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Weihnachtszauber am Heiligen Abend

von numiscontrol

Sie liebten sich und das war auch jedem im kleinen Dorf an der Elbe bekannt. Aber sie kümmerten sich nicht um die neugierigen Blicke der Leute, wenn sie gemeinsam Hand in Hand mit ihren Rädern raus aus dem Dorf und über die Felder fuhren. Auf dem Lande ist eben noch so manches etwas anders als in der Großstadt. Hier können noch immer Wunder geschehen.

Schwibbogen. Foto: Angela Graff.

Schwibbogen. Foto: Angela Graff.

Beide kannten sich schon eine kleine Ewigkeit. Als Kinder spielten sie auf der großen Wiese am Pfarrhaus. Wenn sie später mit ihren Eltern in den Ferien verreisten, dann schrieben sie sich fast täglich einen kleinen Brief, mindestens jedoch eine Ansichtskarte. Ein Handy? Was ist das? Sie kannten es noch nicht!

Ihre Eltern ahnten offenbar schon damals, dass aus der Kinderfreundschaft irgendwann einmal eine große Liebe werden könnte. Kurzum, die heranwachsenden Kinder waren unzertrennlich. So vergingen die Jahre und noch immer hielt eine dicke Freundschaft die beiden zusammen.

Eines Tages im Frühling fuhren beide wieder einmal mit ihren Rädern hinaus über die Felder zum nahen Wald. Es roch nach Erde, nach vorjährig gefallenen Tannen- und Fichtennadeln und nach jungen Wurzeln. Zuerst noch spielten beide wie ausgelassene Kinder. Sie bewarfen sich mit Tannenzapfen und versteckten sich hinter den Bäumen. Sie lief davon, er hinterher und als er sie einholte küssten sie sich zum allerersten Male. Oh, wie glücklich waren doch beide. Bevor sie jedoch ins Dorf zurückkehrten nahm der junge Mann sein Taschenmesser und ritzte geschickt auf dem Stamm einer jungen Tanne ein kleines Herz und in das Herz die Buchstaben A. und R. hinein – denn sie hieß Angela und er Reiner. Unter dem Herz stand dann noch das Datum jenes Frühlingstages.

Wie im Traum zogen drei Sommer vorbei. Nichts konnte ihre Liebe erschüttern. Auch die Lehrzeit, welche beide trennte und auf die Probe stellte, konnte ihnen offenbar nichts anhaben. Oder doch? Angela hatte zwar Bedenken, denn man erzählte sehr oft das Reiner mit anderen Mädchen in der Stadt gesehen wurde. Wahr oder nicht wahr? „Nein“, sagte sich Angela, denn schließlich sind wir ja schon verlobt und im kommenden Sommer werden wir heiraten. Lächelnd schob sie jeden Klatsch der ihr zugetragen wurde beiseite. Bis Reiner dann an einem Wochenende plötzlich nicht nachhause kam.

Er hatte sie angerufen und von Überstunden erzählt. Er versprach ihr allerdings am kommenden Sonntag auf alle Fälle ins Dorf zu kommen und dann würden sie sich auch sehen. Aber Reiner kam nicht. Von seiner Mutter erfuhr Angela, dass Reiner bereits am Freitag da war und nur frische Wäsche geholt hätte. Er hatte es offenbar sehr eilig. Angela rannte weg und so bemerkte sie gar nicht mehr den Brief, den ihr Reiners Mutter noch geben wollte. Angela konnte kaum noch etwas sehen, so liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Zu groß war ihre Enttäuschung in diesen Moment.

Als sie zuhause ankam, sagte ihre Mutter nur „Na endlich, wo bleibst Du denn? Reiner hatte angerufen und du sollst ihn unbedingt zurückrufen.“ „Ja“, sagte Angela traurig, „aber das hat Zeit.“ Sie verzog sich in ihr Zimmer. Angela rief nicht bei Reiner an. So vergingen die Wochen, doch sie litt Qualen der Sehnsucht in dieser Zeit. Immer in Erwartung auf einen erlösenden oder auch nur aufklärenden Anruf. Oftmals hatte auch Reiner schon vor Sehnsucht den Hörer vom Telefon in der Hand um ihre geliebte Stimme zu hören. Aber dann tauchte plötzlich wieder die trotzige Frage auf: „Warum denn ich – und nicht sie?“ und sie dachte wiederum „Warum ich – und nicht er?“ Sie sahen sich nicht und sie sprachen auch nicht mehr miteinander. Draußen jedoch drehte sich die Welt weiter und so verging die Zeit. An eine Hochzeit im kommenden Sommer dachten sie nun nicht mehr.

