Ein Fest für den hl. Wenzel
Eine gesunde Währung auf Basis der österreichischen Krone
Im k. u. k. Imperium hütete die Österreichisch-Ungarische Bank das Banknoten-Privileg. Darüber setzte sich Rašín hinweg. Er schuf im April 1919 die tschechoslowakische Krone. Um keinen Unterbruch im Zahlungsverkehr zu verursachen, setzte er die tschechoslowakische der österreichischen Krone gleich, so dass die alten Scheine einfach weiterverwendet werden konnten. Um nun aber die in Österreich einsetzende Inflation – sie endete 1923, als 10.000 Papierkronen in einen Schilling getauscht wurden – nicht mitmachen zu müssen, ließ er alle „tschechoslowakischen“ Scheine mit einem Stempel kennzeichnen, um sie sobald wie möglich durch neue Scheine zu ersetzen. Dabei wurde ein Teil der Noten einbehalten, und so die umlaufende Geldmenge reduziert.
Das Ergebnis war beeindruckend: Während die Währungen der umliegenden Länder ins Bodenlose fielen, fielen in der Tschechoslowakei die Preise. Die tschechische Krone blieb stabil. Entscheidend dafür war natürlich die enorme wirtschaftliche Potenz des jungen Staates. Das Land belegte im weltweiten Vergleich in Sachen Industrialisierung einen der vordersten Plätze.
Goldmünzen als Zeichen des wirtschaftlichen Erfolgs
Seit 1923 gab die tschechoslowakische Nationalbank Goldmünzen im Gewicht von einem und zwei Dukaten heraus. Wir dürfen darin einen ganz bewussten Schritt sehen, mit dem die Stabilitätspolitik der Tschechoslowakischen Nationalbank für jeden greifbar wurde. Die Münzen zeigen auf der Vorderseite den doppelschwänzigen Böhmischen Löwen, auf der Brust ein kleiner Schild mit dem slowakischen Wappen: Patriarchenkreuz auf Dreiberg. Auf der Rückseite sehen wir ein Brustbild des hl. Wenzel mit Standarte und dem Adlerschild der Přemysliden, entworfen von dem Maler Jaroslav Benda und für die Münze adaptiert von Otakar Španiel, deren Signaturen rechts und links unten neben dem Heiligen zu sehen sind. Die Wahl des hl. Wenzel als Motiv war dabei sicher nicht willkürlich.
Ein nationales Symbol
Aber zunächst ein paar Fakten zum historischen König Wenzel. Er wurde um 908 als Sohn des Přemyslidenfürsten Vratislav I. geboren, der im Jahr 915 seinen Bruder als Herrscher über Mittelböhmen ablöste. Damit war Wenzel Thronerbe. Irgendwann um 924 oder 925 bestieg Wenzel diesen Thron, er übernahm keine leichte Aufgabe. Denn Wenzel hatte zahlreiche Konkurrenten, nicht nur unter den Adligen der Umgebung, sondern auch innerhalb der eigenen Familie. Dazu trug die Tatsache bei, dass das Könighaus und damit Wenzel sich zum Christentum bekannten, während ein großer Teil des Adels und das ganze Volk dies nicht taten. Zum Verhängnis könnte es Wenzel geworden sein, dass ihn der deutsche König Heinrich I. im Jahr 929 militärisch zwang, Tribut zu zahlen und so seine Oberherrschaft über Böhmen anzuerkennen. Wenzel fiel im gleichen Jahr einer Verschwörung zum Opfer, die sein Bruder angezettelt haben soll. Allerdings ist das Jahr seiner Ermordung umstritten: Schon seit dem 18. Jahrhundert diskutierten Historiker ein alternatives Datum: 935/6.
Wie gesagt, so weit die Faktenlage. Legenden über den hl. Wenzel gibt es wesentlich mehr. Schließlich war er als Přemyslidenfürst ein direkter Vorfahre vieler Herrscher Böhmens. Einen weithin bekannten Heiligen aus der eigenen Dynastie zu haben, war damals eine Frage des Prestiges. Um Wenzels Bekanntheitsgrad zu erhöhen, förderten Herrscher und Kirche gemeinsam bereits sehr früh das Schreiben von Heiligenviten.
