Was auf Euro-Münzen zu sehen ist: Das Brandenburger Tor Teil 2
Eigentlich erscheinen die deutschen Euro-Münzen ziemlich einfallslos, wenn man sie mit denen anderer Länder vergleicht. Eichenlaub hat man ja schon zur Genüge gehabt und der deutsche Bundesadler zeichnet sich auch nicht durch seine Originalität aus. Nur das Brandenburger Tor war bei der Einführung des Euro neu im Bildprogramm der Umlaufmünzen. Über die Anfänge dieses Bauwerkes, das zunächst umstritten war, haben wir im ersten Teil berichtet. Wir endeten im ersten Teil des Artikels damit, dass Deutschland nach der Niederlage Napoleons darauf bestand, die Quadriga, die aus Berlin nach Paris abtransportiert worden war, wieder zurückzuerhalten.
Eine triumphale Rückkehr
Was vorher allenfalls ein gleichgültiges Standbild gewesen war, wie es in Berlin unzählige gab, wurde nun zu einem Symbol für die Schmach Preußens, ja ganz Deutschlands. Eine Anekdote, die wohl nicht wahr ist, aber das wiedergibt, was man damals für wahr hielt, berichtet folgendes: Der Turnvater Friedrich Ludwig Jahn fragte einen seiner Schüler, was der denn empfinde, wenn er das Brandenburger Tor anblicke. Der – wohl ein unzeitgemäßer Pazifist – antwortete: „Nichts.“ Darauf gab ihm Jahn eine schallende Ohrfeige und sagte: „Du wirst in Zukunft daran denken, daß wir alles tun müssen, um die Quadriga zurückzuerhalten.“
Wir wollen jetzt nicht die Geschichte der deutschen Befreiungskriege wiederholen. Kurz und gut, nach dem gemeinsam erfochtenen Sieg der Preußen, Habsburger, Russen und Engländer über die Franzosen kam die Quadriga zurück. Gleich nach dem Einmarsch in Paris, ließ Blücher nach der verschwundenen Quadriga fanden und konnte sie – noch vor Abschluß des Friedensvertrages (!) – nach Berlin zurückschicken. Ganz Deutschland jubelte. Die Berlinischen Nachrichten vom 19. Mai 1814 berichteten über den Transport des Standbildes über den Rhein folgendes: „Schon mehrere Stunden vorher war die ganze Gegend bei dem neuen Hafen mit Menschen bedeckt. Sobald man die Wagen, auf welchen jenes Kunstwerk transportiert wird, an dem jenseitigen Ufer des Rheins erblickte, wurde sie (Victoria, Anm. d. Verf.) auf dem diesseitigen mit allgemeinem Jubelgeschrei bewillkommt und … von den am Ufer stehenden versammelten Stadtbehörden unter Kanonendonner und unter dem Läuten aller Glocken empfangen… Auf dem großen Platz in der Karlsstadt (Karlsruhe, Anm. d. Verf.) war der Zug von der in Parade unter dem Gewehr stehenden Garnison mit militärischer Musik empfangen. Bei Endigung eines jeden Musikstückes ließ das Volk dem geliebten Könige Friedrich Wilhelm ein Vivat erschallen, dann, den verbündeten Monarchen – der gemeinschaftlichen Sache der Menschheit – und zuletzt allen, denen deutsches Blut in deutschen Adern rollt.“
Sie war wieder da, die Quadriga, ein Sieg für Preußen. Und dies sollte auch am Standbild zu sehen sein. So ersetzte man die einfache Trophäe, die Victoria bis dahin in der Hand gehalten hatte, durch eine preußische Variante: einen Stab, auf dem ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln thront, in seinen Fängen einen Kranz von Eichenblättern, darin das eiserne Kreuz. Schinkel selbst hatte dieses Symbol des preußischen Sieges entworfen. Und so sah die Victoria vom Brandenburger Tor herab auf die endlosen Paraden, die unter ihren Augen stattfanden.
Die Diele Berlins
Bald wurden Bräute von Blumen streuenden Ehrenjungfern empfangen, bald zogen schwarze Pferde den schweren Katafalk eines toten Monarchen durch das Tor. Siegreiche Truppen marschierten zwischen den monumentalen Säulen hindurch und manche Straßenschlacht entschied sich an dieser Stelle, die nun auch für politische Demonstrationen genutzt wurde. So protestierten die Berliner Bürger hier am 13. März 1848 für eine freie Verfassung und mehr Demokratie, wurden aber von den blind in die Menge schießenden Soldaten auseinandergetrieben.
