alle News

Vom Sammler- zum Investorenmarkt: Ursachen, Konsequenzen, Chancen, Teil 2

von Ursula Kampmann

Klagen hilft nichts: der Wandel kommt oder ist sogar schon da. Die Frage ist, wie man mit ihm umgeht. Um kluge Strategien zu entwickeln, muss man sich bewusst sein, was eigentlich geschieht und warum. Ursula Kampmann fasst in einer losen Serie die wichtigsten Veränderungen zusammen. Heute: der Wandel vom Sammler zum Investorenmarkt.

Bei diesem Text handelt es sich um eine Fortsetzung. Den ersten Teil des Artikels können Sie hier lesen.

Den Experten bei einem US-Grading-Unternehmen über die Schulter geschaut. Foto: UK.

Den Experten bei einem US-Grading-Unternehmen über die Schulter geschaut. Foto: UK.

Der wichtigste Schritt zum Investorenmarkt: Die Grading-Institute

Der Wertverfall ihrer kostbaren Anlageobjekte, den viele Sammler in den 1980er Jahren erlebten, störte das traditionelle Vertrauensverhältnis zwischen Münzhändler und -sammler nachhaltig. Erzählt wurden in den Medien und an den Stammtischen am liebsten Geschichten über die schwarzen Schafe. Das war bequem. Kein Kunde gestand sich gerne ein, dass er in seiner Gier eine Fehlinvestition getätigt hatte. Er machte nicht die eigene Dummheit, sondern den Verführer verantwortlich, und das war für ihn natürlich der Münzhändler.

Diese Vertrauenslücke wurde zur Basis für ein völlig neues Unternehmensmodell, das sich zuerst in den USA etablierte. Dort sammelte man – natürlich – besonders gerne US-Münzen. Diese Münzen sind maschinengeprägt, und zeigen nur in Ausnahmefällen interessante Motive (die amerikanischen Leser mögen mir diese Verallgemeinerung verzeihen;-). Nichtsdestotrotz war es das besondere Set an Eigenschaften der US-Münzprägung, die die Kriterien für den Wert eines Einzelstücks auf Erhaltung und Seltenheit reduzierten.

Um das zu verstehen, halte man sich einfach als Gegenbeispiel die vielen Charakteristika vor Augen, die (immer noch) den Wert einer griechischen Münze bestimmen: Da geht es um die Beliebtheit des Prägeorts, die Fähigkeiten des Stempelschneiders, die Zentrierung des Motivs, die Patina und last but not least die Provenienz. Wären die neuen Grading Institute mit einer so großen Vielzahl von Kriterien zum Zeitpunkt ihres Entstehens konfrontiert gewesen, hätte sie das wesentlich überfordert.

Nun, wie gesagt, Seltenheit und Erhaltung bestimmen den Preis einer US-Münze. Die Seltenheit kann selbst ein Neuling problemlos den relevanten Zeitschriften und Katalogen entnehmen. Dort findet er auch einen Preis für jede Erhaltung. Aber wie soll er sich sicher sein, dass der Händler die richtige Erhaltung angegeben hat? Ja, verkauft ihm der Händler überhaupt ein echtes Stück oder sitzt er einer Fälschung auf? All diese Fragen verunsicherten potentielle Investoren nur so lange, bis es eine einfache Lösung gab.

Diese bestand in einem professionellen Grading durch einen Dienstleister, der sich rühmte, kein finanzielles Interesse an seiner Bewertung zu haben. 1986 wurde der Professional Coin Grading Service (PCGS) gegründet; 1987 die Numismatic Guarantee Corporation (NGC). Wir wissen alle, welche entscheidende Rolle diese Unternehmen im weltweiten Münzhandel heute spielen!

Sie bedienten sich nicht der zugegebenermaßen sehr einfachen europäischen Bewertungsmethode mit „sehr schön“, „vorzüglich“, „FDC“ und „Polierter Platte“. Stattdessen hielten sie sich an das nummerische System, das Dr. William Sheldon (1898-1977) im Jahr 1949 für sein Buch über den frühen Amerikanischen Cent erfunden hatte. Die Shedon-Skala reicht von 1 (schlechtest mögliche Erhaltung) bis 70 (Perfekt unzirkuliert). Welche Teile auf welchen amerikanischen Münzen perfekt zu sehen sein müssen, um einer Münze einen bestimmten Grade zuzuordnen, haben die Grading-Institute zu einer Wissenschaft entwickelt, so dass ein Laie kaum in der Lage ist, ihrer Einordnung zu widersprechen.

Was macht ein Grading mit einer Münze?

Wir sollten uns an dieser Stelle kurz überlegen, was Grading grundsätzlich für eine Münze bewirkt. Mit ihm wird nämlich nicht nur eine Erhaltung festgelegt, sondern eine zusätzliche Seltenheitsstufe eingeführt. Münzen, die in durchschnittlicher Erhaltung extrem häufig sind, können durch eine außergewöhnlich gute Erhaltung mit einem hohen Wert auf der Sheldon Skala zu einer Rarität aufsteigen.

Wir hatten vorher über die Preisschere gesprochen, die zwischen den häufigen, mittelmäßig erhaltenen und den seltenen, ausgezeichnet erhaltenen Münzen klafft. Sie wird dank Grading noch extremer.

Von der Münze zur Münze im Holder

Nun ist es eine unbequeme, und sicher nicht gerne ausgesprochene Wahrheit, dass auch die Angestellten von Grading Firmen nicht perfekt sind. Der Grade einer Münze kann leicht variieren. Das wäre menschlich und kein Problem, wenn nicht inzwischen eine einzelne Ziffer der Sheldon Skala mehr oder weniger einen immensen Wertunterschied darstellen würde.

