MenschenGesichter Teil 44: Die Flucht nach Varennes
mit freundlicher Genehmigung des MoneyMuseum, Zürich
Warum galt der Kopf jahrhunderte-, nein, jahrtausendelang als das Motiv einer Münzseite schlechthin? Und warum hat sich dies in den letzten 200 Jahren geändert? Das fragt Ursula Kampmann in ihrem Buch „MenschenGesichter“, dem die Texte unserer Serie entnommen sind.
Ludwig XVI., König von Frankreich (1774-1792). 30 Sols (1/4 Ecu constitutionnel) 1791. Kopf Ludwigs n. l. Rs. Geflügelter Genius n. r. stehend, einen Schild mit dem Wort „Constitution“ (Verfassung) beschreibend, darunter Inschrift „L’AN 3 DE LA LIBERTÉ“ (Jahr 3 der Freiheit). © MoneyMuseum, Zürich.
Es ist eine dunkle Nacht, jene Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1791, in der sich vereinzelte Gestalten aus den Tuilerien schleichen. Ludwig XVI., König von Frankreich, hat beschlossen, Frankreich zu verlassen und sich zu seinen Verwandten ins Ausland zu begeben. Dies muss heimlich geschehen. Aber auch wenn keine Soldaten ihn bewachen, ganz Paris schaut auf ihn.
Doch es gelingt: Niemand hält die Flüchtenden auf. Eine Kutsche steht bereit, um die königliche Familie aus Paris zu retten. Das erste Stück des Weges kutschiert ein treuer Verehrer Marie-Antoinettes. Danach nimmt man die offizielle Post. Die Kinderfrau gibt sich als Baronin Korff aus, der König als ihr Kammerdiener. In Clermont will man auf treue Regimenter treffen, die Ludwig auf seiner Weiterreise geleiten werden. Zumindest ist es so geplant. Aber das Unternehmen ist von Anfang an vom Pech verfolgt. Der Zeitplan kann nicht eingehalten werden. Zweimal stürzen die Pferde, zweimal reißt das Zaumzeug und muss mühsam geflickt werden. Und in Clermont stehen und warten inzwischen die treuen Soldaten. Sie sitzen mitten auf dem Marktplatz auf ihren Pferden, einsatzbereit, und um sie rotten sich die Bauern zusammen. Was wollen diese schweigenden Kämpfer? Wurden sie geschickt, um die Revolution zu vernichten? Die Stimmung wird explosiv. Die ersten Bauern greifen zu den Waffen, da gibt der Offizier den Befehl zum Abzug. Den König würde man eben später treffen.
So erfährt Ludwig in Clermont, dass er – schnell, schnell – weiter müsse nach Varennes. Dort stellt der Kutscher lapidar fest, seine Pferde seien müde, man müsse Rast machen. Ein Postmeister kommt heran. Als der einen Blick in die Kutsche tut, traut er seinen Augen nicht: Der Mann da in der Kutsche, er sieht genau so aus wie der König, der auf seinem Geldschein dargestellt ist. Im ganzen Dorf läuft der Postmeister herum, um es zu erzählen: „In der Kutsche da, dort sitzt der König, der König von Frankreich auf der Flucht!“
Hinrichtung Ludwig des XVI. Kupferstich, 1793. Quelle: Wikicommons.
Der Rest des Dramas ist schnell erzählt. Die Bürger von Varennes hielten den flüchtenden Monarchen so lange fest, bis Vertreter der Nationalversammlung eintrafen, die den König wieder nach Paris schafften. Die Flucht aber zerstörte das Vertrauen in die Monarchie völlig. Mehr als 6000 Bürger von Paris unterschrieben eine Petition, die verlangte, dass man den König des Verrats anklagen solle. Dies geschah ja dann auch: Der König von Frankreich wurde abgesetzt, als Ludwig Capet vor Gericht gestellt und am 21. Januar 1793 hingerichtet.
In der nächsten Folge lernen Sie, wie es mit Frankreich nach der Exekution des Königs weitergeht.
Alle Teile der Reihe finden Sie hier.
Das Buch „MenschenGesichter“ gibt es in gedruckter Form und als ebook auf der Seite des Conzett Verlages.