So entwickelte sich der hl. Wenzel zum Schutzpatron Böhmens. Im geschichtsbegeisterten 19. Jahrhundert wurde aus diesem Heiligen, dessen reale Existenz man im Unterschied zu vielen anderen Heiligen der katholischen Kirche nachweisen konnte, eine Identifikationsgestalt des tschechischen Nationalismus, die nach 1918 auch von der Tschechoslowakischen Republik übernommen wurde.
Ein nationales Fest
Denn junge Nationalstaaten brauchen einen nationalen Mythos, der oft davon handelt, dass es die Nation eigentlich schon Jahrhunderte vor ihrer Gründung gab. Feiertage, die sich auf historische Ereignisse vor der Staatsgründung beziehen, sind dabei ein probates Mittel, um so ein nationales Geschichtsbewusstsein zu erzeugen. Deshalb sahen viele Politiker das Potential, das im Todesjahr des hl. Wenzel lag: 1929 lag nahe genug, um es zur Identitätsbildung der noch jungen Nation zu nutzen.
Deshalb sprang der Staat auf, als spätestens seit 1922 verschiedene christliche Vereine und Verbände ihre Feierlichkeiten anlässlich des Jubiläums zu planen begannen. Zu einer zentralen Gestalt wurde der Prager Weihbischof Antonín Podlaha. Er war nicht nur ein hoher Amtsträger der römisch-katholischen Kirche, sondern auch ein begeisterter Historiker, der an der Prager Karls-Universität Kirchengeschichte lehrte. Auf ihn geht die Idee zurück, die Bauarbeiten am Prager Veitsdom im Todesjahr des hl. Wenzel zu beenden und die Fertigstellung des Dom zu feiern. Er leitete außerdem die während der Bauarbeiten durchgeführten archäologischen Grabungen und erschloss den Kirchenschatz, der etliche Reliquien des hl. Wenzel barg.
Wie gesagt, die neuen Dukaten, die von der Münzstätte in Kremnitza seit 1923 geprägt wurden, trugen das Bild des hl. Wenzel, und 1925 wurde sein Festtag, der 28. September, zum staatlichen Feiertag erhoben. Heute ist dieser Tag wieder ein staatlicher Feiertag.
Im gleichen Jahr wurde auch der Todestag des anderen Nationalhelden, Jan Hus, am 6. Juli zum nationalen Feiertag. Das veranlasste die katholische Kirche, alle diplomatischen Beziehungen zur Tschechoslowakei abzubrechen. Dieser Konflikt wurde erst 1928 mit einem Konkordat beigelegt.
In eben diesem Jahr gab die Tschechoslowakei Gedenkmünzen auf ihr 10-jähriges Bestehen heraus. Sie zeigen auf der Wappenseite das Wappen der Tschechoslowakei. Darüber ist der hl. Wenzel mit Standarte abgebildet, die Hand im Schwurgestus erhoben. Hinter ihm versammeln sich die auferstandenen Ritter aus dem Berg Blaník. Damit spielt die Münze auf einen weiteren nationalen Mythos an: Hierher sollen sich die letzten tapferen hussitischen Streiter zurückgezogen haben. Wie Kaiser Friedrich im deutschen Kyffhäuser schlafen sie dort, bis das Vaterland in höchster Not sein wird, um es dann unter Führung des hl. Wenzel zu verteidigen.
Auch die Bildseite ist einem Heiligen gewidmet, dem hl. Prokopius. Der Patron der Bergleute – einer von ihnen ist im Hintergrund beim Abstieg in den Schacht dargestellt – führt den Pflug, vor den der Teufel gespannt ist. Der Legende nach soll er so nahe dem von ihm gegründeten Kloster Sázava ein tiefes Tal – die so genannte Teufelsfurche – in die Erde gepflügt haben. Die Umschrift lautet in Übersetzung: Ich bin aus tschechischem Metall. Feingehalt und ein K für die Münzstätte Kremnitza sind mit Hilfe von Punzen in die Wappenseite eingetieft. Rechts davon finden wir den Schöpfer des Münzbilds, Otakar Španiel.
