Was kostet das Seelenheil?
Jeder, der als Tourist schon einmal durch eine der großen Kathedralen gewandelt ist, kennt sie: Die kleinen Familienkapellen, die einen Kranz bilden um den Hochaltar. Ausgestattet mit prächtigen Kunstwerken sind sie gelegentlich attraktiver als der Hauptaltar selbst. Die Einrichtung solcher Kleinode der Sakralkunst hatte für einen Menschen des Mittelalters und der frühen Neuzeit durchaus einen praktischen Zweck. In so einer Familienkapelle ließ ihr Besitzer Messen für das eigene Seelenheil lesen; Messen, die seine Zeit im Fegefeuer deutlich abkürzen sollten. Selbstverständlich stand dieser Weg, das Heil der eigenen Seele merklich zu verbessern nur den reichsten Bürgern einer Stadt offen. Doch was kostete der Bau so einer Seitenkapelle, was mußte man für den Unterhalt eines Priesters und die liturgischen Geräte rechnen? Was kostete denn nun eigentlich – in Rheinische Gulden des frühen 15. Jahrhunderts umgerechnet – das Seelenheil?
Blick in die Familienkapelle der Diesbachs im Berner Münster. Foto: Markus Beyeler.
Peter Jezler hat im Katalog zur Ausstellung Bildersturm, Wahnsinn oder Gottes Wille die Kosten für eine real existierende Kapelle zusammengestellt. Anhand von Archivalien berechnet er, wie viele Gulden die Familienkapelle der Diesbachs im Berner Münster einst kostete.
Zunächst mußte der Rohbau erworben werden. Die Bauhütte des Berner Münsters hatte – um ein einheitliches Erscheinungsbild nach außen und innen zu gewährleisten – den Rohbau von Haupt- und Seitenschiffen mit den Kapellen erstellt. Um einen Teil der immensen Baukosten hereinzubringen, verkaufte die Bauverwaltung diese Kapellen an Stifter. Dabei waren dem Kaufpreis nach oben keine Grenzen gesetzt. Je nachdem, in wie weit ein Käufer bereit war, sich auch an den allgemeinen Baukosten zu beteiligen, variierte der Preis nach oben oder unten. 800 Goldgulden ließ sich die Familie Diesbach im Jahre 1442 ihre Kapelle kosten, ein sehr hoher Betrag. Peter Matter hatte gut 10 Jahre zuvor, im Jahre 1430, lediglich 200 Goldgulden für eine andere Seitenkapelle bezahlt.
Doch damit waren noch nicht alle Kosten gedeckt. Nun mußten die Diesbach eine Pfründe aussetzen, um auf ewige Zeiten einen Priester für seine Dienste zu besolden. 1000 Gulden waren das Stiftungskapital; das ergab bei einem jährlichen Zinssatz von 5 % ein „Jahresgehalt“ von 50 Gulden für den Priester, der dafür fünf Messen pro Woche lesen mußte. Ihm wurde zusätzlich ein Priesterhaus als Stadtwohnung zur Verfügung gestellt, das die Diesbach noch einmal 240 Gulden kostete.
Das heutige Glasfenster in der Familienkapelle der Diesbachs im Berner Münster. Foto: Markus Beyeler.
Zu den Kosten für den Rohbau und zum Stiftungskapital kamen nun die Summen, die für den eigentlichen Ausbau der Kapelle ausgegeben werden mußten. Zunächst war das Gewölbe noch nicht fertig. Wir haben hier keine konkreten Zahlen die Diesbachkapelle betreffend, aber ein vergleichbares Seitenschiffgewölbe kostete in Bern im Jahre 1451 33 Gulden. Auch für die teuren Glasfenster können wir die Kosten nur schätzen. Das 10.000 Ritterfenster im Berner Münster, das etwa zweieinhalb mal so groß war wie das Fenster der Diesbachkapelle, wurde mit Donationen im Wert von 180 Gulden finanziert. Dazu kamen noch Sachspenden, wie vier Silberschalen und Papier für den Entwurf. So wird also das Fenster der Diesbachkapelle etwa 50 bis 100 Gulden gekostet haben. Dazu kamen nun noch das Altarretabel in Form eines Flügelaltars, die Messgewänder, das Gestühl, der Kelch und die anderen liturgischen Geräte, das Antependium (= ein aufwendig besticktes Tuch, das vor dem Altar hing), die Altartücher, Meßbücher und alles andere, was zum Schmuck der Kapelle und zur Abhaltung der heiligen Messe notwendig war.
Wenn wir alles zusammenrechnen, kostete die Diesbachkapelle 2500 Gulden, die sich wie folgt zusammensetzen:
Kapellenrohbau | 800 fl |
Gewölbe | 30-50 fl |
Fenster | 50-100 fl |
Ausstattung: Altarretabel, Meßgewänder, Gestühl, Kelch, Antependium, Meßbücher, usw. | ca. 300 fl |
Stiftung der Pfründe | 1000 fl |
Priesterhaus, Steinhaus in der Herrengasse | 240 fl |
Insgesamt | ca. 2500 fl |
2500 Gulden hatten also die Herren von Diesbach für ihre Kapelle ausgegeben. Dafür hätten sie auch 10 aus Stein gebaute Stadthäuser kaufen können. Eine riesige Summe war also in diese religiöse Stiftung geflossen. Doch die Besitzer der Kapelle glaubten, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Bis zum jüngsten Tag sollte in ihrer Kapelle fünfmal wöchentlich die Seelenmesse gelesen werden, um ihnen ihre Zeit im schrecklichen Fegefeuer zu verkürzen. Doch bis zum „Jüngsten Tag“ sollte es nur noch 86 Jahre dauern. Am 26. Januar 1528 begann der Bildersturm im Berner Münster und all die teuer erworbenen Privilegien der Diesbachs in ihrer Kapelle waren damit hinfällig.
Ein besonderer Dank sei mit diesem Artikel verbunden. Mir fehlten passende Bilder für die Illustration. Markus Beyeler, ein „Münzfreund“ aus Bern, hat diese in Rekordzeit besorgt. Ohne Freunde wie ihn, die sich auf der ganzen Welt verteilen, gäbe es keine MünzenWoche!