Das Brandenburger Tor war mittlerweile so eine Art Diele Berlins geworden. Nicht die gute Stube, sondern der Ort, wo man seine Besucher begrüßte. Niemand wollte mehr auf den Durchgang verzichten, selbst als er in seiner Funktion eigentlich überflüssig wurde. 1865 begann man, die alten Befestigungen abzureißen. Zwar gab es viele Stimmen, die auch einen Abriß des Brandenburger Tores forderten, doch die Anhänger des Baus, unter Führung des preußischen Kriegsministers (ausgerechnet!) und eines Architekten und Denkmalpflegers, konnten sich durchsetzen: Das Brandenburger Tor blieb, wo es war. Nur einige Umbauten mußten vorgenommen werden, damit es weiterhin Kulisse bleiben konnte für die nun häufiger werdenden Triumphzüge.
Der nächste war schon 1871 fällig. Die deutschen Truppen kehrten nach ihrem Sieg über Frankreich zurück. Natürlich zogen sie durch das Brandenburger Tor, das anläßlich des 25. Jahrestages von Sedan prachtvoll illuminiert wurde mit dem Text des Telegramms, das Wilhelm I. am 2. September 1870 nach dem Sieg an seine Frau schickte: Welch eine Wendung durch Gottes Fügung. Der Pariser Platz bekam nach dem großen Sieg seinen Namen und wurde zu dem, was man eine feine Adresse nennen kann.
Der französische Gesandte in Berlin residierte hier, die Militärs Blücher und Wrangel, der Schauspieler Iffland, die Schriftstellerin Bettina von Arnheim, und – nicht zu vergessen – der Maler Max Liebermann, der bis zu seinem Tode 1935 das Haus am Pariser Platz Nr. 7 bewohnte. Sie alle konnten von ihren Fenstern aus die Aufmärsche beobachten, die sich immer häufiger am Brandenburger Tor konzentrierten.
1928 zum Beispiel fuhr der Gustav Hartmann, genannt der „Eiserne Gustav“, mit seiner Droschke durchs Brandenburger Tor. Er hatte demonstrieren wollen gegen die Verdrängung, die das Droschkengewerbe durch die neuen Automobile erfuhr. Bis nach Paris und wieder zurück war er von Berlin aus gefahren.
Oder die Aufmärsche des 3. Reiches, die Hitler mit Vorliebe am Brandenburger Tor inszenierte. Beschränken wir uns auf einen Kommentar Max Liebermanns, der von seinem Atelier aus den Umzug beobachtete: „Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.“
Das getrennte Berlin
Und dann war es am 2. April 1945 so weit. Sowjetische Soldaten zogen auf dem Brandenburger Tor die rote Fahne auf. Eine Granate zerstörte die Quadriga. Das Brandenburger Tor wurde von einem Triumphtor zu einem Mahnmal gegen den Krieg. Eigentlich war es geplant, den halb zerstörten Bau abzureißen, so wie das Berliner Stadtschloß, aber in letzter Minute entschieden sich die Verantwortlichen, das Brandenburger Tor als „Monument bürgerlich-demokratischer Freiheit“ zu erhalten und zu restaurieren.
Das Gebäude selbst konnte man problemlos wieder herstellen, aber was sollte auf dem Dach stehen? Sollte man etwas Neues schaffen? Ein Aktivistenpaar, überlebensgroß? Die Quadriga war verloren, aber immerhin gab es im Westen Abgüsse des Kunstwerkes. Mit ihrer Hilfe sollte es kein Problem sein, eine Replik der symbolträchtigen Göttin zu erstellen. Sollte man gar mit dem Klassenfeind im Westen Kontakt aufnehmen?
Man tat es und die Stadtverwaltung im Westen sagte ihre Unterstützung zu. Freilich war man nicht bereit, die kostbaren Abgüsse aus den Händen zu geben. Stattdessen wolle man der anderen Stadthälfte eine bronzene Quadriga schenken. Zwar bezeichnete das „Neue Deutschland“ dies als eine „Unverschämtheit“, aber letztendlich gingen die Verantwortlichen in Ostberlin auf den Handel ein. Man akzeptierte gnädig das 250.000 DM teure Geschenk aus dem Westen als Tribut an die Arbeiterrepublik. Ende Juli 1958 war die neue Victoria fertig. Ein West-Berliner Transportunternehmen wurde angeheuert, um das Kunstwerk in den Ostteil der Stadt zu transportieren und bei der Aufstellung Hilfe zu leisten. Man packte also die Bronzestatue ein, lud sie auf Kranwagen und Tieflader und wollte sie zum Brandenburger Tor bringen, als die Ost-Berliner Behörden völlig überraschend die Durchfahrt verweigerten. Die Bronzestatue mußte am Pariser Platz abgeladen werden, von dort verschwand sie kurz darauf. Wo sie war, blieb für mehrere Wochen ein Rätsel.
