Der römische Bürgerkrieg von 68/9: Das Vorspiel zum Vierkaiserjahr
von Ursula Kampmann im Auftrag der Heidelberger Münzhandlung
Die Heidelberger Münzhandlung offeriert in ihrer Auktion vom 12. und 13. November 2024 eine Serie von Münzen des römischen Bürgerkriegs in perfekter Erhaltung. Wir nutzen die Gelegenheit, um den Hintergrund dieser Prägungen zu beleuchten. Das führt uns in eine Zeit, in der Gegenkaiser (noch) nicht wagten, ihr Porträt auf Münzen zu setzen.
Inhalt
Wann mag es wohl begonnen haben, dass die römische Oberschicht erkannte, dass dieser Nero weg musste? War es nach dem Scheitern der Verschwörung vom April des Jahres 65, als Nero alle ermorden ließ, die auch nur irgendeine familiäre Verbindung zu Augustus besaßen? War es nach dem erzwungenen Selbstmord des loyalen und verdienten Generals Corbulo? Ein Gerücht hatte gereicht, dass Nero diesen treuen Kommandanten beseitigte. Mehr brauchte es auch nicht im Fall der Brüder Scribonius, Befehlshaber der Armeen von Germania superior resp. inferior. Ihr Schicksal dürfte all denen zu denken gegeben haben, die irgendwo im römischen Reich eine Armee kommandierten.
Gaius Iulius Vindex
Einer davon war Gaius Iulius Vindex. Er war keltischer Abstammung. Seine Familie gehörte schon im Gallischen Krieg zu den führenden Geschlechtern Aquitaniens, denen Caesar das Bürgerrecht verlieh. Sein Vater brachte es unter Claudius gar zum Senator. Vindex selbst verwaltete seit 67 die Provinz Gallia Lugdunensis. Ob auch er gefürchtet hat, eine kaiserliche Aufforderung zum Selbstmord zu erhalten? Er kam dem zuvor. Wie uns Cassius Dio überliefert, rief er im März 68, im Rahmen der jährlichen Versammlung am Heiligtum von Augustus und Roma, die Delegierten der gallischen Städte zum Aufstand auf: „Dann steh endlich auf, hilf dir selbst, hilf den Römern und befreie das ganze Universum!“ soll er vor den versammelten Honoratioren gefordert haben.
Exakt diesen Aufruf scheint eine Serie von Münzen zu illustrieren, deren Verbindung mit Vindex heute als gesichert gilt, auch wenn weder sein Name genannt, noch sein Porträt dargestellt ist. Es handelt sich um eine kleine und seltene Emission, die häufig Victoria zeigt. Ihre Umschrift SALVS GENERIS HVMANI – das Wohl des Menschengeschlechts – ist dabei ein völliges Novum in der römischen Numismatik. Das genus humanum ist eben weit mehr als der populus romanus. Es beinhaltet nicht nur die römischen Bürger, sondern auch die Bewohner der Provinzen. War es in der römischen Münzprägung bisher um die Römer gegangen, begeisterte Vindex seine keltischen Anhänger mit neuen Zielen. Er musste beide hinter sich scharen – Römer und Provinzbewohner. Dabei erwies sich der Begriff des genus humanum als so brauchbar, dass ihn Traian in seiner Münzprägung wieder aufnehmen sollte.
Für die Rückseiten wählte Vindex einen Eichenkranz mit der Inschrift SPQR für Senat und Volk von Rom. Dieses Motiv kannte damals jeder, der römische Münzen benutzte. Es war mit Augustus verbunden, und zwar mit dem Augustus, der den Bürgerkrieg gewonnen und beendet hatte. Zum Dank verlieh ihm der Senat den goldenen Eichenkranz. Der erinnerte an die corona civica, die derjenige erhielt, der einem römischen Mitbürger das Leben gerettet hatte. Der goldene Eichenkranz bedeutete also, dass Augustus quasi das ganze Volk aus der Lebensgefahr des Bürgerkriegs errettet hatte. Vindex wies mit dem Aufgreifen dieses Motivs auf sein Ziel hin: auf ein friedliches Leben in gedeihlicher Koexistenz.
Dass solch ein Ziel nur durch einen Kampf zu erreichen war, illustrieren andere Münzbilder. Viele von ihnen richten sich an das Militär. Unser Beispiel zeigt das Heiligste, was eine Legion mit sich führte: ihren Legionsadler und die Feldzeichen. Schon Marcus Antonius hatte so bei seinen Legionen um Loyalität geworben.
