Numismatik in Rußland

von Vasily Gerasimov

Numismatik während des Sozialismus
Die sozialistische Ära begann für die russische Numismatik mit dem Ende aller privaten  Münzsammlungen: Zum größten Teil wurden sie von der neuen Regierung beschlagnahmt und auf die verstaatlichten Museen verteilt. Andere konnten ins Ausland gebracht werden, einige wurden einfach geraubt und sind verloren gegangen (wie z. B. die Sammlung des Großfürsten Georgij Michailowitsch).
Während der gesamten sowjetischen Herrschaft besaß die numismatische Wissenschaft sozusagen nur einen offiziellen Status: Sie war Sache der staatlichen wissenschaftlichen Institute und Museen. Vereine und Privatpersonen spielten hier praktisch keine Rolle.
Der Grund lag darin, daß in der UdSSR der Umlauf aller Edelmetalle in jeder Form und Art (einschließlich Münzen) unter der strengen Kontrolle des Staates stand. Ankauf und Verkauf von Münzen aus Edelmetall, die als „Devisenkostbarkeiten” galten, war ausschließliches Recht des Staates und für Privatpersonen seit 1918 gesetzlich verboten. Das Ausüben solcher Geschäfte wurde mit drastischen Strafen (bis zur Todesstrafe) geahndet. Gesammelt werden durften nur Münzen aus Kupfer, Bronze und ähnlichen Metallen.
Wie alle anderen alten Vereine war die MNG gezwungen, in den ersten Jahren der Sowjetherrschaft illegal zu agieren, bis sie Ende 1924 endgültig aufgelöst wurde.

Zwischen 1921 und 1941 existierten in der unter staatlicher Kontrolle gegründeten Gesamtrussischen Organisation der Sammler und der Sowjetischen Philatelistischen Vereinigung numismatische Abteilungen. Das Hauptziel dieser Organisationen bestand darin, Gelder zur Finanzierung verschiedener Staatsprogramme durch den Verkauf von Sammlungsobjekten einzunehmen. Die Philatelistische Vereinigung beispielsweise hatte das Recht, Briefmarken zu verkaufen, mußte aber 50% der Einkünfte ans Finanzministerium abgeben. Sehr bald distanzierten sich die Numismatiker von diesen Organisationen.
Die Haltung des Sowjetstaates zur Numismatik zeigt sich besonders darin, daß in den 20er Jahren 150 Millionen alte russische Silbermünzen verschiedener Nennwerte eingeschmolzen wurden, darunter auch so manche Raritäten.
Deshalb versuchten Sammler, in den Großstädten Numismatische Gesellschaften zu gründen. Einige konnten ihrer Sammlerleidenschaft nicht widerstehen und wagten es, illegal Sammlungen aufzubauen. Im offiziellen Sprachgebrauch galten sie als Devisenspekulanten (wenn sie ausländische Münzen sammelten) oder Monarchisten (Sammler alter russischer Münzen) und wurden hart bestraft. So schrieb der Mitarbeiter des Künstlerischen Theaters A. V. Gavrilow in seinem Tagebuch: „Den 24. August 1939. Vorige Woche führte man bei vielen Schauspielern und Angestellten des Theaters Haussuchungen durch – Silbermünzen wurden beschlagnahmt.  Beim alten Platzanweiser G. F. Leontjew, der Münzen sammelte, wurden gegen 100 Silberrubel und ausländische Devisen gefunden. Er wurde erschossen – darüber schrieben die Zeitungen. Manche sitzen im Gefängnis…”

