Akbar – Herrscher des Mogulreichs. Teil 2
Mystik und Gott
Akbar gilt als „ummi“, was manch heutiger Geschichtsschreiber mit „Analphabet“ übersetzt. Das kann eigentlich nur verwundern. Akbars große Leistungen auf dem Gebiet der Verwaltung, sein reges Interesse an Mystik und Religion lassen es merkwürdig erscheinen, dass ein derart intelligenter Mann das Lesen und Schreiben nicht lernte.
Tatsächlich dürfte Akbars Analphabetismus in einem ganz anderen Zusammenhang stehen: In der islamischen Mystik ist „ummi“ das Kennwort für den inspirierten Mystiker, der von Gott begnadet nichts lernen muss, weil ihm alles Wissen in den Schoß fällt. Es gibt muslimische Mystiker, die zahlreiche Bücher verfasst haben, und trotzdem als „ummi“ gelten. So liefert dieses kleine Wort einen Hinweis auf Akbars Selbstdarstellung als göttlich inspirierter Herrscher.
Tatsächlich dürfte es den meisten Gläubigen gar nicht klar gewesen sein, welcher Religion Akbar anhing. Die orthodoxen Moslems bemängelten seine Toleranz gegenüber Hindus, seinen riesigen Harem – schließlich waren „nur“ vier Frauen erlaubt – , seinen Weingenuss und die wunderschönen Miniaturen, die in seinem Auftrag entstanden. Es dürfte ihnen unheimlich gewesen sein, wenn Akbar die Sitten der indischen Yogis und der moslemischen Sufis imitierte, sich das Haar schneiden ließ, vegetarisch lebte und gar die Freitagspredigt zu halten versuchte.
Seine Lust am Spekulativen bereitete den Boden für jede Menge Gerüchte. Unter anderem schrieb man ihm das berühmte Experiment zur „Ursprache“ zu, für dessen Erfinder der Westen im allgemeinen Kaiser Friedrich II. hält: Er verbot den Ammen mit neu geborenen Kleinkindern zu sprechen und hoffte so herauszufinden, welches die älteste Sprache der Menschheit sei.
Religiöse Toleranz
Akbar war an allem Interessiert, was mit Religion zusammenhing. Einige portugiesische Missionare machten sich deshalb große Hoffnungen auf seine Bekehrung, weil er sie genauso zuvorkommend aufnahm wie ihre Kollegen von den anderen Glaubensrichtungen. Sie missverstanden seine Neugier als besonderes Interesse am Christentum. Doch Akbar hatte ganz andere Pläne.
Der Herrscher eines von Hindus und Moslems bewohnten Reichs suchte nach einer Lösung, beide Religionen miteinander zu versöhnen. Dazu musste er zunächst den Einfluss der moslemischen Priesterschaft beschränken. Er tat dies, indem er 1579 ein Dekret erließ, das ihm persönlich bei jedem Gelehrtenstreit über die Auslegung einer Koranstelle die letzte Entscheidung sicherte. Außerdem sollte jede Maßnahme Akbars, wenn er sie zu Gunsten des Reichs erließ, von allen anerkannt werden, es sei denn, ihm sei ein Widerspruch zum Koran nachzuweisen.
Man hat diesen Erlass als „Unfehlbarkeitsdekret“ verstehen wollen. Tatsächlich räumte er Akbar dieselbe Stellung ein, die sich ein barocker Sonnenkönig nur ein knappes Jahrhundert später in Frankreich erobern sollte. Und das war nur der erste Schritt zu Akbars persönlicher Religion, die er als Din-i-Ilahi (= Religion Gottes) 1582 verkündete.
Basierend auf dem Prinzip, dass jeder Glaube Wahrheiten beinhalte, suchte Akbar nach den Botschaften, die allen Religionen gemeinsam sind: Ihm stand ein Gott als Schöpfer der Welt über allen Menschen. Von den Jains übernahm er seine Wertschätzung des Lebens auch der geringsten Geschöpfe, der Tiere. Von den Anhängern Zoroasters borgte er seine Verehrung für die Sonne. Auch wenn Akbars frohe Botschaft seinen Tod nicht überlebte, wird sie gelegentlich als Muster eines Islam propagiert, der Hindus und Moslems in Indien versöhnen möchte.
Die Verwaltung eines Großreichs
Allein die Größe seines Imperiums stellte Akbar vor gewaltige Probleme. Etwa 100 bis 125 Millionen Menschen dürften damals im Mogulreich gelebt haben. Natürlich gab es einige große Städte: Agra zum Beispiel war größer als das gleichzeitige London und Delhi nicht viel kleiner als Paris, trotzdem lebten die meisten Menschen in den Dörfern von der Landwirtschaft.
