Die letzten Jahre des Jacques-Antoine Dassier
Wie man sich bei Hofe Freunde macht
Ein Genfer Goldschmied namens Jérémie Pauzié, der am Hof der Zarin arbeitete, überliefert uns seine Version des Geschehens. Er erzählt in seinen Memoiren, wie er in den Jahren 1750 und 1751 in die alte Heimat reiste. Er nutzte die Gelegenheit, um in Genf, damals ein Zentrum der Luxusindustrie, so richtig einzukaufen. Er wusste genau, dass Genfer Produkte wie Uhren und Schmuck in Russland reißenden Absatz finden würden. Teil seiner Shopping-Tour war das Atelier des damals bereits 84jährigen Jean Dassier, dem er etliche Medaillen abkaufte. Mit ihnen wollte Pauzié die maßgeblichen Entscheider dafür gewinnen, seinem eigenen Sohn eine feste Stellung zu geben.
Zurück in Petersburg besuchte Pauzié den Hof. Dort empfing ihn Iwan Iwanowitsch Schuwalow, Günstling und Liebhaber der Zarin. Der wollte sofort wissen, was Pauzié aus Genf mitgebracht habe. Pauzié zeigte ihm die Medaillen von Dassier, und Schuwalow war begeistert. „Wenn die Zarin die sieht, wird ihre Majestät sie sofort kaufen.“, soll Schuwalow gesagt haben. Daraufhin schenkte Pauzié ihm die Medaillen (sicher nicht ohne Hintergedanken) und teilte ihm mit, dass er für ihre Majestät ein zweites Set mitgebracht habe.
Kein Wunder, dass Pauzié sofort von der Zarin empfangen wurde. Die wollte dringendst die aus Genf mitgebrachten Kostbarkeiten sehen. Pauzié breitete sie aus: ein goldenes Ei mit Edelsteinbesatz in Form des kaiserlichen Doppeladlers und Elisabeths Namen, ein hübscher Anhänger und ein Ring, in den eine winzige Uhr von Jean-Jacques Pallard eingelassen war. Die Zarin war entzückt, verlangte die Rechnung und genehmigte, ohne mit der Wimper zu zucken, die geforderten 12.000 Rubel. Zum Vergleich: Ein Lehrer der von Schuwalow gegründeten Kunstakademie verdiente im Jahr nur 1.000 Rubel. Danach soll Pauzié ihr die Medaillen aus der Werkstatt von Dassier zum Geschenk gemacht haben. Er schildert, dass Elisabeth derart begeistert davon war, dass sie Dassier unbedingt an ihren Hof holen wollte.
Eine neue Kulturpolitik für Russland
Wir wissen nicht, ob sich diese Geschichte tatsächlich so abgespielt hat, oder ob sich Pauzié lediglich das Verdienst zuschreiben wollte, Dassier nach St. Petersburg geholt zu haben. Auf jeden Fall passte diese Berufung zu Schuwalows Kulturpolitik, die sich mehr als vorher auf den französischen Sprachraum konzentrierte.
Iwan Iwanowitsch Schuwalow galt seinen Zeitgenossen als der Mäzenas der russischen Aufklärung. Er korrespondierte mit Voltaire und den Herausgebern der Encyclopédie, Diderot und d’Alembert; er unterstützte Michail Lomonosow bei der Gründung einer Universität in Moskau; er initiierte eine russische Zeitung und träumte davon, in seinem eigenen Palast eine Kunstakademie einzurichten.
Einer der Lehrer, die er zu diesem Zweck nach Russland holte, war eben der Sohn von Jean Dassier, Jacques-Antoine Dassier, zu dieser Zeit mit Sicherheit einer der bekanntesten Porträtisten und Stempelschneider in ganz Europa. Er war Mitglied einer berühmten Genfer Dynastie von Stempelschneidern, die davon lebte, numismatische Kunstwerke zu produzieren, die in ganz Europa gesammelt wurden. Ihre Medaillensuiten zu den berühmten Reformatoren, zu den Zelebritäten der Ära Ludwigs XV., zu den britischen Könige oder der römischen Geschichte – um nur einige zu nennen – waren Bestseller. Erst drei Jahre zuvor hatte Jacques-Antoine Dassier die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt durch seine als genial empfundene Darstellung des fast blinden Montesquieu auf sich gezogen.
Damit war seine Berufung an den Petersburger Hof – ob mit oder ohne Mitwirkung Pauziés – auf jeden Fall ein Coup.
