alle Hintergrundartikel

Bulgarien, Fürst Ferdinand I. und die Eisenbahn

Jeden 3. März begeht Bulgarien seinen Nationalfeiertag. An diesem Tag erinnern sich die Bulgaren daran, dass sie nach dem Aprilaufstand von 1876 durch den Berliner Vertrag von 1878 ein autonomes Fürstentum wurden.

Inhalt

Wir können uns den historischen Hintergrund, auf dem die bei Künker angebotene Medaille entstand, nur dann vergegenwärtigen, wenn wir daran denken, dass die bulgarische Regierung plante, das lange von der osmanischen Zentralregierung vernachlässigte Gebiet an West- und Mitteleuropa heranzuführen. Bulgarien sollte eine wirtschaftlich starke Nation werden, um sich seine Unabhängigkeit sichern zu können. Und bei all diesen Überlegungen spielten zwei Faktoren eine entscheidende Rolle:

  • Wie würde es gelingen, sich das Vertrauen von Investoren zu sichern?
  • Und wie konnten mit Hilfe von Investorengeldern die infrastrukturellen Rückstände möglichst schnell aufgeholt werden.
Porträt des jugendlichen Herrschers nach seinem Amtsantritt.

Porträt des jugendlichen Herrschers nach seinem Amtsantritt.

Der Fürst: Ein glorifizierter Vertreter der bulgarischen Nation

Wir müssen im Blick behalten, dass die Zeit der absoluten Monarchen längst vorbei war. Die junge Nation Bulgarien gab sich eine äußerst liberale Verfassung und suchte sich dazu einen Souverän, der selbst möglichst wenig Einfluss auf die Regierung ausüben würde. Gleichzeitig sollte er im europäischen Hochadel und der westlichen Wirtschaftselite gut genug verankert sein, um für Bulgarien Staatsanleihen einzuwerben. Außerdem musste ein potentieller Kandidat allen Großmächten Europas zusagen. Ihm fiel die Aufgabe zu, die Balance zu halten zwischen Frankreich und Russland auf der einen, dem deutschen und dem Habsburgerreich auf der anderen Seite. Sie alle hatten – genau wie die Briten – ihre eigene Agenda auf dem Balkan.

Alexander I. von Battenberg war an dieser Aufgabe gescheitert. Nach seinem Rücktritt übertrugen die Bulgaren 1887 das Amt Ferdinand I. von Sachsen-Coburg-Kohary. Ferdinand war der jüngste Sohn eines österreichischen Generals aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha und über seinen Vater verwandt und verschwägert mit fast allen europäischen Herrscherhäusern. Seine Mutter Clémentine von Orléans war die Tochter des französischen Bürgerkönigs Louis Philippe und brachte nicht nur großen persönlichen Reichtum mit, sondern auch hervorragende Verbindungen zur französischen Geschäftswelt.

Während der ersten Jahre seiner Regierungszeit reiste Ferdinand I. immer wieder in die reichen Industriestaaten Europas, um dort für die Anliegen Bulgariens zu werben. Dabei verschaffte er sich auf höchst einfallsreiche Art Einlass beim Geldadel. Ein gutes Beispiel dafür ist, wie es Ferdinand 1893 gelang, einen persönlichen Kontakt zu Friedrich Alfred Krupp aufzubauen. Krupp lieferte Waffen, Lokomotiven und Eisenbahnwägen. Alles von großem Interesse für ein Land, das in Infrastruktur investierte, während es gleichzeitig eine moderne Streitmacht aufstellte. Um an eine Einladung bei Friedrich Alfred Krupp zu kommen, schickte ihm Ferdinand einen hohen bulgarischen Orden. Natürlich erfolgte daraufhin ein Dankesschreiben kombiniert mit einer Einladung in die Villa Hügel, der Ferdinand nur zu gerne Folge leistete. Er reiste an und brachte gleich den zukünftigen bulgarischen Ministerpräsidenten mit, um in aller Ruhe das Geschäftliche zu besprechen.

Immer wenn es schwierig wurde, an Anleihen zu kommen, griff Ferdinand persönlich in die Verhandlungen ein. Unterstützt wurde er dabei von Georg von Siemens. Der gehörte zu den Gründungsdirektoren der Deutschen Bank, die besonders gerne in Eisenbahnprojekte investierte. Sie finanzierte nicht nur die Bagdad-Bahn, sondern auch die Northern Pacific Railway sowie die Strecke Yambol – Burgas in Bulgarien, auf deren Fertigstellung die Medaille geprägt wurde.

