Das mittelalterliche Sizilien Teil 9: Das goldene Zeitalter Siziliens beginnt
Alle früheren Folgen der Serie „Das mittelalterliche Sizilien“ finden Sie hier zusammengestellt.
Wir haben Sizilien im Jahr 1085 verlassen, als Robert Guiscard während seines zweiten Überfalls auf das byzantinische Reich starb. Roberts Nachfolger wurde sein ältester Sohn aus zweiter Ehe, Roger Borsa.
Roger Borsa – der Geldsack
Seinen Beinamen „Geldsack“ hatte der Herrscher erhalten, weil man ihm nachsagte, er habe seit seiner frühen Kindheit, alle Münzen in seinem Geldsack gezählt. Eine höchst unritterliche Angewohnheit und ein Rezept für das Scheitern eines jeden mittelalterlichen Feudalherren! Das ritterliche Ideal sah den verschwenderischen Fürsten vor, der Geld nur dann schätzte, wenn er es für seine Pracht ausgegeben hatte. Ein Borsa konnte kein Herr sein, wie ihn die Vasallen liebten.
Bohemund von Tarent
Da war Bohemund, Roberts Sohn aus erster Ehe, schon ein anderer Mann. Zwar hatte ihn sein Vater von der Erbfolge ausgeschlossen, aber er fand die Unterstützung zahlreicher Adliger. Sie machten aus dem friedlichen Apulien einen Kriegsschauplatz. Letztlich war Roger Borsa gezwungen, einen beträchtlichen Teil seines Herzogtums als Grafschaft Tarent zusammenzufassen, um ihn Bohemund als Lehen zu überlassen. Lachender Dritter in diesem Streit zwischen den Söhnen Roberts war Onkel Roger, der Roger, der inzwischen halb Sizilien für sich selbst gewonnen hatte.
Er unterstützte seinen militärisch schwachen Lehnsherrn loyal, vor allem deshalb, weil der Borsa ihn für seine Hilfe mit neuen Lehen belohnte. Hatte Robert Guiscard Palermo noch direkt kontrolliert, kam es nun – wie alle anderen sizilischen und viele apulische und kalabrische Gebiete – unter die direkte Herrschaft Rogers.
Übrigens richteten sich Rogers Bronzemünzen nach byzantinischen Vorbildern, auch wenn die Motive normannisch waren: Roger ist dargestellt als normannischer Ritter hoch zu Ross mit Nasalhelm und Langschild. Deutlich erkennbar ist der hinten hochgezogene Sattel, der dem Kämpfer beim Angriff größere Sicherheit bot. Die Rückseite zeigt die Jungfrau Maria mit dem Christuskind.
Bohemund wird Kreuzfahrer
Die Auseinandersetzung zwischen Roger Borsa und seinem älteren Halbbruder endete 1096 auf eine damals relativ typische Art. Bohemund entdeckte ein neues Ziel, wo er seinen Ehrgeiz ausleben konnte. Er schloss sich dem ersten Kreuzzug an mit dem festen Ziel, für sich selbst eine bedeutende Herrschaft zu erobern. Dies gelang ihm. Skrupellos sicherte sich Bohemund die Herrschaft von Antiochia. Damit war ihm ein Platz im europäischen Hochadel gewiss: Der französische König gab ihm seine Tochter Konstanze zur Frau. In den wenigen Jahren, die Bohemund noch blieben, war er mit dem Kampf um sein Erbe in Übersee beschäftigt, was das Leben für Roger Borsa wesentlich einfacher machte.
Dieses Geschehen ist symptomatisch und zeigt sehr gut, welchen Einfluss die Kreuzzüge überall in Europa hatten. Männer, die ihre Väter bei der Erbteilung übergangen hatten, fanden im Heiligen Land ein Ventil für ihre Ambitionen. Entweder es gelang ihnen, wie Bohemund, sich eine Position zu erkämpfen oder sie kamen bei dem Versuch um. Die wenigsten Kreuzritter wurden alt. Dieser zwei, drei Generationen anhaltende Aderlass an unzufriedenen Halbstarken machte Europa um einiges friedlicher.
Das unabhängige Sizilien
Während Bohemund Antiochia eroberte, beschränkte sich der ältere Roger auf die systematische Machtübernahme in Sizilien. 1094 war Roger im Alter von 63 Jahren endlich unbestrittener Herr der Insel. Damit besaß er eine in Europa einmalige Stellung: Während die Fürsten sich sonst überall mit starken Vasallen auseinandersetzen mussten, herrschte Roger über ein Völker- und Religionsgemisch, das allein in ihm den Garanten für ein einvernehmliches Miteinander erkannte. So gab es keine Probleme beim Herrscherwechsel, und das obwohl der einzige überlebende Sohn Rogers, Roger II., beim Tod seines Vaters 1101 erst fünf Jahre alt war. Seine Mutter, die Gräfin Adelaide führte bis 1112 überaus kompetent die Regentschaft. Als Roger II. 1112 die Volljährigkeit erreichte, übergab ihm seine Mutter ungeschmälert die Herrschaft über ein intaktes Reich.
1111/2 war der große Generationenbruch. 1111 starben Roger Borsa und Bohemund von Tarent. Beide hinterließen minderjährige Erben, denen der inzwischen volljährige Roger II. überlegen war, was er weidlich ausnützte. Der 1094 oder 1097 geborene Sohn von Roger Borsa, Wilhelm, war beim Tod seines Vaters wahrscheinlich erst 14 Jahre alt, so dass seine Mutter für ihn die Regentschaft übernahm. Die großen Machteinbussen, die bereits sein Vater erlitten hatte, machten ihm eine eigenständige Politik praktisch unmöglich. Roger II. annektierte häppchenweise das Gebiet, über das theoretisch der Sohn Bohemunds von Tarent herrschte. Wilhelm, den Sohn Roger Borsas, unterstützte er tatkräftig, natürlich nur gegen neue Lehen, so dass es bereits 1122 kein Stückchen Land in Sizilien und Kalabrien mehr gab, das Herzog Wilhelm noch direkt unterstanden hätte.
Lesen Sie in der nächsten Folge, wie Roger II. nicht nur das Reich Robert Guiscards übernimmt, sondern auch den Konflikt mit dem Papst.
Alle Folgen der Serie finden Sie hier.
Und wenn Sie mehr Bilder aus Sizilien sehen wollen, empfehlen wir Ihnen unsere Serie „Blühendes Sizilien“.