Silber für Württemberg
In der frühen Neuzeit waren große Teile des heute so idyllischen Schwarzwalds ein boomendes Industriegebiet. Von hier kam ein großer Teil des Silbers, aus dem man die württembergischen Münzen prägte. Die Sammlung Heinz-Falk Gaiser, die bei Künker am 23. September 2024 versteigert wird, enthält viele Münzen aus Schwarzwälder Silber.
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1570 ächzte ganz Europa unter einer schrecklichen Hungersnot. Die kleine Eiszeit machte sich erstmals eindrucksvoll bemerkbar. Gewissenhafte Herrscher wie Herzog Ludwig von Württemberg verteilten ihre Getreidevorräte an die hungernde Bevölkerung. Doch die Speicher leerten sich schnell.
Wie sollte ein Herrscher die Mittel aufbringen, neues Getreide zu kaufen und die gestiegenen Staatskosten zu finanzieren? In dieser Situation mag Herzog Ludwig einen auswärtigen Sachverständigen beauftragt haben zu untersuchen, ob man die Silbergruben im Schwarzwald wieder eröffnen solle.
Das Silber im Christophstal
Der Sachverständige riet zu, die „Gruben im Forbach“ wieder zu eröffnen. Besonders der nach Ludwigs Vater benannte Christophsstollen war vielversprechend. Er gab dem gesamten Bergwerksgebiet seinen Namen: Christophstal. Bereits 1573 entstanden erste Taler aus Christophstaler Silber. Sie zeigen den hl. Christophorus, jenen legendären Riesen, der Christus über einen Fluss trug.
Herzog Ludwig verlieh dem Bergbaugebiet Privilegien, die Fachleute aus dem In- und Ausland anlocken sollten. Er erlaubte den Bürgern steuerfreien Immobilienan- und -verkauf, was damals durchaus nicht üblich war. Mit dem Niederlassungsrecht war ein Gewerberecht verbunden, auch das ein attraktives Privileg. Dazu erteilte er der Siedlung das Recht, einen Wochenmarkt und ein oder mehrere Jahrmärkte abzuhalten.
Trotzdem hielt sich die Silberausbeute in Grenzen, wie uns die Landschreiberei-Rechnungen verraten. 1575/6 lieferten die Gruben nur 3,605 kg; 1579/80 war es noch weniger, nämlich 1,637 kg Feinsilber. Der Herzog entschloss sich, die staatliche Unterstützung zu streichen. Private Unternehmer gruben trotzdem weiter. Das wissen wir, weil 1585 gemäß der Landschreiberei-Rechnungen eine größere Menge Silber an die Münzstätte geliefert wurde (übersetzt aus dem Frühneuhochdeutschen): „Am 29. April im Jahre 85 hat man das Silber, das aus dem Bergwerk im St. Christophstal gekommen ist, der Münzstätte übergeben, und es wurden Taler mit meines gnädigen Fürsten und Herrn Brustbild daraus gemacht. Wir haben im Tiegel [Silber im Wert von] 502 Gulden, 18 Schillingen 1 Pfennig gehabt und haben [daraus Münzen im Wert von] 519 Gulden gemacht und haben damit über die Unkosten hinaus davon gemäß der Abrechnung [einen Gewinn in Höhe von] 10 Gulden 23 Schillingen 5 Pfennigen eingefahren.“
Die Münze, die anlässlich der Hochzeit des Herzogs verteilt wurde
Die Beschreibung verrät uns, welche Münze aus dem Silber geprägt wurde, und wie viele man daraus herstellen konnte: Eine dieser 458 Münzen wird in der kommenden Künker Auktion 411 als Teil der Sammlung Heinz-Falk Gaiser versteigert. Es handelt sich um eine außerordentliche Prägung, die nicht für den Umlauf gedacht war. Das Münzbild entsprach nicht den Vorgaben der Reichsmünzordnung. Stattdessen wurde das Stück geprägt, um anlässlich der Hochzeit von Herzog Ludwig mit Ursula von Pfalz-Veldenz an die anwesenden Gäste verteilt zu werden.
Wir sehen auf der Vorderseite den Herzog in voller Rüstung ohne Kopfbedeckung. Er hält in der rechten Hand den Kommandostab. Die linke Hand ruht auf dem Heft seines Schwerts. Auf der Rückseite sehen wir das persönliche Wappen von Ludwig dem Frommen mit seinem Motto NGW (= Nach Gottes Willen). Hinweise auf die erst 13-jährige Braut suchen wir auf der Münze vergeblich.