Übrigens, für seine Dienste wurde Ferdinand I. auch entlohnt. Er erhielt 300.000 Francs im Jahr sowie zusätzlich 90.000 Francs aus Ostrumelien. Das war mehr oder weniger eine ähnliche Summe, wie sie die Könige von Serbien oder Griechenland für ihre Tätigkeit einstrichen. Nach seiner Hochzeit (und vermutlich auch, weil sich gezeigt hatte, wie erfolgreich er Investorengelder im Ausland einwarb,) erhöhte die bulgarische Regierung sein Gehalt auf jährlich 1,3 Mio. Francs.

Ferdinand I. reist 1902 in seinem persönlichen Salonwagen nach Russland. Bulgarisches Staatsarchiv 3K / / 476 / 16.

Ferdinand I. reist 1902 in seinem persönlichen Salonwagen nach Russland. Bulgarisches Staatsarchiv 3K / / 476 / 16.

Industrialisierung und Eisenbahn

Unter den Osmanen war Bulgarien eine Agrarnation, deren Wohlergehen vom Wetter abhing. Gab es eine schlechte Ernte, geriet der Staatshaushalt sofort in eine Schieflage. So sah sich die Regierung nach den beiden Missernten von 1898/9 gezwungen, sofort die Gehälter der Ministerialbeamten um 15 bis 30% zu senken. Um Diskussionen zuvorzukommen, verzichtete Ferdinand gleichzeitig freiwillig auf 50% seiner Zivilliste.

Bei einer so engen Finanzsituation blieb der Regierung gar nichts anderes übrig, als den Aufbau der Infrastruktur über Staatsanleihen zu finanzieren. Im Vordergrund stand dabei die Eisenbahn. Sie war von existentieller Bedeutung, um Waren von und nach Bulgarien zu transportieren.

Wie schnell und effektiv es gelang, den Eisenbahnbau voranzutreiben, sei an einem Detail gezeigt: Als Ferdinand I. 1887 nach Bulgarien reiste, um sich in Sofia krönen zu lassen, tat er das noch mit Kutsche, Schiff und Pferd, ständig in Gefahr von Straßenräubern überfallen zu werden. Als 1893 seine junge Frau nach Sofia kam, nahm sie bereits den Zug.

Man kann diese gewaltige Leistung auch in Zahlen ausdrücken: Bei Ferdinands Amtsantritt umfasste das bulgarische Bahnnetz 541,5 Kilometer. Bei seinem Rücktritt waren 1.683 Bahnkilometer neu entstanden. 328,6 Millionen Lewa an Staatsanleihen nahm die bulgarische Regierung mit Hilfe Ferdinands dafür auf. Als Sicherheit für die Anleger diente das bulgarische Schienennetz mit all seinen Einrichtungen.

Werbeplakat für den Orient-Express von 1888.

Werbeplakat für den Orient-Express von 1888.

Der Orient-Express

Dieses Geld wäre ohne Ferdinands Einsatz nie aufgebracht worden. Das zeigte sich, als es darum ging, das letzte Teilstück des legendären Orient-Express zu bauen. Am 1. November 1887 hatten die Serben ihren Streckenabschnitt fertiggestellt. Nun war die Strecke von Westeuropa nach Istanbul nur noch in Bulgarien unterbrochen.

Das Problem: Als Ferdinand sein Amt antrat, war Bulgarien nicht kreditwürdig. Die europäischen Geldgeber zögerten, in ein Projekt zu investieren, von dem sie nicht glaubten, dass es in sinnvoller Zeit fertig gestellt würde. Und hier sprang die Mutter von Ferdinand I. ein. Sie stellte aus ihrem Privatvermögen eine Million Francs als Kredit zur Verfügung. Natürlich blickte die gesamte Geschäftswelt daraufhin aufmerksam nach Bulgarien, ob der Staat seine Schulden tilgen würde.

Er tat es. Die Strecke wurde in Rekordzeit gebaut. Bereits am 19. Juni 1888, anlässlich des 1. Thronjubiläums Ferdinands, konnte er die Strecke intern eröffnen. Am 9. Juli des gleichen Jahres befuhr ein Zug der Compagnie Internationale des Wagon-Lits die neue Strecke, um sie zu testen. Und ab dem 12. August 1888 verkehrte der Orientexpress durchgehend zwischen Paris und Istanbul. Die Bulgarische Staatsbahn erhielt ihren Anteil an den Ticketverkäufen und war in der Lage, den Kredit mit hohen Zinsen zurückzuzahlen.

Damit war das Eis gebrochen, und als Bulgarien 1889 eine hohe Staatsanleihe auflegte, wurde sie sechsfach überzeichnet. Bulgarien bot damals die höchsten Zinsen in Europa.

