Numismatische Miniaturen aus dem Norden: Teil 1 – Die gestohlenen Kronen von Strängnäs
Schweden hat eine einzigartige und reiche Geschichte, die leider viel zu wenig bekannt ist – und das nicht nur in Deutschland. Wir erzählen davon in dieser Serie, den „Numismatischen Miniaturen aus dem Norden“. Begleiten Sie uns im ersten Teil nach Strängnäs, einer kleinen Provinzstadt, die es Ende Juli 2018 in die internationalen Nachrichten geschafft hat, allerdings aus einem traurigen Anlass.
Ein frecher Diebstahl
Zwei Diebe stahlen am Dienstag, dem 31. Juli 2018, aus dem Dom zu Strängnäs Teile des Grabschatzes Karls IX. Viel Aufwand war dafür nicht notwendig. Sie betraten lediglich den Dom, wendeten sich nach links und gingen in einen nicht einsehbaren Seitenraum, in dem der Kirchenschatz aufbewahrt wird. In der Schatzkammer saß niemand, der sich um übergriffige Touristen hätte kümmern können. Überhaupt ist man in Strängnäs sehr kulant, was das Verhalten von Besuchern angeht. Als wir am 28. Juni 2018 den Dom besuchten, wunderten wir uns doch sehr, dass die Aufsicht, die in der Eingangshalle Bücher, Kekse und Kaffee verkaufte, nicht einmal einschritt, als ein Kind (mit Hilfe der Mutter) auf die Kanzel geklettert war und von dort aus lauthals in den Kirchenraum schrie. (Schließlich hallte es dort so wunderschön!)
Die Diebe dürften leiser gewesen sein, bis sie das Glas der Sicherheitsvitrine eingeschlagen hatten. Was dann geschah, ist nicht völlig klar. Ging der Alarm gleich los? Oder erst, als sie sich bereits auf der Flucht befanden? Wurden sie von dem Alarm überrascht und nahmen deshalb „nur“ zwei Kronen und einen Reichsapfel mit. Es hätte schließlich noch ein Szepter und ein zweiter Reichsapfel zur Verfügung gestanden. Oder galt ihr Interesse tatsächlich ausschließlich den beiden Kronen und dem einen der beiden Reichsäpfel?
Wie auch immer, für ihre Flucht sollen sie zwei wahrscheinlich gestohlene Damenfahrräder und ein Boot oder einen Jet-Ski benutzt haben, mit dem sie über den Mälarsee entkamen. Obwohl die Polizei unmittelbar danach eine Großfahndung in die Wege leitete, wurden die Gegenstände bislang nicht wieder gefunden.
Erwähnen wir noch, dass Dekan Christofer Lindgren feststellte, dass „die Sicherheitsvorschriften bei der Aufbewahrung befolgt“ worden seien. Die Kronen und der Reichsapfel seien „in Übereinstimmung mit Genehmigungen und Richtlinien von Behörden und Versicherungen“ aufbewahrt gewesen. Welche Auflagen der Behörden und Versicherungen erfüllt worden waren, ging aus der Berichterstattung in der internationalen Presse leider nicht hervor.
Fast skandalöser als der Diebstahl selbst ist die Tatsache, welchen hilflosen Unsinn die Medien über die beiden Kronen und den Reichsapfel verbreiten. So behauptete – um nur ein besonders dämliches Beispiel zu nennen – die Süddeutsche Zeitung, dass die Stücke „zuvor in der Gruft der Monarchen aufbewahrt“ wurden. Da der gleiche Artikel die Stücke als Kronjuwelen des schwedischen Königshauses bezeichnete, mag der Kenner sich an der Vorstellung erheitern, wie ein persönlicher Beauftragter des Königs vor jeder Krönung in die Gruft Karls IX. hinabsteigt, um die Insignien direkt aus der Gruft zur Krönung und danach wieder zurück zu bringen.
Alle von mir gelesenen Artikel in der Tagespresse glänzen durch ein Fehlen an Information darüber, warum denn nun die gestohlenen Objekte von nationaler Bedeutung sind. Das mag daran liegen, dass die Quelle modernsten Wissens, Wikipedia, nur wenig über den Dom von Strängnäs zu sagen weiß. Man hätte also ein altmodisches Buch in die Hand nehmen müssen, um mehr zu erfahren über Strängnäs, den hl. Eskil, über die Christianisierung Schwedens und seine Hinwendung zur Reformation. Und natürlich auch darüber, warum Karl IX. sich nicht in Uppsala oder Stockholm begraben ließ wie Vorgänger und Nachfahren, sondern ausgerechnet in Strängnäs.
Strängnäs heute
Heute ist Strängnäs ein hübsches Touristenörtchen, das über eine Dampferanlegestelle und einen kleinen Sporthafen verfügt. Die schwedische Silbe „näs“ (= Nase) beschreibt die Lage ganz gut. Das Zentrum liegt auf einem halbinselartigen Landvorsprung im Mälarsee. Der See ist von jeder Stelle des Ortes leicht zu erreichen. Ansonsten gibt es da wie überall in Schweden hübsche rote Häuschen, viel Grün und eine prachtvolle Windmühle, die es zu einem zweiten Wahrzeichen geschafft hat.
