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Attentat im heiligen Raum: Die Pazzi-Verschwörung

Schon immer nutzten politische Mörder heilige Räume für Attentate. Ins Gebet versunken ist der Gläubige ein leichtes Opfer. Eine bemerkenswerte Renaissance-Medaille erzählt die Geschichte eines Attentats auf geweihtem Boden. Das Münzkabinett Berlin hat ihr eine Ausstellung gewidmet.

von Ursula Kampmann

Inhalt

Sandro Botticelli, Porträt des Giuliano de' Medici. Academia Carrara / Bergamo. Foto: KW

Sandro Botticelli, Porträt des Giuliano de‘ Medici. Academia Carrara / Bergamo. Foto: KW

Jeder, der die Stadt Florenz besucht, hört die Geschichte von der Pazzi-Verschwörung: Die Florentiner Bankiersfamilie der Pazzi beabsichtigte mit Unterstützung von Papst Sixtus IV., die herrschenden Medici zu stürzen. Sie standen den päpstlichen Plänen im Weg, die eigene Macht auf Mittelitalien auszudehnen. So versuchte der Papst, die Medici zu schädigen, indem er ihnen lukrative Geschäftsfelder entzog und sie den Pazzi übergab. Dagegen wehrten sich die Medici effizient und erfolgreich.

Diese Ausgangssituation war die Basis für die Idee, die Familie der Medici ihrer beiden Anführer – Lorenzo und Giuliano – zu berauben. Als Ort des Attentats wählten die Verschwörer die Kathedrale, in der zu Ehren des neu ernannten Kardinals Raffaele Riario ein Hochamt zelebriert wurde. Die Entweihung des heiligen Ortes wurde bewusst in Kauf genommen für den Vorteil, beide Medici gleichzeitig ermorden zu können und so der führerlos gewordenen Familie die Alleinherrschaft zu entwinden.

Medaille des Bertoldo di Giovanni auf die Pazzi-Verschwörung, 1478. Berlin, Münzkabinett der Staatlichen Museen, 18216319. Aufnahme durch Reinhard Saczewski. Public Domain Mark 1.0

Medaille des Bertoldo di Giovanni auf die Pazzi-Verschwörung, 1478. Berlin, Münzkabinett der Staatlichen Museen, 18216319. Aufnahme durch Reinhard Saczewski. Public Domain Mark 1.0

Eine Medaille zeigt, was am 26. April 1478 geschah

Was dann am 26. April des Jahres 1478 geschah (oder besser geschehen sein soll), zeigt eine bemerkenswerte Medaille, die Bertoldo di Giovanni 1478 im Auftrag des Lorenzo de‘ Medici schuf. Bei ihrer Darstellung handelt es sich um das, was wir „gestaltete Wahrheit“ nennen könnten. Wir sehen nämlich die Version des Geschehens, die Lorenzo de‘ Medici der Öffentlichkeit vermitteln wollte. Dabei spiegelt die Darstellung exakt den Bericht des Angelo Poliziano. Auch sein Text war keine Geschichtsschreibung im modernen Sinne, sondern ein hochkomplexes Werk der Propaganda. Poliziano nutzte antike Vorbilder und Stereotypen des Verräters, wie sie Dante für sein Inferno geschaffen hatte. Er arbeitete genau wie Bertoldo di Giovanni auf Anweisung von Lorenzo de‘ Medici, von dem er finanziell und politisch völlig abhängig war.

Karsten Dahmen hat in seinem Ausstellungskatalog „Die Pazzi-Verschwörung. Macht, Gewalt und Kunst im Florenz der Renaissance“ minutiös rekonstruiert, wer und was genau auf der Medaille zu sehen ist. Wir erhalten dadurch einen Einblick, wie Lorenzo de‘ Medici die Wahrnehmung der Geschichte bis heute beeinflusste.

Zunächst ist die Medaille ganz anders als gewöhnliche Medaillen nicht nur in Vorder- und Rückseite gegliedert. Wir sehen stattdessen zwei völlig gleichwertige Seiten, die ihrerseits in oben und unten unterteilt sind.

Eine Seite ist dem überlebenden Lorenzo, die andere dem ermordeten Giuliano de‘ Medici gewidmet. Beide zeigen im oberen Drittel ein Porträt, das mit LAVRENTIVS MEDICES resp. mit IVLIANVS MEDICES benannt ist. Unter dem Porträt von Lorenzo finden wir den Kommentar SALVS PVBLICA (= öffentliches Wohl), unter dem des Giuliano LVCTVS PVBLICVS (= öffentliche Trauer).

Detail der Medaille von Bertoldo di Giovanni mit der Ermordung von Giuliano de' Medici

Detail der Medaille von Bertoldo di Giovanni mit der Ermordung von Giuliano de‘ Medici

Der Mord an Giuliano de‘ Medici

Darunter ist das Geschehen des Attentats dargestellt. Wir sehen den durch die Chorschranken für die Priester abgegrenzten Bereich des Chors. Der Hauptzelebrant ist vor dem Altar ins Gebet versunken genauso wie die andächtig ihm assistierenden Diakone und die im Chorgestühl versammelte Geistlichkeit.

