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Lutherstadt Eisleben: Kirchenkasse nach fast 400 Jahren aus Versteck geborgen

Im Zusammenhang mit der durch den Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) geförderten Instandsetzung der Kirche St. Andreas Lutherstadt Eisleben – Kunst-Kultur-Spiritualität wurde völlig überraschend ein alter Schatz gefunden: 864 gut versteckte Münzen.

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Die wertvollen Goldmünzen, ursprünglich verpackt in Papier. Foto: U. Dräger, Halle.

Die wertvollen Goldmünzen, ursprünglich verpackt in Papier. Foto: U. Dräger, Halle.

Im Zusammenhang mit der durch den Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) geförderten Instandsetzung der Kirche St. Andreas Lutherstadt Eisleben – Kunst-Kultur-Spiritualität wurde völlig überraschend ein alter Schatz gefunden: 864 gut versteckte Münzen.

Die ältesten Münzen wurden in der Mitte des 14. Jahrhunderts, die jüngste im Jahr 1638 geprägt. Die Verbergung des Kirchenschatzes ist sicherlich eine Folge der Plünderungen von schwedischen Truppen in der Gegend, die zwischen 1636 und 1644 mehrfach erfolgten.

Am Dienstag, dem 26. November 2024, fand die in einem Leihvertrag geregelte Übergabe der Münzen im Gemeindehaus statt. Der Evangelische Kirchengemeindeverband Lutherstadt Eisleben als Eigentümer übergibt die Münzen als Dauerleihgabe an die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Leitzkau / Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale).

Ansicht der St. Andreaskirche in Lutherstadt Eisleben. Foto: Michael aus Halle via Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0.

Ansicht der St. Andreaskirche in Lutherstadt Eisleben. Foto: Michael aus Halle via Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0.

Wie Ulf Dräger, Kustos des Landesmünzkabinetts Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) sagt, ist der Schatz „ein höchst bedeutendes historisches Zeugnis aus der unruhigen Zeit des 30-jährigen Krieges nicht nur für Eisleben, sondern auch für die Landesgeschichte. Er veranschaulicht die Kirchen- und Geldgeschichte des 17. Jahrhunderts in bisher nicht gekannter Weise und soll zunächst wissenschaftlich erforscht werden. Im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) wird jede einzelne Münze bestimmt und dokumentiert, sodass ein vollständiger Katalog im Internet veröffentlicht werden kann. Außerdem entsteht eine Präsentation für die St.-Andreas-Kirche. Schlussendlich liefert dann ein Vortrag in Eisleben die Ergebnisse der Auswertung.“ Der Termin für diesen Vortrag wird rechtzeitig bekannt gegeben.

Ansicht des Fundortes in etwa 3 Metern Höhe zwischen Kissen und Knie des sitzenden Grafen. Foto: U. Dräger, Halle.

Ansicht des Fundortes in etwa 3 Metern Höhe zwischen Kissen und Knie des sitzenden Grafen. Foto: U. Dräger, Halle.

Ulf Dräger kann uns noch viel mehr über den ungewöhnlichen Fund verraten:

Wann/wo/wie wurde der Schatz gefunden?

Eine unglaubliche Geschichte. Der in der Zeit um 1640 versteckte Schatz wurde bei Renovierungsarbeiten in der St. Andreaskirche, im Epitaph für Gräfin Magdalena (†1565) und Graf Johann Albrecht I. von Mansfeld-Arnstein (†1586) aus dem Jahr 1567 entdeckt, und zwar in einer Aushöhlung im Bein einer knieenden Sandsteinfigur. In dem nicht einsehbaren Hohlraum wurden durch Zufall die Lederbeutel mit den 816 Münzen von den Restauratoren der Fa. Peter Schöne ertastet. Es grenzt schon an ein Wunder, das der Schatz nicht früher ans Licht kam. Die prall gefüllten Geldbeutel waren mit einer alten Socke bedeckt, die vermutlich vor gut 100 Jahren für eine Reinigung verwendet wurde und im Hohlraum damals verloren ging.

Ansicht der Kirche vor dem Stadtbrand 1601 mit den drei Türmen im mittleren Hintergrund Foto: H.-P. Haack via Wikimedia Commons / Gemeinfrei.

Ansicht der Kirche vor dem Stadtbrand 1601 mit den drei Türmen im mittleren Hintergrund Foto: H.-P. Haack via Wikimedia Commons / Gemeinfrei.

Die spätgotische Kirche ist ein berühmter Ort der Reformationsgeschichte. Von der 1518 errichteten Kanzel hielt Martin Luther die letzten vier Predigten seines Lebens. In Eisleben wurde der Reformator geboren und hier starb er im Jahr 1546 in unmittelbarer Nähe. Es war die Hauptkirche der Grafschaft Mansfeld. Hier wirkten der Superintendent und mehrere Pfarrer gleichzeitig.

Die wertvollen Goldmünzen, ursprünglich verpackt in Papier. Foto: U. Dräger, Halle.

