alle Hintergrundartikel

Bedeutende Sammlung von islamischen Glasgewichten bei Numismatica Genevensis SA

von Lutz Ilisch

Seit vielen Jahren ist Numismatica Genevensis auf islamische Münzen spezialisiert. 2024 ist diesem Gebiet ein eigener Katalog gewidmet. Er beinhaltet u. a. eine museumswürdige, als Lot angebotene Sammlung von 114 islamischen Glasgewichten, Messglasstempeln und Siegeln. Hier erfahren Sie mehr über diese enigmatischen Objekte, die oft Numismatikern bis heute Rätsel aufgeben.

Inhalt

Eine Sammlung von 114 Glasgewichten, Messglasstempeln und Siegeln aus den Dynastien der Umayyaden, Abbasiden, Ayyubiden und Mamluken, mit dem wichtigsten Teil der Fatimiden. NGSA, Auktion 19 (9. Dezember 2024), Los 368. Schätzung: 5.000 CHF.

Eine Sammlung von 114 Glasgewichten, Messglasstempeln und Siegeln aus den Dynastien der Umayyaden, Abbasiden, Ayyubiden und Mamluken, mit dem wichtigsten Teil der Fatimiden. NGSA, Auktion 19 (9. Dezember 2024), Los 368. Schätzung: 5.000 CHF.

Glasgewichte und gläserne Eichmarken (Messglasstempel) wurden im 19. Jahrhundert in großer Zahl in Ägypten gefunden. Da allerdings fast alle Funde in öffentliche Sammlungen gelangten (Gayer-Anderson-Museum Kairo; British Museum in London, ANS in New York; Universität Straßburg), sind sie in den letzten fünfzig Jahren sehr selten geworden. Unter Numismatikern gibt es bis heute eine schon lang geführte Debatte über den Zweck der münzähnlichen, geprägten Glasstücke, die oft als „Glasmünzen“ bezeichnet wurden. Insbesondere die Glasgewichte der Fatimiden aus dem 11. und 12. Jahrhundert, die den Großteil dieser Objektgruppe ausmachen, werden im Münzhandel oft als Jetons bezeichnet. Lange Zeit schien es, als bestünde die Münzprägung der Fatimiden hauptsächlich aus Goldmünzen, was die Nachfrage nach einer Ersatz-Währung für kleinere Werte erklären würde. Doch Funde der letzten fünfzig Jahre zeigen, dass es auch große Mengen von Billon-Dirhams gab. Allerdings wurden diese minderwertigen Silbermünzen – und bis zu einem gewissen Grad auch die Goldmünzen – nicht mehr nach festen Gewichtsstandards geprägt, sondern mussten bei jeder Transaktion gewogen werden. Das erklärt die enge Verbindung zwischen Münzen und Gewichten, da beide für wirtschaftliche Transaktionen zusammen genutzt werden mussten.

Bewegen wir uns nun anhand von Beispielen aus der Sammlung durch die Geschichte dieser Objektgruppe.

Arabisch- sassanidisch. Glas-Gefäßstempel mit geflügeltem Pferd (al-buraq), nach rechts schreitend, ca. 680-720 n. Chr. 7,7 g.

Arabisch- sassanidisch. Glas-Gefäßstempel mit geflügeltem Pferd (al-buraq), nach rechts schreitend, ca. 680-720 n. Chr. 7,7 g.

Umayyaden

Die Sammlung beginnt mit einer Serie von drei frühen Gefäßstempeln, die Tierbilder zeigen (Widder, ein geflügeltes Pferd oder Burâq, einige Stücke außerdem mit der Basmala), die 1974 von Paul Balog in die Numismatik eingeführt wurden. Sie stammen aus dem Osten der frühislamischen Welt und datieren in die Zeit der Umayyaden. Weitere acht Gefäßstempel und Münzgewichte stammen, mit einer Ausnahme, aus Ägypten.

Eines der spektakulärsten Objekte in dieser Sammlung ist ein Gewicht, das auf das Jahr 107 AH datiert ist und nur den Namen des Kalifen Hisham ohne zusätzlichen Beamten trägt. Es gehört zu einem Typ kompakter Gewichte, die relativ hoch und schwer sind (31 mm Durchmesser, 18 mm Höhe). An der Seite haftendes Glas anderer Farbe scheint nicht das Überbleibsel eines Gefäßes zu sein, sondern vielmehr ein Prüfstempel zur Verifizierung des Gewichtes. Das Stück ist eindeutig syrisch, nicht ägyptisch, und bestätigt den ausführlichen Bericht über Abd al-Maliks Münzreform, die durch die Herstellung von Glasgewichten flankiert wurde.

