Wachs in seinen Händen – Ausstellung im Kunsthistorischen Museum
Mit Wachs in seinen Händen zeigt das Kunsthistorische Museum die erste Ausstellung zu Daniel Neuberger (1621–1680) und seiner beeindruckenden Kunst der Täuschung. Neuberger war einer der bedeutendsten und vielseitigsten Künstler am Kaiserhof in Wien, wo der gebürtige Augsburger zwischen 1650 und 1663 als Wachsbossierer, „Konterfetter“ (Porträtist) und Edelsteinschneider für Kaiser Ferdinand III. und dessen Söhne Ferdinand IV. und Leopold I. tätig war.
Inhalt
Neuberger war Bildhauer, Maler, Steinschneider und Literat – seine größte Meisterschaft erlangte er jedoch im sogenannten „Wachsbossieren“, also der Kunst des plastischen Formens in Wachs. Seine oft nur wenige Zentimeter großen Kunstwerke waren an vielen europäischen Fürstenhöfen sehr begehrt, erregten aber auch die Aufmerksamkeit anderer Künstler*innen. Berühmt war Neuberger vor allem für seine Fähigkeit, mit Wachs andere Naturmaterialien wie Elfenbein, Eisen, Edelstein oder Holz nachzuahmen oder sogar zu übertrumpfen.
Die Restaurierung von zwei Hauptwerken bot die Gelegenheit, den Bestand an Neubergers Arbeiten in den Sammlungen des Kunsthistorischen Museums eingehend zu erforschen. Auf Grundlage dieses interdisziplinären Forschungsprojekts wird nun erstmals eine Ausstellung zu diesem faszinierenden Künstler und seinem Werk gezeigt.

Daniel Neuberger (1621–1680), Selbstbildnis des Künstlers zwischen Minerva und Saturn (Chronos), (Detail). Wien, um 1660. Wachs, Holz, Schildpatt, Glas. Museum August Kestner Hannover © Landeshauptstadt Hannover, Museum August Kestner. Fotograf: Detlef Jürges.
Die Kunst der Täuschung
Die kunstvolle Täuschung des Auges und die überzeugende visuelle Imitation der Wirklichkeit waren wesentliche Elemente in der Kunst des 17. Jahrhunderts. Der technische Fortschritt jener Zeit rückte zwar Verstand und Rationalität in den Mittelpunkt, doch stellten sich Philosophen wie Descartes zugleich die Frage nach der Sinneswahrnehmung: Was können wir mit unseren Sinnen wirklich wahrnehmen, was wird uns nur vorgegaukelt und was können wir nur mit dem Verstand erkennen? Diese Fragen griffen die Künstler*innen in ihren Werken auf.

Daniel Neuberger (1621–1680), Selbstbildnis des Künstlers zwischen Minerva und Saturn (Chronos). Wien, um 1660. Wachs, Holz, Schildpatt, Glas. Museum August Kestner Hannover © Landeshauptstadt Hannover, Museum August Kestner. Fotograf: Detlef Jürges.
Die Ausstellung zeigt, dass das Spiel mit der Illusion und die Freude an der Täuschung der Betrachter*in nicht auf zweidimensionale Gemälde beschränkt war. Auf dem Gebiet der Wachsplastik war Daniel Neuberger zweifellos der führende Künstler seiner Zeit. Mit seiner innovativen Technik, für die ihm Leopold I. sogar ein Privileg verlieh, knüpfte er an das Trompe-l’Œil an, den augentäuschenden Illusionismus der Maler*innen, und übertrug diese Grundidee auf die Bildhauerei. Dabei versuchte er nicht nur kostbare Materialien, sondern auch das Leben selbst in Wachs nachzuahmen. Gerade am Wiener Kaiserhof, für den Neuberger über zehn Jahre erfolgreich arbeitete, war diese Art von Naturimitation hochgeschätzt.

Daniel Neuberger (1621–1680), Quos ego! – Neptun besänftigt die Wogen. Wien oder Regensburg, vor 1665. Wachs, Achat, Leder, Goldprägung. Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer © KHM-Museumsverband.
Naturimitationen aus Wachs
Die in der Ausstellung gezeigten fragilen Kunstwerke sind wahre Wunder der Augentäuschung: Haut, Haare, Stoffe – alles ist unglaublich naturgetreu aus Wachs modelliert. Durch Beimengung unterschiedlicher Zusatz- und Füllstoffe konnte Neuberger sowohl Metall- und Steinreliefs als auch Elfenbein- und Holzschnitzereien so kunstvoll mit Wachs nachahmen, wie es in dieser Feinheit am „echten“ Material ungleich schwieriger anzufertigen wäre. In der Ausstellung führt die Gegenüberstellung der Materialimitationen mit Kunstwerken aus dem „echten“ Material dies nachvollziehbar vor Augen.
Darüber hinaus erfahren Besucher*innen in der Schau viele interessante Details zu Daniel Neubergers einzigartiger Bossiertechnik, etwa durch die Präsentation von Materialien, Werkzeugen und Bildträgern, wie sie in ähnlicher Form auch von Neuberger verwendet wurden.