Unwillige Wikinger und ein todeswilliger Märtyrer
Ansonsten gäbe es über den Ort nichts zu berichten, hätte man hier nicht an zentraler Lage irgendwann im 12. Jahrhundert einen Bischofssitz eingerichtet. Schweden wurde nämlich wesentlich später christianisiert als andere europäische Länder. Der Grund dafür ist offensichtlich. Die kriegerischen Wikinger blieben ihren Göttern treu, schließlich schenkten sie ihnen einen Sieg nach dem anderen. Warum hätten sie von Odin und Thor zu diesem jämmerlichen Christus wechseln sollen? Sie hatten zu oft miterlebt, dass er seine, sie um Mitleid anflehenden Anhänger nicht schützen konnte.
Die Bevölkerung nahm die Missionare, die kamen, um die Heiden zu bekehren, nicht ernst. Auch wenn der König sich zu gerne der Hilfe der Kirche versichert hätte, um die widerspenstigen Adligen unter Kontrolle zu bringen, ließen sich seine Untertanen nicht taufen. Dies musste auch der englische Mönch Eskil akzeptieren, der irgendwann in der zweiten Hälfe des 11. Jahrhunderts im nahe gelegenen Eskiltuna zum Bischof eingesetzt worden war. Seine Strängnäser Schäfchen steinigten ihn, weil er ihnen ihr schönes Opferfest zu verbieten versuchte.
Die Hauptkirche des Bistum von Strängnäs, das irgendwann im Verlauf des 12. Jahrhunderts eingerichtet wurde, soll am Ort seines Martyriums erbaut worden sein. Aus dieser Hauptkirche, die zunächst wohl nur aus Holz war, entwickelte sich der heutige Dom.
Gustav Wasa: Vom Reichsverweser zum König in Strängnäs
Kirchliche Zentren wurden in Mittelalter und früher Neuzeit gerne als Treffpunkt benutzt. Die großen Kirchenbauten eigneten sich hervorragend als Versammlungsort. Und so fand die entscheidende Wahl, die aus dem Reichsverweser Gustav Wasa den König der Schweden machte, während des in Strängnäs abgehaltenen Reichstags des Jahres 1523 im Dom von Strängnäs statt. Damit spielt der eine wichtige Rolle im nationalen Gedächtnis der Schweden. Schließlich beginnt mit Gustav Wasa die schwedische Neuzeit.
Die Reformation in Schweden
Der 1520 zum Archidiakon des Bistums Strängnäs gewählte Laurentius Andreae dürfte die Wahl Gustav Wasas miterlebt haben. Andreae sympathisierte mit den lutherischen Ideen und verstand sich deshalb bestens mit seinem König. Die katholische Kirche beherrschte nämlich um 1525 fast ein Viertel des gesamten schwedischen Bodens – etwa genauso viel wie der schwedische Adel. Zum Vergleich: der König musste seine Kosten aus den Einnahmen von 5,5 % des schwedischen Bodens decken. Was lag also näher, als die katholische Kirche nach reformiertem Muster zu organisieren und den kirchlichen Besitz für die Krone zu konfiszieren?
Laurentius Andreae predigte, dass der gesamte kirchliche Besitz dem Volk gehöre, (und der schwedische König diesen völlig uneigennützig für sein Volk verwalten würde.) Natürlich predigte er auch anderes, wie wir es von den deutschen Lutheranern kennen. Dass der Papst der Antichrist sei, dass die reine Lehre nur aus der Schrift erschlossen werden könne und vieles mehr. So wurde Strängnäs zu einem Zentrum der neuen Lehre. Von Strängnäs ging die Reformation ganz Schwedens aus.
Zwischen Reformation und Gegenreformation – zwischen Schweden und Polen
Gustav Wasas zweitältester Sohn Johann übernahm im Jahr 1568 die Herrschaft. Er stand der Reformation ziemlich kritisch gegenüber. Nicht umsonst hatte er eine Katholikin, die Tochter des polnischen Königs Sigismund I., geheiratet. Johann III. träumte davon, als Protestant dem Papst die Aussöhnung anzubieten. Er würde den theologischen Kompromiss finden und die beiden Religionen wieder zusammenführen.
Und nicht nur das. Johann träumte, die Kontrolle über den Ostseehandel mit Russland zu gewinnen, indem er Schweden und Polen vereinigte. Also ließ er seinen ältesten Sohn Sigismund katholisch erziehen. Das eröffnete dem die Möglichkeit, den polnischen Thron zu übernehmen, was er 1587 auch tat. Doch als Sigismund Wasa nach dem Tod seines Vaters 1592 auch noch den schwedischen Thron besteigen wollte, machte ihm sein Onkel Karl einen Strich durch die Rechnung.