Warum die Ostberliner das stolze Wahrzeichen so schnell versteckten, stellte sich erst Wochen später heraus, als die Westberliner Behörden immer dringlicher Auskunft über den Verbleib ihres Geschenkes forderten. Man hatte sich von sozialistischer Seite an dem gestoßen, was die Victoria in der Hand hielt, das alte Wahrzeichen Preußens mit dem Adler und dem eisernen Kreuz war nichts, was die ostdeutsche Regierung an so Prestige trächtiger Stelle dulden konnte. So wurde also der „Stein des Anstoßes“ sofort verhüllt und an geheimem Orte entfernt. Als die Victoria endlich auf ihrem Bestimmungsplatz montiert wurde, hielt sie in ihrer Hand nur noch eine Stange, auf der ein leerer Eisenkranz montiert war.
Viele von uns haben das geteilte Deutschland noch erlebt, das entstand, als am 13. August 1961 die DDR-Regierung den Mauerbau befahl. Fortan wurde das Brandenburger Tor zu einem Symbol der Trennung, das genauso Programm war für jeden Staatsbesuch wie vorher das offene Tor.
Ein Ort der Erinnerungen
Jeder, der einmal vor dem geschlossenen Brandenburger Tor gestanden ist, wird seine eigenen Erinnerungen daran haben. Und vielleicht sind hier an dieser Stelle ein paar persönliche Erinnerungen erlaubt. Ich habe am Brandenburger Tor als Kind von vielleicht 12 Jahren gelernt, was die deutsche Trennung real bedeutete. Für mich war es bis dahin eher ein Spiel gewesen, die Verwandten im Osten zu besuchen. Es war eine fremde Welt, voll von Regeln, die ich nicht verstand, eben wie ein Spiel, das man nur mühsam zu spielen lernt. Und da stand ich voll guter Laune am Brandenburger Tor. Papa wollte fotografieren, und wir alle gruppierten uns um den Bau. Wie man eben so ist mit 12 Jahren: ich wollte das Foto interessanter gestalten, wollte mich auf den ersten niedrigen Zaun vor dem Tor setzen. Keine Hürde, gerade mal eine Abschrankung, die mir für diesen Zweck geeignet erschien. Und ich hatte kaum den rechten Fuß auf den unteren Teil des Geländers gesetzt, da stand schon ein Grenzer mit seinem Gewehr vor mir und machte mir mit der Waffe eindeutig klar, daß auch der kleinste Schritt weiter verboten sei. Es war das erste und das letzte Mal, daß mich ein Mensch mit der Waffe bedroht hat. Und ich werde es nie vergessen.
Ort der Wiedervereinigung
Weil so viele Menschen das Brandenburger Tor als offenen Wunde erlebt haben, wurde es zu „dem“ Symbol der Wiedervereinigung. Am 22. Dezember 1989 durchschritten Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel, Hans Modrow und Oskar Fischer nach fast 30 Jahren der Sperre gemeinsam das Tor. Unzählige Bürger haben es ihnen seitdem nachgetan. Wohl niemand, der die Trennung erlebt hat, kann je gedankenlos das Brandenburger Tor durchqueren. So wurde dieser Bau zu einem perfekten Symbol für uns alle, an das jeder einzelne seine Erinnerung knüpfen kann, das aber auch im kollektiven Gedächtnis der deutschen Nation als der Ort in Erinnerung bleiben wird, wo die deutsche Trennung am tiefsten schmerzte, und die deutsche Vereinigung am besten erfahrbar ist.
Hier lesen Sie den ersten Teil zur Geschichte des Brandenburger Tors.
Immer wieder erschien das Brandenburger Tor auf Prägungen, so auf der zehnten Silber-Quadriga der Münze Berlin.
Deutschland gab 2014 eine 10-Euro-Gedenkmünze auf Langhans’ Kritiker, den Schöpfer der Quadriga aus, auf Johann Gottfried Schadow.