Schema des Schienennetzes in Bulgarien mit dem Planungsstand im Jahre 1887. Foto: TrueNorth.bg

Schema des Schienennetzes in Bulgarien mit dem Planungsstand im Jahre 1887. Foto: TrueNorth.bg

Die Eisenbahnlinie von Yambol nach Burgas

Die Eisenbahnstrecke von Yambol nach Burgas wurde noch nicht mit diesem Kapital finanziert, sondern mit Hilfe der Deutschen Bank in Zusammenarbeit mit dem Wiener Bankverein. Das Gesetz zum Bau dieser Eisenbahnlinie wurde am 21. Januar 1889 erlassen. Sie sollte das fruchtbare Westbulgarien mit dem wichtigen Schwarzmeerhafen Burgas verbinden. Durch diese Eisenbahnlinie erhoffte sich Bulgarien einen besseren Zugang für sein Getreide zum europäischen Markt.

Am 1. Mai 1889 erfolgte der erste Spatenstich. Die 110 km lange Bahnstrecke wurde in einer Rekordbauzeit von etwas mehr als einem Jahr von bulgarischen Pionier- und Ingenieurtruppen und mit Hilfe von Arbeitskräften der lokalen Bevölkerung errichtet. So konnte sie bereits am 14. Mai 1890 feierlich eröffnet werden.

Die Rechnung der bulgarischen Regierung ging auf. Bereits wenige Jahre später wurde deutlich, dass man nun den Hafen von Burgas ausbauen müsse, um noch mehr Tabak und Getreide übers Schwarze Meer verschiffen zu können. 1898 fasste die bulgarische Volksversammlung den Beschluss, für 20 Millionen Lewa auch noch den Hafen auszubauen.

Große Goldmedaille auf die Errichtung der Eisenbahnlinie zwischen Yambol und Burgas vom 14. Mai 1890.

Große Goldmedaille auf die Errichtung der Eisenbahnlinie zwischen Yambol und Burgas vom 14. Mai 1890.

Eine Dampflokomotive dieses Typs (hier die Nr. 148 im Nationalen Verkehrsmuseum Ruse im Norden Bulgariens) diente als Vorlage für die Revers-Darstellung auf der Medaille. Photo: Национален музей на транспорта, Русе, Bulgarien.

Eine Dampflokomotive dieses Typs (hier die Nr. 148 im Nationalen Verkehrsmuseum Ruse im Norden Bulgariens) diente als Vorlage für die Revers-Darstellung auf der Medaille. Photo: Национален музей на транспорта, Русе, Bulgarien.

Eine Medaille „Für die Errichtung der Eisenbahnlinie von Yambol nach Burgas“

Aber zurück zur Eisenbahnlinie von Yambol nach Burgas. Anlässlich ihrer Fertigstellung stiftete das bulgarische Finanzministerium mit Ukas Nr. 76 vom 14. Mai 1890 (veröffentlicht im Staats-Anzeiger Nr. 110 vom 25. Mai 1890) die Medaille „Für die Errichtung der Eisenbahnlinie von Yambol nach Burgas“.

Sie existiert in drei Größen: mit Durchmesser 90 mm, nicht tragbar, in Gold; mit Durchmesser 50 mm, nicht tragbar, in Bronze vergoldet, in Silber und in Bronze; und mit Durchmesser 30 mm, tragbar, in Silber und in Bronze. Die Entwürfe stammten von Joseph Christian Christlbauer (1827–1897); die Stempel schnitt Johann Schwerdtner in Wien, wo auch die Prägung erfolgte.

Große Goldmedaille auf die Errichtung der Eisenbahnlinie zwischen Yambol und Burgas vom 14. Mai 1890. Zu 110 Dukaten 1890, von Johann Schwerdtner in Wien, Durchmesser 89,6 mm, 382,8 g. Von allergrößter Seltenheit. Prachtexemplar. Schätzpreis: 50.000 EUR.

Große Goldmedaille auf die Errichtung der Eisenbahnlinie zwischen Yambol und Burgas vom 14. Mai 1890. Zu 110 Dukaten 1890, von Johann Schwerdtner in Wien, Durchmesser 89,6 mm, 382,8 g.  Aus Auktion Künker 396 (2023), Los 323. Von allergrößter Seltenheit. Prachtexemplar. Schätzpreis: 50.000 EUR.

