Warum ist der heilige Georg so häufig auf Münzen zu sehen?
Am 1. Februar 2024 veranstaltet Künker seine 400. Auktion. Es ist eine Auktion der Superlative mit ausgewählten Raritäten aus Altdeutschland und der ganzen Welt. In dieser Auktion wird unter anderem eine nur in zwei Exemplaren bekannte Probe aus Großbritannien versteigert. Das 5 Pfund-Stück mit glattem Rand und dem Datum 1820 zeigt auf der Rückseite den hl. Georg.
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Pistrucci und die Elgin Marbles
Nun ist die Geschichte der Entstehung dieses Designs bereits oft genug erzählt worden. Wir wissen, welche Schwierigkeiten der neue Leiter des Münzwesens William Wellesley Pole hatte, den Ausländer Benedetto Pistrucci als Chefgraveur der britischen Münzstätte anzustellen. Seine Entwürfe für die neuen Sovereigns wurden deshalb gesondert verrechnet. Pistrucci erhielt für vier Modelle, von denen drei das Herrscherporträt und eines den heiligen Georg hoch zu Ross zeigten, 312 Pfund und 8 Shillinge. Weil die Graveure der Münzstätte nicht in der Lage waren, die detaillierten Darstellungen in Stempel umzusetzen, gravierte Pistrucci die Patrizen für eine Zusatzzahlung von 100 Guineas selbst.
Wesentlich weniger bekannt dagegen ist, welches Kunstwerk Benedetto Pistrucci zu seinem ikonischen Motiv inspirierte. Sein nackter Georg brach mit allen kirchlichen Vorbildern. Kein Wunder! Er ist nämlich inspiriert von den nackten Reitern des Parthenonfrieses. Als Pistrucci über eine passende Rückseitendarstellung grübelte, versuchte Elgin gerade seine aus Athen mitgebrachten Skulpturen zu verkaufen. Dafür zeigte er sie allem, was Rang, Namen und Einfluss hatte. Auch Pistrucci. Und der war begeistert. Die Skizzen und Modelle, die er angesichts des Frieses machte, flossen ein in seine Darstellung des hl. Georg.
Wie gesagt, all das wurde oft erzählt. Deshalb widmen wir uns einer anderen Frage: Warum ist der hl. Georg überhaupt ein Symbol Englands? Warum führt der Name Georg die Hitliste der internationalen Herrschernamen an? Und warum ist ausgerechnet dieser Heilige so oft auf Münzen und Medaillen zu sehen?
Die Funktion des Schutzheiligen auf einer Münze
Klären wir zunächst, warum überhaupt so viele Heilige auf Münzen abgebildet sind. Sie waren – ähnlich wie die Götterdarstellungen auf griechischen Münzen – identitätsstiftend. Alle Mitglieder einer Gemeinschaft identifizierten sich mit „ihrem“ Heiligen. Denn es gehörte zu den Pflichten und Privilegien beim Fest des Schutzpatrons dabei zu sein. Die Gemeinschaft, in der jeder einzelne seinen genau festgelegten Platz einnahm, erflehte gemeinsam den Segen des Heiligen. Weil Menschen pragmatisch sind, verehrte man besonders gerne Heilige, die ihre Macht bereits erwiesen hatten. Und damit sind wir beim hl. Georg und seiner Verbreitung in ganz Europa angelangt.
Georg der Märtyrer
Kommen wir zu dem, was wir über den hl. Georg wissen. Das ist wenig. Wir können nicht einmal ganz sicher sein, dass es ihn gegeben hat, auch wenn die ursprüngliche Legende plausibel klingt. Die behauptet nämlich, Georg sei ein Christ griechischer Abstammung gewesen, der wegen seiner Weigerung, Soldat zu werden, Ende des 3. Jahrhunderts hingerichtet und in Lydda (bei Tel Aviv) begraben wurde. Kein unübliches Schicksal unter Diocletian. Der hatte wegen des Mangels an freiwilligen Rekruten ein Gesetz erlassen, das alle Söhne von Soldaten bei Todesstrafe dazu verpflichtete, ebenfalls Soldat zu werden. Natürlich gab es Männer, die dies nicht wollten. Viele von ihnen argumentierten mit ihrem christlichen Glauben.