Umayyaden. 'Ubayd Allah b. al-Habhab, Finanzdirektor, 102-114 AH. Glas-Gefäßstempel. 9,45g.

Umayyaden. ‚Ubayd Allah b. al-Habhab, Finanzdirektor, 102-114 AH. Glas-Gefäßstempel. 9,45g.

Typischer für ägyptische Eichmarken ist der olivgrüne Qist-Stempel mit neun Zeilen Text, datiert auf 119 AH, der die Namen des sogenannten Finanzdirektors von Ägypten, al-Qâsim ibn ‘Ubayd-allâh, und seines Stellvertreters Muslim ibn al-‘Arrâf angibt (Abb. 361, Balog 177). Weitere Beispiele aus diesem Bereich sind ein bescheidenerer Stempel (nur vier Zeilen) für einen Qist Feigen, entstanden unter dem Finanzdirektor Hayyân ibn Shurayh (im Amt 99-101 AH), und eine grüne, lichtdurchlässige Qist-Eichmarke, entstanden unter Hafs ibn al-Walîd, Finanzdirektor in den Jahren 124-125 AH.

Abbasiden

Nur wenige abbasidische Gewichte sind in der Sammlung vertreten. Es sind fünf Münzgewichte sowie drei Messglasstempel, die zum Teil nur schwer von früheren umayyadischen Exemplaren zu unterscheiden sind. Ein interessantes kleines Gewicht im Namen von Yazîd ibn Hâtim al-Muhallabî, Gouverneur 144-152 AH., ist als Gewicht von einem Drittel gekennzeichnet und verweist mit seinem 1,40 g eindeutig nicht auf einen byzantinischen Tremissis, sondern auf das Drittel eines Dinars, der zum Zeitpunkt der Herstellung des Gewichtes seit einem halben Jahrhundert nicht mehr in Gold geprägt wurde.

Fatimiden. al-Mustansir, 1036-1094 AD. Dirhamgewicht für Silbermünzen. 2,99g.

Fatimiden. al-Mustansir, 1036-1094 AD. Dirhamgewicht für Silbermünzen. 2,99g.

Fatimiden. al-Mustansir, 1036-1094 n. Chr. Doppeldirhamgewicht für Silbermünzen. 5,98g.

Fatimiden. al-Mustansir, 1036-1094 n. Chr. Doppeldirhamgewicht für Silbermünzen. 5,98g.

Fatimiden. al-Mustansir, 1036-1094 n. Chr. Doppeldirhamgewicht. 5,94g.

Fatimiden. al-Mustansir, 1036-1094 n. Chr. Doppeldirhamgewicht. 5,94g.

Fatimiden. al-Mustansir, 1036-1094 n. Chr. Doppeldirhamgewicht. 5,79g.

Fatimiden. al-Mustansir, 1036-1094 n. Chr. Doppeldirhamgewicht. 5,79g.

Fatimiden. Glasgewicht für 2 Dirham, zeitgenössische Nachahmung, ca. 12.-13. Jahrhundert n. Chr. 5,91g.

Fatimiden. Glasgewicht für 2 Dirham, zeitgenössische Nachahmung, ca. 12.-13. Jahrhundert n. Chr. 5,91g.

 Fatimiden. Glasgewicht für 2 Dirham, zeitgenössische Nachahmung, ca. 11.-14. Jahrhundert n. Chr. 5,97g.

Fatimiden. Glasgewicht für 2 Dirham, zeitgenössische Nachahmung, ca. 11.-14. Jahrhundert n. Chr. 5,97g.

Fatimiden

Der wichtigste Teil der Sammlung ist ägyptischen Ursprungs und stammt aus der Fatimidenzeit. Die 82 Objekte sind keine reinen Münzgewichte: wie Münzen haben sie zwei gestaltete Seiten. Ihre Inschriften entsprechen ebenfalls denen von Münzen und nennen den Namen des Kalifen und das Ausgabedatum. Es handelt sich wie bei den früheren Stücken um staatliche Ausgaben. Diese Glasstücke sind in der Regel farbenfroher als die früheren Ausgaben. Blaues und opakes weißes Glas kommt hierbei häufig vor. Mehrere Exemplare sind aus mehrfarbigem Glas, darunter ein post-fatimidisches Stück. Besonders spektakulär ist ein Dirham (2,94 g) von al-Mustansir billah mit zwei kleinen Einschlüssen aus Goldfolie. Nicht nur die Farben, sondern auch die Nominale sind vielfältig. Viertel-, Halb-, volle und doppelte Dirhams sind häufige Gewichtsstufen, während die Gewichte für das Gold hauptsächlich für den vollen Dinar bestimmt waren.