Ausstellungsansicht. Kaiser Leopold I. Daniel Neuberger (1621–1680), zugeschrieben. Wien, vor 1660. Wachs, Menschenhaar, Seide, Holz. Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer © KHM-Museumsverband.
Der spektakuläre „Kaiserautomat“
Ein wahres Meisterwerk der Täuschung war Neubergers legendärer „Kaiserautomat“, eine lebensgroße Wachsfigur von Kaiser Leopold I., die Neuberger für die Wiener Schatzkammer angefertigt haben soll. In echte Gewänder gekleidet und mit einem komplexen Bewegungsmechanismus ausgestattet, konnte dieser frühe Android den Kaiser offenbar so täuschend echt nachahmen, dass die verblüfften Besucher*innen glaubten, sie stünden dem Herrscher leibhaftig gegenüber. Lange war das spektakuläre Objekt verloren geglaubt, doch im Zuge der Ausstellungserarbeitung wurden nun Reste davon identifiziert und restauriert. So wird vermutet, dass der Kopf der Büste Leopolds I. ein Teil des Automaten gewesen sein könnte. Erstmals können also Überreste dieses einzigartigen Werks Neubergers in einer Ausstellung gezeigt werden.
Umfassende Restaurierarbeiten und interdisziplinäres Forschungsprojekt
Am Wiener Kaiserhof entstanden Neubergers Hauptwerke, die sich heute in der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums befinden. Zwei davon – ein 60-teiliger Zyklus der Metamorphosen nach Ovid und eine allegorische Darstellung auf den Tod Kaiser Ferdinands III. – wurden umfassend restauriert und stehen nun im Zentrum der Schau. Mittels Screens in der Ausstellung können Besucher*innen die faszinierenden Details dieser einzigartigen Objekte näher betrachten.

Daniel Neuberger (1621–1680), Der Tod Kaiser Ferdinands III. als Sinnbild der Vergänglichkeit. Wien, um 1660. Wachs, Blei, Holz, Glas, Muschel, Trockenblumen, Pergament. Kaiserliche Schatzkammer Wien © KHM-Museumsverband.
Die Restaurierung dieser beiden Meisterwerke bot die passende Gelegenheit, den Bestand an Neubergers Werken im Kunsthistorischen Museum eingehend in einer Zusammenschau von geisteswissenschaftlichen, konservierungswissenschaftlichen, kunsthistorischen und technologischen Aspekten zu erforschen. Die interdisziplinäre Forschungsarbeit von Restaurator*innen und Kurator*innen stellt die Grundlage für diese Ausstellung dar. Aufgrund der hohen Fragilität der Kunstwerke kann die Schau Wachs in seinen Händen in dieser Form exklusiv nur in Wien gezeigt werden.
Kostbare Leihgaben
Die Kabinettausstellung wird von der Reiner Winkler Stiftung unterstützt und ist in den Sonderausstellungsräumen der Kunstkammer zu sehen. Neben den einzigartigen Werken aus Neubergers Wiener Schaffensperiode aus den Sammlungen des Kunsthistorischen Museums sind auch kostbare Leihgaben aus dem Museum August Kestner Hannover, dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv sowie dem Technischen Museum Wien zu sehen.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Johanna Diehl, Barbara Goldmann, Paulus Rainer und Konrad Schlegel. Ausstellungsgestaltung: Itai Margula (Margula Architects). Die Ausstellung läuft noch bis zum 9. Juni 2025.
Publikation
Begleitend zur Ausstellung erschien die Publikation: Wachs in seinen Händen. Daniel Neubergers Kunst der Täuschung. Hg. von Johanna Diel, Barbara Goldmann, Paulus Rainer und Konrad Schlegel. Deutscher Kunstverlag. 184 Seiten, 150 Farbabbildungen. Sprache: Deutsch. ISBN 978-3-422-80318-3. Preis: 24,95 Euro.