Münze auf Münze: Wenn numismatische Legenden wiedergeboren werden
Von Sebastian Wieschowski
Eine junge Frau namens Verena sorgte schon vor über 100 Jahren für Schlagzeilen – und auch 2025, als auf der World Money Fair eine Gedenkmünze zum 100. Geburtstag des 100-Franken-Vreneli vorgestellt wurde, stand die selbstbewusste Botschafterin der Schweiz auf der ganz großen Bühne und wurde gefeiert.
Inhalt
Ein Teil des Erfolgs: Es handelt sich um eine „Münze auf einer Münze“ – oder mit anderen Worten, um eine Neuinterpretation einer numismatischen Ikone. Ein solches Experiment kommt nur ganz selten vor – und dafür gibt es gute Gründe.
Eine Bestandsaufnahme: Münze auf Münze – ein Fall für Spezialisten?
Doch zuerst eine Bestandsaufnahme: Wann wurden in den letzten Jahrzehnten auf Gedenkmünzen frühere Münzdesigns aufgegriffen oder sogar komplette Münzen unbearbeitet abgebildet? Jedem Leser fällt wohl mindestens ein Beispiel ein: Die 1 Euro Umlaufmünze aus Griechenland zeigt eine Eule, die ursprünglich auf einer 4-Drachmen-Münze des antiken Athen (5. Jh. v. Chr.) abgebildet war. Luxemburg würdigte im Jahr 2024 die legendäre „Feiersteppler“-Münze auf einer 2-Euro-Gedenkmünze. Für dieses Design zeichnete die italienische Künstlerin Chiara Principe verantwortlich. Aus ihrer Feder stammt auch das Vreneli 2.0 des Jahres 2025 – ein Hinweis, dass „Münze auf Münze“ ein Fall für Spezialisten ist?
![Neuinterpretation und historisches Vorbild: Die „Feiersteppler“-Münze aus Luxemburg. Foto: BCL / Wieschowski. Neuinterpretation und historisches Vorbild: Die „Feiersteppler“-Münze aus Luxemburg. Foto: BCL / Wieschowski.](https://neu.muenzenwoche.de/wp-content/uploads/2025/02/2025KW06HA_01.jpg)
Neuinterpretation und historisches Vorbild: Die „Feiersteppler“-Münze aus Luxemburg. Foto: BCL / Wieschowski.
Zwei Beispiele aus der deutsch-deutschen Münzgeschichte
Auch in der Vor-Euro-Ära lassen sich einzelne Beispiele aufspüren – beispielsweise die 10-DM-Gedenkmünze „50 Jahre Deutsche Mark“ aus dem Jahr 1998, die Abbildungen verschiedener Münzen der D-Mark-Ära, darunter den 1-Pfennig, 2-Pfennig, 5-Pfennig, 10-Pfennig, 50-Pfennig und 1-Mark zeigte. Oder die 10 Mark Münze aus dem Jahr 1981 zum 700. Jahrestag der Münzprägung in Berlin. Der Grafiker Heinz Rodewald nahm die Vorderseite eines historischen Silberpfennigs in die Gedenkprägung auf.
Eine numismatische Weltreise
Ganz so exotisch, wie es auf den ersten Blick scheint, ist das Sujet allerdings nicht. Die einschlägigen numismatischen Online-Kataloge verzeichnen weltweit mehrere tausend Münzen, auf denen frühere Münzen oder Teile eines früheren Münzdesigns abgebildet sind – man denke nur an die vielen modernen Ausgaben, die numismatische Ikonen wie den Morgan und Peace Dollar neu interpretieren.
![Australien ließ den „Perth Mint Sovereign“ zu verschiedenen Jubiläen wieder auferstehen. Foto: Perth Mint. Australien ließ den „Perth Mint Sovereign“ zu verschiedenen Jubiläen wieder auferstehen. Foto: Perth Mint.](https://neu.muenzenwoche.de/wp-content/uploads/2025/02/2025KW06HA_02.jpg)
Australien ließ den „Perth Mint Sovereign“ zu verschiedenen Jubiläen wieder auferstehen. Foto: Perth Mint.
Eine Ehre oder eine Bürde? Die Künstlersicht
Chiara Principe, Münzdesignerin der Sondermünze „100 Jahre 100-Franken-Vreneli“, beschreibt im Interview mit der Eidgenössischen Prägestätte Swissmint die besondere Herausforderung, eine ikonische Münze neu zu interpretieren. Sie betont, dass es eine große Ehre und zugleich eine enorme Herausforderung ist, ein historisches Münzmotiv wie das Vreneli neu zu interpretieren. Für sie ist ein solcher Auftrag nicht nur ein berufliches Projekt, sondern vor allem eine persönliche Verantwortung. Sie betont, dass sie sich intensiv mit der Geschichte, dem Ursprung und der künstlerischen Bedeutung des Vrenelis auseinandergesetzt hat, um eine emotionale Verbindung zu dem Motiv herzustellen.