Chef-Graveur der Sankt-Petersburger Münzstätte
Direkter Vorgesetzter von Dassier wurde nicht Schuwalow, sondern Jakob Stählin, ein Schwabe. Wir würden seine Aufgabe heute wohl am besten mit dem umschreiben, was wir als Marketing und PR kennen. Stählin entwarf zum Beispiel die leicht vergänglichen hölzernen Triumphbögen und Dekorationen, wie sie bei allen festlichen Um- und Einzügen notwendig waren. Er schuf die Entwürfe für Embleme und Grabmonumente. Darüber hinaus machte er sich Gedanken über so flüchtige Kunstwerke wie die barocken Feuerwerke, die einen unverzichtbaren Bestandteil jedes höfischen Fests darstellten. Er stand für das, was wir heute Corporate Identity nennen würden, also dafür dass der Auftritt der Zarin stimmte, egal in welchem Zusammenhang.
Teil seiner Aufgabe war es, die Produktion von Münzen und Medaillen zu überwachen, Inschriften und Motive festzulegen, und so wurde er Jacques-Antoine Dassiers Vorgesetzter. Wir wissen, dass sich die beiden Künstler ausgezeichnet verstanden haben. Und wir sind dank der Aufzeichnungen Stählins bestens über Dassiers Wirken informiert.
Nach seiner Ankunft arbeitete Dassier gleichzeitig an drei Projekten: An einer heute extrem seltenen Medaille für seinen Gönner Schuwalow, an einem Stempel für Rubelstücke und an dem Stempel für das Stück, das am 28. Januar 2021 bei Künker angeboten werden wird, ein 10 Rubel-Stück von 1757.
Dassiers Aufgaben und Einkommen
Dassier war nicht nur engagiert worden, um Stempel zu schaffen. Sein auf zwei Jahre fixierter Vertrag legte ausdrücklich fest, „dass er die Kunst, Münzen und Medaillen zu gravieren an so viele russische Schüler wie gefordert“ weitergeben solle. Dafür wurde er mit 2.500 Rubel pro Jahr entlohnt. Dazu kamen 250 niederländische Dukaten, um die Reisekosten zu decken sowie weitere 500 Rubel, um einen Gehilfen zu bezahlen, der ihn in seiner Arbeit unterstützen würde. Außerdem dürfte er freies Quartier gehabt haben.
Nach zwei Jahren verhandelte Dassier neu. Nun wurde ihm ein Gehalt von 3.000 Rubel pro Jahr zugestanden. Dazu kamen 500 Rubel für jeden fertig gestellten Stempel. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich herausstellte, dass Dassier wegen seiner sich ständig verschlimmernden Tuberkulose gar nicht in der Lage war, regelmäßig jungen Künstlern Unterricht zu geben.
Stählin und Schuwalow diskutierten stattdessen über seine Beteiligung an einer Medaillensuite von 150 bis 180 Stücken, die den Leistungen Peters des Großen gewidmet sein sollten.
Doch zu diesem Zeitpunkt war Jacques-Antoine Dassier bereits so schwer erkrankt, dass er in die Heimat zurückkehren wollte. Er bestieg im Herbst 1759 ein englisches Schiff. Er kam nur noch bis Kopenhagen. Es zeugt für seine Bedeutung, dass der dänische Premierminister ihn in seinem eigenen Quartier unterbrachte, wo er am 21. Oktober 1759 starb.
Eine exquisite Provenienz
Die bei Künker angebotene Münze, die von Jacques-Antoine Dassiers Tätigkeit in Russland zeugt, war einst Teil der Sammlung des Grafen (und Numismatikers) Emmerich Hutten-Czapski, wie wir an der Sammlerpunze sehen können. Dieser bekannte polnische Adlige, nach dem das numismatische Museum von Krakau den Namen „Emmerich-Hutten-Czapski-Museum“ trägt, arbeitete in der russischen Verwaltung. Er trug während seines Aufenthalts in Russland eine umfangreiche Sammlung an russischen Münzen und Medaillen zusammen, die er in den Jahren zwischen 1882 und 1884 verkaufte, um seinerseits sein Spezialgebiet Polen weiter ausbauen zu können.
Übrigens, 2017 wurde ein Rubel Peters des Großen von 1707 aus der Sammlung Hutten-Czapski bei Künker angeboten. 2019 war es ein Set von drei perfekten Platinmünzen. Der Rubel wurde mit 290.000 Euro, das Platinset zusammen mit 750.000 Euro verkauft. Wir dürfen gespannt sein, welchen Zuschlag das goldene 10 Rubel-Stück von Elisabeth erzielt.
Hier lesen Sie den ausführlichen Auktionsvorbericht.
Auf der Künker-Seite finden Sie den kompletten Auktionskatalog.