Regensburg: Wo sich Kaiser und Reich begegneten
Am 20. März 2024 versteigert Künker eine umfangreiche Sammlung von Regensburger Raritäten mit über 300 Losen. Darunter sind viele Gold- und schwere Silbermünzen, die nicht nur das Stadtwappen zeigen, sondern großartige und repräsentative Stadtansichten.
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Sie beweisen, welche Meisterschaft die Münzstätte von Regensburg entwickelte. Nun ließen auch andere Städte im Barock wunderschöne Münzen prägen, aber die Zahl, die Vielfältigkeit und vor allem die vielen verschiedenen Stempel, die für Regensburger Großmünzen verwendet wurden, sind auffällig. Dafür gibt es einen guten Grund: Regensburg hatte einen besonders großen Bedarf an repräsentativen Münzen. Es war nämlich quasi eine Art Hauptstadt des Römischen Reichs Deutscher Nation, wäre das Wort Hauptstadt nicht ein Anachronismus. Sagen wir es also anders: In Regensburg tagten die Abgeordneten, Verzeihung, natürlich die Gesandten, der deutschen Fürsten und Städte. Sie trafen in Regensburg mit dem Stellvertreter des Kaisers zusammen, um gemeinsam die Reichsgesetze zu verabschieden.
Der Immerwährende Reichstag beginnt
Aber wie kam es eigentlich, dass Regensburg Sitz des Immerwährenden Reichstags wurde? Dafür müssen wir mal kurz in Richtung Osten schauen, wo das Reich der Habsburger mit dem der Osmanen um die Herrschaft über den Balkan kämpfte. Eigentlich gehörten all diese Gebiete ja nicht zum Heiligen Römischen Reich. Und eigentlich wären die Reichsstände deshalb nicht verpflichtet gewesen, irgendwelche Türkenkriege zu finanzieren. Aber die Habsburger hatten ständig leere Kassen und schielten auf die Mittel der besser gestellten Reichsfürsten. Tatsächlich gelang es ihnen, den Reichsständen zu suggerieren, die Habsburger Expansion sei der große Endkampf der Christenheit gegen die Ungläubigen. Die Reichsstände schluckten das und stimmten immer wieder zu, Türkensteuern zu zahlen.
Nun funktionierte so eine reichsweite Besteuerung natürlich nur, wenn Reichstag und Kaiser sich gemeinsam geeinigt hatten. Und die Reichsstände nutzten die herrschaftliche Geldnot, um ihre Zustimmung gegen kaiserliche Zugeständnisse zu verkaufen. So ging es, als am 20. Januar 1663 ein neuer Reichstag in Regensburg zusammentrat, vor allem um die Beteiligung der Stände an der Wahlkapitulation. So eine Wahlkapitulation beschwor seit 1619 jeder neue Kaiser und alle Reichsbeamten bei der Wahl. Wir würden heute vielleicht von einer Art Grundgesetz sprechen. Bislang hatten die Kurfürsten in Abstimmung mit dem zu wählenden Kaiser die Wahlkapitulation formuliert. Nun wollten auch die anderen Reichsfürsten mitbestimmen, nach welchen Regeln der neue Kaiser regieren sollte.
Türkensteuern und Wahlkapitulation, das waren nur zwei von vielen äußerst strittigen Themen, die sich seit dem Ende des letzten Reichstags von 1653/4 angehäuft hatten.
Wie alle Kaiser und ihre Gesandten seit Rudolf II. argumentierten, darauf gibt uns eine Silbermedaille von Leopold I. einen Hinweis, auch wenn diese erst 20 Jahre nach der Einberufung des Reichstages entstand. Wir wissen, dass diese Medaille zur weiten Verbreitung gedacht war. Sie wurde nämlich in großen Mengen auf der Walzenpresse produziert, so dass manche Numismatiker lieber von einem Schautaler als einer Medaille sprechen.
Das Stück ist der gescheiterten Belagerung von Wien gewidmet und bildet genau das ab, womit die Habsburger schon seit fast einem Jahrhundert drohten: Die Türken würden, wenn man ihnen nicht auf dem Balkan entgegentrat, das österreichische Wien erobern, und damit die Grenzen des Reichs überschreiten.