Karl IX. gewinnt die Macht im Namen der Reformation
Karl hätte sich vielleicht mit der Stellung eines Reichsverwesers in Schweden begnügt, während Sigismund in Polen weilte. Doch der wollte ihm nicht so viel Einfluss überlassen, und so kam es zur Auseinandersetzung. Dabei instrumentalisierte Karl die Religion. Er begründete seinen Herrschaftsanspruch damit, das protestantische Erbe seines Vaters, Gustav Wasa, schützen zu wollen.
Entscheidende Hilfe erhielt Karl vom Bischof von Strängnäs. Kein Wunder, Karl hatte ihn selbst ausgesucht, und Petrus Jonae Helsingus war schon vor seiner Berufung ein entschiedener Gegner der Religionspolitik von Johann III. gewesen.
Eine Kombination von militärischem und propagandistischem Vorgehen führte zum Ziel. Im Jahr 1600 ernannte der Reichstag Karl zum König. Die endgültige Krönung erfolgte allerdings erst im Jahr 1607.
Karls Begräbnis in Strängnäs
Am 21. April 1612 wurde Karl IX., wie in seinem Testament festgelegt, nicht in Stockholm, nicht in Uppsala, sondern im Dom von Strängnäs begraben. Damit knüpfte er direkt an seinen Vater Gustav Wasa an, der hier zum König ausgerufen worden war. In seiner Leichenpredigt verglich der Bischof von Strängnäs Karl mit Josia, dem König der Juden. Wie der das wiederentdeckte göttlich Gesetz in Kraft gesetzt habe, so sei Karl der große Erneuerer, der die Errungenschaften der Reformation vor den papistischen Ränken geschützt habe.
Bei dieser Gelegenheit kamen Karls Kroninsignien in den Besitz des Doms von Strängnäs als ein geheiligtes Zeichen des Bundes zwischen dem kirchlichen Vorkämpfer für den protestantischen Glauben und dem weltlichen Protagonisten.
Und nun sind die beiden Kronen und ein Reichsapfel also verschwunden. Man darf durchaus bezweifeln, dass – wie die Polizei annimmt – ein Auftraggeber hinter dem Raub steht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass mal wieder ein paar Gelegenheitsverbrecher sich Gedanken über den Materialwert des Zeugs gemacht haben, das da in dieser lausigen Vitrine liegt.
Was gibt es sonst im Dom zu Strängnäs zu sehen?
Auch wenn drei Objekte des Domschatzes vielleicht schon im Schmelztiegel liegen, gibt es immer noch genug, was man in diesem Dom bewundern kann.
So das Grab des älteren Halbbruders von Gustav II. Adolph, der unter ihm als Reichsadmiral tätig war. In dieser Funktion errang er etliche Siege, die wir heute längst vergessen haben. Unvergessen ist dagegen der Untergang der Wasa, dessen Untersuchungskommission Carl Carlsson Gyllenhielm leitete.
Unbestrittener Liebling der Besucher ist die kleine Isabella, die älteste Tochter Johanns III., die bereits im Alter von zwei Jahren verstarb.
Kunstliebhaber werden sich an den gotischen Altären nicht satt sehen können, die der Bischof Kort Rogge um 1490 von seinem eigenen Geld in Brüssel kaufte.
Der deutsche Kirchenführer unterschlägt die Bedeutung eines unauffälligen Sarkophags gleich in einer der ersten Seitenkapellen rechts. Er enthält die Überreste der Hedwig Ulrike, Gräfin Taube von Odenkat, die sich immerhin als erste anerkannte Mätresse eines schwedischen Königs bezeichnen durfte. Auf ihre Söhne von Friedrich I. geht das deutsche Geschlecht der Grafen von Hessenstein zurück.
Reisehinweise:
Strängnäs eignet sich hervorragend als Ausgangspunkt für die Fahrt nach Mariefred und Gripsholm, wo wegen der Bekanntheit des Orts durch den Roman Kurt Tucholskys die Zimmerpreise wesentlich höher sind.
Wir haben in dem gemütlichen Hotel Laurentius in Strängnäs gewohnt. Es liegt zwar an einer Durchgangsstraße, aber die Belästigungen durch Verkehrslärm waren vernachlässigbar. Der Blick auf den See ist dafür wunderschön!
In einem malerischen Innenhof eines kleinen Museums findet man das Café Grassagarden. Dort gibt es selbstgebackenen Kuchen, wobei vieles für unseren Geschmack extrem süß ist. Aber der schattige Innenhof entschädigt für einen allfälligen Zuckerschock.
Achtung: Italienische Kaffeekultur ist Mangelware in Schweden. Beim Kaffee handelt es sich um Filterkaffee, der auf einer Platte warm gehalten wird. Je nach Tarif kann man sich einmal oder mehrmals bedienen.
Direkt vor dem Hotel Laurentius geht der Dampfer ab, der Gäste über den Mälarsee hin zum wikingerzeitlichen Handelszentrum Birka bringt. Allerdings gibt es nur in der Feriensaison Fahrten, deshalb vorher gut erkundigen, ob der Dampfer auch tatsächlich fährt!
Dies ist der erste Teil einer Serie über Schweden, seine Geschichte und seine Münzprägung. Alle bisher erschienen Teile finden Sie auf dieser Seite.