Die Blüte des Württemberger Bergbaus unter Friedrich I.
1593 kam Friedrich I. an die Regierung. Mit ihm übernahm ein „moderner“ Herrscher, der auf eine staatliche, merkantilistische Wirtschaftspolitik setzte. Dazu gehörte die Ausbeutung der lokalen Rohstoffe mit modernsten Methoden, die zwar wesentlich kostspieliger waren, sich aber durchaus rentierten. 1594 befahl Friedrich, in den Silberbergbau in Christophstal zu investieren. Schon 1595 überstieg die Produktion erstmals 100 kg Feinsilber. 1595/6 ließ Friedrich deshalb vor Ort eine neue Schmelzhütte bauen. Und 1598 entstand eine moderne Wasserkunst, mit der tiefer gelegene Stollen entwässert wurden.
Die Gründung von Freudenstadt
Bei all seinen Maßnahmen hatte Herzog Friedrich einen guten und erfahrenen Berater. Der empfahl ihm auch, den Bergarbeitern eigenen Baugrund zu überschreiben, um sie durch den Besitz einer Immobilie enger an die Arbeit zu binden. Wir wissen, wie Friedrich I. über diesen Vorschlag dachte, weil er am Rand des Gutachtens notierte (übersetzt aus dem Frühneuhochdeutschen), „dass uns das nicht zuwider sei, aber dass solche kleinen Hütten und Gärten an einem [gemeinsamen] Ort zu errichten seien, damit eine Stadt daraus werden könne.“
Am 22. März 1599 ließ Herzog Friedrich erste Baugrundstücke auf einem Hochplateau über Christophstal abstecken. Am 1. Mai 1601 wurde der Grundstein für eine protestantische Kirche gelegt. Der neue Name Freudenstadt ist erstmals am 6. Mai 1599 erwähnt.
Überregional bekannt wurde die Stadt seit dem 3. November 1601. Auf diesen Tag datiert ein Schreiben, indem der Herzog Glaubensflüchtlinge aus der Steiermark, Kärnten oder Krain nach Freudenstadt einlud. Viele kamen, allerdings blieben nur die wenigsten.
Freudenstadt als neue Hauptstadt von Württemberg?
1999 vertrat der Freudenstädter Politiker und Lokalhistoriker Gerhard Hertel die These, Freudenstadt sei nicht als Bergwerksstadt gegründet worden, sondern um zur neuen Hauptstadt eines nach Westen expandierenden Württembergs zu werden. Den historischen Hintergrund sieht er im Straßburger Kapitelstreit. Auch in Straßburg versuchte nämlich ein Teil des Domkapitels, sich der Einschränkungen des katholischen Glaubens zu entledigen. Deshalb holte es nach dem Tod des Bischofs im Jahr 1592 Johann Georg, den zweiten Sohn des Markgrafen Joachim Friedrich von Brandenburg, ins Land und wählte ihn – entgegen allen Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens und des geistlichen Vorbehalts von 1555 – zum Administrator. Dem trat eine katholische Minderheit im Domkapitel entgegen, die Karl von Lothringen zum neuen Bischof wählte. Es kam zum Krieg, aus dem die umliegenden Fürsten ihren Vorteil zogen. Herzog Friedrich zum Beispiel ließ sich für seine Unterstützung von Johann Georg mit dem Amt Oberkirch entlohnen. Damit verlagerte sich Württemberg leicht gen Westen.
Hertel berechnete fälschlich, dass Freudenstadt für bis zu 3.500 Einwohner ausgelegt und somit nach Maßstäben des 16. Jahrhunderts eine Großstadt war. Tatsächlich lebten viel weniger Menschen hier. Die erste Planung sah – je nach Art der Berechnung – 312, 338 oder 375 Bürger vor, was ungefähr der damaligen Größe von Blaubeuren entsprach. Blaubeuren nahm 1598 hinsichtlich seiner Größe Platz 23 der 64 württembergischen Städte ein. Freudenstadt war also von seiner Größe her weit davon entfernt, eine Hauptstadt zu sein. Wir müssen uns eher ein regionales Zentrum vorstellen. Das passt auch besser zu seiner geographischen Lage auf einer schneereichen Anhöhe. Vor allem während der kleinen Eiszeit war die Verbindung zum Rest des Herzogtums Monate lang unterbrochen. Eine effektive Verwaltung von Freudenstadt aus wäre extrem schwierig geworden.
