Freigeld in Wörgl > > > mit Gewinnspiel

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Wer weiß heute noch, wo Wörgl liegt? Und doch war dieses Städtchen kurzzeitig ein Ort, auf den die ganze Welt sah. Hier fand in den Jahren 1932/3 eines der erfolgreichsten wirtschaftlichen Experimente statt, das heute noch zitiert wird, wenn es darum geht, über eine gerechtere Form von Geld nachzudenken.

Antwort auf die Krise der 30er Jahre: Schwundgeld
In den Jahren nach 1930 suchte die Welt eine neue Wirtschaftskrise heim. Es kam dabei nicht zu einer Inflation, im Gegenteil, geschockt durch die Hyperinflation der deutschen Nachkriegszeit versuchten sich die verschiedenen Staaten an einer radikalen Sparpolitik. Der Erfolg: Immer mehr Menschen hatten immer weniger Geld – sie konnten immer weniger Geld ausgeben, was zu einem Rückgang der Nachfrage führte, was Entlassungen mit sich brachte, die wiederum noch mehr Menschen ihres geregelten Einkommens beraubten. Es war ein Teufelskreis, aus dem die Politiker keinen Ausweg fanden.

Die Arbeitsbescheinigungen von Wörgl wurden in drei Werten ausgegeben: Zu einem, fünf und zehn Schillingen.

Dabei gab es eigentlich längst das nötige Rüstzeug für ein Umdenken. Der Wirtschaftstheoretiker Silvio Gesell hatte mit seinen Schriften über Freiland und Freigeld eine „Natürliche Wirtschaftsordnung“ gefordert. Nicht alle seine Ideen waren praktizierbar, aber vor allem das Schwundgeld fand viele Anhänger. Gesell forderte Geld, das sich lediglich als Tauschmittel verwenden läßt, zum Sparen aber ungeeignet ist. Er erfand dafür eine Währung, die auf der Bank keine Zinsen bringen sollte. Im Gegenteil, wer seinen Geldschein umlauffähig erhalten wollte, mußte jeden Monat eine Wertmarke zu einem festgelegten Prozentsatz der Gesamtsumme aufkleben. War man dazu nicht bereit, blieb die Möglichkeit, den Schein vor Monatsende auszugeben. Sinn dieser Idee war die Hoffnung, mit der Strafgebühr den Geldumlauf zu beschleunigen und so das Wirtschaftsvolumen zu vergrößern.
Die Theorie wurde bald in die Praxis umgesetzt: Deutsche Freigeldanhänger riefen 1929 in Erfurt die Wära-Tauschgesellschaft ins Leben. Ihr war ein gewisser Erfolg beschieden. Bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung gehörten ihr mehr als 1000 deutsche Unternehmen an. Ein spektakulärer Erfolg gelang, als der Bergwerksingenieur Max Hebecker mit einem Wära-Kredit ein stillgelegtes Bergwerk kaufte und wieder eröffnete. Ein ganzer Ort erhielt dadurch Arbeit und ein Einkommen, das zwar zum großen Teil auf der Wära basierte, auf lokaler Ebene aber hervorragend funktionierte. 1931 mußte Hebecker allerdings aufgeben und Konkurs anmelden: Der deutsche Finanzminister hatte aus Angst um das Banknotenprivileg der Nationalbank kategorisch die Herstellung, Ausgabe und Benutzung aller Notgeldformen verboten.

Das Freigeldexperiment von Wörgl
Das war der Stand, als der Bahnangestellte und Sozialdemokrat Michael Unterguggenberger 1931 Bürgermeister der Gemeinde Wörgl wurde. Er sah sich einer aussichtslosen Aufgabe gegenüber. Ein ständig steigender Teil der Bevölkerung war von der Arbeitslosigkeit betroffen. Die Zellulosefabrik hatte zugesperrt, die Zementindustrie drosselte ihre Produktion und auch die Österreichische Bahn entließ viele Arbeiter. Von den 4.200 Einwohnern Wörgls waren 400 arbeitslos. Die Hälfte davon erhielt bereits keine Arbeitslosenunterstützung mehr, so daß ihr Unterhalt auf Kosten der Gemeinde ging.

