“ (Breviarum Historiae Romanae). Aurelius Victor war ein Politiker und Schriftsteller etwa aus der gleichen Zeit und veröffentlichte um 361 n. Chr. eine „Kurzen Überblick der Kaiser“ (Epitome de Caesaribus). Spätere Hinweise auf die Gegenkaiser finden sich bei Beda Venerabilis (8. Jahrhundert) und in der Geschichte des Zonaras aus dem zwölften Jahrhundert n. Chr.
Die vielleicht bemerkenswertesten Dokumente, die aus dem dritten und vierten Jahrhundert erhalten geblieben sind, sind die Reden am Kaiserlichen Hof, die Panegyrik. Diese meist elaborierten Reden bei Hof dienten dazu, den jeweiligen Kaiser „in den Himmel zu loben“ – und sie waren äußerst parteiisch. Bei der Interpretation dieser Reden ist große Vorsicht geboten. Doch die Hofreden überliefern einige Details dieser Zeit, von denen wir sonst nirgends etwas erfahren. Die Namen von Carausius und Allectus werden in diesen Reden nie direkt genannt; sie werden nur als Piraten oder Verbrecher bezeichnet. Allectus wird einfach als „Handlanger“ des Erzpiraten bezeichnet.
Das Goldene Zeitalter kehrt zurück
Obwohl Carausius ein Usurpator war, stellte er sich als konventioneller römischer Kaiser dar, indem er sich selbst alle kaiserlichen Titel verlieh. Um seine Legitimationsansprüche zu stützen, zitierte er auf seinen Münzen – ein einzigartiger Vorgang! – den römischen Dichter Vergil. Ein seltenes Medaillon aus Messing, heute im British Museum, zeigt eine geflügelte Victoria in einem von zwei Pferden gezogenen Wagen und die Inschrift „Sieg des Carausius Augustus“ (VICTORIA CARAVSI AVG). Im Abschnitt sieht man die Buchstaben INPCDA, die für viele Jahre rätselhaft blieben. Guy de la Bédoyère bemerkte 1998, dass es sich dabei um die Anfangsbuchstaben eines Verses von Vergil handelt, geschrieben um 40 v. Chr. In seiner vierten Ekloge (über den Heilsbringer) lautet ein Vers: Iam Nova Progenies Caelo Demittitur Alto, übersetzt: „Nun steigt ein neues Geschlecht vom Himmel herab“. Der vorangehende Satz lautet Redeunt Saturnia Regna, also „Das Goldene Zeitalter kehrt zurück“. Die meisten Silbermünzen und einige Gold- und Bronzemünzen des Carausius tragen die Initialen RSR. Guy de la Bédoyère erkannte ebenfalls als Erster, dass Carausius damit die Rückkehr eines Goldenen Zeitalters verkündete.
Münzen priesen Carausius als „lange erwartet“ mit einem Satz, der möglicherweise auch aus Vergils Werk stammt – expectate venies, Aeneis II, 283. Diese Botschaft passt zum prophetischen Charakter der Ausrufung des Goldenen Zeitalters und der Vorhersehung, ein vom Himmel gesandter Kaiser werde erscheinen.
Verteidigung der Küste
Carausius investierte auch Zeit und Ressourcen in die Stärkung seiner Küstenverteidigung, indem er die Kastelle an der sogenannten Sachsenküste verstärkte. Es ist wahrscheinlich, dass er auch neue Kastelle erbaute, bestes Beispiel dafür ist Portchester (Portus Adurni) an der Meerenge The Solent. Außerdem befestigte er Teile der Westküste, zum Beispiel mit einem Kastell bei Lancaster, und es ist wahrscheinlich, dass er durch ein Abkommen mit den Pikten die Grenze nach Norden ruhig hielt.
Heute weiß man, dass Kaiser Maximian 289 n. Chr. eine vielgerühmte und großangelegte Invasion durchführte. Diese wurde jedoch erfolgreich von Carausius zurückgeschlagen – eine große Schmach für Diokletian und Maximian. Was danach passierte, ist interessant. Es scheint, als hätten Diokletian und Maximian ihre Taktik geändert und Carausius’ Nähe gesucht – indem sie ihn zum Mitkaiser ernannten. Es war ein Frieden auf Zeit. Während Diokletian und Maximian keine Münzen für Carausius prägen ließen, prägte Carausius Münzen für seine Kollegen auf dem Festland im Überfluss, sogar in Gold. Die bekannteste davon zeigt auf der Vorderseite die Büsten aller drei Kaiser mit der Inschrift CARAVSIVS ET FRATRES SVI („Carausius und seine Brüder“).
