Löser im Totenritual: Das Begräbnis von Johann Friedrich von Braunschweig-Calenberg
An seinen Tod erinnert ein beeindruckender Löser, der als Teil der Sammlung Friedrich Popken am 28. Januar 2021 durch das Osnabrücker Auktionshaus Künker mit einer Schätzung von 75.000 Euro angeboten wird. Er zeigt ein Gerippe, das einer Palme die Wedel ausrupft. Diese Darstellung wurde mit großer Sorgfalt komponiert. Weil der Erbe von Johann Friedrich von Braunschweig-Calenberg dessen Begräbnis mit einer umfassenden Publikation detailliert dokumentierte, können wir verstehen, welche Rolle die Münzen im Totenritual spielten. Und das gibt uns einen klaren Hinweis, warum die Braunschweiger Herzöge überhaupt Löser herstellen ließen.
Johann Friedrich von Braunschweig-Calenberg
Johann Friedrich wurde am 25. April 1625 geboren. Er war der drittälteste Sohn von Georg von Braunschweig-Calenberg. Damit war seine Chance, irgendwann an die Spitze des Staates zu treten, relativ gering. Nichtsdestotrotz war es ein Skandal, als der damals 27jährige zum katholischen Glauben übertrat. Schließlich waren die Welfen, denen Johann Friedrich angehörte, streng lutherisch. Doch ihn mochte eine Nahtoderfahrung zu einem Religionswechsel veranlasst haben: Beinahe wäre das kleine Boot, in dem er das Schauspiel der venezianischen Vermählung des Dogen mit dem Meer beobachtete, von der venezianischen Staatsgaleere, dem Bucintoro versenkt worden.
Konnte ein Katholik überhaupt welfische Besitzungen erben? Johann Friedrich umging nach dem Tod seines ältesten Bruders alle Fragen, die sich vielleicht stellen mochten, mit einem Staatsstreich. So zwang er den zweitältesten Bruder, mit ihm in Verhandlungen zu treten und ihm dabei das um Grubenhagen vergrößerte Fürstentum Calenberg-Hannover abzutreten.
Johann Friedrich erwies sich als tüchtiger und effizienter Herrscher, der ganz im Sinne des Absolutismus den Staat nach innen stärkte und darüber hinaus eine geschickte Außenpolitik führte. Als Fürst des Hochbarock machte er sein Leben zu einem Gesamtkunstwerk. Er begründete die Schloss- und Gartenanlage in Herrenhausen und unterstützte berühmte Musiker und Gelehrte wie den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz. Sein Wirken wurde weit über die Grenzen seiner Herrschaft hinaus wahrgenommen, und damit bereitete Johann Friedrich für seinen jüngeren Bruder Ernst August, der nach ihm die Herrschaft übernehmen sollte, den Boden vor, um eine neunte Kurwürde für die Welfen zu fordern und zu erhalten.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch die prachtvolle Begräbniszeremonie verstehen, die Ernst August seinem Bruder bereitete. Johann Friedrich war bereits am 28. Dezember 1679 gestorben, doch seine Gebeine wurden erst am 21. April 1680 in der Fürstengruft von Hannover beigesetzt. Teil der Zeremonie war einer der interessantesten Braunschweiger Löser.
Das Spiel mit den Bildern
Was sehen wir auf diesem bemerkenswerten Löser? Zunächst die gekrönten Initialen des Verstorbenen in einem Lorbeerkranz auf der Vorderseite. Dies ist nicht überraschend. Initialen gehören zum häufigsten Formenrepertoire des Barock, und der Lorbeer wurde immer wieder verwendet, um den Ruhm eines Fürsten zu symbolisieren.
Die Rückseite aber ist ungewöhnlich. Sie zeigt den Tod als ein Skelett, das einer Palme, die auf einer Insel wächst, die Zweige ausreißt. Im Hintergrund sind die Wracks von gescheiterten Schiffen zu sehen.
Jeder einzelne ausgerissene Palmzweig ist nummeriert. Schon David Samuel von Madai erklärte in seinem vollständigen Talerkabinett von 1766, dass sich die Zahlen auf die Lebensjahre des Herrschers bezogen. Ganz unten in der Mitte ist der Zweig mit einer [16]25 bezeichnet, also mit der Zahl des Jahres, in dem Johann Friedrich geboren wurde. Der Zweig, den der Tod als letzten abbricht, trägt die [16]79, also das Sterbejahr des Fürsten.