So beginnt die lange Inschrift der Rückseite mit den Worten: VIENNA AVSTRIAE A TVRCIS OBSESSA – nachdem das österreichische Wien von den Türken belagert wurde. Dieses Wort ist von großer Bedeutung, denn Wien lag direkt an der Reichsgrenze, und zwar innerhalb des Reichs. In diesem – und nur in diesem – Fall waren die Reichsstände tatsächlich verpflichtet, Reichssteuern für die Verteidigung zu zahlen. Das nur einen guten Tagesmarsch von Wien entfernte Preßburg, heute Bratislava, befand sich dagegen schon nicht mehr auf Reichsgrund und seine Verteidigung wäre eigentlich eine Privatangelegenheit der Habsburger gewesen.
So beschworen die Habsburger die Reichsstände zu zahlen, um zu verhüten, dass die Türken ins Reich vordringen würden. Doch trotz aller Propaganda kam es zu keiner Einigung. Um nun nicht das peinliche Eingeständnis zu verhindern, dass das Reich nicht beschlussfähig sei, tagte man einfach weiter und verabschiedete kleine Entscheidungen in Einzelfragen, die dann nicht Reichsbeschluss, sondern Reichsschluss genannt wurden. Ein kleiner, aber feiner Unterschied!
Auch wenn es niemals entschieden wurde, den Reichstag als ständige Einrichtung zu beschicken, ergab es sich einfach so. Man diskutierte gelegentlich – so 1668, 1670, 1687 und 1741 –, ob man den Reichstag nicht beenden sollte, aber letztendlich ging er einfach weiter.
Das Regensburg der Gesandten
Natürlich hatte kein Kaiser, kein Reichsfürst, kein Bürgermeister die Zeit, ständig in Regensburg anwesend zu sein, um politisch aktiv zu werden. Deshalb entwickelte sich Regensburg zu einer Stadt der Gesandten. Wir wissen von mehr als 70 Diplomaten, die dort ihren ständigen Wohnsitz aufschlugen. Während bedeutendere Herrscher sich einen eigenen Vertreter leisteten, baten die kleineren Fürsten und Reichsstände einen der sowieso anwesenden Diplomaten, nebenbei ihre Interessen im Auge zu behalten.
Die Kommunikation zwischen Fürst und Diplomat fand mittels Brief statt, weshalb sich Regensburg zu einem Knotenpunkt der Reichspost entwickelte. Es ist sicher kein Zufall, dass seit 1748 ein Mitglied der für die Reichspost verantwortlichen Familie Thurn und Taxis als Prinzipalkommissar amtierte, also als Stellvertreter des Kaisers.
In Auktion 406 kann Künker einen äußerst seltenen Taler anbieten, den der Prinzipalkommissar Maximilian Karl von Löwenstein-Wertheim-Rochefort 1711 prägen ließ. Maximilian Karls Karriere ist typisch für einen Gesandten. Aus einer relativ unbedeutenden Grafschaft stammend, stieg er im Dienst des Kaisers auf: 1684 erfolgte die Ernennung zum Wirklichen Reichshofrat, 1699 zum Geheimen Rat der Erblande. Noch im selben Jahr erhielt er eine wichtige Position im Reich, als er zum kaiserlichen Bevollmächtigten am Oberrhein und im Fränkischen Reichskreis befördert wurde. Maximilian Karl erwies sich als ein gewiefter Diplomat, dem es immer wieder gelang, von den Reichsständen Mittel für die Habsburgische Kriegsführung – diesmal nicht wegen der Expansion auf dem Balkan, sondern wegen des spanischen Erbes – zu erhalten. Zum Dank wurde er 1711 in den Reichsfürstenstand erhoben, erhielt im gleichen Jahr das Amt eines kaiserlichen Reichskammergerichtsrats und wurde 1712 zum Prinzipalkommissar in Regensburg ernannt, vornehmlich um die Finanzierung eines zukünftigen Türkenkriegs sicherzustellen.