Nach all diesen Vorbereitungen begannen am 28. September 1928 in der ganzen Tschechoslowakei die mehrtägigen Feierlichkeiten anlässlich der 1000-Jahr-Feier des Todestags des hl. Wenzel. Die zentrale Veranstaltung wurde in Prag abgehalten. Mehr als 600.000 – nach anderen Quellen 750.000 – Personen sollen an ihr teilgenommen haben. Präsident Masaryk, der die Schirmherrschaft über diese Feier ausübte, hielt die zentrale Ansprache. Er feierte Wenzel als Identifikationsgestalt der jungen Republik, dessen Humanität und moralisches Verhalten vorbildlich sein sollte für alle.
Er betonte die säkularen Aspekte des Heiligen, eine Tatsache, die von den Vertretern der Geistlichkeit lautstark bemängelt wurde. Sie kritisierten ebenfalls, dass die tschechoslowakischen Regierungsvertreter demonstrativ der feierlichen Messe im gerade fertiggestellten Veitsdom ferngeblieben waren. Sie waren nicht die einzigen, die sich an dieser Feier rieben. Progressive Politiker zeigten sich empört, dass nicht der Kirchenkritiker Hus, sondern der hl. Wenzel zur zentralen Integrationsgestalt der Tschechoslowakei überhöht wurde.
Ob Katholik, Kommunist oder Mitglied des liberalen Bürgertums, am hl. Wenzel kam in diesen Jahren jedenfalls niemand vorbei. Ihm war eine gigantische Ausstellung gewidmet. Außerdem drehte der Regisseur Stanislav Kolár einen kostspieligen Stummfilm, der damals weltweit zu den teuersten je realisierten Produktionen gehörte. Die vom Staat zur Verfügung gestellte Million Kronen deckte nicht einmal ein Viertel der Gesamtkosten. Der Film wurde erst 1930 fertig, überholte damit aber immerhin noch die von Karel Guth herausgegebene wissenschaftliche Festschrift in drei Bänden, die erst 1934 erschien.
Neue Nominale, neue Motive
Und natürlich war dieses Fest im Jahr 1929 der Grund dafür, weitere Münzen mit dem Bild des hl. Wenzel zu schmücken. So erschienen 1929 erstmals die prachtvollen Goldmünzen im Wert von 5 und 10-Dukaten. Sie zeigen den heiligen Wenzel hoch zu Ross, im Feld das Todesjahr 929. Die kleine Signatur am unteren Münzrand weist auf die Künstler Jaroslav Benda und Otakar Španiel hin.
Aus demselben Anlass – und nicht wie in vielen Katalogen zu lesen anlässlich von 1000 Jahren Christianisierung des Landes! – erschienen drei motivgleiche Gedenkmünzen zu einem, drei und sechs Dukaten. Die eine Seite bildet den stehenden Wenzel mit Standarte und Adlerschild ab, die andere Seite den reitenden Herrscher, begleitet von zwei Engeln.
Man darf sich natürlich fragen, in wie weit das 1912 geschaffene Denkmal auf dem Wenzelsplatz das numismatische Bild des Heiligen beeinflusst hat. Es kann natürlich auch sein, dass alle Künstler unabhängig voneinander durch die heute im Veitsdom aufbewahrten Reliquien des hl. Wenzel zu ähnlichen Formen der Darstellung kamen. Vor allem der Wenzelshelm, ein im 10. Jahrhundert weit verbreiteter Typ von Helm, den uns vor allem durch die Darstellungen auf dem Teppich von Bayeux vertraut scheint, prägt das Bild des Herrschers.
Wer heute in die tschechische Republik reist, kommt am hl. Wenzel kaum vorbei. Seine Standbilder sind im säkularen wie auch im kirchlichen Raum zu finden. Sie erinnern weniger an die historische Gestalt des Heiligen, sondern an den Willen eines jungen Volkes, zu einer starken Nation zu werden.
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