Die Motive der Euro-Umlaufmünzen: Spanien – 10, 20 und 50 Cent – Miguel de Cervantes
Die Euro-Münzen sind für alle Teilnehmerstaaten ein wunderbares Mittel, das eigene Selbstverständnis nach außen zu tragen, hin zu den eigenen Bürgern, die täglich mit ihrem Kleingeld umgehen, hin zu allen Europäern, zu denen die Münzen ihren Weg finden…
Wie nun stellen sich die einzelnen Staaten dar? Was ist ihnen wichtig genug, um es auf ihren Münzen zu feiern und warum? Was bedeuten die verschiedenen Motive der Euro-Münzen in ihrem Prägeland? Und warum haben sie Eingang in die nationale Münzprägung gefunden?
Spaniens goldenes Zeitalter ist es, an das die 10, 20 und 50 Cent-Stücke des Landes erinnern. Nun ist aber eben diese Periode auch verbunden mit Inquisition, Ausbeutung der Indios und blutigen Religionskriegen, in denen Könige wie Philipp II. den Staat in den Bankrott trieben, um die Niederländer wieder zum Katholizismus zu zwingen. Das goldene Zeitalter ist eigentlich nicht geeignet, um damit für das Land Reklame zu machen. Aber halt, diese Periode hat auch einen sympathischen Vertreter, Miguel de Cervantes, den Autor des Don Quijote. Ihn als Münzbild zu wählen, ist ein genialer Schachzug, um die einstige Weltmacht Spanien von ihrer liebenswerten Seite zu zeigen.
Porträt des Miguel de Cervantes y Saavedra (1547-1615). Quelle: Wikicommons.
Man weiß nicht, was spannender ist, die Abenteuer des Don Quijote oder der Lebenslauf seines Schöpfers, Miguel de Cervantes. Die Biographie des Autors gleicht einem Abenteuerfilm, wie ihn kein Drehbuchschreiber spannender hätte ersinnen können.
Miguel de Cervantes Saavedra wurde am 29. September des Jahres 1547 geboren. Er stammte aus einer Familie von Hidalgos, Angehörigen des niederen Adels. Viele Spanier beharrten im 16. Jh. stolz darauf, adelig zu sein. Die meisten von ihnen besaßen nichts, außer ehernen Ehrbegriffen. Und da machte der Vater des kleinen Miguel keine Ausnahme.
Seinen Sohn schickte er nach Madrid auf die höhere Schule. Dort erkannte man seine literarische Begabung, gab ihm die Chance, für den Königshof zu arbeiten. Doch ehe Cervantes die Gelegenheit nutzen konnte, musste er aus Spanien fliehen. Er hatte im Kampf einen Mann schwer verwundet. Wir wissen heute nicht, worum es in diesem Streit ging. Die Gerichtsakten teilen lediglich mit, dass Cervantes der Schuldige sei und ihm öffentlich die rechte Hand abgehackt werden solle. Doch als am 15. September 1568 der Haftbefehl erging, war Cervantes schon auf dem Weg nach Italien, wo er als Kammerdiener in den Dienst eines päpstlichen Legaten trat.
Die Schlacht von Lepanto 1571. National Maritime Museum, Greenwich, London. Caird Fund. Quelle: Wikicommons.
Lange hielt es den jungen Mann nicht bei diesem friedlichen Geschäft. Schon im Juli des nächsten Jahres finden wir seinen Namen auf der Soldliste eines spanischen Regiments in Neapel. Auch dort herrschten die Spanier und bereiteten die große Seeschlacht vor, die als der Sieg von Lepanto in die Geschichte eingehen sollte. Und Cervantes war mit von der Partie. Am 7. Oktober 1571 besiegte ein christliches Heer unter Führung von Don Juan d‘Austria die Türken. Und beinahe hätte Cervantes dabei unter Deck bleiben müssen!
Ein Mitstreiter gab folgendes zu Protokoll: …“daß er weiß und daß es wahr ist, daß Miguel de Cervantes in der gesamten Seeschlacht krank war und Fieber hatte. Und sein Hauptmann … sagten ihm, da er krank sei und Fieber habe, sollte er unter Deck der Galeere Ruhe bewahren. Und der genannte Miguel de Cervantes antwortete, was sie von ihm sagen würden, wenn er seine Pflicht nicht erfülle, und daß er lieber kämpfend für Gott und seinen König sterben wolle, als sich seiner Gesundheit wegen unter Deck zu begeben.“
Die Kashbah von Algier im 16. Jh. Quelle: Bachounda1 / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Sterben musste Cervantes nicht, aber er erhielt zwei Schüsse in die Brust und verlor seine linke Hand. Monate lang lag er in Messina im Lazarett, ehe er wieder seinen Dienst aufnehmen konnte. Und am 7. September 1575 schiffte er sich in Neapel ein, um nach Spanien zu segeln. In der Tasche verwahrte er ein Empfehlungsschreiben an König Philipp II. von Spanien, unterschrieben von Don Juan d‘Austria persönlich. Doch Cervantes hatte Pech. Sein Schiff wurde von Piraten gekapert, er selbst nach Algier verschleppt.
