Die Wallfahrt der Münzer
Wer die alte Lainzer Kirche besucht, der entdeckt, wenn er nur aufmerksam genug sucht, ein unauffälliges Votivbild, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Tausenden gestiftet wurden.
Votivbild mit der Darstellung des heiligen Herzens Jesu, darunter das alte Gebäude der Wiener Münzstätte in der Wollzeile.
Dargestellt ist das heilige Herz Jesu, also die Büste des nimbierten Christus, die Einblick gewährt auf das von Strahlen umglänzte, mit einer Dornenkrone umgebene Herz des Heilands. Grausamer Kitsch, das dürfte die erste Reaktion der meisten Betrachter sein, die sicher keinen zweiten Blick auf dieses Votivbild verwenden. Und das wäre schade, denn es gibt unter der Büste etwas Spannendes zu entdecken.
Das Gebäude der Wiener Münzstätte in der Wollzeile aus einem Andachtsbuch des Jahres 1850. Deutlich zu erkennen sind die im Pestjahr vermauerten Fenster im unteren Stockwerk.
Dort ist nämlich das Gebäude des Wiener Münzamts in der Wollzeile abgebildet. Und auf einem Balken lesen wir die Inschrift „Zur 200jährigen Gedächtnisfeier der gnadenvollen Beschützung unserer Vorfahren im k. und k. Haupt-Münzamt vor der Pest des Jahres 1679. In dankschuldiger Pietät das kk. MünzPersonal. 25. Mai 1879.“
Diese Inschrift führt uns zurück in eines der schlimmsten Schreckensjahre, welche Wien erleben mußte. Die Pest suchte die schöne Stadt heim. Innerhalb weniger Monate starben über 30.000 Wiener an der entsetzlichen Krankheit. Zum Symbol dieser Schreckenszeit ist der „liebe Augustin“ geworden, ein liebenswerter Luftikus, der nach einer durchzechten Nacht für tot auf den Pestkarren geworfen wurde. Mit diesem verbrachte man ihn zu einer der Pestgruben, wo er in Ruhe seinen Rausch ausschlief. Daß er am nächsten Morgen lebendig aus dem Massengrab stieg, und darüber hinaus kein Anzeichen einer Ansteckung zeigte, daran erinnert das Lied „Oh, du lieber Augustin, alles ist hin“.
Medaille anläßlich des Jubiläums der Wallfahrt im Jahre 1879.
Von den Angehörigen der Wiener Münzstätte wurde kein einziger von der Pest hingerafft. Der energische Münzmeister Matthias Mittermayer hatte seine Vorbereitungen getroffen. Bei den ersten Anzeichen der Pest machte er aus seiner Münzstätte eine Festung, bzw. eine Isolierstation. Er versorgte das Haus mit ausreichenden Lebensmittelvorräten und befahl all seinen Angestellten und deren Familien, sich in der Münzstätte zu verschanzen. Die Fenster wurden vermauert, nur kleine Öffnungen nach außen gelassen, um das Geschehen draußen zu beobachten.
Neun Monate hielten die Münzer ihre Festung gegen die Pest. Und tatsächlich, als der Herbst mit seinen kälteren Temperaturen der Krankheit ein Ende bereitete, verließen alle Mitarbeiter der Münzstätte mit all ihren Angehörigen wohlbehalten das Gebäude. Sie hatten Glück gehabt. Keiner von ihnen hatte den Pesterreger bei ihrem Einzug in sich getragen, sonst hätte das, was als Bollwerk gegen den Tod gedacht war, zur tödlichen Falle werden können.
Medaille anläßlich des Jubiläums der Wallfahrt im Jahre 1979.
Auf jeden Fall waren die Geretteten dankbar. Sie gelobten eine jährliche Wallfahrt zu der Kirche von Lainz, die der heiligen Dreifaltigkeit geweiht war. Und tatsächlich findet diese Wallfahrt bis zum heutigen Tage statt. Jedes Jahr, am Dreifaltigkeitssonntag, dem Sonntag nach Pfingsten.