Wie auch immer; Friedrichs Pläne einer westlichen Expansion Württembergs zerschlugen sich. Johann Georg verzichtete 1604 gegen eine finanzielle Entschädigung auf Straßburg. Der Markgraf von Brandenburg stattete seinen Sohn daraufhin mit der Grafschaft Jägerndorf in Schlesien aus. Von dort stammt ein sehr seltener Doppeltaler, der den ehemaligen Administrator als Grafen zeigt.
Vernachlässigung unter Johann Friedrich
Als Herzog Friedrich 1608 starb, folgte ihm sein Sohn Johann Friedrich in die Herrschaft. Der investierte nicht mehr so viel in die Silberbergwerke von Christophstal, weswegen die Erträge ständig sanken. Lieferte Christophstal 1608/9 noch rund 108 Kilo Feinsilber in die Stuttgarter Münzstätte, sank die Ausbeute bereits 1609/10 auf weniger als die Hälfte. Nichtsdestotrotz wurden in Stuttgart noch Taler aus diesem Silber geprägt wie der Reichstaler von 1609 mit dem heiligen Christoph.
Eine eigene Münzstätte für das Christophstal
Albert Raff hat nachgewiesen, dass es vor der Kipper- und Wipperzeit keine Münzstätte im Christophstal gab. Doch als die Landesherren mit untergewichtigen Münzen ein hervorragendes Geschäft machen konnten, änderte sich das. Das Christophstal war für den staatlichen Münzbetrug hervorragend geeignet: Personal, einige Maschinen und der notwendige Holzvorrat, den auch eine Münzstätte brauchte, gab es vor Ort. Dazu lag das Christophstal verkehrsgünstig. Große Mengen von schlechtem Geld wurden hier geprägt, ehe Johann Friedrich im Sommer 1623 zur regulären Münzprägung zurückkehrte. Leider finden wir in der Sammlung Gaiser keine Kipper- und Wippermünze aus Freudenstadt. Deshalb zeigen wir ihn einen halben Kipper-Gulden aus Tübingen mit dem Münzstättenzeichen T.
Auch in Tübingen wurde nämlich eine neue Münzstätte eingerichtet, deren Münzmeister eigentlich auch die Stempel für die Kollegen in Christophstal hätte liefern müssen. Stattdessen kam es zum Wirtschaftskrieg zwischen dem Tübinger Münzmeister Peter Stein und dem Christophstaler Münzmeister David Niederländer. Sie kämpften mit allen Mitteln, mit gegenseitiger Verleumdung, Abwerben von Fachkräften und anderen Formen der Geschäftsschädigung. Der Konflikt endete erst mit der Schließung der Tübinger Münzstätte am 11. Mai 1623.
Christophstal prägte noch einige Jahre weiter. Münzen aus dieser Münzstätte sind leicht erkennbar am Münzstättenzeichen, in unserem Fall CT.
Mit dem Tod von Johann Friedrich im Jahr 1628 wurde die Freudenstädter Münzstätte wieder geschlossen. Das Christophstaler Silber wurde zur Ausprägung erneut nach Stuttgart geschickt.
Doch auch dem machte der 30-jährige Krieg ein Ende. 1634 wurde Freudenstadt von der kaiserlichen Armee geplündert, was den Bergbau zum Erliegen brachte. Er wurde nach dem 30-jährigen Krieg wieder aufgenommen, aber es sollte lange dauern, bis aus dem Silberertrag wieder Bergwerkstaler entstehen konnten.
Heinz-Falk Gaiser, der im Kreis Freudenstadt aufwuchs hatte ein besonders Interesse an den Prägungen seiner ersten Heimat. Sie werden deshalb in seiner Sammlung eine relativ hohe Zahl der sonst so seltenen Prägungen aus Freudenstadt finden.
Literatur
Franz Kirchheimer, Die Bergbau-Gepräge aus Baden-Württemberg. Freiburg (1967)
Uwe Meyerdirks, Bergbau und Stadtentwicklung im Nordschwarzwald. In: Martin Pries und Winfried Schenk, Rohstoffgewinnung und Stadtentwicklung. Geographie 30 (2013), 59-111
Albert Raff, Die Bedeutung von Christophstal für die württembergische Münzgeschichte. In: Freudenstädter Beiträge 9/1999, S. 5-87