So stellte die Haupteinnahmequelle Akbars die Grundsteuer dar. Von seiner Möglichkeit, diese Steuer korrekt zu bemessen und einzuziehen, hing das Einkommen der Zentralregierung ab. Akbar konnte dabei auf Vorarbeiten zurückgreifen, die Sher Khan während seiner Regierung geleistet hatte. Unter ihm war das Land vermessen worden. Jedes Jahr wurde seitdem zur Erntezeit eine Steuerveranlagung durchgeführt, mit der auf Grund des Wetters und des zu erwartenden Ertrags der Steuersatz festgelegt wurde. Diese Aufgabe war so wichtig, dass der Herrscher höchstpersönlich die Entscheidung traf.
Doch mit Akbars Expansion wurde das System obsolet. Die Witterungsverhältnisse waren zu unterschiedlich, um für das ganze Reich einen einheitlichen Steuersatz festzulegen. Außerdem waren große Teile des Gebiets als Lehen vergeben. Ihre Inhaber waren daran interessiert, die Einkünfte aus ihrem Gebiet niedriger anzugeben als sie tatsächlich waren.
Akbar zog nun in einer durchgreifenden Reform alle Lehen erst einmal ein. Alle Staatsdiener sollten zunächst aus der Staatskasse bezahlt werden. Danach wurde das Land neu vermessen, und Bezirksschreiber hielten über einen Zeitraum von zehn Jahren alle Preis- und Steuerdaten fest. Aus ihnen wurde für jeden Bezirk ein Zehnjahresdurchschnitt ermittelt, anhand dessen der Steuersatz festgelegt wurde. Er sollte in Zukunft gleich bleiben – in guten und in schlechten Jahren. Jedes Produkt war dabei einem anderen Steuersatz unterworfen: Wer Indigo anbaute, hatte die höchste Steuer zu zahlen, Mohn, die Basis für Opium, folgte gleich darauf. Zuckerrohr wurde immerhin noch doppelt so hoch angesetzt wie Weizen.
Akbars Münzen
Teil der Steuerreform war nicht nur ein einheitliches System von Maßen und Gewichten, sondern auch eine systematische Emission von Münzen, denn Akbar beabsichtigte, alle Steuern in Bargeld einzuziehen. Auch hier konnte er sich auf die Vorarbeiten stützen, die der große Organisator Sher Khan geleistet hatte. Unter ihm waren zum ersten Mal die Rupie und der goldene Mohur ausgegeben worden.
Anlässlich des Neujahrstages des Jahres 1000 nach der Hedschra, also nach unserer Zeitrechnung 1591, soll Akbar alle Gold- und Silbermünzen seiner Vorgänger einziehen, umschmelzen und unter seinem eigenen Namen haben ausprägen lassen.
Schwerstes Nominal wurde der Mohur, eine Goldmünze, deren Gegenwert Zeitgenossen mit dem Jahresgesamtertrag von zwei bis drei Morgen Land umschrieben.
Die wichtigste Silbermünze war die Rupie. Ihr Name leitete sich aus dem Sanskrit Wort „rouppya“ für Silber her. Sie bestand ursprünglich aus 175 Gran Feinsilber (1 Gran = 0,063 g; also ca. 11 g) und wurde je nach Kurs mit einem Mohur zu 14 bis 17 Rupien berechnet. Sir Thomas Roe, der sich in den Jahren 1615 bis 1618 am Mogulhof aufhielt, gab ihren Wert mit 2,5 englischen Schillingen an.
Kleinste Einheit war der kupferne Dam, den es ebenfalls schon lange vor Akbar gegeben hatte. 40 Dam gingen auf eine Rupie – was das Rechnen ziemlich schwierig machte: Alle offiziellen Einnahmen und Ausgaben wurden in „Dam“ berechnet, was zu enormen Zahlengebilden führte – immerhin entsprach ein Mohur 560 bis 680 Dam. Kein Wunder, dass die indischen Mathematiker es zu solcher Berühmtheit brachten!
Akbars Münzen folgten 30 Jahre lang dem gewöhnlichen Schema, das wir bei allen moslemischen Münzen finden. Die Gold- und Silbermünzen zeigten auf der einen Seite die Kalima zusammen mit den Namen der vier Nachfolger des Propheten, der Kalifen Ali, Umr, Usman und Abu Bakr sowie deren Epitheta. Diese variieren leicht, meist lauten sie für Abu Bakr: der gläubige Zeuge, für Umr: der Milde, für Usam: Vater der beiden Lichter, für Ali: der Erwählte.