Die wertvollen Goldmünzen, ursprünglich verpackt in Papier. Foto: U. Dräger, Halle.

Können Sie den Schatz beschreiben? Gab es seltene/wertvolle Münzen? War der Schatz viel wert? Aus welcher Zeit sind die Münzen?

In vier Beuteln befanden sich gut sortiert 816 Münzen. Die wertvollsten Goldmünzen waren in Papier eingewickelt, dessen Beschriftung belegt, dass es sich um eine Kirchenkasse handelt. Allerdings ist es nicht der Klingelbeutel des sonntäglichen Spendenpfennigs. Sondern es sind gesammelte Einnahmen aus besonderen Leistungen der Pfarrer, aus Stuhlgeldern und anderen Quellen.

Königreich England, Heinrich VII. (1485–1509)/Heinrich VIII., 1509-1547, Gold Angel, London, geprägt zwischen 1499–1522. Foto: U. Dräger, Halle.

Königreich England, Heinrich VII. (1485–1509)/Heinrich VIII., 1509-1547, Gold Angel, London, geprägt zwischen 1499–1522. Foto: U. Dräger, Halle.

Im Schatz sind ein Golden Angel, ein doppelter Dukat und zwei Dukaten sowie neun Taler, ein Halbtaler und 32 Vierteltaler enthalten. Die größte Masse aber bilden hunderte Groschen. Es sind sächsische Schreckenberger und Zinsgroschen sowie fast 300 Prager Groschen aus dem Mittelalter. Die jüngsten Prägungen, sächsisch-thüringische Taler, sächsische Groschen und drei Goldmünzen wurden nach der Kipperzeit (1618-1622) geprägt. Die jüngste Münze ist der doppelte Dukat aus dem Erzbistum Mainz, geprägt unter dem Erzbischof Anselm Casimir Warmboldt von Umstadt (1629–1647) im Jahr 1638.

Sachsen, Gesamthaus, Friedrich III. der Weise, Georg und Johann, 1500-1507, Schreckenberger (schwerer Groschen) o. J., Münzstätte Buchholz. Foto: U. Dräger, Halle.

Sachsen, Gesamthaus, Friedrich III. der Weise, Georg und Johann, 1500-1507, Schreckenberger (schwerer Groschen) o. J., Münzstätte Buchholz. Foto: U. Dräger, Halle.

Es ist erstaunlich, dass die Kipper- und Wipperinflation keine Spuren im Schatz hinterlassen hat. Die nahezu völlige Geldentwertung in dieser Inflation war insbesondere in der Grafschaft Mansfeld enorm, wo in mehr als 20 Münzstätten massenweise kupferne Pfennige herstellten und die nach 1622 radikal entwertet wurden. Dies erklärt sicherlich auch die vielen spätmittelalterlichen Münzen, die im 16. Jahrhundert keinen spürbaren Anteil am Geldumlauf hatten, aber nach der Inflation als genormte Silberstücke offenbar wieder an Präsenz und vor allem Vertrauen in die Wertstabilität gewannen.

Königreich Böhmen, Wenzel II. (1278-1305), Prager Groschen. Foto: U. Dräger, Halle.

Königreich Böhmen, Wenzel II. (1278-1305), Prager Groschen. Foto: U. Dräger, Halle.

Den Wert des Schatzes müssen wir noch genau errechnen. Dies ist etwas mühsam, wird aber nach der Bestimmung aller Typen und der Ermittlung der damaligen örtlicher Preise möglich sein. Im Moment kann ich nur sagen, dass es sich um ein großes Vermögen handelt. Viel mehr, als ein Handwerker in einem Jahr erwirtschaften konnte.

 Kurfürstentum Sachsen, Johann Georg I., Viertel Taler 1636, Münzstätte Dresden. Foto: U. Dräger, Halle.

Kurfürstentum Sachsen, Johann Georg I., Viertel Taler 1636, Münzstätte Dresden. Foto: U. Dräger, Halle.

Warum wurde der Schatz versteckt?

Die Verbergung des Kirchenschatzes ist eine Folge der Plünderungen von schwedischen Truppen, die zwischen 1636 und 1644 mehrfach, ja geradezu wöchentlich in Eisleben erfolgten. Einquartierungen von Soldaten, Kontributionen und viel Ungemach mehr beherrschen die Chroniken dieser Jahre. Ein Bild des ständigen Kriegsgrauens. Eisleben verlor zwischen 1628 und 1650 etwa die Hälfte seiner Bevölkerung. Nach vorliegenden Archivalien kann davon ausgegangen werden, dass in den Jahren zwischen 1623 bis 1642 allein die Kernstadt Eisleben 212.258 Reichsthaler in barem Geld und in Form von Nahrungsmitteln an die fremden Truppen gezahlt hatte. Eine gewaltige Summe, die sich aber erst richtig deuten lässt, wenn man sich die Lebenshaltungskosten jener Zeit genauer anschaut. Der Wochenlohn eines kräftigen Bergmannes betrug etwa 1 Taler, das waren 24 Groschen. Viele andere Bergleute verdienten aber nur 15 bis 18 Groschen in der Woche. Ein Pfund Butter kostete etwa 3 Groschen, 1 Mandel Eier (15/16 Stück) kosteten 2 Groschen wie auch eine Mandel Käse, 2 Heringe kosteten 2 Groschen. Unser Schatz enthält neben den einzelnen größeren Münzen etwa 800 Groschen.

Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrich Julius (1589–1613), Wahrheitstaler 1597, Münzstätte Goslar. Foto: U. Dräger, Halle.

Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrich Julius (1589–1613), Wahrheitstaler 1597, Münzstätte Goslar. Foto: U. Dräger, Halle.

So ist der Schatz ein Zeuge einer Tragödie. Der Verwalter der Kasse hat das Versteck nicht preisgegeben, hat das Geld aber auch nicht mehr nutzen oder übergeben können. Damit ist der Fund ein höchst bedeutendes historisches und reales Zeugnis, nicht nur für Eisleben, sondern auch für die Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt mitten im Herzen Europas.

Ab 1561 gab es in Eisleben mit der „Aerarum Pastorale“ einen gemeinen Pfarrkasten, eine Kasse, die für die Förderung der Ausbildung von Theologen, als Renten- und Krankenkasse bzw. als Sozialversicherung der Pfarrer diente. Einnahmen für solche Kassen wurden durch Zahlungen für feierliche Messen und andere Zeremonien, auch für Hochzeiten, Taufen oder Begräbnisse erzielt. Überliefert sind auch rechtliche Stellungnahmen bei Auseinandersetzungen oder die Pacht für reservierte Sitzplätze in der Kirche.

Diese Kasse war von der Obrigkeit und der Gemeinde unabhängig, unterlag aber auch Regelwerken (siehe z.B. hier). Vielleicht haben wir diese Kasse jetzt vor uns. Das werden die historischen Forschungen zeigen.

Der Fund veranschaulicht die Kirchen- und Geldgeschichte des 17. Jahrhunderts in bisher nicht gekannter Weise und soll zunächst wissenschaftlich erforscht werden. Im Kunstmuseum Moritzburg wird jede einzelne Münze bestimmt und dokumentiert. Es soll ein vollständiger Katalog im Internet veröffentlicht werden. Außerdem wird eine Präsentation für die St. Andreas-Kirche erarbeitet. Dass der Evangelische Kirchengemeindeverband Lutherstadt Eisleben mit seiner Entscheidung der Leihgabe an das Museum die Erforschung ermöglicht, ist ein Glücksfall. Denn wir erwarten mit der detaillierten Auswertung neue Aussagen zur Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte. Wir bewerten den Fund als einen authentischen Ausschnitt aus dem Geldumlauf, wobei nicht das unzuverlässige schlechte Kleingeld, sondern wertstabile mittlere Nominale zusammengetragen wurden.

Zusammenstellung verschiedener Münzen. Foto: U. Dräger, Halle.

Zusammenstellung verschiedener Münzen. Foto: U. Dräger, Halle.

Was ist die Botschaft?

Münzschätze regen unsere Fantasie an, der vermeintliche Vermögenswert ist seit Jahrhunderten ein Sinnbild für finanziellen Reichtum. Es braucht aber wirklich einen gewissen Wohlstand, um finanzielle Rücklagen bilden zu können. Es braucht auch Menschen, die wissen, wie man Geld gut anlegt. In unserem Fall, wie man gutes oder auch wertstabiles Geld zusammenträgt.

Der Krieg hat diese Fürsorge und diesen Wohlstand in mehrfacher Weise vernichtet. Damit ist der Fund ein Zeugnis des Grauens des Krieges.

Zwei Lederbeutel, in denen die Münzen verwahrt wurden. Foto: U. Dräger, Halle.

Zwei Lederbeutel, in denen die Münzen verwahrt wurden. Foto: U. Dräger, Halle.

Warum ist der Schatz im Museum?

Das Landesmünzkabinett Sachsen-Anhalt, dessen Kurator ich bin, kümmert sich seit 70 Jahren um die Münz- und Geldgeschichte unseres Landes. Es stellt allen historischen Disziplinen reale Quellen zur Verfügung. Jede einzelne Münze ist an sich bereits ein historisches Zeugnis. Aber im Zusammenhang der vielen entdeckten Münzen erzählt der Fund sehr viel mehr, berichtet vom Umgang mit Geld, von dessen Mobilität und nicht zuletzt von der Bedeutung der evangelischen Kirche für das soziale Miteinander in einer Kleinstadt im 17. Jahrhundert und natürlich von den Problemen der damals lebenden Menschen.

In diesem Video spricht Ulf Dräger über den Fund und seine Bedeutung:

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