Besonders herausfordernd war es aus Sicht von Chiara Principe, den „affektiven Schatz“ und die ikonische Bedeutung des Vrenelis für die Schweizer Bevölkerung in ein neues Design zu überführen, das Tradition bewahrt und gleichzeitig den Zeitgeist der heutigen Schweiz widerspiegelt. Im Gespräch mit der Swissmint hebt sie hervor, dass es ihr Ziel war, die kulturelle und emotionale Bedeutung der Münze nicht zu verfälschen, sondern in einer modernen Form weiterleben zu lassen. Dabei halfen ihr nicht nur die kunsthistorische Recherche, sondern auch der Austausch mit Schweizer Freunden, um ein tieferes Verständnis für die emotionale Bindung der Menschen an das Vreneli zu entwickeln.
Herausforderungen bei der Gestaltung einer neuen Münze auf Basis eines bekannten Vorbilds
Aus dem Interview der Künstlerin Chiara Principe mit der Eidgenössischen Prägestätte Swissmint lassen sich also durchaus zahlreiche Probleme und Herausforderungen ableiten, die bei der Neugestaltung einer ikonischen Münze wie des 100-Franken-Vrenelis auftreten:
![China integriert seit 2007 in das Münzbild seiner Gedenkmünzen zu 10 Yuan anlässlich der Beijing International Coin Exposition eine wechselnde historische Münze. Foto: China Gold Coin Incorporation China integriert seit 2007 in das Münzbild seiner Gedenkmünzen zu 10 Yuan anlässlich der Beijing International Coin Exposition eine wechselnde historische Münze. Foto: China Gold Coin Incorporation](https://neu.muenzenwoche.de/wp-content/uploads/2025/02/2025KW06HA_04.jpg)
China integriert seit 2007 in das Münzbild seiner Gedenkmünzen zu 10 Yuan anlässlich der Beijing International Coin Exposition eine wechselnde historische Münze. Foto: China Gold Coin Incorporation
Respekt vor der historischen Bedeutung und kulturellen Identität
Die ursprüngliche Münze hat eine tief verwurzelte symbolische und emotionale Bedeutung für die Bevölkerung. Eine neue Interpretation darf diese nicht verfälschen oder verwässern.
Künstlerische Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation
Eine zu starke Modernisierung könnte das ursprüngliche Motiv unkenntlich machen und Kritik hervorrufen. Eine zu konservative Umsetzung könnte wiederum als uninspiriert oder überholt wahrgenommen werden. Die Herausforderung besteht darin, die visuelle Identität der Münze weiterzuentwickeln, ohne ihre ikonischen Merkmale zu verlieren.
![Portugal gibt bereits seit 2009 eine Gedenkmünzenserie zum Thema „Numismatische Schätze“ aus. Zuletzt ist im Februar 2024 eine 7,5-Euro-Goldmünze erschienen, auf der die portugiesische Dobra zu 24 Escudos. Das historische Vorbild wurde im 18. Jahrhundert geprägt. Foto: INCM Portugal gibt bereits seit 2009 eine Gedenkmünzenserie zum Thema „Numismatische Schätze“ aus. Zuletzt ist im Februar 2024 eine 7,5-Euro-Goldmünze erschienen, auf der die portugiesische Dobra zu 24 Escudos. Das historische Vorbild wurde im 18. Jahrhundert geprägt. Foto: INCM](https://neu.muenzenwoche.de/wp-content/uploads/2025/02/2025KW06HA_05.jpg)
Portugal gibt bereits seit 2009 eine Gedenkmünzenserie zum Thema „Numismatische Schätze“ aus. Zuletzt ist im Februar 2024 eine 7,5-Euro-Goldmünze erschienen, auf der die portugiesische Dobra zu 24 Escudos. Das historische Vorbild wurde im 18. Jahrhundert geprägt. Foto: INCM
Technische und gestalterische Umsetzung
Die Münze muss trotz neuer Gestaltung weiterhin einen hohen Wiedererkennungswert haben. Material, Prägequalität und Details müssen zudem den modernen Standards entsprechen, dürfen aber nicht den Charakter der historischen Münze verändern.
Erwartungen der Sammler und Öffentlichkeit
Besonders bei einer so bekannten Münze wie dem Vreneli gibt es konservative Sammler und Liebhaber, die eine zu starke Abweichung vom Original ablehnen könnten. Gleichzeitig erwarten Sammler und Numismatiker oft eine innovative Gestaltung, die einen echten Mehrwert gegenüber der historischen Version bietet.