Die Rückseite der prachtvollen Münze zeigt eine Darstellung, die in mehrere Richtungen interpretiert werden kann. Zunächst wörtlich: Da hält ein Löwe einen Stein – wie passend für den Grafen von Löwenstein. Doch wir müssen auch das Motto Auf alle Fälle wachsam sein in Betracht ziehen. Denn Pose und Stein kennen wir eher in Verbindung mit dem Kranich als Symbol der Wachsamkeit: Man glaubte, der Kranich halte einen Stein in der Kralle, um – sollte er einschlafen und den Stein fallen lassen – bei dem dadurch entstehenden Geräusch sofort wieder aufzuwachen. Solche vieldeutigen Bilder liebten die Menschen des Barock.
Als Prinzipalkommissar war Maximilian Karl von Löwenstein mit seinen zwei Konkommissaren für alle Propositionen – heute würde man vielleicht Gesetzesentwürfe sagen – zuständig. Die wurden dann vom Reichstag diskutiert, natürlich nicht einfach so gemeinsam im großen Sitzungssaal, sondern zunächst nach Ständen getrennt.
Ort der Versammlung war das Alte Regensburger Rathaus, heute ein Museum, in dem die Bedeutung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation dokumentiert und in den stadtgeschichtlichen Zusammenhang gestellt wird. Besichtigt werden können heute immer noch die verschiedenen Tagungsräume, in denen die Vertreter der Reichsstände um Einigungen rangen.
Denn jeder Stand verfügte über seinen eigenen Raum. Im schönsten saßen die Kurfürsten bzw. ihre Komitalgesandten, der Fachbegriff für all die Diplomaten, die im Dienste eines hohen Fürsten standen. Er ist vom lateinischen comitia (= Volksversammlung) abgeleitet. In einer etwas weniger aufwändig ausgestatteten Kammer saßen die Diplomaten der Reichsfürsten, bei denen abwechselnd der Komitalgesandte des Erzherzogs von Österreich und der des Erzbischofs von Salzburg den Vorsitz führten. Es gab natürlich auch einen Raum für die Reichsstädte, deren Sprecher der jeweilige Tagungsort, also Regensburg, war, aber auf die Reichsstädte hörte sowieso niemand.
Neben dem großen Raum gab es noch einen kleinen Rückzugsraum, in den sich die Abgeordneten zurückziehen konnten, wenn sie knifflige Fragen ohne Dokumentation, also in Abwesenheit der Sekretäre lösen wollten. Die Tische, an denen man beriet, waren mit grünem Tuch bezogen, woher unsere Redensart „am grünen Tisch entscheiden“ kommen soll.
Erst wenn innerhalb aller Stände eine Einigung existierte, zog man in den großen Ratssaal um, wo man nach einer gemeinsamen Einigung suchte. War die gefunden, wurde der Prinzipalkommissar konsultiert. Und wenn der im Namen des Kaisers zustimmte, konnte ein Reichsschluss ergehen.
Natürlich war alles noch wesentlich komplizierter als hier geschildert, aber das sparen wir uns an dieser Stelle. Kein Wunder, dass sich in Regensburg eine hochspezialisierte Politikerkaste herausbildete, die sich ihr Insiderwissen teuer bezahlen ließ.
Und damit sind wir bei den vielen Regensburger Münzen angelangt, bei denen der Anteil an schweren Silbermünzen und prächtigen Goldmünzen besonders hoch ist. Erinnern wir uns, dass es noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein völlig normal war, dass ein Privatmann mit Silber oder Gold in die Münzstätte ging, um das Metall gegen einen kleinen Aufpreis in gängige (und vor allem repräsentative) Währung umzuprägen. Denken wir auch daran, dass die Komitalgesandten als Stellvertreter ihrer Fürsten agierten und dafür verantwortlich waren, zu gegebenen Anlässen passende diplomatische Geschenke zu verteilen. Dazu gehörte Herrschers Geburtstag, das Neue Jahr und natürlich wechselten Münzen auch den Besitz, wenn ein besonderes Anliegen durchgesetzt werden sollte. Wer dafür von seinem Auftraggeber keine passenden Münzen, sondern Rohmaterial erhielt, ließ es in der Regensburger Münzstätte ausprägen.