Bürgermeister Michael Unterguggenberger (1884-1936), Initiant und Seele des Wörgler Freigeldexperiments.

Die hohe Arbeitslosigkeit bedeutete einen drastischen Rückgang der Gemeindesteuern. Auch litten zahlreiche Kleinunternehmer unter der geschrumpften Kaufkraft der Wörgler und mußten die Gemeindesteuern schuldig bleiben. Gleichzeitig waren die Leitzinsen dramatisch gestiegen, so daß die Gemeinde mit ihrem ständig sinkenden Einkommen nicht einmal mehr die Zinsen für ihre Bankkredite zahlen konnte. Damit stand Wörgl kurz vor dem Konkurs, in den 30er Jahren gar nicht so ungewöhnlich. Doch was noch viel schlimmer war: Ohne Geld besaß Wörgl keine Möglichkeit, sich angemessen um die eigenen Arbeitslosen zu kümmern. Echte Not und die Niedergeschlagenheit, von der Gesellschaft ausgesteuert worden zu sein, verbreitete sich unter den stolzen Tirolern. Die wirtschaftliche Misere wurde durch die politische Pattsituation noch verschlimmert. Im Gemeinderat standen zwölf Anhängern der bürgerlichen Parteien genau zwölf Sozialdemokraten gegenüber, was das Regieren nun wirklich nicht leichter machte.
Unterguggenberger übernahm also eine schier unlösbare Aufgabe. Aber für Wörgl war dieser persönlich bescheidene Mann ein Glücksfall: Er hatte Ideen und den Mut, sie auszuprobieren, selbst wenn er dafür mit den politischen Gegnern zusammenarbeiten mußte.
Bereits vor seinem Amtsantritt hatte sich der frisch gebackene Bürgermeister mit der Idee des Schwundgelds vertraut gemacht. Und so war sein Plan schon ziemlich ausgearbeitet, als er an die Macht kam. Am schwierigsten erwies es sich, Parteifreunde und politische Gegner von der Idee zu überzeugen. Doch hier bediente sich Unterguggenberger eines alten Tricks: Er zog die Meinungsmacher ins Boot, um mit ihrer Hilfe den Rest der Bevölkerung zu überzeugen. Der Pfarrer, der Leiter der Heimatwehr, die Schulleiter der Gemeinde, einige Politiker, drei Kaufleute und – besonders wichtig – der Kaffeehausbesitzer erklärten sich bereit, allen, die es wissen wollten, die Einzelheiten des Projekts zu erklären. Und tatsächlich wurde am 5. Juli 1932 auf freiwilliger Basis der Wohlfahrtsausschuß ins Leben gerufen: Die Gemeinde initiierte eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, bei der die Beteiligten nicht in österreichischen Schillingen, sondern in Arbeitsbescheinigungen bezahlt wurden. Diese Arbeitsbescheinigungen konnten sie in einigen Läden gegen Ware tauschen – genau wie echte österreichische Schillinge. Bald zogen die anderen Geschäfte nach – schließlich wurde die neue Lokalwährung zu einem echten Wirtschaftsfaktor.

Wer an den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teilnahm, erhielt Arbeitsbescheinigungen.

Unterguggenberger erklärte, daß man diese Arbeitsbescheinigungen außerdem als Zahlungsmittel für die Gemeindesteuern akzeptieren würde. Um den Geldumlauf zu beschleunigen waren die Arbeitsbescheinigungen als Schwundgeld angelegt: Jeden Monat mußte eine Marke im Wert von einem Prozent der Summe aufgeklebt werden, um die Umlauffähigkeit des Scheines zu erhalten.