Ob wirklich genau der Moment der Wandlung dargestellt ist, den manche Historiker als den Zeitpunkt des Attentats angeben, lässt sich anhand der Darstellung nicht verifizieren. Allerdings wird jedem Betrachter klar, dass es sich nicht um den Segen handeln kann, mit dem jede Messe endet. Die Pazzi-freundliche Überlieferung besagt, dass erst die Schlussworte des Segens „Ite missa est“ das Signal zum Attentat darstellten. Das würde bedeuten, dass die Tat eigentlich erst nach der Messe stattfand. Was wir für spitzfindig halten, war für die gläubigen Christen Italiens von größter Bedeutung, so dass Lorenzo seine Version des Zeitpunkts gleich auf beiden Seiten der Medaille verewigen ließ.

Das Geschehen ist wie in einem modernen Comic in zwei Teile gegliedert. Der Künstler entschied sich, die Attentäter nackt darzustellen. Nicht im Sinne der heroischen Nacktheit der Antike, sondern wie die Sünder im Höllenfeuer, die den Peinigungen der Hölle schutzlos preisgegeben sind.

Wir sehen links in der Mitte Giuliano die waffenlosen(!) Hände flehend zum Himmel erhebend. Von der einen Seite kommt Bernardo Bandini, um ihm das Schwert in die Seite zu stechen; von der anderen Seite naht sich Francesco de‘ Pazzi. Er rammt Giuliano das Schwert in die Brust. Der bricht – und damit sind wir bei der Szene rechts – zusammen, während seine Mörder den Leib des Sterbenden mit 19 Messerstichen durchbohren.

Detail der Medaille von Bertoldo di Giovanni mit der Flucht des Lorenzo de' Medici

Detail der Medaille von Bertoldo di Giovanni mit der Flucht des Lorenzo de‘ Medici

Lorenzo de‘ Medici entkommt

Das Geschehen der anderen Seite erinnert an die erfolgreiche Flucht von Lorenzo. Er war nicht wie sein Bruder unbewaffnet in der Kirche erschienen, sondern trug sorgfältig verborgen ein Schwert. Eigentlich ein absoluter Bruch mit den kirchlichen Regeln, aber die Medici rechneten mit einem Anschlag. Deshalb traten sie in der Öffentlichkeit kaum gemeinsam auf. Allerdings konnten sie dies nicht bei dem Gottesdienst zu Ehren des neu ernannten Kardinals wagen. Damit hatten die Attentäter gerechnet…

Mit Lorenzos Vorbereitungen rechneten sie nicht. Er wehrt sich auf der Medaille mit Schwert und wehendem Mantel (der gleich eine Rolle spielen wird), während ihn zwei Attentäter verfolgen. Ihre Schwertstreiche verletzen ihn am Nacken, allerdings nicht schwer. Im Feld links wird breit dem Entsetzen der Beobachter Ausdruck gegeben, die teils noch sprachlos dastehen, teils schon aus der Kirche fliehen.

Währenddessen kämpft Lorenzo, den gerade noch wehenden Mantel wie ein Schild um den Arm gewunden, mit dem Schwert gegen einen weiteren Angreifer, bevor er sich über die Chorschranke schwingt und hinter den stabilen Türen der Sakristei in Sicherheit bringt. Karsten Dahmen will so die beiden Gestalten erklären, die hinter den Chorschranken, zwischen den Diakonen und dem dreieckigen Lesepult zu sehen sind.

Mehr darüber in der aktuellen Ausstellung des Berliner Münzkabinetts

Haben wir Sie neugierig gemacht? Dann sollten Sie unbedingt die aktuelle Sonderausstellung des Berliner Münzkabinetts besuchen. Dort ist diese wunderbare Medaille mitsamt der Ausstellung noch bis zum 20. September 2026 zu sehen.

Karsten Dahmen und Neville Rowley haben um das Objekt herum einige Vitrinen gestaltet, mit denen sie mit Hilfe von hauseigenen Objekten und Leihgaben aus anderen Berliner Museen die spannungsreiche Epoche der Renaissance zum Leben erwecken. Münzen und Medaillen illustrieren den wirtschaftlichen und den politischen Hintergrund des Attentats sowie dessen Konsequenzen. Diese Ausstellung ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht riesige Blockbuster Ausstellungen braucht, um einen historischen Sachverhalt zu vermitteln.

Und so zeigen die Kuratoren, mit welch meisterhaftem Geschick Lorenzo das Geschehen und seine Rache inszenierte. Er stilisierte sein Entkommen zur göttlichen Rechtfertigung der Herrschaft der Medici, was seine Nachkommen solange wiederholten, bis ihre Wahrheit zur (gefühlten) historischen Wahrheit wurde.

Und damit sind wir bei den zwei Seiten jeder Münze (und Medaille) angelangt. Die Geschichte verurteilt die Pazzi heute als Mörder. Hätten sie gesiegt, würden wir sie wohl als Florentinische Freiheitskämpfer kennen.

Denn wer Recht hat, ist immer eine Frage der Interpretation und der Überlieferung. Deshalb gibt es eigentlich nur eine einzige historische Wahrheit: Gewalt ist nie eine Lösung, völlig gleichgültig ob sie für ein „gutes“ oder für ein „schlechtes“ Anliegen eingesetzt wird.

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