Laut Pavlov (in PA S. 248) und Petrov (in PE5 S. 176 f.) wurde zunächst nur eine einzige Medaille mit 90 (de facto 89,6) mm Durchmesser wohl in 986/000 Gold zu 110 Dukaten, mit einem Gesamtgewicht von 383,2 g geprägt und in einem bordeauxfarbenen oktogonalen Samtetui an Fürst Ferdinand I. vergeben. Sie zeigt auf dem Avers das nach rechts gewandte Portrait von Fürst Ferdinand von Bulgarien, mit der Umschrift ФЕРДИНАНД IИЙ КНЯЗЬ НА БЪЛГАРЯ [Ferdinand I. Fürst von Bulgarien], unterhalb des Halsabschnittes die Stempelschneider-Signatur „J.SCHWERDTNER“, und auf dem Revers eine Dampflokomotive beim Überqueren einer Brücke wohl über den Fluss Tundscha bei Yambol, mit der Umschrift ЯМБОЛЪ – БУРГАСЪ  14 МАЙ 1890  [Yambol – Burgas  14. Мai 1890 ]. Die Gestaltung der Dampflokomotive hatte wohl den Typ zum Vorbild, von dem heute mit der Nr. 148 ein Exemplar im Bulgarischen Eisenbahnmuseum in Russe [Русе] im Norden Bulgariens ausgestellt ist.

Nach dem Tod von Ferdinand I. am 10. September 1948 gelangte die Medaille auf dem Erbwege an seine jüngste Tochter Nadejda Prinzessin von Bulgarien (30. Januar 1899 – 15. Februar 1958), die mit Albrecht Eugen Herzog von Württemberg (8. Januar 1895 – 24. Juni 1954) verheiratet war; und nach ihrem Tod an deren Erben.

Künker ist stolz darauf, in seiner Auktion 395 diese große Rarität aus dem Besitz von Ferdinand I. anbieten zu können, die vom persönlichen Engagement und der Begeisterung, mit der Ferdinand I. sich für die Erschließung seines Landes mittels der Eisenbahn einsetzte, zeugt.

Eine im Durchmesser identische zweite Große Goldmedaille wurde laut Pavlov (in PA S. 248) und Petrov (in PE5 S. 176 f.) auf Wunsch von Fürst Ferdinand seiner Mutter Clementine übergeben, als Zeichen der Anerkennung für ihre große ideelle wie auch materielle Unterstützung beim Ausbau der bulgarischen Eisenbahn. Diese gilt jedoch als verschollen.

Karikatur aus dem Jahr 1908, die mit der Eisenbahnbegeisterung Ferdinands spielt: Ferdinand thront auf einer Lokomotive. Sie wird gezogen vom Premierminister, der Ferdinand an der Nase herumführt. Ivan Geshov, ein weiterer bulgarischer Politiker, schiebt von hinten, während der personifizierte Berliner Vertrag unter die Räder kommt. Im Hintergrund jubeln ausgelassene Bulgaren dieser Reise nach Konstantinopel zu. Die Karikatur bezieht sich darauf, dass Bulgarien 1908 seine Unabhängigkeit durchsetzte und Ferdinand I. zum Zaren erhob.

Karikatur aus dem Jahr 1908, die mit der Eisenbahnbegeisterung Ferdinands spielt: Ferdinand thront auf einer Lokomotive. Sie wird gezogen vom Premierminister, der Ferdinand an der Nase herumführt. Ivan Geshov, ein weiterer bulgarischer Politiker, schiebt von hinten, während der personifizierte Berliner Vertrag unter die Räder kommt. Im Hintergrund jubeln ausgelassene Bulgaren dieser Reise nach Konstantinopel zu. Die Karikatur bezieht sich darauf, dass Bulgarien 1908 seine Unabhängigkeit durchsetzte und Ferdinand I. zum Zaren erhob.

Der Eisenbahner-Zar

Diese bei einem Herrscher leicht deplatziert wirkende Begeisterung ist verantwortlich für die vielen Anekdoten, die über Ferdinand I. und seine Liebe zu Lokomotiven kursieren. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichten ist nicht verbürgt, aber einige von ihnen sind zu schön, um nicht erzählt zu werden.

Wir dürfen auf jeden Fall glauben, dass der intelligente und technikverliebte Fürst viel von der Materie verstand. Er dürfte höchstpersönlich entschieden haben, welcher Lokomotiven-Typ erworben wurde, als seine Mutter die Zugmaschinen für die Bahnstrecke zwischen Vakarel und Zaribrod stiftete.

Überhaupt besuchte Ferdinand bei seinen Reisen immer wieder Fabriken und soll die dortigen Konstrukteure mit seinen profunden Kenntnissen verblüfft haben. Natürlich war Ferdinand oft mit der Eisenbahn unterwegs, aber er soll darüber hinaus in der Lage gewesen sein, selbst eine Dampflokomotive zu steuern, was im 19. Jahrhundert keine weit verbreitete Fähigkeit war. Vor allem nicht unter Angehörigen der besseren Gesellschaft.