Beide durchlebten eine bittere Zeit. Angela wurde ein stilles zurückgezogenes Mädchen, ihre sonst so leuchtenden Augen waren traurig und verquält, ganz wie sie selbst, die noch immer liebte und glaubte. Er litt dagegen auf seine Art. Er blieb in der Stadt, suchte Zerstreuung in Clubs und Cafés, antwortete auf Fragen meist gereizt und hatte wieder mit dem Rauchen begonnen.

So kam die Weihnachtszeit immer näher. Wie hatte Angela sich sonst so auf den Advent gefreut. Heuer allerdings, schrieb sie ganz mechanisch und ohne Seele ihre Weihnachtskarten an Bekannte. In ihrem Herzen war es öde und leer, eine unendliche Einsamkeit drückte sie wie eine schwere Last. Dabei stand draußen schon ein großer Weihnachtsbaum auf dem Balkon. Doch Angela hatte diesmal überhaupt keine Lust den Baum wie sonst jedes Jahr zu schmücken. Angelas Mutter seufzte leise als sie am Heiligen Abend den Weihnachtsbaum selbst schmückte. Angela bereitete ihr Sorgen, seitdem sie sich so plötzlich von Reiner getrennt hatte.

Am Nachmittag kamen einige Verwandte und Bekannte zur Bescherung. Der geschmückte Tannenbaum stand zur Schau bereit im großen Zimmer. Die Mutter öffnete ganz feierlich die beiden Flügeltüren, doch ehe die Gäste und Angela ins Zimmer traten, blieben sie wie verzaubert auf der Schwelle stehen. Der Weihnachtsbaum reichte vom Boden bis zur Decke und erstrahlte in vollem Kerzenlicht. Zwischen dem dichten Grün der Zweige blitzten die silbernen Lamettafäden und all die kleinen und großen farbigen Kugeln. Ganz oben auf der Spitze prangte leuchtend ein goldener Stern. Leise, fast auf Zehenspitzen, ganz wie in den Kinderjahren, ging Angela an den Baum heran. Dort blieb sie andächtig stehen um alles aus der Nähe zu betrachten, auch wie in ihren Kinderjahren, als sie noch Zöpfe trug, die mit einem blauen Band umwunden waren.

Plötzlich wurde Angela aschfahl im Gesicht und sie schrie laut auf. Alle stürzten auf sie zu, denn sie konnte sich kaum noch auf den Füßen halten und große Tränen liefen über ihre Wangen.

„Aber Kind – um Gottes willen – was ist mit dir?“ rief die Mutter entsetzt. Angela trank in großen Zügen das Glas mit Wasser aus, welches man ihr reichte. Blass erhob sie sich vom Stuhl auf den man sie vorsorglich gesetzt hatte und ging mit schlotternden Knien zum Telefon.

„Reiner – bist Du es?“ fragte sie unter Tränen.

„Angela – ist das schön, ich habe schon den ganzen Abend an dich gedacht.“

„Reiner – bitte, komm so schnell du kannst zu mir.“

„Wie? . . .Zu dir? . . .Jetzt? . . . „

„Ja sofort . . .bitte, wenigstens für einige Minuten . . .“

„Aber, ist etwas passiert? Du bist ja ganz aufgeregt.“

„Bitte Reiner frag jetzt nicht . . . Es ist etwas ganz Seltsames passiert . . . So etwas Geheimnisvolles . . . Bitte komm!“

„Gut ich komme . . .“

Angela rannte sofort zum Fenster als ein Taxi vor dem Haus hielt. Reiner stieg aus. Angela öffnete schnell die Tür und lief ihm entgegen. Er wollte sie umarmen, jedoch zog sie ihn an den Händen mit, er musste – sofort in das Zimmer mit der Weihnachtstanne, und wo ihn die Versammelten erstaunt anstarrten. Sie zog Reiner dabei bis dicht zum Baum heran und zeigte auf den Stamm.

Seine Augen sahen nun auf ein kleines Herz mit den beiden Buchstaben A. und R. sowie dem Datum darunter.

„Ist das nun Schicksal oder Weihnachtszauber“, fragte Angela und wieder liefen ihr die Tränen über das Gesicht.

„Beides – ich glaube es ist beides“, antwortete er leise und zum ersten Mal sah Angela auch Tränen in seinen Augen. Es waren gute Tränen. Tränen der Ergriffenheit.

Der Baum war offenbar wie von selbst in das Haus gekommen. Wenn das kein Weihnachtswunder war? Aus Angela und Reiner wurde nun, gefügt vom Schicksal, doch noch ein glückliches Paar.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit.

Numiscontrol

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