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Die Medaillen und Schaumünzen von Kaiser Ferdinand I.

von Ursula Kampmann

Medaillen sind wissenschaftlich gesehen eines der unterschätztesten Gebiete der Numismatik. Das zeigt sich leider auch an den Publikationen. Oft darf man schon froh sein, wenn der Autor eines neuen Medaillen-Katalogs etwas über den historischen Hintergrund der einzelnen Stücke aus Wikipedia zusammenkopiert hat. Ein Lexikon der Stempelschneider ist geradezu das höchste der Gefühle. Doch damit sind die wirklich spannenden Fragen noch nicht einmal angerissen. Andrea Mayr zeigt in ihrer Publikation zu den Medaillen und Schaumünzen von Kaiser Ferdinand I. vorbildlich, welche Aussagen man anhand von Medaillen treffen kann, sobald man die richtigen Fragen stellt und bereit ist, auch Archivalien und andere Medien in Betracht zu ziehen.

Inhalt

Andrea Mayr, Die Medaillen und Schaumünzen der Kaiser und Könige aus dem Haus Habsburg im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums Wien. Band XI: Ferdinand I. (1793–1875, reg. 1835–1848) (Kunsthistorisches Museum Wien, Münzkabinett, Kataloge der Medaillensammlung, 3). Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2023. 2 Bände, 552 Seiten, farbige Abbildungen. Hardcover, 29,7x21cm. ISBN: 978-3-7001-9314-2. 175 Euro.

Andrea Mayr, Die Medaillen und Schaumünzen der Kaiser und Könige aus dem Haus Habsburg im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums Wien. Band XI: Ferdinand I. (1793–1875, reg. 1835–1848) (Kunsthistorisches Museum Wien, Münzkabinett, Kataloge der Medaillensammlung, 3). Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2023. 2 Bände, 552 Seiten, farbige Abbildungen. Hardcover, 29,7x21cm. ISBN: 978-3-7001-9314-2. 175 Euro.

Der notwendige Überblick über die Quellen

Medaillen sind nämlich nicht als Monolith in der (numismatischen) Landschaft zu verstehen. Im Gegenteil, sie sind Teil einer höchst komplexen Propagandamaschine, wie sie jeder Herrscher spätestens seit Ludwig XIV. mehr oder weniger systematisch bediente. Und das bedeutet, dass die in den Sammlungen archivierten Objekte erst dann wirklich zu sprechen beginnen, wenn man sie mit anderen Medien konfrontiert, also in erster Linie mit Gemälden, Denkmälern, Bauten und Druckerzeugnissen wie Büchern und Flugschriften. 

Archivalien bieten oft die Anleitung dazu, wie all diese Medien gelesen werden müssen.

Um Medaillen in ihrem Zusammenhang zu verstehen, reicht es also nicht, lediglich ihre Darstellung zu beschreiben und die Umschrift zu lesen. Man muss sie in ihren historischen Kontext einordnen. Das ist eine mühsame und anspruchsvolle Aufgabe, der sich Andrea Mayr gestellt hat. 

Ferdinand I. – ein ungeliebter Kaiser

Ferdinand I., dessen Medaillen und Schaumünzen hier präsentiert werden, regierte in einer Epoche, in der unsere Demokratien gerne nach ihren Wurzeln suchen. Er kam 1835 mit dem Tod Franz II. (I.) an die Macht, dessen merkwürdige Nummerierung daher rührt, dass er der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation war bzw. der erste Kaiser Österreichs. Von ihm erbte Ferdinand viele Probleme, unter anderem ein Bürgertum, das nach Mitbestimmung dürstete, und einen Beamtenapparat, der sich bemühte, dieses Begehren nach Möglichkeit zu unterdrücken. Dieser Interessenskonflikt entlud sich in der Revolution von 1848, die Ferdinand I. dadurch entschärfte, indem er zu Gunsten seines jugendlichen Neffen Franz Josef zurücktrat. Als „Privatmann“ lebte Ferdinand I. noch mehrere Jahrzehnte auf seinen Gütern, wo er durch kluge Verwaltung ein großes Vermögen erwirtschaftete.

