Leo Mildenberg
Ein Leben für die Münzen – Ein Leben für die Sammler – Ein Leben für die Wissenschaft
Bahnhofsstraße 1949. Ein Mann geht spazieren. Vor einem Schaufenster der Bank Leu bleibt er stehen. Münzen liegen darin, antike Münzen, um genau zu sein. Eine davon ist falsch bestimmt. Der Mann geht hinein, macht den Verantwortlichen auf den Irrtum aufmerksam und wird sofort als Numismatiker der Goldabteilung der Bank Leu angestellt. So begann die erfolgreiche Karriere Leo Mildenbergs, des wohl bekanntesten Münzhändlers der Welt.
Leo Mildenberg wurde am 14. Februar 1913 in Kassel / Deutschland geboren. Er wuchs in Süddeutschland auf. Er war Jude und stolz auf die jüdische Vergangenheit. Es muß ihn hart getroffen haben, als der aufkommende Nationalsozialismus ihn zwang, seine Studien der Alten Geschichte und der Semitischen Sprachen in Deutschland aufzugeben und nach Estland zu fliehen. Dort, an der Universität Dorpat, fand er eine neue Heimat. Leo Mildenberg promovierte und lehrte in Estland, so lange bis sowjetische Truppen das Land besetzten. Nun zählte er nicht mehr als Jude, er wurde zum Deutschen, den die Sowjets zusammen mit all den anderen Deutschen nach Kasachstan in ein Konzentrationslager deportierten.
Das Leben dort war hart – doch Leo Mildenberg gehörte zu denen, die das Grauen überlebten, vielleicht auch dank der Liebe zu Elsi Brunner, die er noch in Kasachstan heiratete. Mit seiner Frau kam er nach dem Krieg in ihre Heimat, Zürich. Dort wurden durch einen Zufall seine Fähigkeiten als Numismatiker für den Handel entdeckt, und die einmalige Karriere des Münzhändlers Leo Mildenberg begann.
Die Schweiz hatte während des Zweiten Weltkrieges Frankfurt als Hauptstadt des Münzhandels ersetzt. – Der Verkauf von antiken Münzen war traditionell in jüdischer Hand gewesen und die jüdischen Münzdynastien hatten angesichts der Übergriffe von Seiten der Nationalsozialisten ihre Filialen nach Basel und Luzern verlegt. Auch die Bank Leu sah sich damit konfrontiert, daß viele, oft jüdische Sammler ihre wertvollen Münzen verkaufen wollten, um sich damit das Kapital für einen Neuanfang in einer neuen Heimat zu sichern. Ein Handel im geringen Umfang hatte sich entwickelt. Leo Mildenberg machte daraus nach dem Krieg ein einträgliches Geschäft, das den Namen der Bank Leu noch in die fernsten Sammlerwelten trug. Leo war stolz darauf, der erste jüdische Bankdirektor Zürichs zu sein. Er pflegte auf die Tatsache hinzuweisen, daß Leo das gleiche wie Leu bedeute – nämlich Löwe.
Die ersten Auktionen der numismatischen Abteilung der Bank Leu hielt Leo Mildenberg zusammen mit der Firma Hess in Luzern ab. Seit 1971 gab die Bank Leu ihre eigenen Auktionskataloge heraus. Sie zu schreiben, bedeutete für Leo Mildenberg eine ganz besondere Verpflichtung. Er glaubte daran, daß keiner Sammlung Ewigkeit beschieden sei. Sie alle müßten ständig zusammengetragen und wieder verstreut werden. Doch jede Sammlung beinhalte ihre ganz besondere Botschaft an die Wissenschaft. Leo Mildenberg hielt es für seine Aufgabe als wissenschaftlicher Münzhändler, diese Botschaft durch einen untadeligen Katalog für alle späteren Generationen von Wissenschaftlern festzuhalten.
Unendlich viele bedeutende Münzsammlungen wurden unter seiner Ägide versteigert. Dabei bot Leo seinen Kunden nicht nur das an, was zu seiner Zeit als spektakulär galt. Mit dem Auktionskatalog Bank Leu Nr. 6 von 1973 zum Beispiel entdeckten die Sammler von griechischen Münzen die Schönheit der Bronzemünzen, die bis dahin in den landläufigen Katalogen noch nicht einmal abgebildet worden waren. Oder die berühmte Auktion 17, Silbermünzen der römischen Republik. Noch heute ist dieser Auktionskatalog gesucht, lassen sich Sammler inspirieren von der Schönheit der darin angebotenen Stücke.
Der Höhepunkt allerdings wird immer die Auktion Kunstfreund bleiben, die Leo Mildenberg zusammen mit der ihm befreundeten Konkurrenzfirma Münzen und Medaillen AG, Basel abhielt. Der aus diesem Anlaß publizierte Katalog stellte für die damalige Zeit ein absolutes Novum dar. Münzfoto und Text wurden darin wie in einer Art Bildband auf einer Doppelseite präsentiert – heute eine Selbstverständlichkeit, damals ein ungewohnter Luxus. Jedes Stück erhielt einen ausführlichen Kommentar. Das Resultat: die Münzen der Sammlung Kunstfreund erzielten Rekordpreise, die knappe 30 Jahre lang kaum übertroffen wurden. Und das Prädikat „aus Kunstfreund“ zeichnet noch heute die schönsten Münzen aus, die ein Sammler besitzen kann.
Leo Mildenberg wurde zum Förderer von ganzen Generationen von Münzsammlern, Münzhändlern und Wissenschaftlern. Er hatte die unvergleichliche Fähigkeit, nicht sein eigenes Wissen in den Vordergrund zu stellen, sondern seinem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, daß er, der andere, schon sehr viel wisse und daß das Wissen nur noch in kleinsten Lücken der Ergänzung bedürfe.