In Chruschtschows „Tauwetterzeit“ nahm das öffentliche Leben einen Aufschwung. 1957 konstituierte sich in Moskau die Sammlergesellschaft mit der Sektion Numismatik, 1966 wurde die Gesamtsowjetische Philatelistische Gesellschaft wiedereröffnet, in der die numismatische Abteilung sehr bald die größte und populärste wurde – sehr zum Mißfallen der Behörden und der Leitung der Philatelistischen Gesellschaft.
1969 wurde in Kiew, Moskau und anderen Städten eine breite Kampagne gegen Münzsammler gestartet. In einer Reihe von Gerichtsverfahren wurden mehrere Numismatiker zusammen mit Devisenspekulanten zu Gefängnisstrafen verurteilt. Für die Leitung der Philatelistischen Gesellschaft war dies ein Anlaß, die numismatische Abteilung aus der Gesellschaft auszuschließen.
Die Numismatiker wurden dadurch für etwa zwei Jahre „obdachlos”. Sonntags versammelten sie sich in den Moskauer Parks, aus denen sie die Miliz zu verjagen versuchte. Anfang der 70er Jahre gelang es den Moskauer Numismatikern, einen Club zu organisieren, der unter dem Namen “Jugo-Sapad” (Südwest) bis 1980 halb illegal war und sich als Filiale der Philatelistischen Gesellschaft tarnte. Zahlreiche Ansuchen an die Behörden, die Numismatische Gesellschaft zu legalisieren, blieben unbeantwortet. Mehr noch, die Verfolgungen gegen Numismatiker wurden verschärft. 1977 wurde das Gesetz über Geschäfte mit Devisenkostbarkeiten in der UdSSR verabschiedet und 1982 die Vorschrift über die Limitierung der Geschäfte mit Münzen aus Edelmetallen für Sammelzwecke in Kraft gesetzt. Diese Dokumente machten den Weg frei für weitere Repressionen gegen Numismatiker. Neue Strafverfahren und die Beschlagnahme von Sammlungen folgten.
Trotzdem führte der Club “Jugo-Sapad” seine Tätigkeit weiter – seine Mitglieder veröffentlichten verschiedene numismatische Artikel, veranstalteten Ausstellungen und öffentliche Auftritte und nahmen Kontakt zu Numismatikern in anderen Gebieten der UdSSR und im Ausland auf. Damit wurde der Club zu einer bekannten, nicht zu übersehenden Organisation.

Nachdem zur Zeit der Perestroika mehrere gesetzliche Hindernisse aufgehoben wurden, konnte die Moskauer Numismatische Gesellschaft 1987 offiziell wieder gegründet werden. Mit mehr als 500 Mitgliedern versteht sie sich heute als Zentrum aller „Amateur-Numismatiker“ und unterhält enge Kontakte zu staatlichen historischen Museen und Instituten.
Die MNG gibt ihre Aufsätze in einer Numismatischen Zeitschrift (Numismatitscheskij Sbornik) heraus und unterhält eine Web-Site: www.mosnumismat.ru
In mehreren Städten Rußlands haben sich Numismatiker zu lokalen Vereinigungen zusammengefunden, eine nationale, gesamtrussische Gesellschaft gibt es jedoch nicht.

Währenddessen konnte die „offizielle“ numismatische Wissenschaft der UdSSR beachtliche Ergebnisse erzielen. Den Mitarbeitern der Staatsmuseen und wissenschaftlichen Institute wie A. W. Oreschnikow, A. K. Markow, A. A. Iljin (1858-1942) und R. R. Fasmer verdanken wir bedeutende Werke zur Münzklassifikation. I. G. Spassky (1904-1990) arbeitete eine neue Methode zur Datierung von Münzen durch Stempelanalyse aus.
Ihre Schüler und Nachfolger – unter ihnen N. D. Metz, W. L. Janin, W. M. Potin (1918-2005), V. V. Uzdenikow (1919-2008), A. S. Melnikowa (1929-2005) und P. G. Gajdukow – vertreten die numismatische Schule Rußlands in unserer Zeit.

Münzensammlen im heutigen Rußland
Der Münzenmarkt im heutigen Rußlands ist leider noch jung und unbedeutend. Um das zu verstehen, muß man einige Besonderheiten des Landes kennen. Die wichtigsten liegen in der Gesetzgebung: Einerseits gibt es in Rußland keine Gesetze für Münzen und Numismatik. Andererseits fällt der Umlauf von Edelmetallen auch im demokratischen Rußland noch unter die Kontrolle des Staates. Das Gesetz rechnet zu den Edelmetallen auch Münzen aller Art, in denen Edelmetalle enthalten sind, ohne Unterschied zwischen antiken und modernen Münzen, gültigen oder früheren Währungen. Deshalb unterliegen Münzen denselben Beschränkungen, die allgemein für Edelmetalle gelten. Beispielsweise ist die Ausfuhr von Münzen, die offizielles Zahlungsmittel sind, nur der Zentralbank und den Kreditinstituten erlaubt. Die Kontrolle der zu exportierenden Münzen ist dabei an der Grenze mit derartigen bürokratischen Formalitäten durch Zollamt und Probeamt (!) verbunden, so daß nur die Zentralbank genügend Einfluß besitzt, Münzen ins Ausland zu exportieren. Keine der anderen Banken hat bisher einen Versuch gewagt – mit Ausnahme der Sberbank (Sparbank), die ein paar Mal moderne russische Münzen an ihre Filialen in Kasachstan geliefert hat.
Die Einfuhr ausländischer Münzen nach Russland ist ebenfalls mit Schwierigkeiten verbunden, weshalb sich nur einige große Banken mit dem Import von Münzen beschäftigen.