Allerdings nutzte Vindex eine andere Vorderseitendarstellung. Er präsentiert Mars, der im römischen Weltbild für den Schutz der Grenzen und den gerechten Krieg stand. Damit unterstrich Vindex, dass Nero alle Grenzen überschritten habe und der Kampf gegen ihn ein gerechter Krieg sei, bei dem Mars Unterstützung gewähren werde.
Lucius Sulpicius Galba
Vindex war Realist. Ihm war klar, dass er als aquitanischer Kelte kaum eine Chance hatte, sich dem Senat als neuer Kaiser zu präsentieren. Er brauchte einen Verbündeten von untadeligem Ruf, der das Vertrauen der römischen Oberschicht genoss. So wandte er sich an Galba, der als Statthalter die Provinz Hispania Tarraconensis befehligte.
Dieser Galba stammte aus einer traditionsreichen Senatorenfamilie. Er verdankte seinen rapiden Aufstieg der Gattin des Augustus, Livia. Seine Karriere hatte ihn zu Beginn der 30er Jahre nach Aquitanien geführt, so dass wir annehmen dürfen, dass ihn der Vater von Vindex persönlich kannte. Er wird seinem Sohn von Galbas Disziplin und seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn erzählt haben. Dazu war Galba bereits über 70, kinderlos. Wer weiß, vielleicht würde sein Adoptivsohn nach einigen Jahren die Macht antreten können, auch wenn er eigentlich keltischer Abstammung war…
So wandte sich Vindex an Galba. Der blieb vorsichtig. Weder schloss er sich Vindex an, noch meldete er das Komplott dem Kaiser. Der soll dieses Versäumnis bereits als Verrat gewertet und den Befehl gegeben haben, Galba zu ermorden. Das scheint der Grund gewesen zu sein, aus dem sich Galba Anfang April – nicht zum Kaiser, sondern zum legatus Senatus Populique Romani ausrufen ließ.
Als Gesandter des Senats und des Volks von Rom prägte er selbstverständlich keine Münzen mit seinem Porträt. Auch er entschied sich für anonyme Ausgaben, deren Zuschreibung heute ebenfalls als gesichert gilt. Sie entstanden im Mai und im Juni des Jahres 68, wahrscheinlich in der Münzstätte von Tarraco. Eine von ihnen wird in der Auktion der Heidelberger Münzhandlung angeboten.
Galbas Münzbilder sind – mit wenigen Ausnahmen – wesentlich weniger kriegerisch als die des Vindex. Sie thematisieren Pax (= Friede), Bonus Eventus (= das glückliche Ende), Roma Renascens (= das wiedergeborene Rom), Virtus (= alle römischen Tugenden) und Victoria.
Doch das Stück, das Herbert Grün in seiner Auktion der Heidelberger Münzhandlung anbietet, hat eine militärische Botschaft: Es zeigt Mars Ultor, der ebenfalls die Erinnerung an Augustus weckte. Der erste römische Princeps ließ für ihn nach dem Sieg von Philippi einen Tempel auf dem Forum Romanum erbauen. Damit erinnerte der Gott genau wie der Eichenkranz an das glückliche Ende, das der römische Bürgerkrieg durch das Eingreifen des Augustus gefunden hatte.
Auf der Vorderseite sehen wir den Kopf des Genius Populi Romani. Unter einem Genius verstanden die Römer eine Art Geist, der den innersten Kern jedes Haushaltsvorstands umfasste. Der Genius Populi Romani war dazu eine Steigerung. Er symbolisierte alle Kerntugenden der Römer. Von ihnen hatte sich Nero mit seiner überbordenden Begeisterung für das Griechische weit entfernt. Galba behauptet mit dieser Prägung, für das traditionelle Rom zu stehen, das virtutes wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, Loyalität und Disziplin hoch hielt. In diesen Zusammenhang gehört auch das Füllhorn. Es steht für den Überfluss, also den Lohn, mit dem die Götter die Gerechten belohnen würden.
Neros Tod: eine Frage der schlechten Kommunikation?