Viele Sammler wissen Geschichten über ihn zu erzählen, davon wie er junge, unscheinbare Kunden vertrauensvoll einlud, sich allein sein Lager anzusehen, und wie er aufgeputzte Angeber aus seinem Geschäft scheuchte, ohne auf ihre wohl gefüllte Brieftasche zu schielen.
Leo Mildenberg war der spiritus rector, der Ratgeber hinter unzähligen bedeutenden Sammlern, die auf seinen Rat vertrauten und von seinem Geschmack geprägt wurden.
Auch das MoneyMuseum zählt sich zu denjenigen, deren Sammlung wesentlich von Leo Mildenberg beeinflußt wurde. Er war der Mentor von Jürg Conzett, der Betreuer seiner Münzsammlung, derjenige, der eigentlich erst den roten Faden spann, an dem sich die Sammlung des MoneyMuseums entwickeln sollte. Von ihm stammt der Vorschlag, nicht epochenspezifisch zu sammeln, sondern alle großen Leitwährungen aus zwei Jahrtausenden Münzgeschichte zusammenzutragen.
Ein Stück aus Leo Mildenbergs Traumsammlung.
Eine Spur seines Wirkens zieht sich immer noch durchs Internet. Leo vertraute die Dokumentation seiner „Traumsammlung“ dem MoneyMuseum an. In mehr als 50 Jahren hatte er Fotos von den schönsten griechischen Münzen, denen er während seiner Karriere begegnete, zusammengetragen. Diese Sammlung, so sagte er einst bei einem Vortrag, würde er sich selbst anlegen, wenn er denn das Geld dazu hätte. Er hatte es nicht; und so freute sich Leo stattdessen an den Abbildungen und schulte sein Auge, denn nicht immer ist es einfach, die künstlerische Leistung eines Stempelschneiders zu erkennen, ohne von Material, Preis und Größe einer Münze abgelenkt zu werden. Die Münzen seiner Traumsammlung „sprachen“ zu ihm, manche „sangen“ in seinen Augen. Leo Mildenberg entwickelte eine persönliche Beziehung zu den schönsten Objekten, die er seinen Kunden und seinen Zuhörern durch die lebendige Art seiner Vorträge vermitteln konnte.
Die schönste Darstellung des Göttervaters Zeus, zum Beispiel, entdeckte Leo Mildenberg nicht in einem Auktionskatalog, sondern im belgischen Münzkabinett. Von dem auf der Rückseite dargestellten Zeus schwärmte er folgendermaßen:
„Ich weiß, daß dies ein Meisterwerk der griechischen Münzkunst ist. Und zwar in den bemerkenswerten Details: der Knotenstock als Szepter, die Pinie und der Adler, das Attribut von Zeus, der ausgeschmückte Blitz in der linken Hand des Gottes, das durchsichtige lange Hemd, von einer Schulter hinunterfallend, die Durcharbeitung des nackten Teils des Oberkörpers. Aber die eigentliche Bedeutung liegt für mein Empfinden in der Durcharbeitung des Kopfes, im Ausdruck des Gesichtes: es ist dem Meister geglückt, nicht ein realistisches Bild irgendeines Mannes mit Bart darzustellen, sondern es ist wahrlich der Göttervater Zeus. Es kommt einem vor, als ob er träume.“
Leo Mildenberg beschränkte sich nicht auf den Handel, er blieb ein ausgezeichneter Wissenschaftler, dem die numismatische Welt eine ganze Reihe von wichtigen Büchern verdankt. Gleich, ob er deutsch oder englisch schrieb, seine klare und leicht verständliche Sprache zeichnet seine Arbeiten aus.
Leos besonderes Interesse galt der jüdischen Vergangenheit. Sein Buch über die Münzprägung des Bar Kokhba Krieges wird nicht nur von Numismatikern benutzt – es ist derzeit immer noch die beste historische Darstellung dieser komplizierten Periode der jüdischen Geschichte.
Leo Mildenberg beherrschte die griechische Numismatik, seine Forschungen aber galten den vernachlässigten Randgebieten, mit denen sich zur seiner Zeit kaum jemand beschäftigen mochte. Seine tiefschürfenden Kenntnisse brachten ein neues Verständnis und mehr Gerechtigkeit für die vergessene Überlieferung dieser untergegangenen Kulturen. Sie waren die Verlierer im Kampf mit den Griechen und Römern und konnten so der Nachwelt ihre eigene Version der Geschichte nicht hinterlassen. Leo Mildenberg gab ihnen ein Stück dieser Vergangenheit zurück.
Nicht komplett wäre das Bild von Leo Mildenberg, wollte man seine bedeutende Sammlung von Tierdarstellungen der Antike vergessen. Leo verstand die Münzsammler, weil er selbst ein begeisterter Sammler war. Die Objekte seiner Kollektion, die in Museen auf der ganzen Welt ausgestellt wurden, zeugen von seinem herausragenden Geschmack. Panther und Pferd, Hase und Schlange, Nilpferd und Schildkröte – Leo hatte keine Vorlieben, alle Tiere durften in seine Arche, solange sie nur friedlich waren und weder Zügel noch Zaum, weder Band noch Fessel trugen. Vielleicht spiegelt sich ein Stück der eigenen Lebenserfahrung in diesem Kriterium – eine Hoffnung, daß die Menschen einst wie diese friedlichen Kreaturen seiner Sammlung neben- und miteinander existieren würden können, ohne Haß, ohne Neid, ohne Gewalt, ohne Krieg.
Leo Mildenberg starb am 14. Januar 2001. Die numismatische Welt verdankt ihm unendlich viel.
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