Die Rangordnung im Ratssaal: Ein Spiegel der Rangordnung im Reich
Lediglich zwei Mal verließ der Immerwährende Reichstag Regensburg, das erste Mal in den Pestjahren 1713/4, das zweite Mal, nachdem der Wittelsbacher Karl VII. sich zu Beginn der Herrschaft Maria Theresias als Kaiser durchgesetzt hatte. Er zog mit dem gesamten Reichstag nach Frankfurt am Main, was Franz I. von Lothringen nach seiner Wahl von 1745 sofort rückgängig machte.
Dieser Entscheidung verdanken wir eine der spannendsten Regensburger Münzen. Sie zeigt den großen Saal, in dem sich die Stände mit dem Kaiser trafen. Der Künstler Andreas Geyer hat uns einen genau kommentierten Kupferstich hinterlassen, mit dessen Hilfe wir die Darstellung entschlüsseln können.
An der Stirnseite stand auf vier Stufen erhöht ein rot bezogener Lehnsessel, der für den Kaiser resp. den Prinzipalkommissar reserviert war. Zwei Stufen niedriger saß der Erzbischof von Trier. Zu beiden Seiten des Kaisers saßen, natürlich ebenfalls zwei Stufen niedriger, die Komitalgesandten der Kurfürsten, brav geordnet nach ihrer Rangordnung, rechts die geistlichen, links die weltlichen Fürsten.
Rechts vorne saßen an verschiedenen kleinen Tischchen Funktionsträger wie Sekretäre und Beamte. Die lange Bank am Fenster vorne war für die Vertreter der geistlichen Fürsten reserviert, rechts gegenüber saßen die weltlichen Fürsten. Die im Raum stehenden Bänke gehörten den restlichen Gesandten, angeführt von den Komitalgesandten der Bischöfe von Osnabrück und Lübeck links vorne.
Selbst ein Immerwährender Reichstag hat ein Ende
Am 25. Februar 1805 erließ der Reichstag auf Einfluss von Napoleon den Reichsdeputationshauptschluss, mit dem die weltlichen Herrscher für die Gebietsverluste entschädigt werden sollten, die ihnen Frankreich auf der linken Seite des Rheins zugefügt hatte. Zu diesem Zweck wurden die kirchlichen Herrschaftsgebiete säkularisiert und die kleineren weltlichen Herrschaften mediatisiert. Was da so logisch und vernünftig klingt, beraubte fast 5 Mio. Menschen, die auf 45.000 Quadratkilometer lebten, ihrer alten Herren, Gesetze und Gewohnheiten. Der Nationalstaat war auf dem Vormarsch und ging über das, was man rückständige Vergangenheit nannte, schonungslos hinweg. Auch Regensburg selbst war betroffen. Es wurde Teil der Herrschaft des ehemaligen Erzbischofs von Mainz, Konstanz, Worms und Regensburg, Karl Theodor von Dalberg. Trotzdem arbeitete der Reichstag weiter bis zur endgültigen Auflösung des Reichs am 6. August 1806.
Dieser Einschnitt traf Regensburg wohl am härtesten. Denn die meisten Gesandten kehrten in ihre Heimat zurück. Ihre Wirtschaftskraft versiegte, und Regensburg wurde zu der relativ überschaubaren Provinzstadt, als die wir sie heute kennen und lieben.
Aus dem Reichssaal machte man einen Lagerraum, was kurz vor der deutschen Reichsgründung auf vehemente Kritik stieß. Dieses Zeugnis der deutschen Geschichte könne man doch nicht so verkommen lassen! Doch noch 1904 musste sich der bayerische Landtag mit dieser Frage beschäftigen. Er gab allerdings kein Geld für die Renovierung, sondern rügte lediglich die Regensburger. Die entschlossen sich daraufhin, die Renovierung in Angriff zu nehmen und finanzierten das Unterfangen mit Hilfe einer Lotterie, deren Lose in allen deutschen Staaten verkauft wurden. So konnte die Sanierung 1910 abgeschlossen werden.
Sie hat uns ein Denkmal erhalten, dessen Bedeutung nicht überschätzt werden kann, gerade in heutigen Zeiten. Denn alle Beschlüsse des Reichstags beruhten auf einem breiten Konsens, der manchmal mühsam zu finden, aber für die Akzeptanz neuer Gesetze entscheidend war. Man wünscht sich, dass mehr deutsche Politiker dieses Erbe zu würdigen wüssten.