Meyer Amschel Rothschild, Hof-Faktor und Münzhändler
Am 23. Februar 1744 – gelegentlich findet man 1743 – wurde im Frankfurter Judenghetto dem Amschel Moses und der Schönche Rothschild der kleine Meyer Amschel als erster Sohn und drittes von fünf Kindern geboren.
Judengasse, ehemals das jüdische Ghetto, in Frankfurt am Main um 1868. Foto: Th. Creifeld.
Wie sein Vater und sein Großvater vor ihm erlernte der Bub die Tätigkeit eines Kleinwarenhändlers und Geldwechslers, damals typische Tätigkeiten für Juden, denen viele andere Berufe verschlossen blieben. Doch bereits 1755 starb der Vater, ein Jahr später die Mutter, so dass die fünf kleinen Rothschilds auf die Hilfe von Verwandten und Freunden angewiesen waren.
Meyer Amschel hatte Glück. Er wurde als Lehrling im bedeutenden Bankhaus Oppenheimer in Hannover ausgebildet. Dort lernte er alle Geschäfte, die ein „Hof-Faktor“ betrieb. Hof-Faktoren waren die unersetzlichen Helfer der barocken Fürstenhöfe. Es waren unabhängige Kaufleute, verantwortlich für die Beschaffung von Waren, besonders von Luxusartikeln aller Art. In ihren Händen lag dabei zum großen Teil auch der Kunsthandel, denn den Hof mit Bildern berühmter Maler zu schmücken und eine eindrucksvolle Münzsammlung aufzubauen, gehörte damals für jeden Fürsten, der auf sich hielt, zum guten Ton. Eigentlich ein gutes Geschäft, aber mit hohem Risiko. Denn die Funktion eines Kreditgebers und Agenten zur Beschaffung von Geldmitteln war mit der eines Hof-Faktors verbunden. Das staatliche Steuerwesen lag in den Anfängen, die Staatskasse war häufig leer. Da musste ein Lieferant von Luxuswaren gelegentlich einen langen Atem haben, bis das vorgestreckte Geld wieder hereinkam. Dafür machte sich das Prädikat „Hof-Faktor“ gut, um bürgerliche Kunden zu beeindrucken; kein Wunder, dass Meyer Amschel Rothschild später in seinen Münz-Verkaufslisten als „Hoch-Fürstl. Hessen-Hanauischer Hof-Factor, wohnhaft in Frankfurt am Main“ figurierte.
Einer der Kunden Mayer Amschel Rothschilds war Wilhelm, Erbprinz von Hessen-Kassel. Gemälde von Carl Gustaf Pilo.
In Hannover machte Meyer Amschel Rothschild die Bekanntschaft von Emmerich Otto August von Estorff (1722-1796). Dieser bedeutende Militär war in seiner Freizeit ein sachkundiger Münzsammler, der viel von seinem Wissen an den jungen Meyer Amschel weitergab. Der Lehrling versorgte seinerseits den Sammler mit einer Reihe von seltenen Münzen. Er dürfte bald erkannt haben, dass es keinen besseren Schlüssel zum Herzen eines einflussreichen Münzsammlers gibt, als ihm neue Stücke zu verschaffen.
Über General Estorff lernte Meyer Amschel den damaligen Erbprinzen von Hessen-Kassel, den späteren Wilhelm I., kennen. Auch der kaufte bald regelmäßig bei dem eifrigen Münzhändler. Eine erste Rechnung in Höhe von 38 Gulden, 30 Kronen stammt aus dem Juni 1765.
Als frischgebackener Hof-Faktor konnte Meyer Amschel Rothschild seine Nachbarin Gutle Schnapper heiraten. Porträt von Moritz Daniel Oppenheim von 1836.
Zu diesem Zeitpunkt dürfte Meyer Amschel Rothschild sich schon mit seiner Münz- und Wechselstube in Frankfurt selbstständig gemacht haben. Er war überaus erfolgreich. Bereits fünf Jahre später ernannte Wilhelm von Hessen-Hanau den erst 25-Jährigen zum Hof-Faktor. Das verschaffte dem jungen Geschäftsmann nicht nur Renommee, sondern auch eine Frau. Er heiratete die wenige Häuser weiter wohnende Gutle Schnapper, die ihm 2.400 Gulden Mitgift in die Ehe brachte und ihm fünf Jungen und fünf Mädchen schenken sollte.
Salomon Mayer Freiherr von Rothschild gründete den österreichischen Zweig des Rothschild’schen Bankimperiums. Lithographie von Josef Kriehuber 1839.
Die fünf Söhne Meyer Amschels übernahmen später die fünf Bankhäuser der Rothschilds in Frankfurt, London, Wien, Neapel und Paris.