Wir können uns das gut vorstellen, weil die Akten des Maximilianus von Numidien einen solchen Vorgang überliefern. Auch Maximilianus verweigerte unter Diocletian den Wehrdienst, obwohl man ihn für tauglich befunden hatte. Die Behörden forderten erst den Vater auf, den Sohn zum Gehorsam zu überreden. Als das nichts half, schaltete sich der Proconsul ein. In einer persönlichen Unterredung versuchte er, den unwilligen Rekruten erst mit Argumenten zu überzeugen, und als das nichts half mit der Androhung der Todesstrafe einzuschüchtern. Doch auch nach einer Bedenkzeit lenkte Maximilianus nicht ein. Er wurde geköpft.
Wahrscheinlich erlitt Georg ein ähnliches Schicksal. Er wurde zum Kern erst einer Legende, dann eines Volksbuchs. Das war weit verbreitet und beliebt. Wir wissen das, weil eben dieses Volksbuch 494 in jenem berühmten Dekret von Papst Gelasius I. genannt wird, das die kanonischen – also erlaubten – Bücher der Bibel und der Lehre von den so genannten apokryphen – also nicht erlaubten – abgrenzt. Außerdem hat sich ein Fragment erhalten. Darin spielt die Legende vom Drachentöter keine Rolle. Die wurde dem hl. Georg erst später zugeschrieben.
Georg der Drachentöter
Dabei ist der Mythos vom Drachentöter eigentlich uralt. Er ist Thema vieler Märchen und hat mit Perseus und Andromache Eingang in die griechische Sagenwelt gefunden. Im Mittelpunkt steht eine Gemeinschaft, deren Tiere von einem Drachen gefressen werden. Um ihn davon abzuhalten, versprechen sie ihm ein jährliches Menschenopfer. Wer sich opfern muss, entscheidet das Los. Doch als es die wunderschöne Prinzessin trifft, erscheint ein edler Ritter und erschlägt den Drachen.
Ein Ritter namens Georg, der gegen das Böse kämpft: Kein Wunder, dass diese Legende auf die Kreuzritter einen tiefen Eindruck machte, als sie durchs Heilige Land marschierten. Die Geschichte wurde zuerst von Männern erzählt, die von der Ostküste des Schwarzen Meeres stammten. Deshalb nannten die Westeuropäer ihre Heimat Georgien. Wir finden diesen Namen erstmals auf einer italienischen Karte von 1320.
Erst die Kreuzritter machten aus dem hl. Georg, der sich geweigert hatte, seinen Wehrdienst zu abzuleisten, einen edlen Ritter, der die Bösen tötet, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Der hl. Georg entwickelte sich in ihren Erzählungen zum Vorbild aller Adligen, die sich für die ritterlichen Ideale begeisterten. Deshalb wurde Georg zu einem Modenamen in ritterlichen Kreisen.
Georg als politisches Argument
Ob der hl. Georg wirklich zu Gunsten der Kreuzfahrer bei der Eroberung Jerusalems im Jahr 1099 eingegriffen hat? Man mag es bezweifeln. Doch es ist gut überliefert, dass die Kreuzritter ihn immer wieder vor dem Kampf anriefen. So zum Beispiel im Jahr 1190, als Friedrich Barbarossa seine Männer bei Iconium gegen die Rum-Seldschuken führte. Und tatsächlich berichtet Graf Ludwig I. von Helfenstein, er habe während der Schlacht einen Krieger im weißen Gewand gesehen, bei dem es sich nur um den heiligen Georg handeln könne.
Der hl. Georg mutierte zum Schlachthelfer, dessen Eingreifen bewies, dass die eigene Sache gottgefällig sei. Jedenfalls wurde es so interpretiert. Auch Richard Löwenherz griff auf den beliebten Heiligen zurück, um seine Männer zu ermutigen: Der Heilige sei ihm in einer Vision erschienen und habe den Sieg vorhergesagt. Dies griff Edward III. zu Beginn des 100-jährigen Kriegs auf. Er stellte seinen neu gegründeten Hosenbandorden unter den Schutz des hl. Georg. Der Orden war nicht mehr gegen die „Heiden“, sondern gegen die Anhänger Philipps VI. gerichtet.
Ähnlich nutzte Sten Sture der Ältere den hl. Georg. Er kämpfte 1471 in der Schlacht von Brunkeberg gegen den dänischen Königs Christian I. um die Macht in Schweden. Auch Sten Sture ließ verbreiten, der hl. Georg sei während der Schlacht erschienen, um ihn zu unterstützen. Dies führte nach seinem Sieg zur großen Beliebtheit Georgs in Schweden. Sein Bildnis kann nicht nur in der Stockholmer Storkyrkan bewundert werden, sondern schmückt zahllose Kirchentüren des Landes.