Moslemische Münzen haben nicht nur Geldfunktion. Zusammen mit der Nennung des Herrschers während des Freitagsgebets in der Moschee ist sein Name auf der Münze ein eindeutiges Hoheitszeichen, das durch die Datierung der Stücke exakt darüber Auskunft gibt, wann und wo ein bestimmter Herrscher anerkannt wurde. In einer Gesellschaft, in der gedruckte Medien nur langsam und ausschließlich innerhalb einer Elite kursierten, stellte der Basar die Öffentlichkeit dar, die der neue Herrscher mit seinen Münzen informieren wollte. Auch wenn uns die moslemischen Münzen durch ihre Beschränkung auf die Schrift eintönig erscheinen mögen, handelt es sich um aussagekräftige Quellen zur Geschichte.
Zeitgenössische Autoren geben uns einige Details, wie Akbar das Münzwesen kontrollierte. So errichtete er ein eigenes Ministerium, das ein Minister von der Hauptstadt aus verwaltete. Der steuerte zentral die Prägungen aller Münzstätten im riesigen Reich. Wir kennen sogar den Namen des ersten Verantwortlichen. Er hieß Khwaja Abdus Samad und war eigentlich Kaligraph und Maler. Kein Wunder, dass sich Akbars Münzen durch ihre graphische Gestaltung auszeichnen.
Es gibt sogar noch ein archäologisches Relikt von Akbars Münzpolitik. In Fatehpur Sikri ist die riesige Münzstätte erhalten, in der gewaltige Mengen von Geld hergestellt werden konnten. Hier wurde zunächst das Metall vom Aufseher der Münzstätte, dem darogha, geprüft. Die Stempelschneider, unter ihnen ein bekannter Künstler namens Maulana Ali Ahmad, ein hoch geschätzter Beamter im Rang eines yüzbashi (= Kommandant von Hundert), gravierten das Münzbild direkt in den Stahlstempel. Damit wurden die Münzen geprägt.
Eine neue Zeit
Um die Einziehung der Steuern zu erleichtern, stellte Akbar den moslemischen Mondkalender auf einen Sonnenkalender um. Die arabischen Monde der Hidschra wurden gegen die persischen Sonnenmonate ausgetauscht. Das fand natürlich auch seinen Niederschlag in der Münzprägung. Akbar führte eine neue Aera ein, die Ihali Aera, die auf dem Sonnenkalender basierte und deren Anfangsjahr noch nicht restlos geklärt ist.
Auch die Kalima, das traditionelle Glaubensbekenntnis der Moslems, „Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet“ wurde aufgegeben. Stattdessen las man nun „Allahu Akbar Jalla Jalalhu“, ein Satz, über dessen Aussage man streiten kann. Die einfache Übersetzung lautet: „Gott ist der Größte, gepriesen sei sein Ruhm“. Nun entspricht aber das arabische Wort für „größte“ dem Namen Akbars, so dass man die Aufschrift auch übersetzen könnte: „Akbar ist Gott, gepriesen sei sein Ruhm.“, eine Botschaft, die natürlich vielen orthodoxen Moslems Bauchschmerzen bereitete.
In wie weit sich Akbar bei dieser Legendengestaltung bewusst für die Doppeldeutigkeit entschied, muss man dahingestellt lassen.
Das Ende einer Epoche
Der Kampf um Akbars Erbe begann noch zu seinen Lebzeiten. Sein Sohn Jahangir versuchte, sich das Erbe zu sichern und brachte durch sein forsches Vorgehen seinen Vater gegen sich auf. Nicht dass Akbar bei der Wahl seines Nachfolgers viel Auswahl hatte: Seine beiden jüngeren Söhne waren dem Alkohol und dem Opium derart ergeben, dass sie im Delirium tremens starben.
Akbar mag noch eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt haben, seine Macht direkt auf den geliebten Enkel Kusrau zu übertragen. Doch hier mischten sich die Frauen ein. Man wollte keinen neuen Streit um die Thronfolge. Jahangir verfügte über die militärische Macht und die persönlichen Fähigkeiten. So führte Akbars Mutter eine Versöhnung der Generationen herbei. Akbar setzte Jahangir seinen eigenen Turban auf, eine Geste, die als offizielle Anerkennung als Erben interpretiert wurde.
Am 15. Oktober 1605 starb Akbar. Er wurde in einem gewaltigen Mausoleum nahe Agra begraben.
Haben Sie den ersten Teil unserer Serie zu Akbar, dem Herrscher des Mogulreichs verpasst? Hier lesen Sie Teil 1, wie Akbar Herrscher von Delhi wurde und welche Rolle seine Vorfahren dabei spielten.
Und in diesem Artikel erfahren Sie, warum die Sterne eine wichtige Rolle am Hofe von Akbars Sohn, dem Großmoguln Jahangir, und somit auch auf seinen Münzen spielten.
Einen Rundgang durch Fatehpur Sikri, die ehemalige Hauptstadt von Akbars Reich, finden Sie auf YouTube.