![CIT hat eine Serie namens „Numismatische Ikonen“ mit berühmten Münzmotiven wie dem Pegasus, der Eule von Athen oder der Schildkröte ins Leben gerufen. Foto: CIT CIT hat eine Serie namens „Numismatische Ikonen“ mit berühmten Münzmotiven wie dem Pegasus, der Eule von Athen oder der Schildkröte ins Leben gerufen. Foto: CIT](https://neu.muenzenwoche.de/wp-content/uploads/2025/02/2025KW06HA_06.jpg)
CIT hat eine Serie namens „Numismatische Ikonen“ mit berühmten Münzmotiven wie dem Pegasus, der Eule von Athen oder der Schildkröte ins Leben gerufen. Foto: CIT
Die Herausforderung der Symbolik
Die ursprüngliche Vreneli-Münze war einzigartig, da sie als einzige Goldmünze der Lateinischen Münzunion das Porträt einer Frau zeigte. Eine moderne Interpretation muss sicherstellen, dass die Münze nicht nur optisch, sondern auch symbolisch relevant bleibt.
Rechtliche und politische Rahmenbedingungen
Münzdesigns müssen oft bestimmten gesetzlichen Vorgaben oder staatlichen Freigaben entsprechen, was kreative Einschränkungen mit sich bringen kann. Besonders in Ländern mit starken nationalen Symbolen kann ein zu freier Umgang mit traditionellen Elementen als politisch sensibel wahrgenommen werden.
Produktionstechnische Herausforderungen
Neue Design-Elemente müssen sich technisch umsetzen lassen – beispielsweise Gravurtechniken, Prägeverfahren oder neue Materialkombinationen. Detailreiche Designs könnten in der Massenproduktion schwer umsetzbar sein oder zu Qualitätsschwankungen führen.
Urheberrechtliche Herausforderungen
Obwohl historische Münzen wie das Vreneli oft als gemeinfreies Kulturgut betrachtet werden, können urheberrechtliche Fragen dennoch relevant sein. Auch ältere Münzdesigns oder Inschriften können urheberrechtlich geschützt sein, wenn die Schutzfrist (in der Regel 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers) noch nicht abgelaufen ist oder ein neues Schutzrecht angemeldet wurde – man erinnere sich nur an die Silbermünze „Britannia rules the waves“ aus dem Jahr 2017, die diesen Schriftzug nicht tragen durfte und angepasst werden musste.
Um ein bestehendes Münzdesign nicht zu plagiieren, muss das neue Design eine ausreichende eigene Schöpfungshöhe erreichen, um als eigenständiges Werk zu gelten und nicht bloß eine Reproduktion des Originals zu sein. Dies erfordert eine moderne Interpretation, die sich vom historischen Vorbild abhebt – dies ist Chiara Principe mit Bravour gelungen.
Zielgruppenansprache
Während die neue Gedenkmünze für Numismatiker von besonderem Interesse ist, besteht die Herausforderung darin, auch die breite Öffentlichkeit zu erreichen und ihr den kulturellen Wert der Münze zu vermitteln. Numismatiker verstehen und schätzen historische Kontexte, Feinheiten im Design und die Entwicklung der Münzgeschichte. Für Laien hingegen kann der symbolische Gehalt der Münze schwer zugänglich sein. Es besteht die Gefahr, dass das Design als „nischig“ wahrgenommen wird.
Dazu kommt: Viele Menschen haben keine persönliche Beziehung zu Münzen als Sammelobjekte. Das Vreneli mag zwar ein bekanntes Symbol in der Schweiz sein, doch seine historische Bedeutung ist der jüngeren Generation oft nicht bewusst. Hier liegt eine kommunikative Herausforderung, die Chiara Principe im Interview anspricht, wenn sie von der emotionalen Verbindung zur Schweizer Bevölkerung spricht.
Um die Münze für ein breiteres Publikum attraktiv zu machen, braucht es also begleitende Erklärungen – sei es durch Ausstellungen, Medienberichte oder digitale Formate. Storytelling rund um das Design kann helfen, den „affektiven Schatz“ einer Münze zu vermitteln, auch wenn das Motiv zunächst nicht selbsterklärend ist.
Und zu guter Letzt sollte eine Prägestätte nicht zu oft versuchen, ihre eigenen Münz-Ikonen neu zu interpretieren – die Schweiz hatte bereits im Jahr 2022 eine Gedenkmünze zur letzten Prägung des 10-Franken-Vrenelis veröffentlicht, 2025 war nun der 100. Geburtstag des 100-Franken-Vrenelis an der Reihe. Es könnte ein Ermüdungseffekt in der Sammlerschaft eintreten, wenn demnächst der Fünfliber an der Reihe wäre – doch die Swissmint hat in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass ihr auch die Themen abseits der Numismatik noch lange nicht ausgehen.