Freiheit für Algerien – Das Schicksal des Abd el-Kader
mit freundlicher Genehmigung von Gorny & Mosch
Wer Schloss Amboise an der Loire besucht, staunt über einen moslemischen Friedhof mitten in den Gärten des prächtigen Renaissancegebäudes. Wer waren diese Männer, die im intoleranten Frankreich des 19. Jahrhunderts ihren islamischen Glauben so unbehindert praktizieren durften und sogar noch solch ehrenvolles Begräbnis fanden?
Für den Anfang der Geschichte müssen wir ins Jahr 1830 zurückgehen, als Frankreich versuchte, sich in Nordafrika ein Kolonialreich aufzubauen. Damals „befreiten“ französische Truppen Algerien von der osmanischen Herrschaft, um das Land unter die eigene Kontrolle zu bringen.
Muslimische Grabstätten in einem französischen Schlossgarten: Im Schatten des Renaissanceschlosses Amboise liegt nicht nur Leonardo da Vinci begraben, sondern auch einige Algerier, die im Jahr 1848 im Gefolge des Abd el-Kader nach Frankreich kamen.
An den hehren Gründen für das französische Engagement wagten schon 1830 viele Einheimische zu zweifeln, darunter ein 1807 oder 1808 geborener Marabut und Haddschi, der seinen Stammbaum bis zu den fatimidischen Kalifen zurückführen konnte. Sein Name war Abd el-Kader, und ihm gelang es, die Berberstämme Westalgeriens im Kampf gegen Frankreich zu einen. An ihrer Spitze führte er von 1832 bis 1847 einen offenen Kampf gegen die Franzosen.
Bronzeplakette 1930 von G. Beguet auf das Jubiläum 100 Jahre Unabhängigkeit Algeriens vom Osmanischen Reich. Av: Verbrüderung algerischer und französischer Frauen und Kinder. Aus Sammlung Dogan, Auktion Gorny & Mosch 172 (2008), 6499.
Einen ersten Sieg errang er 1834, als der französischer General Desmichels in einem Friedensvertrag seine Herrschaft ausdrücklich anerkannte. Die Bestätigung als Emir von Algerien folgte 1837 im Vertrag von Tafna. Nicht dass damit der Krieg beendet gewesen wäre. Bereits 1839 flammte er wieder auf. In Frankreich feierten die Zeitungen den Heldenmut der französischen Soldaten, die den ihnen in der Bewaffnung weit unterlegenen Berbern heldenmutig Widerstand leisteten.
Medaille 1840 von Montagny auf die Verteidigung der Festung von Mazagran, bei der 123 französische Soldaten aus dem Berry gegen „12.000“ Araber kämpften und sie nach vier Tagen Kampf in die Flucht schlugen. Aus Sammlung Dogan, Auktion Gorny & Mosch 172 (2008), 6511.
Berühmt wurde die Belagerung von Mazagran, bei der 123 Soldaten aus dem Berry „12.000“ Arabern Widerstand geleistet hatten. Die Franzosen verfügten immerhin über eine gemauerte Festung und Kanonen, die die Berber mit Säbel und Gewehr angriffen. Kein Wunder, dass letztere nach vier Tagen die Lust verloren und abzogen. Die französischen Patrioten sahen das natürlich mit anderen Augen. Sie feierten die Helden von Mazagran und zeigten ihre Verehrung, indem sie eine Mischung von Kaffee und Eau de Vie, mit der sich ihre 123 Landsmänner, Mut angetrunken hatten, aus einer Mazagran genannten, speziell für diesen Zweck von der Manufaktur in Bourges vertriebenen Tasse schlürften.
Wie auch immer, 1844 musste sich el-Kader nach Marokko zurückziehen. Von dort führte er seinen Guerillakampf fort. Erst als seine Verbündeten von den Franzosen besiegt waren, stellte auch er den Kampf ein. Am 22. Dezember 1847 ergab sich Abd el-Kader zusammen mit seinen drei Frauen und seinem Gefolge. Man brachte ihn und weitere 97 Algerier nach Frankreich, erst nach Toulon, dann Ende April 1848 ins Schloss von Pau und von dort nach Amboise. El-Kader gefiel das grüne Frankreich – und er verstand die Franzosen nicht, die dieses fruchtbare Land verließen, um die Wüste zu erobern: „Ich sehe diese grünen Ebenen, diese Obstgärten, diese Wälder, diese Bäche und diese Flüsse; was für ein Überfluss! Welche Notwendigkeit gibt es für die Franzosen, mein Land des Sandes und der Felsen zu erobern?“
Medaille 1845 auf Abd el-Kader. Aus Sammlung Dogan, Auktion Gorny & Mosch 172 (2008), 6521.
Vier Jahre lebte Abd el-Kader in ehrenvoller Haft auf dem Loireschloss. Denn inzwischen hatte die Regierung gewechselt – dem Bürgerkönig Louis Philippe war Napoleon III. gefolgt. Der bewunderte den würdigen Gefangenen, der sich so höflich in sein Schicksal fügte, und veranlasste seine Freilassung. Im Oktober 1852 beschwor el-Kader auf den Koran seine Unterwerfung „ohne Vorbehalt und Hintergedanken“.
Portrait des Abd el-Kader, gemalt von Ange Tissier 1852.
Er hatte es tatsächlich so gemeint. Der algerische Freiheitskämpfer siedelte sich in Damaskus an, wo er seine Pension in Höhe von 100.000 Francs dafür nutzte, ein religiös-philosophisches Werk abzufassen, das 1858 in Frankreich unter dem Titel „Rappel à l’intelligent, avis à l’indifférent“ (Mahnung an den Intelligenten, Warnung an den Unentschiedenen) erschien.
Der vom kriegerischen zum geistigen Führer Gewordene nutzte im Sommer des Jahres 1860 seine Autorität, um während einer Christenverfolgung Frieden zu stiften. Ganz Europa bewunderte den ehemaligen Feind dafür. Napoleon III. zeichnete ihn mit dem Großkreuz der Ehrenlegion aus. Man behandelte ihn als ebenbürtig. Der Moslem saß an der Seite von Kaiserin Eugénie, als im Jahr 1869 der Suezkanal feierlich eröffnet wurde.
Abd el-Kader starb hoch geehrt am 26. Mai 1883 in Damaskus.