Der Goldschatz vom Baikalsee
von numiscontrol
Verschwundener Mammon, Geschichten, Mythen und ergebnislose Schatzsucherei.
„Herrliches Meer, oh heil´ger Baikal“ mit diesen schönen Worten beginnt die von Dimitrij Davydov geschaffene „Baikal-Hymne“. Liebevoll bezeichnet man den See auch als „Perle Sibiriens“, ist er doch das größte Süßwasserreservoir unserer Erde. Groß ist er, der Baikalsee, ja riesig; mit einer Oberfläche von 31.500 Quadratkilometern entspricht er in etwa der Fläche Belgiens. 1.637 Meter bis zum Grund sind es an seiner tiefsten Stelle, und er hält damit unbestritten den Weltrekord. Je nach Jahreszeit kommt er in majestätischer Stille oder auch mit unberechenbaren Stürmen daher, die nicht selten fünf bis sechs Meter hohe Wellen erzeugen. Im Winter, wenn das Thermometer bis auf minus 60 Grad sinkt, friert zu. Einer Überfahrt mit dem Auto steht dann nichts mehr im Wege. Viele Geschichten kann der 25 Millionen Jahre alte See erzählen, einige gibt er bereitwillig preis, andere hält er in seinen Tiefen gefangen.
Denkmal des Zaren Alexander III.
Seit 2003 steht in Irkutsk die Bronzestatue von Zar Alexander III. wieder auf dem Podest des im Jahre 1908 errichteten Denkmals. Sie erinnert an den Bau der Transsibirischen Eisenbahn, deren mittelsibirisches Teilstück hier endet. In Irkutsk beginnt die legendäre Baikal-Bahn. In einem weiten Bogen führt sie um den südlichen Teil des Baikalsees herum, um sich dann in Ulan-Udé zu verzweigen. Von dort geht es weiter entweder nach Wladiwostok oder bis nach Peking.
Unweit von Irkutsk liegt malerisch das kleine Dorf Listvjanka gleich neben dem Fluss Angara. Im Winter des Jahres 1919/1920 wurde hier während der Zeit des Russischen Bürgerkrieges von Weißgardisten versucht, den Zarenschatz über das Eis des zugefrorenen Baikalsees nach Tschita zu retten. Diese Aktion fiel allerdings im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Die 650 Millionen Goldrubel ruhen noch heute in den Tiefen des Sees. Was war geschehen? Und wie kam das Gold hierher?
Werbeplakat der Weißgardisten 1919 mit Karikatur Trotzkis / Wikipedia.
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges hatte die Regierung einen großen Teil des Zarenschatzes in scheinbar sichere Verwahrung nach Kasan verbracht. Dort fiel er nach dem Beginn des Bürgerkriegs den antikommunistischen Truppen der „Weißgardisten“ in die Hände. Die verluden das Gold auf die Eisenbahn. Etwa 80 mit Goldmünzen beladene Güterwaggons sollen sich unter dem Schutz der Weißgardisten in Richtung Irkutsk in Bewegung gesetzt haben.
Hier wurde der Transport von Rotgardisten aufgehalten, der Anführer der Weißgardisten, Admiral Koltschak, erschossen. Verzweifelt kämpften sich die Weißgardisten mitsamt ihrer wertvollen Fracht frei und flüchteten weiter in Richtung Baikalsee. Sie kamen mit ihren Waggons bis zum Port Baikal am südwestlichen Ufer des Sees. Die winterlichen Temperaturen hatten den See zufrieren lassen. In den kurzen Sommermonaten verkehrte an dieser Stelle eine Fähre, um die Reisenden über den See nach Mysovaja / Babuškin an das östliche Ufer zu bringen. Im Winter allerdings transportierten unzählige Pferdeschlitten die Passagiere und deren Gepäck über das Eis. Mit schweren Ladungen ging man nicht anders um. War das Eis dick genug, verlegte man kurzerhand Gleise und bewegte so ganze Waggons über das Eis. Pferdegespanne zogen jeden einzelnen, denn für schwere Lokomotiven – das wußte man – war das Eis nicht geeignet.
Rußland, 10 Rubel 1903. Aus Auktion Künker 139 (2008), 8875.
Um den Goldschatz so schnell wie möglich nach Tschita in Sicherheit zu bringen, entschieden sich die Befehlshaber für die riskante Fahrt über das Eis. Man spricht von entgleisten Lokomotiven, die das Eis zum Brechen gebracht haben sollen. Eine andere Geschichte berichtet von Soldaten, die beim Transport der Waggons auf dem Eis erfroren. Ein plötzlicher Temperaturanstieg habe die Fracht in den Fluten versinken lassen. Allerdings gab es wegen der großen Kälte alle sechs Kilometer Baracken zum Aufwärmen, die mit Filz ausgekleidet waren.
Wie auch immer, was genau auf dem See passiert ist, läßt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Augenzeugenberichte untermauern allerdings die wahrscheinlichste Version: Das Eis sei bei einsetzendem Tauwetter einfach unter der Last der Eisenbahnwaggons gebrochen. Nur ein Teil der 180 Tonnen Gold, verpackt in 5.100 Kisten und 1.600 Säcke, konnte gerettet werden. 22 Kisten tauchten in Japan wieder auf, 94 Tonnen Gold kamen auf rätselhaften Wegen über Deutschland nach Frankreich.
Interessant und kaum glaubhaft ist, dass man sich in den Zeiten der Sowjetunion keine Gedanken über den Schatz im Baikalsee gemacht haben soll und erst heute wieder Interesse daran zeigt.
Karte des Baikalsees / Wikipedia.
Im Jahre 2008 begannen umfangreiche Suchaktionen. Angeblich standen wissenschaftliche Forschungen im Vordergrund, für die zwei spezielle Mini-U-Boote in 300 Metern Tiefe eingesetzt werden. Mehr als einige Patronenkisten aus der Zeit des Bürgerkrieges wurden nicht gefunden.
Doch die Suche ging weiter, auch als die Herbststürme die Wellen auf dem Baikalsee bis zu sechs Meter aufwühlten. Endlich wurde man in einer Tiefe von 700 Metern fündig: Man entdeckte stark deformierte Eisenbahnwaggons, von denen einige Fragmente an die Wasseroberfläche gebracht werden konnten.
Untersuchungen bestätigten, dass sie aus der richtigen Zeit stammten, aber ob sie das verschwundene Gold enthielten, sollte vorläufig ein Geheimnis bleiben. Das Wetter machte weitere Nachforschungen unmöglich. Die Expedition wurde abgebrochen.
Eisenbahnwaggons auf dem Grund des Baikalsees sind allerdings kein Einzelfall. Schon im Krieg gegen Japan wurden 1904 Gleise über den zugefrorenen See gelegt, um möglichst schnell Geschütze und Munition zum Pazifik zu transportieren. Die Strecke über das Eis war damals vom 28. Februar bis zum 25. März in Betrieb. Auch hier wurden die Waggons mit Pferden über das Eis gezogen. Grob zerlegte Lokomotiven brachte man so zum anderen Ufer. In dieser relativ kurzen Zeit transportierte man immerhin 60 Lokomotiven und über 2.300 Waggons über den See. Auch von Unfällen und dabei versunkenem Zugmaterial wird berichtet.
Und somit ist wieder alles offen und die Sagen vom versunkenen Zarengold flackern zu neuem Leben auf.
„Oh heil´ger Baikal, herrliches Meer.“