Eine sehr seltene Münze zeigt Diokletian, wie er Carausius’ Hand schüttelt, während Maximian die Szene betrachtet; die Inschrift lautet: CONCORDIA AVG („Eintracht der Augusti“). Dabei warteten Diokletian und Maximian nur auf den passenden Moment, um eine weitere, massivere Invasion zu starten. 293 n. Chr. wurde Constantius Chlorus zum Maximian untergeordneten Mitkaiser ernannt mit der ausdrücklichen Aufgabe, sich um Carausius zu kümmern.
Von Carausius zu Allectus
Die offiziellen römischen Quellen sagen, ein führender Offizier in Carausius’ Verwaltung namens Allectus habe seinen Kaiser ermordete. Allectus war entweder verantwortlich für die Finanzen oder vielleicht Prätorianerpräfekt. Ob er nun am Tod des Carausius beteiligt war oder nicht, er nahm nach dessen Tod jedenfalls seine Stelle an. Allectus setzte die Baumaßnahmen seines Vorgängers fort und begann monumentale Bauwerke in London zu errichten, auf der Nordseite der Themse nahe der Millennium Bridge. Dort wollte er offenbar zwei neue Tempel bauen. Allectus ergänzte die Verteidigungsanlagen an der Küste außerdem um das gewaltige Kastell bei Pevensey.
Dennoch wurden die Pläne in London nie vollendet, denn 295 oder 296 n. Chr. eroberte Kaiser Constantius die Insel zurück. Zuerst nahm er Bononia (Boulogne-sur-Mer) in Gallien ein und segelte dann mit zwei Invasionsflotten nach Britannien. Die erste Flotte, unter dem Kommando des Asclepiodotus, besiegte die Flotte des britannischen Sonderreichs im Solent vor der Isle of Wight, wobei ihr der Nebel half. Die Sieger gingen an Land und schlugen höchstwahrscheinlich in der Nähe der South Downs eine Armee, die Allectus anführte. Asclepiodotus’ Armee zog weiter nach London, wo viel Blut floss. Constantius und seine Armee segelten die Themse hinauf und schrieben sich die Erfolge des Asclepiodotus zu. Die kaiserlichen Panegyriker beschreiben, wie die Britannier außer sich waren vor Erleichterung, Kaiser Constantius zu sehen, den Mann, der ihnen das ewige Licht Roms zurückbrachte. Dies dürfte allerdings kaum der Realität entsprochen haben.
Damnatio Memoriae
Obwohl die kaiserlichen Hofreden uns von der Milde und Güte des Constanius berichten, bestrafte er die Anhänger der Gegenkaiser hart. Es gab öffentliche Hinrichtungen in Amphitheatern, Konfiszierung von Eigentum und Zwangsumsiedlungen. Nahe der Stadt Carlisle wurde ein Meilenstein mit der Oberseite nach unten in die Erde gesetzt und der Name eines späteren Herrschers eingemeißelt. Münzfunde zeigen, dass Münzen von Carausius und Allectus gezielt aus dem Umlauf gezogen wurden. Man versuchte ganz klar, die Gegenkaiser aus der Geschichte zu streichen.
Dennoch überlebten ihre Namen und die Erinnerung an sie. Seltene, primitive Prägungen aus dem vierten Jahrhundert trugen den Namen eines anderen Carausius. Ein frühmittelalterlicher Grabstein im walisischen Penmachno belegt, dass der Name bis ins Mittelalter überdauerte.
Bücher über römische Münzen aus dem 16. und 17. Jahrhundert zeigen Münzen von Carausius und Allectus. Und im 18. Jahrhundert verehrte man Carausius geradezu überschwänglich als einen vergessenen und wiederentdeckten Seehelden Britanniens. Es gab Bücher, die sich ausschließlich mit den britannischen Gegenkaisern beschäftigten, so von Claude Genebrier in Frankreich (1740) und von William Stukeley in Großbritannien (1757). Ihre Münzen erzielten bei Auktionen bald enorme Preise und kein ordentlicher Antiquar konnte auf Münzen von Carausius und Allectus in seiner Sammlung verzichten. Wie Carausius regelrecht zu einer Obsession wurde, lesen wir in Edward Gibbons „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“ (1776). Dort findet sich die zweifelhafte Aussage über Carausius, dass „unter seiner Führung Britannien – in einer kommenden Zeit bestimmt, über die Meere zu herrschen – seine naturgemäße und ehrbare Rolle einer Seemacht einnahm.“
Nach diesem Sturm an Aufmerksamkeit im 18. Jahrhundert verschwanden Carausius und Allectus leise von der Bildfläche und tauchten nur noch gelegentlich in fiktionalen Erzählungen und Münzkatalogen auf. Ihre Geschichte verdient es, besser bekannt gemacht zu werden. Dieses Buch möchte die bemerkenswerten Leistungen dieser Gegenkaiser Britanniens angemessen würdigen.
Rebel Emperors of Britannia: Carausius and Allectus wurde im April von Spink Books veröffentlicht.