Das hat Folgen. War das Grading ursprünglich nur dazu gedacht, den Verkaufsprozess sicherer zu machen, entscheiden sich heute Anleger in aller Welt, ihre Münze im Holder zu belassen. So vermeiden sie das Risiko, dass bei einem zukünftigen Verkauf ein niedrigerer Grade für die Münze vergeben wird und sie einen finanziellen Verlust hinnehmen müssen. Damit macht das Grading den Holder mit der Münze zum Anlageobjekt; die Münze selbst ohne Holder hat nicht den gleichen Wert.

Ein Blick ins heute

Heute hat sich der Markt für amerikanische Münzen zu einem perfekten Investorenmarkt entwickelt. Anleger wissen genau, was sie kaufen, und informieren sich mit Hilfe des Greysheets über den aktuellen Kurs ihrer Münze. Das Greysheet liefert für US-Münzen einen ähnlichen Service wie die Börsennotierungen für Aktien. So kann jeder Eigentümer eine fundierte Entscheidung darüber treffen, ob er seine Münze verkaufen oder weiterhin behalten will.

Aktuell gibt es diese perfekte Transparenz des Marktes eigentlich nur für US-Münzen, auch wenn Player auf der ganzen Welt versuchen, dieses System für die nationalen Münzen des 19. / 20. Jahrhunderts im eigenen Land durchzusetzen. Denn theoretisch könnte man für viele Gruppen von Münzen dasselbe schaffen, was für US-Münzen existiert.

Ein Blick ins morgen

Die Münze ist aus dem Portfolio der Anlagen nicht mehr wegzudenken. Und sie wird ein Anlageobjekt bleiben, das zufällig eben auch von Sammlern gekauft wird. Sie bietet zu viele Vorteile, gerade wenn es um den Kleinanleger geht. Das bedeutet, dass sich ein Teil des Systems Münzhandel in Richtung Anlagehandel bewegen wird. Das ist gut, denn dadurch bleibt das Interesse an Münzen erhalten, auch wenn die Preise gelegentlich schwanken.

Überall dort, wo es große und aktive Sammlermärkte gibt, wird sich eine Art Dreieinigkeit etablieren. Dazu gehören das Grading, das Erstellung von Katalogen mit Preisangaben, die sich an den Grades orientieren, und ihre häufige – mindestens monatliche – Aktualisierung.

Sammelgebiete, deren Prägungen sich als Anlageobjekt im Sinne der US-Münzen eignen, müssen drei Kriterien erfüllen:

  • Die Münzen müssen in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.
  • Die Münzen müssen maschinengeprägt und damit vergleichbar sein.
  • Die Münzen müssen oft genug auf dem Markt angeboten und verkauft werden.

Sehen wir uns an, welche Gebiete das Potential haben, irgendwann als Anlageobjekte im Sinne der US-Münzen gehandelt zu werden und welche nicht: Das deutsche Kaiserreich zum Beispiel wäre ideal geeignet. Es gibt genug Prägungen, um eine große Menge an Sammlern zu versorgen. Ein Grundinteresse an den Münzen des Kaiserreichs ist in Deutschland seit vielen Jahrzehnten vorhanden. Die Münzen sind maschinengeprägt; was fehlt ist nur ein neuer Katalog, der den völlig überholten Jaeger ersetzt. Denn im Jaeger sind bis heute häufige und seltene Münzen unter einer Nummer zusammengefasst, und gerade bei den wirklich seltenen Stücken sprechen die Bewertungen von einem „Liebhaberpreis“.

Mittelalterliche Pfennige dagegen werden immer ein Gebiet für den Spezialsammler bleiben. Sie sind zu selten, es gibt zu viele unterschiedliche Typen, die zu unterscheiden ein großes Spezialwissen verlangt. Dazu sind sie wegen abweichender Zentrierungen und Prägequalität kaum untereinander vergleichbar. Als Investitionsobjekt eignen sie sich nicht.

Werfen wir einen Blick auf die Antike: Hier ist es nicht so einfach, weil die Qualität der einzelnen Stempelschneider stark differiert. Ein gutes Porträt eines römischen Kaisers wird immer einen höheren Preis bringen als ein schlechtes Porträt. Problematisch ist die Tatsache, dass ein Neuling nicht in der Lage ist, ein gutes von einem schlechten Porträt zu unterscheiden. Deshalb stehen die römischen Münzen zwischen Sammel- und Anlageobjekt. Wenn es gelingt, alle Kriterien in ein nummerisches System zu zwingen, könnten sie zum weit verbreiteten Investitionsobjekt werden. Für Münzen dagegen, die unter den römischen Kaisern in den Kolonien geprägt wurden, werden wir nie große Mengen von Investoren begeistern: Zu viele Typen, nicht untereinander vergleichbar, ein zu intransparenter Markt.

Aber damit sind wir eigentlich schon bei einem anderen Thema, nämlich der Frage, welche Kategorien von Münzen durch den Wandel an Wert gewonnen, welche verloren haben. Wenn Sie das interessiert, abonnieren Sie die MünzenWoche. Wir veröffentlichen im lockeren Rhythmus unsere Beiträge zum Wandel des Münzmarkts.

Unser nächstes Thema – wie bereits angekündigt: Welche numismatischen Objekte haben an Preis zugelegt durch den Wandel, welche Objekte haben an Wert verloren.

Nichts mehr verpassen?

NEWSLETTER HIER ABONNIEREN