Die Epoche seiner Herrschaft wird häufig als Biedermeier oder – politisch – als Vormärz bezeichnet, also als die Zeit, die unweigerlich zur Märzrevolution von 1848 hinführen musste. Das ist wohl der Grund, warum Historiker sich eher für das Aufkommen nationalistischer und liberaler Ideen interessieren als dafür, wie und mit welchen Mitteln eine Monarchie in der Kritik sich bemühte, ihre Existenz zu rechtfertigen.

Die Autorin beschäftigt sich exakt mit diesen Fragen.

Ein anderer Blickwinkel auf den Vormärz

Dazu wirft Andrea May einen Rundumblick auf die vom Hof kontrollierte Berichterstattung. Sie analysiert die offiziellen Porträttypen und andere Bilder, um so die wichtigsten Tugenden herauszuarbeiten, mit denen die höfische Propaganda Ferdinand I. assoziiert sehen wollte. 

Danach wendet sie sich der Medaille als Teil der Öffentlichkeitsarbeit zu. Sorgfältig trennt sie die verschiedenen Medaillentypen anhand ihrer Funktionen. Waren sie zum Verkauf bestimmt? Wurden sie anlässlich eines Ereignisses verteilt? An wenige, ausgewählte Personen verliehen? Wer gehörte zum Empfängerkreis? Aus welchem Kreis kamen die Empfänger? Wurden die Medaillen lediglich anlässlich eines Ereignisses geprägt – oder bei Bedarf immer wieder mit den vorhandenen Werkzeugen nachgeprägt? Und wenn wir schon beim Prägen sind: In welcher Zahl wurden Medaillen hergestellt?

Überhaupt, wer entschied all diese Fragen? Wer war für Konzeption und operative Entscheidungen verantwortlich? Andrea Mayr rekonstruiert das Organigramm all der Institutionen und Ämter, die in irgendeiner Form in die Medaillenausgabe involviert waren und schildert detailliert die Aufgabenverteilung. Damit leistet sie Pionierarbeit. So detailliert waren bisher nur wenige Bereiche der Numismatik des 19. Jahrhunderts erschlossen. 

Und damit führt sie das leider auch unter Numismatikern weit verbreitete Vorurteil ad absurdum, man könne zur neuzeitlichen Numismatik nichts Interessantes sagen. Im Gegenteil! Anhand ihrer Arbeit wird die Komplexität der Medaille als Mittel der herrscherlichen Selbstdarstellung geradezu durchdekliniert.

Vom Allgemeinen zur konkreten Anwendung

Ist der erste Band ihres Werks als eine theoretische Einführung ins Thema zu verstehen, überschreitet auch der Katalogband bei weitem das, was normalerweise unter einem Katalog verstanden wird. Jeder einzelnen Medaillengruppe widmet sie geradezu eine Monographie, die sich mit allen Details beschäftigt. Das reicht von Anlass und Verwendung der zur Gruppe zugehörigen Prägungen, über ihre Konzeption und Herstellung bis hin zu Stückzahl, Empfänger und Abrechnung. So wird aus den 115 Objekten der Epoche Ferdinands I., die im Kunsthistorischen Museum Wien liegen, ein dickes Buch mit fast 300 Seiten!

Mehr als bibliophil, einfach wunderschön!

Bei all dem Schwärmen über den Inhalt der beiden Bände möchte ich an dieser Stelle nicht die Form vergessen. Ich habe selten ein so schönes Buch in Händen gehalten. Das Layout hat geradezu einen künstlerischen Anspruch. Hier wurde mit viel Liebe und Sachverstand ein Werk gesetzt, das diese Mühe wirklich verdiente.

Mit anderen Worten: Dieses Buch ist für jede Bibliothek eine Bereicherung. Seine Lektüre sollte an den Universitäten zur Pflicht werden, um Studenten klar zu machen, dass die Numismatik weit mehr ist, als das Betrachten von kleinen, runden Objekten. Andrea Mayr führt mustergültig vor, was man herausbekommen kann, wenn man systematisch die archivalischen Quellen auswertet und dabei die Objekte nicht vergisst. Ich bin mir sicher, dass ich ihr Buch immer wieder lesen und dabei immer wieder etwas Neues finden werde.

Gratulation zu diesem großartigen Werk!

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