Ein besonderes Thema ist das Steuersystem. Das Steuergesetzbuch unterscheidet zwischen „sammelbaren” und „nicht sammelbaren” Münzen. Zu letzteren gehören Münzen, die keine Spiegeloberfläche (wie bei PP) haben und gleichzeitig den Status eines Zahlungsmittels besitzen. Diese brauchen nicht versteuert zu werden – praktisch geht es um Anlagemünzen. Alle andere – in PP oder nicht gültige Zahlungsmittel jeder Art (ob PP oder nicht) – gehören zu den „sammelbaren” Münzen und sind mit 18% Mehrwertsteuer belegt (früher waren es 20%). Damit werden die Münzen mit jedem Verkauf immer teurer, die Mehrwertsteuer hat sozusagen einen multiplizierenden Effekt.

Ein anderes Gesetz (zum Schutz des Kulturerbes Rußlands) verlangt, daß jeder Kunstgegenstand (zu denen auch die Münzen gehören), der älter als 50 Jahre ist, nur mit Genehmigung des Kultusministeriums ausgeführt werden darf. 
Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat die russische Zentralbank Anfang der 90er Jahre begonnen, einen immer größeren Teil der Gedenkmünzen in Rußland selbst zu verkaufen – früher wurden ganze Münzemissionen in Silber, Gold, Platin und Palladium nur ins Ausland ausgeführt. Der Verkauf moderner Münzen erfolgt in Rußland durch Banken, die die Münzen, die sie von der Zentralbank erhalten haben, am Schalter an ihre Kunden verkaufen. Zurzeit beträgt das Verhältnis beim Verkauf von Gedenkmünzen zwischen dem russischen und dem internationalen Markt 85-90% zu 15-10%.
So gelangen neue Gedenkmünzen offen von der Zentralbank (zum Abgabepreis + 18% MWSt) an das Kreditinstitut und von dort (zum Verkaufspreis + 18% MWSt) weiter an den Kunden, bis sie in einer Sammlung oder auf dem Schwarzmarkt verschwinden, wo sie ohne MWSt gehandelt werden. Wegen der Steuer gibt es keinen offiziellen Wiederverkaufsmarkt für Gedenkmünzen. Eine Ausnahme bilden nur Anlagemünzen, die von manchen Banken angekauft werden. Einige Münzgeschäfte und numismatische Abteilungen vieler Buchhandlungen nehmen Münzen und Medaillen jeder Art – einschließlich alter und sogar antiker Münzen – nur in Kommission.

Hierzu gehören auch die Auktionshäuser, deren Geschäfte ebenfalls auf Kommissionsbasis abgewickelt werden. In Moskau haben wir einige bekannte große Auktionshäuser wie „Moneti i medali“ (Münzen und Medaillen, www.numizmat.ru), „Gelos“ (www.gelos.ru) und „Ekaterina”. Daneben gibt es auch andere, die für Numismatiker interessant sind, wie die Internetauktion www.auction.spb.ru, das Auktionhaus „Alexander” (www.adacoins.ru), „Russische Münzen“ (www.rucoins.ru) und eine große Anzahl von Internetgeschäften. Hier wurden beispielsweise im Mai eine 5-Rubel-Goldmünze von 1762 (für 86.000 USD), 1 Rubel von 1730 (für 15 Mio. Rubel – etwa eine halbe Million USD) und eine Brosche von Katharina II. (für 1,5 Mio. USD) versteigert.

In Russland gibt es keine Münzbörsen oder -messen, ihre Durchführung wäre bei der heutigen Gesetzeslage einfach unmöglich.

Die Anzahl der Münzsammler ist schwer zu bestimmen, weil es keine Registrierung und keine Statistik gibt. Nur auf dem Gebiet der modernen Münzen kann man sich nach den Auflagen der Gedenkmünzen eine Vorstellung machen: Die Gesamtauflage der populärsten Silbermünzen (1/2 Unze und 1 Unze) beträgt ca. 200.000 Stück. Pro Jahr werden bis zu 30 Typen ausgegeben, die Auflagen der einzelnen Typen schwanken zwischen 3.000 und 10.000 bis 12.500 Stück.

Neben den Gedenkmünzen der russischen Zentralbank bieten einige große Kreditinstitute wie Sberbank (Sparbank) und VTB Bank seit 2002 ihren Kunden moderne ausländische Münzen an – überwiegend Silbermünzen. Im vorigen Jahr führte die Sberbank über 700.000 ausländische Münzen ein.

Es gibt in Rußland eine Reihe numismatischer Zeitschriften, darunter „Numismat“ in Moskau und „Wodjanoj snak“ (Watermark) in Sankt Petersburg (info@watermark.ru), dazu Sammelbände des Historischen Instituts und der Hermitage, eine Menge Internetportale und auch kleinere lokale Ausgaben in Großstädten.