Georg der Viehhirte
Auch in Russland wird der hl. Georg verehrt. Doch die Russen haben ihn nicht während der Kreuzzüge kennengelernt, sondern schon viel früher. Bei ihnen ist er kein Heiliger der Oberschicht, sondern nimmt sich auch der einfachen Menschen an. Er schenkt den Bauern Regen, Glück bei der Jagd, eine gute Ernte, die Heilung von Krankheiten und beschützt ihr Vieh vor wilden Tieren.
Bereits sehr früh fand er Eingang in die russische Münzprägung und die Heraldik. Das Wappen von Moskau zeigt bis heute jene Darstellung, die wir auch auf der Probe zum Rubel von 1801 sehen. Das kleine Herzschild präsentiert Georg als Drachentöter.
Georg und die Legenda Aurea
Mündliche Erzählungen leben und verändern sich, je nachdem wer sie erzählt. Erst der Buchdruck fixierte die Georglegende, indem er ein mittelalterliches Manuskript zum weit verbreiteten Bestseller machte. In der Legenda Aurea fasste der Dominikaner Jacobus von Voragine zusammen, was er über die wichtigsten Heiligen – darunter natürlich auch der hl. Georg – wusste. Dabei musste er die Geschichte des Wehrdienstverweigerers mit der des Drachentöters in Einklang bringen.
So tötet der fromme Ritter Georg erst einmal den Drachen. Das Volk ist davon so begeistert, dass sich 20.000 Männer taufen lassen, die Frauen und Kinder – so Jacobus von Voragine – nicht mitgezählt. Doch als Georg von der Christenverfolgung des Diocletian hört, legt er die Waffen nieder und geht hin, um zum Märtyrer zu werden. Was dann geschieht, wäre eines Splatterfilms würdig. Da werden Glieder gerissen, der Leib gebrannt, die Eingeweide sehen heraus und werden mit Salz eingerieben. Man mischt Georg Gift in den Wein, flicht ihn aufs Rad, setzt ihn in einen Kessel voll siedendem Blei – und der Heilige lebt immer noch. Da führt man ihn in den Tempel, wo auf sein Gebet hin Feuer vom Himmel fällt, das Gebäude und Priester verschlingt. Er überzeugt noch schnell die Königin von Alexandria, selbst Christin (und Märtyrerin) zu werden, ehe er – man möchte fast sagen endlich – stirbt, weil man ihm den Kopf abschlägt. Der nun entrückte Heilige erobert noch schnell Jerusalem, und so wird seine Legende fortan in allen Altarbildern, Fresken und natürlich auch im Münzbild erzählt.
Georg im 19. Jahrhundert
Damit könnten wir schließen, wäre nicht ausgerechnet dem heiligen Georg ein weltliches Nachleben beschert. Es gibt ihn immer noch, und das in überraschenden Inkarnationen. Diese Medaille auf den 80. Geburtstag von Bismarck zeigt ihn zum Beispiel mit einer Pickelhaube. Und damit wird klar, dass der Künstler Otto von Bismarck selbst zum hl. Georg stilisiert, um ihn als Vorkämpfer des Guten gegen das Böse zu feiern. Wie dieses Böse aussieht? Nebensache. Sogar wenn es, wie in Bismarcks Fall, die katholische Kirche ist. Der Reichskanzler erließ während des Kulturkampfs den so genannten Kanzelparagraphen, der Geistlichen Haftstrafen androhte, sollten sie es wagen, sich auf der Kanzel in politische Diskussionen einzumischen. Er verbot den Jesuitenorden und die katholischen Schulen. Auf ihn gehen Zivilehe und die staatliche Abschlussprüfung für alle Geistlichen zurück. Im protestantischen Hamburg scheint man seine Politik so geschätzt zu haben, dass man seine Abneigung gegen Heilige vernachlässigte und Bismarck als neuen Heiligen feierte.
Und diese Rolle spielt der hl. Georg immer noch in der Ikonographie. Als Kämpfer des Guten gegen das Böse taucht er weiterhin im Stadtbild und in der Numismatik auf. Und er tut dies, obwohl er am 9. Mai 1969 ganz offiziell aus der Liste der katholischen Heiligen gestrichen wurde.