Die französische Marianne I: Marianne als Vertreterin des französischen Volkes, Teil 1
Von Gabriele Sturm
Mit dem Aufstieg der bürgerlichen Nationen verbreiteten sich im 19. Jahrhundert Nationalallegorien in allen europäischen Staaten. Eine Nationalallegorie ist eine Figur, die eine Nation und die ihr zugesprochenen Eigenschaften verkörpert. Mehrheitlich dienen Frauenfiguren als nationale Personifikationen – es gibt aber auch tierische Nationalallegorien und abstrakte nationale Symbole.
Inhalt
Die Vorstellung, dass weibliche Personifikationen Orte und Territorien vertreten, ist indes deutlich älter. In der Spätantike gab es neben dem maßgeblichen Pantheon eine schier unerschöpfliche Reihe von lokalen Schutzgottheiten.
Überliefert wurden sie nicht nur in Erzählungen und in Werken der bildenden Kunst, sondern auch auf (früh)griechischen und römischen Münzen: Da gab es bereits Personifikationen von Africa, Britannia, Gallia, Germania, Judäa oder Europa. Wurden solche Münzen in Rom zunächst anlässlich militärischer Erfolge und damit als Ausdruck von Unterschiedlichkeit geprägt, nutzte Kaiser Hadrian (76/117 bis 138 c.Z.) später auf den während seiner Regierungszeit gefertigten Münzen die Darstellung der Schutzgöttinnen der Reichsprovinzen bewusst als Mittel zur Schaffung von Einigkeit (Wikipedia: Liste von Nationalallegorien).
Die Marianne
Marianne ist zunächst nur ein alter französischer Vorname, zusammengesetzt aus Marie und Anne. In der christlichen Tradition verweist die Namensgebung auf Maria, die Mutter Gottes, und Anna, die Mutter Marias. Während und infolge der Französischen Revolution wurde Marianne zum Symbol der Freiheit und der Republik. Heute steht sie in vielen Darstellungen als Stellvertreterin für die französische Nation: Ihre Büste steht in nahezu allen französischen Rathäusern und ihre Statue auf vielen Plätzen. Dazu finden wir ihr Abbild auf Briefmarken, Münzen oder früher genutzten Telefonjetons.
Personifikationen auf Münzen der Ersten und Zweiten Republik
„Eine erste schriftliche Erwähnung des Namens Marianne als Bezeichnung für die französische Republik datiert vom Oktober 1792 in Puylaurens im Departement Tarn. Man sang seinerzeit im provenzialischen Dialekt das Lied ‘La garisu de Marianno’ (dt.: Mariannes Erholung) des Dichters Guillaume Lavabre“ (Wikipedia: Marianne). Jedoch stellen die mit einer phrygischen Mütze geschmückten Kopfbilder auf den gemäß neuem Dezimalsystem gestalteten Münzen der Ersten wie der Zweiten Republik (1792 bis 1799/1804 sowie 1848 bis 1852) noch nicht Marianne als nationale Identifikationsfigur dar, sondern sind Darstellungen der Personifikation der Freiheit (Type Augustin Dupré) – ähnlich wie im Münzbild zahlreicher anderer europäischer und amerikanischer Staaten, die damals um ihre Unabhängigkeit kämpften.
Zudem finden wir Darstellungen für die Republik: Der Kopf der Republik auf den 10- bzw. 20-Francs-Goldmünzen von 1849 bis 1851 (Type Merley) ist mit Ähren und Eichenlaub als Symbolen für Fruchtbarkeit sowie für Stärke und Beständigkeit bekränzt. Links daneben ist ein Rutenbündel als Symbol für Einheit und Macht zu sehen – ohne Beil, was auf Durchsetzungsfähigkeit auch ohne Todesstrafe hinweist – und rechts daneben ein Olivenzweig als Zeichen für Wohlstand und Frieden in der Republik und im Volk. All dies deutet darauf hin, dass im damaligen Münzbild zwischen den Symbolen für die Republik und denen für Freiheit deutlich unterschieden wurde.