Auf dem Boden liegen Buchstaben verkehrt herum, die sich leicht zur Devise des Herrschers zusammensetzen lassen: EX DVRIS GLORIA.
Dieses Motto finden wir auf zahlreichen Münzen von Johann Friedrich. Es bedeutet sehr frei übersetzt nichts anderes als unser heutiges „Ohne Schweiß kein Preis“. Die Palme wurde als Symbol deshalb gewählt, weil sie mit ihrer harten, rauen Rinde als äußerst schwer zu erklettern galt, aber in ihrer Krone süße Datteln barg, wie sie gerne bei barocken Festessen serviert wurden.
Ein Löser zu zwei Reichstalern, den der Nachfolger von Johann Friedrich anlässlich seines Herrschaftsantritts herausgab, spielt ebenfalls mit den Bildern seines Vorgängers und knüpft so an dessen erfolgreiche Herrschaft an. Ernst August „zitiert“ die Palme, die Insel und das Schiff. Das Motto, das man frei übersetzt mit „Unter verschiedenen Umständen der Gleiche“ wiedergeben könnte, spielt wohl auf die Standeserhöhung an. Das Bild greift die Palme als Symbol für die harte Arbeit auf, die es kostet, das Schiff – des Staats? des Lebens? – über das von Sturm gepeitschte und von der Sonne beschienene Meer an den steilen Klippen der Insel vorbei in den Hafen zu steuern. Das Rad – Wappen von Osnabrück, wo Ernst August Bischof war, und gleichzeitig Anspielung auf das Schicksal – liegt dabei in Gottes Hand. Mehrdeutige Emblemata, die den gebildeten Standesgenossen Stoff zum Rätseln boten, waren damals sehr beliebt.
Genauso variiert der Löser auf den Tod von Johann Friedrich dessen Motto. Die Palme wird zum Lebensbaum, den der Tod in seine Bestandteile auflöst. Die Umschrift lautet in Übersetzung: Einen sicheren Weg bereitet der göttliche Wille. Und im Abschnitt: Während dein Lebensfaden eilends abgerollt wird, Friedrich, bereitet das Schicksal unvermutet den sicheren Weg zum Ruhm.
Welche Rolle aber spielte diese prachtvolle Münze im Wert von 10 Reichstalern im Trauerritual? Ein Buch hilft bei der Deutung weiter. Ernst August gab bei dem damals bekannten Kupferstecher Johann Wilhelm Lange eine mit 86 Kupferstichen illustrierte Bilderchronik des Begräbnisses in Auftrag.
Barockes Trauerritual
Wir müssen uns daran erinnern, dass Anlässe, wie Taufe, Hochzeit oder Beerdigung in der barocken Kultur zur Selbstdarstellung genutzt und deshalb mit großartigen Zeremonien inszeniert wurden. Jedes Fest spiegelte den Rang des Veranstalters sowie die Ansprüche, die er erhob. Deshalb machten Architekten und Schreiner, Herolde und Dichter, Köche und Schneider Überstunden, um die angereisten Gesandten zu beeindrucken. Ernst August investierte ein Vermögen, um das Potential von Braunschweig-Calenberg in ganz Europa bekannt zu machen.
Der Kopf, der hinter dem Begräbnis stand, war der Hofrat, Bibliothekar und uns heute eher als Philosoph bekannte Gottfried Wilhelm Leibniz. Der stellte das komplexe Bildprogramm und das Zeremoniell für den Leichenzug zusammen. Um die Wirkung nicht auf die angereisten Honoratioren zu beschränken, ließ Ernst August einen illustrierten Bildband publizieren, der fünf Jahre nach dem Begräbnis erschien und jedes Detail des Geschehenen festhielt. Dieser Bildband – der auch sämtliche Trauerreden und die Lebensbeschreibung des Verstorbenen aus der Feder von Gottfried Wilhelm Leibniz enthielt – konnte als Geschenk an wichtige Fürstenhöfe gesandt werden.