Aber werfen wir einen Blick auf das Geschehen an der Grenze zwischen Gallien und Germanien. Dort wurde irgendwann im Mai 68 die Schlacht von Vesontio (= Besançon) geschlagen. Nero hatte nämlich nicht nur Feinde, sondern auch Unterstützer. Zu ihnen zählte Lucius Verginius Rufus, Statthalter von Germania superior. Er war ein homo novus, der seine Karriere einzig Nero verdankte. Also verteidigte er ihn und kämpfte gegen Vindex, der sich nach seiner Niederlage das Leben nahm.
Nero dürfte davon nichts mehr erfahren haben. Nach einer längeren Phase der Realitätsverleugnung, verfiel er in Panik und zeigte überdeutlich, dass er nicht in der Lage war, angemessen auf eine Krise zu reagieren. Anfang Juni raffte sich der Senat – wohl ebenfalls in Unkenntnis über die Niederlage des Vindex – dazu auf, Galba das Kaiseramt anzutragen und Nero zum hostis (= Feind) zu erklären. Das kam einem Todesurteil gleich.
Wir alle wissen, wie’s weiterging: Nero brachte sich um; Galba wurde Herrscher. Galba verärgerte Otho, indem er ihn nicht zum Nachfolger machte. Otho putschte und wurde nach der Ermordung Galbas seinerseits Kaiser. Etwa gleichzeitig fanden die germanischen Legionen, dass man ihre Leistungen im Bürgerkrieg nicht angemessen honoriert habe und riefen ihrerseits Vitellius zum Kaiser aus. Der besiegte Otho und wurde seinerseits von den Verbündeten des Vespasian besiegt, der damit als Sieger aus dem Vier-Kaiser-Jahr hervorging.
Die anonyme Münzemission des Bürgerkriegs von 68/9
Der Bürgerkrieg von 68/9 bestätigte, dass den Praetorianern die entscheidende Bedeutung im Kampf um die Führung des römischen Reichs zukam. Wer sich ihre Loyalität sicherte, hatte beste Chancen, sich durchzusetzen. Allerdings ließen sie sich ihre Unterstützung teuer bezahlen. Eine kleine Serie von Münzen, die bei der Heidelberger Münzhandlung angeboten wird, wurde wahrscheinlich hergestellt, um die Praetorianer zu bestechen. Zu häufig wird darauf die Concordia (= Eintracht mit) und die Fides (=Treue) der Praetorianer beschworen.
Allerdings streitet die Numismatik bis jetzt, wer diese Münzen prägen ließ und wann bzw. wo dies geschah.
Ebenfalls Teil der Serie ist eine äußerst seltene Ausgabe, bei der die Göttin Vesta auf der Vorderseite abgebildet ist. Sie steht für das Heiligste, für all das, was den Kern von Rom ausmachte. In ihrem Tempel hüteten die Vestalinnen nicht nur das heilige Feuer, sondern auch verschiedene Gegenstände, von denen man glaubte, dass Aeneas sie persönlich aus Troia gerettet habe. Dazu gehörte zum Beispiel das Palladion, aber auch die Penaten des römischen Volkes, jene Schutzgottheiten, die dafür sorgten, dass die römischen Bürger genug zum Essen hatten.
Vesta ist auf einem äußerst seltenen Münztyp mit Iuppiter Capitolinus gekoppelt, also mit dem wichtigsten römischen Staatsgott, der als Haupt der Kapitolinischen Trias seinen Sitz auf dem Kapitol im wichtigsten Heiligtum der Stadt einnahm. Die Praetorianer sollten wohl daran erinnert werden, dass die ältesten Götter Roms darauf schauten, dass sie ihrem Verbündeten die Treue hielten.
In der Realität war das anders. Iuppiter tat nichts, um die Praetorianer davon abzuhalten, ein gutes Geschäft aus dem Bürgerkrieg zu machen. Was hätte er auch tun können. Er war nicht einmal in der Lage, seinen eigenen Tempel zu schützen, der während der Straßenkämpfe im Dezember des Jahres 69 abbrannte.
Die Münzen des römischen Bürgerkriegs von 68/9 dokumentieren eine der spannendsten Phasen römischer Geschichte, als die Herrschaft von den Nachkommen Iulius Caesars auf erfolgreiche Generäle überging. Nur selten sieht man diese Münzen in so außergewöhnlicher Erhaltung. Es lohnt sich deshalb, einen Blick auf den Katalog der Heidelberger Münzhandlung zu werfen.