Der große Erfolg
12.600 der geplanten 32.000 Schillinge wurden in Arbeitsbescheinigungen in Umlauf gesetzt – übrigens gedeckt durch den gleichen Betrag in österreichischen Schillingen, der zur Sicherheit auf ein Bankkonto eingezahlt worden war. Und dann passierte das kleine Wunder: Während mit einem normalen Schilling im Jahr 8,55 Schillinge Umsatz erzielt wurden (die Gemeinde zahlt den Arbeiter mit einem Schilling, der Arbeiter kauft sich damit einen Kaffee, der Kaffeehausbesitzer begleicht mit dem gleichen Schilling seine Zuckerrechnung und so weiter und so fort), brachte die durch den Wertschwund stark beschleunigte Umlaufgeschwindigkeit der Arbeitsbescheinigungen es auf 73 Schillinge pro Jahr. Nur 1,3 Schillinge pro Gemeindemitglied waren in Wörgl als Freigeld im Umlauf, und doch, die Stimmung veränderte sich. Plötzlich hatten alle das Gefühl, daß man es zusammen schaffen könnte. Verbesserungen der Infrastruktur, wie eine Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes oder der Bau einer Brücke, machten es für alle deutlich, daß endlich etwas passierte! Die Akzeptanz des Projekts war enorm. Und auch im Ausland verbreitete sich die Nachricht über das „Geldwunder von Wörgl“, wie das Berliner „12 Uhr Blatt“ am 18. April 1933 titelte.

Sogar eine Brücke wurde mit Hilfe des Sozialprogramms von Bürgermeister Unterguggenberger errichtet.

In Leipzig und Berlin, Paris, Budapest, Prag und Riga, In London, Arad, Basel und Zürich erschienen Berichte über das Experiment. Im März 1933 publizierte sogar eine wichtige amerikanische Wirtschaftszeitung einen Artikel über Unterguggenberger. Aus ganz Europa reisten Journalisten an, um in Wörgl vor Ort mitzuerleben, wie Freigeld funktioniert – was dem Ort geradezu einen Tourismusboom bescherte.
Im Spätsommer 1933 stellte die Gemeinde fest, daß bereits ein Drittel der ausgegebenen Arbeitsbestätigungen in Sammlerhände verschwunden war, was auf der einen Seite dem Schwundgeldgedanken natürlich widersprach, dennoch nicht ungern gesehen wurde. Schließlich bedeutete ein in einer Sammlung verschwundener Schein einen Reingewinn für die Gemeindekasse.

Das staatliche „Aus“
Während die Bevölkerung in Wörgl von der Aktion Unterguggenbergers begeistert war, fand die österreichische Nationalbank die Art, wie man sie umgangen hatte, alles andere als „amusing“. Schon am 21. Juli 1932, also bevor die Aktion begann, unternahm die Nationalbank Schritte, die Ausgabe der „Geldscheine“ unterbinden zu lassen. Doch der Landeshauptmann von Tirol weigerte sich schlichtweg, die Anordnungen des Wiener Finanzministeriums auszuführen. Auf einen erneuten Befehl, diesmal direkt vom Bundeskanzleramt, reagierte Unterguggenberger nicht. Er ging durch alle gerichtlichen Instanzen, um seine erfolgreiche Notmaßnahme zu retten. Doch gegen den staatlichen Machtanspruch hatte er keine Chance. Kein Wunder, daß die Wörgler Nachrichten „Freie Bürger oder Knechte der Nationalbank?“ titelten.
Am 18. November 1933 wurden die Wörgler Arbeitsbescheinigungen vom Verwaltungsgerichtshof unter großer internationaler Anteilnahme verboten. Der Richter unterstrich dabei seinen Standpunkt, daß er nur die Rechtmäßigkeit der Aktion zu beurteilen gehabt hätte, nicht die Frage, ob es sich dabei um eine volkswirtschaftlich sinnvolle Maßnahme handle.
Unterguggenberger reagierte auf die staatliche Sabotage folgendermaßen: „Daß mir die Geschichte hier verboten werden würde, das hab ich vorausgesehen! Ich hab’s aber gemacht, weil ich der Welt ein Zeichen geben wollte, daß es möglich sei! Mir und der Welt hab ich es bewiesen! Jetzt muß diese Erkenntnis langsam in den Köpfen der Menschen reifen! Die Einführung der Eisenbahn hat man ja am Anfang auch erst verbieten wollen.“

Unterguggenbergers Erbe
Unterguggenbergers Erbe hat reiche Früchte getragen, auch wenn sich bei den meisten Tauschringen das Schwundgeld nicht durchgesetzt hat. Zurückgeblieben aber ist ein Traum, der Traum von einer gerechteren Welt und einem gerechteren Geld, das allen zur Verfügung steht und nicht von den wenigen monopolisiert werden kann.

Mehr zum Thema Freigeld unter
www.unterguggenberger.org

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