Dieses Werk bietet uns die seltene Möglichkeit, zu verstehen, welche Rolle den Münzen im Ritual zugewiesen wurde bzw. in wie weit diese in das Bildprogramm eingebunden waren. Schon die Titelseite greift ein Motiv auf, das zu Lebzeiten des Fürsten immer wieder auf seinen Münzen zu sehen war: die Palme mit dem Motto EX DVRIS GLORIA. Wir werden dieser Palme immer wieder begegnen.
Wenn wir vor barocken Kirchen und Schlössern stehen, sehen wir nur einen Bruchteil dessen, was die Architekten dieser Epoche schufen. Immer wieder wurden passend zu den verschiedenen Anlässen aufwändige, aber vergängliche Dekorationen angefertigt. Eine davon sehen wir auf dieser Tafel. Sie zeigt das hölzerne Portal, das während der Beerdigung das steinerne Portal der Schlosskirche von Hannover verdeckte. Bemerkenswert ist für Numismatiker vor allem das Gemälde, das dieses Portal bekrönte: Wir sehen den Tod als Skelett, wie er die Palme des Emblems von Johann Friedrich fällt. Interessant sind auch die Schiffe im Hintergrund, deren Takelage zerbrochen ist.
Wir dürfen uns dieses Portal nicht so eindimensional vorstellen, wie Abbildung 8 es wiedergibt. Der Eingang hatte Seitenwände, die aufwändig mit weiteren Emblemen verziert waren. Das Buch bildet diese zehn Embleme ab. Wir kennen sie zum Teil bereits: So das auf Münzen verwendete Emblem des Fürsten bestehend aus der Insel mit der Palme, den Segelschiffen und dem Motto EX DVRIS GLORIA.
Unter diesen Darstellungen findet sich auch das Bild, das unseren Löser schmückt. Das oben auf dem Band abgedruckte Motto bedeutet übersetzt: Die gefräßige Zeit pflückt die Zweige des Lebens.
Ein weiteres, auf dem Portal dargestelltes Emblem variiert die Darstellung: Der Tod gräbt mit Pickel und Spaten den Lebensbaum mitsamt seinen Wurzeln aus. Die Schiffe sind gekentert. Die Devise EX DVRIS GLORIA steigt zum Himmel empor.
Hatte sich der Trauerzug durch das Portal des Eingangs hindurchgewunden, kam er in den Kirchenraum, wo im Zentrum das Castrum Doloris aufgerichtet war. Mit diesem Begriff bezeichnete man einen für die Zeit der Bestattung errichteten hölzernen Aufbau in Form einer Kapelle. Er barg in seiner Mitte den Sarg. Unter diesem Aufbau spielten sich die kirchlichen Totenrituale ab.
Dieser Aufbau diente auch dazu, den Verstorbenen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Und so sehen wir über dem Katafalk das springende Welfenross, auf dem ein Genius reitet, der in seinen Händen die mit Wurzeln ausgerissene Palme trägt.
Diese Darstellung zeigt uns, wie die katholische Priesterschaft und Kapuzinermönche zusammen mit den Höflingen den Sarg in den Kirchenraum begleiten. Auch hier ist die Architektur dem Anlass gemäß verändert: Die Wände sind mit schwarzen Stoffen verhängt, von denen sich die bunt bemalten Schilder mit Abwandlungen der Palmen-Embleme abheben.
Welche überragende Rolle der Darstellung, die wir von unserem Löser kennen, zukommt, illustriert die Tatsache, dass dieses Emblem wesentlich größer und an wesentlich prominenterer Stelle abgebildet ist als die anderen Sinnbilder.
Warum wurden nun aber Löser geprägt?
Wir sehen also, dass die Darstellung unseres Lösers eng mit dem ikonographischen Programm verwoben war, das Leibniz für die Beerdigung von Johann Friedrich von Braunschweig-Calenberg entworfen hatte. Für welchen Zweck aber wurden die Münzen geprägt? Und warum gibt es sie in so vielen verschiedenen, fein abgestuften Gewichten? Um das nachvollziehen zu können, muss man sich ein wenig mit den Gepflogenheiten der Zeit beschäftigen.