Das Haus zum grünen Schild, Stammhaus der Rothschilds seit 1784 oder 1786.
Die Geschäfte liefen gut in jenen frühen Jahren. Auch wenn ein Hof-Faktor theoretisch in vielen Geschäftssparten tätig sein konnte, scheint Meyer Amschel sich auf den Münz-, Medaillen und Antikenhandel spezialisiert zu haben. Ein Handlungsadreßbuch der Stadt Frankfurt von 1778 führt ihn als Verkäufer von „Antiquen, Medaillen und Schaustücken“ auf. Es dürfte damals noch nicht viele überregional agierende Münzhändler gegeben haben. In Frankfurt war Rothschild jedenfalls der einzige, von dem wir wissen. Seine Kunden lebten zum Teil weit entfernt, so dass Meyer Amschel häufig unterwegs war, um sie zu besuchen und Münzsammlungen aufzukaufen.
Dazu gab er jedes Jahr einen kleinen Verkaufskatalog im Oktavformat heraus, von denen uns einige Beispiele erhalten sind. Sie enthalten Münzen, die nicht nach ihrem Edelmetallgehalt, sondern nach ihrem historischen Wert taxiert wurden. Zur Bestimmung diente dabei vor allem das Talerkabinett des David Samuel Madai.
Münzkatalog 1783, letzte Seite.
Das Geschäft wurde dabei immer umfangreicher: Enthielten die älteren sechs der uns erhaltenen Kataloge aus den 70er Jahren fast nur Taler zu einem Gesamtwert zwischen 1.666 und 2.917 Gulden, fand man in den vier überlieferten Katalogen aus den 80er Jahren griechische und römische Münzen in Silber und Gold, sowie „antique, und heydnische“ Münzen. Auch das Gesamtvolumen war gestiegen. Ware im Wert von 2.579 bis 5.074 Gulden wurde nun den Kunden angeboten. Das Angebot dürfte auch andere – wohl hauptsächlich antike – Kunstgegenstände umfasst haben, so liest man in einem Katalog von 1783 oder 84: „Auch sind bei mir zu haben eine Anzahl Antique geschnittene Figuren und Steine, schöne geschnittene Bildgen zum Theil mit Diamanten besetzt; sollten solche von einem Liebhaber zum Ansehen begehrt werden, so wird man selbige einsenden, und den billigsten Preis bestimmen.“
Das Lager muss sehr groß gewesen sein, denn es kam erst sehr viel später auf, dass der Diener Meyer Amschels, Hersch Liebmann, seinen Herrn über Jahre hinweg bestohlen hatte. Über 200 goldene und silberne Münzen werden in der Anzeige von 1796 erwähnt, ihr Wert auf rund 2.000 Gulden geschätzt. Kein Wunder, dass der Diener vom Anblick des vielen Geldes verführt worden war: Sein jährlicher Verdienst betrug jährlich lediglich 30 Gulden!
Titelseite des Münzkatalogs Meyer Amschel Rothschilds wohl um 1785.
Wie der Münzhandel Rothschilds praktisch funktionierte, darüber informieren uns Zeugnisse einer Transaktion des Jahres 1789 genau. Damals kaufte Kurfürst Karl Theodor eine Partie Münzen. Die Stücke wurden dafür erst zur Ansicht geschickt. Dann handelte der Käufer den Preis für die Objekte herunter, die er behalten wollte. Der Rest wurde dem Münzhändler wieder zurückgeschickt. Ein veritabler Versandhandel also, der nicht nur Fürsten zur Verfügung stand, sondern auch bürgerlichen Münzsammlern, solange sie über die notwendigen Mittel verfügten. Leider haben sich hier die Quellen nicht erhalten, da die wenigsten Privatsammler ein lückenloses Archiv über ihre Ankäufe führten.
Es dürfte wohl auch erste Auktionen gegeben haben, die vermutlich während der Frankfurter Messen abgehalten wurden, die eine große Kundschaft in die Stadt lockte.
Grabstein des Mayer Amschel Rothschild auf dem jüdischen Friedhof von Frankfurt am Main. Foto: Genealogist / CC BY-SA 3.0.
Auf jeden Fall knüpfte der engagierte Münzhändler hervorragende Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten. Er schuf sich in diesen Jahren einen Ruf als verlässlicher Partner für Fürstenhöfe. Das Verbindungsnetz, das der Münzhändler Meyer Amschel Rothschild aufgebaut hatte, sollte zur Basis werden für den Aufstieg der Rothschild-Dynastie zu einem der bedeutendsten Finanzhäuser Europas im 19. Jahrhundert, aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.