Algier war im 16. Jh. nicht nur ein wichtiger Stützpunkt der Piraten, dort gab es auch einen bedeutenden Sklavenmarkt. Cervantes wurde nicht verkauft. Sein Empfehlungsschreiben ließ seine Besitzer hoffen, dass der junge Mann ein hohes Lösegeld wert sei. Man behandelte ihn mit großer Ehrerbietung. Cervantes durfte sich frei in der Stadt bewegen. Er nutzte die Gelegenheit zu mehreren Fluchtversuchen.
Der erste scheiterte schon vor der Durchführung. Ein Mittelsmann verriet Cervantes. Der zweite brachte ihm und 15 Mitgefangenen kurzzeitig die Freiheit, doch dann holten die Piraten die Entflohenen ein. Grausame Strafen waren die Folge. Ein Sklave wurde an einem Fuß aufgehängt, bis er an einem Blutsturz starb. Cervantes hatte Glück. Ihn verurteilte man „nur“ zu 5 Monaten Kerkerhaft. Beim dritten Mal wurde der Bote geschnappt und grausam hingerichtet: Man trieb einen Pfahl durch den Mann, aber so vorsichtig, dass man keine lebenswichtigen Organe verletzte. Der Gemarterte brauchte Tage, um zu sterben. Cervantes wurde zu 2.000 Stockhieben verurteilt. Und sogar die Strafe erließen ihm die Piraten. Stattdessen verbrachten sie ihn in einen Kerker im Palast. Als Cervantes wieder entlassen wurde, organisierte er einen Massenausbruch, der von einem Dominikaner verraten wurde. Das war es selbst für die Piraten zu viel. Der unerschrockene Gefangene sollte „mit zwei Ketten und Fußeisen“ an das Ruder einer Galeere geschmiedet werden. Praktisch in letzter Sekunde gelang es einem Angehörigen des Trinitarier-Ordens, das Lösegeld für Cervantes aufzutreiben und ihn freizukaufen.
Cervantes-Statue im heutigen Naupaktos, dem antiken Lepanto, in Griechenland. Foto: vlahos vaggelis / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en.
Glücklich über die wiedergewonnene Freiheit machte sich Miguel de Cervantes auf nach Spanien. Dort wollte er, der Lepanto-Kämpfer und Held von Algier, sich ein neues Leben aufbauen. Doch er war nicht der einzige, der das vorhatte. Damals war Spanien voll von Invaliden, die behaupteten, bei Lepanto gekämpft zu haben und in Algier gefangen gewesen zu sein. Das Prahlen hatte Cervantes nie gelernt, das Antichambrieren auch nicht, und so kam es wie es kommen musste: Cervantes blieb arbeitslos. Er nutzte die Zeit zum Schreiben. Einige Bücher entstanden, von denen heute höchstes noch die Sprachwissenschaftler Kenntnis nehmen.
Es fiel Cervantes schwer, sich an den Alltag zu gewöhnen. Erst 7 Jahre nach seiner Heimkehr gelang es ihm, einen Posten zu ergattern. Man stellte ihn an als königlichen Aufkäufer für Getreide und Öl. Das bedeutete, dass Cervantes im Auftrag des Königs durch Andalusien reiste, um Lebensmittel einzukaufen. Doch die Bauern verkauften nicht gern an den König, der ihnen einen Bruchteil dessen zahlte, was ihre Produkte wert waren. Ein staatlicher Einkäufer musste Zwang ausüben, und das tat Cervantes lieber bei den Reichen als bei den Armen. So wurde er von den Domherren zu Sevilla exkommuniziert, weil er auf ihren Ländereien Getreide beschlagnahmt hatte. Auch wenn die Geistlichen dies zurücknehmen mussten, beliebt machte sich Cervantes so nicht.
Zum Verhängnis wurde ihm der Bankrott eines anderen. Cervantes hatte einem Bankier königliche Gelder anvertraut, die dieser veruntreute. Der Staat hielt sich an Cervantes. Er sollte das verschwundene Geld ersetzen. Das konnte er nicht, und so saß Cervantes sieben Monate hinter Gittern, eine bittere Erfahrung für einen so stolzen Mann. Wir sollten den armen Gefangenen aber nicht zu sehr beklagen, denn im Kerker fand Cervantes die Zeit, seinen Don Quijote zu beginnen, das Buch, das ihm noch zu Lebzeiten Ruhm und vor allem Geld einbrachte.
Illustration zu Don Quijote von Gustave Doré (1832-1883). Quelle: Wikicommons.
