Schweizer Trammarken, Biermarken, Konsummarken, Milchmarken
von Ursula Kampmann
Die Schweizer Numismatik ist vielfältig, das schon allein deshalb weil bis Mitte des 19. Jahrhunderts jede Schweizer Herrschaft stolz ihre eigenen Münzen prägte, wenn nicht dauerhaft, dann doch gelegentlich. Noch bunter wird dieses Gebiet durch die vielen privaten Marken und Jetons, die im Alltag der Schweizer eine große Rolle spielten.
Inhalt
Biermarken, Konsummarken, Milchmarken
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kursierten nämlich Marken und Jetons neben dem staatlichen Geld und deckten einen so einen erheblichen Teil des täglichen Kleingeldbedarfs. Marken wurden eingesetzt, zum Beispiel um Milch zu kaufen und in der lokalen Konsumgesellschaft zu zahlen. Biermarken erleichterten der Bedienung das Kassieren im Wirtshaus und Trammarken waren eine Art Vorläufer unserer Streifenkarten.
Ruedi Kunzmann ist der große Kenner dieser Materie. Der Autor des Standardwerks zur Schweizerischen Numismatik, des HMZ-Katalogs, interessiert sich schon lange für diesen Nebenschauplatz der Geldgeschichte; und so hat er die entscheidenden Kataloge zum Thema veröffentlicht. 2005 erschien sein „Konsumgeld der Schweiz“, 2009 – zusammen mit Anton Riechsteiner – die „Biermarken der Schweiz“ und 2013 die „Milchmarken der Schweiz“.
Wie immer, wenn ein Katalog fertig gedruckt ist, erhält der Autor danach unzählige Schreiben, was er alles in seinem Katalog vergessen hat, so auch Ruedi Kunzmann. Und deshalb ist sein neuestes Buch „Schweizer Trammarken“ nicht nur dieser spannenden Gattung gewidmet, sondern auch den Nachträgen zum Konsumgeld, den Biermarken und den Milchmarken. Und die machen den Löwenanteil seines neuen Katalogs aus, wie auf dem Buchdeckel zu lesen: 210 neue Typen Konsumgeld, 428 Typen Biermarken, 252 Typen Milchmarken.
Die Transportmarken der Schweiz: Trams, Busse und U-Bahnen
Neu dazugekommen sind die Transportmarken, wie sie auch in vielen anderen Ländern ausgegeben wurden und an manchen Orten noch heute im Gebrauch sind.
1862 stellte Genf das erste durch Pferde gezogene Tram in Dienst, nur drei Jahre später folgte Zürich. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich in Hamburg, New York und London schon ein praktisches Zahlungsmittel für diese Verkehrsmittel etabliert, das ein umständliches Kaufen und Bezahlen des Tickets überflüssig machte: Jetons resp. Wertmarken wurden im Voraus erworben und beim Besteigen des Gefährts einzeln abgegeben.
Was wir sonst noch über diese Marken wissen? Sehr wenig. Sie waren Alltagsgegenstände, die für ihre Nutzer so selbstverständlich waren, dass sie nichts zu ihrer Erklärung hinterließen. Deshalb sind viele Fragen offen: Warum zum Beispiel tragen so viele Marken Zahlen wie 5, 10 oder 50, ohne gleichzeitig ein Nominal zu erwähnen? Wenn die Marken exakt den Münzen entsprechen, hätte stattdessen doch genauso gut Bargeld verwenden können. Oder kam die Eidgenössische Münzprägeanstalt nicht mit der Produktion von Kleingeld nach? Das wäre durchaus möglich. Natürlich könnte es auch sein, dass man beim Kauf dieser Marken einen bestimmten Prozentsatz an Bargeld sparte, etwa weil 10 5er Marken vielleicht zu 40 statt zu 50 Rappen abgegeben wurden. Das ist heute noch bei den Schweizerischen Reka Checks üblich. Oder bezeichneten die Zahlen Zonen, also etwa: Für eine 5er Marke kannst Du dorthin, für eine 10er Marke dementsprechend weiter fahren. Wenig wahrscheinlich, denn warum hätte dann die Steigerung in 5er Schritten erfolgen sollen – parallel zum Schweizer Kleingeld? Natürlich könnte ein Vorteil auch darin liegen, dass so das Bargeld einem bestimmten Zweck zugeführt wurde. Eine Transportmarke konnte der Herr des Hauses zum Beispiel nicht im Gasthaus vertrinken.
Es bleiben trotzdem viele Fragen offen, wenn es um den praktischen Einsatz von Marken geht. Doch diese Fragen können jetzt leichter beantwortet werden, weil ein ausführlicher Katalog all dieser Prägungen vorliegt.
Parva ne pereant, so lautet das Motto der American Numismatic Society aus einem sehr guten Grund: Die Numismatik beschäftigt sich eben nicht nur mit den Objekten, die in Auktionen vier-, fünf- und sechsstellige Ergebnisse erzielen. Sie kümmert sich um die kleinen, vernachlässigten Gebiete, erhält so wichtige Primärquellen, die alle Historiker der Wirtschaftsgeschichte des Alltags konsultieren sollten. Ruedi Kunzmann hat mit seinem Katalog dafür wieder einmal ein hervorragendes Beispiel gegeben. Und wir dürfen davon ausgehen, dass die kleinen, unauffälligen Marken eine wesentlich größere Rolle im Alltag ihrer Nutzer spielten, als der im Intro erwähnte exklusive Schweizer Taler.