Jedes rituelle Ereignis wurde von Geschenken begleitet. Wir können die Spuren des frühneuzeitlichen Gabentauschs noch erahnen, wenn der Arbeitgeber im Dezember ein 13. Monatsgehalt überweist und sich Geschäftspartner Weihnachtsgeschenke zusenden. In der frühen Neuzeit war es allerdings nicht Weihnachten, sondern das Neue Jahr, an dem man Gaben tauschte. Umfang und Wert der Gaben wurden dabei säuberlich nach Stand des Schenkenden und des Beschenkten festgelegt.
In seltenen Fällen sind uns solche Abstufungen überliefert. So fasste zum Beispiel der Wiener Stadtrat 1575 einen Beschluss, der bestimmte, „dass … einem jeden Herrn Stadtanwalt, Herren Bürgermeister und Richter ein goldener Salvator-Pfennig von acht ungarischen Goldgulden mit gemeiner Stadt Wappen, und einem jeden Herrn des Innern Rats durch den Stadtrat gleicherweise ein solcher Pfennig, sechs Dukaten schwer, zum neuen Jahr verehret und zugestellt werden solle.“
Geschenke waren nicht nur zum Neuen Jahr üblich, sondern auch anlässlich von Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Wer immer es sich leisten konnte, ließ aus so einem Anlass einen Gegenstand schaffen der Geldwert besaß und an das Ereignis erinnerte. Deshalb kennt die Numismatik Altdeutschlands so viele Tauf-, Hochzeits- und Sterbetaler, aber auch Neujahrsgulden.
Für das mit so viel Aufwand inszenierte Begräbnis des Johann Friedrich wurde eine ganze Serie von Münzen geprägt, die je nach Stand des Teilnehmers verteilt wurden. Schließlich nahmen Vertreter der unterschiedlichsten Stände am Trauerzug teil: Adlige, Bürgerliche, nicht zu vergessen, die an den Straßen wartenden, einfachen Untertanen. Für sie waren die kleinen Auswurfsmünzen reserviert.
Entscheidend ist, dass all diese Gedenkmünzen, zu ihrer Zeit gerne auch Pfennige genannt, zum Taler in einem direkten Verhältnis standen. So hatten sie eine doppelte Funktion. Sie erinnerten als Gedenkprägungen an das Begräbnis und waren gleichzeitig ein „Zustupf“ zu den hohen Kosten, die der Gesandte einer Stadt, eines Fürsten aus eigener Tasche bezahlt hatte, um zur Beerdigung zu kommen.
Auch die Bediensteten und Beamten des Schlosses, die wegen der Feier Außerordentliches geleistet hatten, mögen mit solchen Gedenkmünzen beschenkt / bezahlt worden sein. Sie erhielten natürlich nicht so einen prachtvollen Löser im Gewicht zu 10 Talern, wie er bei Künker angeboten wird. Der war eindeutig für die höchstrangigen Teilnehmer reserviert. Für sie wurden Münzen von niedrigerem Wert geprägt – bis hinunter zu den 1/24 Taler, die wahrscheinlich als Auswurfsmünze unter das Volk geworfen wurden.
Alle diese Münzen wurden in dem Werk über die Beerdigung von Johann Friedrich von Braunschweig-Calenberg abgebildet.
Wir sind also in der glücklichen Lage, dass uns ein graphisches Werk den exakten ikonographischen Hintergrund für die Konzeption eines Münzbildes liefert. Dieses Beispiel illustriert, dass wir uns alle Münzbilder in ein größeres Gesamtkunstwerk eingebettet vorstellen müssen. Tauf-, Hochzeits- und Sterbetaler waren Teil eines Rituals, dienten aber natürlich auch in Zweitverwendung als Zahlungsmittel.
Es wäre verdienstvoll, die Münzdarstellungen mit der uns erhaltenen, zeitgenössischen Graphik abzugleichen. Wir würden sicher viel darüber erfahren, dass Münzen weit mehr sein konnten als ein einfaches Zahlungsmittel.
Dieser überaus seltene Löser wird mit einer Schätzung von 75.000 Euro am 28. Januar 2021 bei Künker in Osnabrück versteigert. Alle Münzen dieser Auktion finden Sie auf der Website von Künker.
Und hier lesen Sie einen ausführlichen Auktionsvorbericht.