Die Grundidee des Don Quijote ist einfach: Cervantes wollte die in Spanien sehr beliebten Ritterromane karikieren. Dort konnte man von großen Helden lesen, die im wahren Leben genauso Schiffbruch erlitten hätten wie Cervantes selbst. So schuf er seinen Don Quijote, einen Mann, der verrückt wurde, weil er die Ritterromane wörtlich nahm. Aber was heißt verrückt? Don Quijote wurde einfach untauglich für das tägliche Leben, weil er eine Rasierschüssel für den sagenhaften Helm des Riesen Mambrinus hielt und Windmühlen für Riesen.
Das Buch über den Ritter von der Traurigen Gestalt wurde schon zu Lebzeiten des Autors ein Renner. Über 2.000 Ausgaben hat es bis heute erlebt und das in mehr als 50 Sprachen. Die Zeitgenossen des Cervantes lasen den Don Quijote als eine herrlich komische Geschichte. Sie liebten die Abenteuer des verrückten Ritters. Bald wurde jedes magere Pferd als Rosinante bezeichnet, und bei den Karnevalsumzügen waren Don Quijote und seine Figuren das beliebteste Thema.
Ein Bestseller des 16. Jahrhunderts also? Nur eine komische Geschichte? Tatsächlich umfasste der Roman weit mehr: Er zeigte die spanische Gesellschaft, wie sie damals eben war, vom adligen Hidalgo bis zur Küchenmagd. Cervantes schilderte sie alle liebevoll, aber mit einer scharfen Beobachtungsgabe und einer kritischen Feder. Er tat dies in bestem Neukastilisch, der Sprache, die später zur spanischen Schriftsprache werden sollte. Und sein Roman war so offen, dass jede Zeit ihn lesen und neu interpretieren konnte.
Goethe hat ihn gelesen („Cervantes hält mich iezo über den Ackten wie ein Korkwams den Schwimmenden“), Heine („Ich erinnere mich noch ganz genau jener Zeit, wo ich mich eines frühen Morgens vom Hause wegstahl und nach dem Hofgarten eilte, um dort ungestört den Don Quixote zu lesen“), Rilke („…finde ihn eher kindisch“) und Thomas Mann („Der Don Quijote ist ein Weltbuch. Don Quijote ist zwar ein Narr – die Ritterpuschel macht ihn dazu; aber die anachronistische Marotte ist auch die Quelle einer solchen Noblesse, Reinheit, Adelsanmut, eines so gewinnenden und Achtung gebietenden Anstandes, dass das Gelächter über seine traurige, seine groteske Figur immer mit staunendem Respekt gemischt ist“).
Titelblatt der Novelas Exemplares, 1613. Quelle: Wikicommons.
Im Übrigen blieb der Don Quijote nicht das einzige Werk von Cervantes. Lesenswert sind bis heute seine exemplarischen Novellen, in denen er den überholten Ehrbegriffen seiner Zeit eine neue Auffassung vom Menschen gegenüberstellt. So tröstet ein Vater seine vergewaltigte Tochter, die nach der damals gängigen Moral sich nie mehr in der ach so anständigen Gesellschaft sehen lassen durfte: „Du brauchst dich nicht zu grämen. Die wahre Unehre kommt aus der Sünde und die wahrhafte Ehre aus der Tugend. Das heißt, Gott wird mit Worten, Wünschen und Taten beleidigt. Da du ihn weder in Worten noch in Gedanken, noch mit der Tat beleidigt hast, halte dich für ehrbar. Auch ich halte dich für ehrbar.“ Man begreift leicht, dass Cervantes mit diesen Worten nicht nur die Frau meinte, der ein Mann übel mitgespielt hatte, sondern auch sich selbst.
Statue des Miguel de Cervantes in Madrid von Joan Vancell Puigcercós, 1892. Foto: Luis García / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en
Miguel de Cervantes starb am 22. April 1616 im Alter von 69 Jahren. Er hatte zwei Tage zuvor sein Werk Persiles und Segismunda beendet und wurde in der Kutte der Franziskaner im Kloster des Trinitarier-Ordens zu Madrid beigesetzt. Bis zuletzt war er dieser Vereinigung dankbar dafür, dass sie ihn einst aus den Händen der Piraten von Algier befreit hatte.
Den vollständigen Text des „Don Quijote“ gibt es frei zugänglich im Internet, z.B. über das Projekt Gutenberg.
Wenn Ihnen die Vollversion doch zu lang ist, bietet die Seite klassiker-der-weltliteratur eine illustrierte Zusammenfassung. Die Seite lohnt einen Besuch – die Auswahl der dort vorgestellten Werke reicht von Dantes „Göttlicher Komödie“, über Shakespeare bis zu Goethes Werther.
Noch schöner bereitet es der Bayrische Rundfunk in seinem gleichnamigen Format Klassiker der Weltliteratur auf. Zum Video geht es hier.
Einen Überblick über die spanischen Euromünzen gibt es auf dieser Website.
Und auf der Seite der Spanish Royal Mint können Sie sich hier umsehen.