Ob Ferdinand dazu wirklich in der Lage war? Bemerkenswert ist vor allem, dass man es ihm zutraute. Ein Fürst, der bereit war, sich die Hände schmutzig zu machen: Welch besseres Bild könnte ein konstitutioneller Monarch von sich verbreiten, um seine Untertanen zu überzeugen, dass er sich für Bulgarien einsetzte. Vielleicht ist also etwas dran, wenn man liest, dass Ferdinand I. es liebte, die Empfangskomitees an den Bahnhöfen zu foppen. Sie bauten sich natürlich dort auf, wo der Halt seines privaten Salonwagens vorgesehen war. Doch statt, wie erwartet, huldvoll aus dem Salonwagen zu winken, soll der Fürst im Eisenbahner-Kittel mit Ruß verschmiertem Gesicht und dreckigen Händen von der Lokomotive gesprungen sein.

Die westlichen Medien machten sich darüber natürlich lustig. So erzählte man, dass Ferdinand I. bei seiner Fahrt im Orient-Express den Lokomotivführer gebeten habe, ihm den Führerstand zu überlassen. Er habe sich einen Spaß daraus gemacht, schnell zu fahren, um dann scharf zu bremsen. Darüber hätten sich die Passagiere beim Veranstalter beschwert. Die Compagnie Internationale des Wagon-Lits soll daraufhin ihr Personal angewiesen haben, den Fürsten nicht mehr auf die Lokomotive zu lassen.

Bei all diesen Witzen mag eine gesunde Portion Neid mitgeschwungen haben, der einem Fürsten galt, der in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftselite Europas ein Land am damaligen Ende der Welt in wenigen Jahren auf die Karte setzte. Otto von Bismarck jedenfalls schätzte Ferdinand hoch: „Fürst Ferdinand ist zweifellos tüchtiger als sein Ruf in den Witzblättern und als die meisten anderen Fürsten.“

Diese Meinung dürften auch die bulgarischen Lokomotivführer geteilt haben. Eine Delegation soll Ferdinand I. das Lokomotivführer-Diplom sozusagen Honoris Causae verliehen haben. Außerdem erzählt man sich, dass Ferdinand es sich nicht nehmen ließ, sich nach dem Ende einer Bahnfahrt persönlich beim Zugpersonal zu bedanken und Prämien sowie Zigarren zu verteilen.

Kennzahlen zur bulgarischen Wirtschaft.

Kennzahlen zur bulgarischen Wirtschaft.

Steigende Exporte und ein blühender Handel

Wahr oder nicht wahr, das ist schwierig zu beurteilen. Sicher erwiesen ist aber, dass die Eisenbahnen einen enormen Entwicklungsschub für Bulgarien brachten. Auf der Linie des Orientexpress kamen die in West- und Mitteleuropa erworbenen Maschinen ins Land – zollfrei und zum reduzierten Frachttarif.

Umgekehrt brachte die Bahnlinie Yambol – Burgas die Feldfrüchte Westbulgariens zum Schwarzen Meer, von wo aus sie nach Europa verschifft wurden. So stieg zum Beispiel der Export von Getreide und Getreideprodukten nach Deutschland von einem Volumen in Höhe von 7.900 Lewa im Jahr 1891 auf 11.380.000 Lewa im Jahr 1912.

Die Preußen des Balkans

Ferdinand I. gelang es, das Image Bulgariens in Westeuropa zu steigern. Otto von Bismarck nannte die Bulgaren gerne die Preußen des Balkans, aus seinem Mund war das ein großes Lob. Und schon 1890 machte er der bulgarischen Nation ein großes Kompliment: „Unter den Balkanstaaten scheinen mir nach allem, was man sehen und beobachten kann, die Bulgaren ein staatsbildendes und staatserhaltendes Element in sich zu bergen. Und sie sind ein tüchtiges, arbeitsames und sparsames Volk, das einem langsamen, bedächtigen Fortschritt huldigt. Es ehrt, mehrt und wehrt sich und gefällt mir…“

Die Goldmedaille auf die Eisenbahnlinie von Yambol nach Burgas aus dem Besitz von Ferdinand I. ist eine wunderbare Erinnerung an einen großen Herrscher und ein Volk, das es schaffte, in wenigen Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil Europas zu werden.

Nichts mehr verpassen?

NEWSLETTER HIER ABONNIEREN