Münzprägungen der 3. Republik
Die ersten Münzprägungen der Dritten Republik (1871 bis 1940) greifen auf das Bildnis der Fruchtbarkeitsgöttin Ceres, der Republik sowie auf die Darstellung der Herkulesgruppe zurück. 1897 erscheint mit der Säerin ein neues Münzbild, das bis heute Bestand hat. Das Münzmotto lautet: Je sème à tout vent – Ich säe bei jedem Wind. Nach dem Modell der Charlotte Ragot (Type Louis-Oscar Roty) schreitet eine Frau mit bodenlangem Gewand und einer phrygischen Mütze bekleidet mit wehendem langem Haar vor der untergehenden Sonne (rechts im Bild) über das Land. Über der linken Schulter trägt sie einen Beutel mit Saatgut, das sie mit der Rechten ausbringt. Die Säerin kann als Personifikation Frankreichs verstanden werden, wobei mehr auf die Fürsorge des Staates Bezug genommen wird als auf die kämpferische Seite der Freiheit (phrygische Mütze) oder die Stärke und Beständigkeit der Republik bzw. des Volkes (Eichenlaub).
Eindeutige Darstellungen der neuen Nationalallegorie Marianne erscheinen dann ebenfalls ab 1897. Zunächst wird auf den kleinen Nominalen im Wert von 1, 2, 5 und 10 Centimes (Type Daniel Dupuis) der Kopf der Marianne als Vertreterin der Republik Frankreich dargestellt. Ausgestattet ist sie mit der phrygischen Mütze der Freiheit und einen daran gesteckten Olivenzweig – zusammen entspräche dies der Aussage: Marianne steht für Wohlergehen und Frieden auf der Grundlage von Freiheit. Die Münzenrückseite zeigt neben Wert und Jahr entweder Olivenzweige oder eine sitzende, behelmte Minerva, die Sieg verleihende und die Geschicke des Staates lenkende römische Göttin der Weisheit und des Wissens, mit Lorbeerzweig in der Linken und Fahne in der Rechten, ein Kind (die junge Republik) beschützend, das in der Rechten Getreideähren hält und in der Linken einen Hammer, was ein wenig an die Symbolik eines späteren „Arbeiter- und Bauernstaates“ erinnert.
Auf dem 25-Centimes-Stück von 1903 (Type Patey) trägt Marianne die phrygische Mütze. die mit Sieg und Ruhm verheißenden Lorbeerzweigen bekränzt ist. Die Rückseite ist schlicht mit Wert, Revolutionsmotto und Jahr geprägt. Das 25-Centimes-Stück von 1904/05 zeigt die gleiche Vorderseite, jedoch weisen auf der Münzrückseite ein Liktorenbündel mit Beil als Symbol für die Amtsgewalt der Republik sowie Eichenlaub als Symbol für die Stärke des Volks noch deutlicher auf die republikanische Ausrichtung hin. Allerdings fehlt auf der späteren Münze das üblicherweise zitierte Revolutionsmotto. Die Aussage beider Prägungen ist zu interpretieren als: In Frankreich ist das Volk an der Macht und vertreten wird es vom Staat.
Von 1898/99 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 wurden dann auch Goldmünzen im Wert von 10 und 20 Francs mit dem Kopfbild der Marianne geprägt (Type Jules-Clément Chaplain). Ihr mit phrygischer Mütze bedeckter Kopf wird von Eichenzweigen als Symbol für Stärke und Beständigkeit bekränzt. Die Münzrückseite präsentiert den Gallischen Hahn für die Wachsamkeit und den Kampfgeist der Republik.
Die späten Münzprägungen der 3. Republik variieren das Bildnis der Marianne: Mal wird sie wieder als Freiheit portraitiert und nur das Gebinde auf der Münzrückseite verweist auf ihre komplexeren Attribute – mal wird sie nur mit Lorbeerkranz dargestellt. Ausgerechnet in den Prägejahren 1933 bis 1952 (Vichy-Regime von Juni 1940 bis August 1944) zeigt sich die Nationalallegorie zwar mit Lorbeer für besondere Leistungen ausgezeichnet, verzichtet in ihrem Auftreten aber auf alle Aspekte des revolutionären Freiheitskampfes. Zugleich erscheint Mariannes Darstellung etwas alltäglicher (Type Lavrillier), erinnert mehr an das damalige Schönheitsideal realer Frauen, die übrigens das Wahlrecht auch erst am 21. April 1944 durch das Comité français de la Libération nationale (CFLN) zugesprochen bekamen.
Zur Marianne in der Münzprägung der 4. und 5. Republik folgt bald der zweiten Teil dieses Artikels.