Chronologisch lassen sich die 82 Fatimiden-Gewichte den folgenden Kalifen und Gruppen zuordnen (die Zahlen können von den Zuordnungen des Sammlers abweichen):

  • Al-Mu’izz billâh, 341-365 AH./952-975 AD: 2 Exemplare, die hier al-Mustansir zugeordnet werden.
  • Al-‘Azîz billâh, 365-386 AH./975-996 AD: 4 Exemplare.
  • Al-Hâkim bi-‘amrillâh, 386-411 AH./996-1020 AD: 18 Exemplare.
  • Az-Zâhir li-a’zâz d’înillâh, 411-427 AH./1020-1035 AD: 14 Exemplare.
  • Al-Mustansir billâh, 427-487 AH./1035-1094 AD: 21 Exemplare.
  • Al-Musta’lî billâh, 487-495 AH./1094-1101 AD: 2 Exemplare.
  • Al-Amir bi-ahkâmi llâh, 495-523 AH./1101-1130 AD: Nicht vorhanden.
  • Al-Hâfiz li-dînillâh, 526-544 AH./1132-1149 AD: 2 Exemplare.
  • Az-Zâfir bi-‘amrillâh, 544-549 AH./1149-1154 AD: 1 Exemplar.
  • Al-Fâ’iz bi-nasrillâh, 549-555 AH./1154-1160 AD: Nicht vorhanden.
  • Al-‘Adid li-dîn allâh, 555-567 AH./1160-1171 AD: 1 Exemplar.
  • Unsichere Zuordnung: 12 Exemplare.
  • Barbarische Imitationen: 7 Exemplare.

Abbasiden

Nach dem Ende der Fatimidenzeit unter ayyubidischer Herrschaft wurde die Nutzung und Herstellung von Glasgewichten im Namen der wieder eingesetzten abbasidischen Kalifen fortgeführt. Ein Dirham-Gewicht (3,01 g) mit dem Namen al-Mustadî billâh und ein Gewicht für einen doppelten Dirham (6,02 g) mit an-Nâsir li-dînillâh sind Beispiele für diese Fortsetzung aus der Sammlung.

Mameluken. Anonymes Glasgewicht zu 2 Dinar mit dem Namen

Mameluken. Anonymes Glasgewicht zu 2 Dinar mit dem Namen „Ali“ in der Mitte. 8,57g.

Mameluken. Anepigraphisches Glasgewicht für 1 Dirham, ca. 13.-16. Jh. n. Chr. 2,86g.

Mameluken. Anepigraphisches Glasgewicht für 1 Dirham, ca. 13.-16. Jh. n. Chr. 2,86g.

Burdschi-Mameluken. Anonymes Glasgewicht für 1 Dirham o.J. 3,02g.

Burdschi-Mameluken. Anonymes Glasgewicht für 1 Dirham o.J. 3,02g.

Ayyubiden und Mameluken

Obwohl in der ayyubidischen und folgenden mamelukischen Zeit die Münzprägung ohne feste Gewichtsstandards fortgesetzt wurde und Münzen bei jeder Transaktion gewogen werden musste, scheint die Produktion von Glasgewichten vor 700 AH /1300 AD eingestellt worden zu sein. Es ist daher unklar, auf wessen Befugnis die Gewichte ausgegeben wurden, die allgemein auf die zweite Hälfte des 7. AH /13. AD Jahrhunderts datiert werden. Neun solche Stücke sind vertreten, sie sind zum Teil rein ornamental und zeigen ein Hexagramm. Andere tragen Namen, die auf Gewichtshersteller hinzudeuten scheinen, wie Muhammad ibn Shâhîn oder ein Marktinspektor Muhammad al-‘Ûdî, in dem Fall datiert auf das Jahr (65)9 AH.

Weiterhin enthält die Sammlung ein Bleisiegel eines abbasidischen Beamten namens ‘Abd-allâh al-Qarmînî, mit der Segensformel aslahahu’llâh („Möge Allah ihn rechtleiten.“), sowie ein anscheinend unveröffentlichter Bleifals aus der Umayyadenzeit, entstanden in Bahrain.

Schlussbemerkungen

Das Zahlenverhältnis zwischen frühen, fatimidischen und späteren Glasstücken ist repräsentativ für Sammlungen des 19. Jahrhunderts und zeigt keine Neigung zu preiswerteren Stücken. Es handelt sich um mehr als eine Anfängersammlung, und andere Sammlungen dieser Größenordnung wurden als veröffentlichungswürdig angesehen (G. Forschner, Historisches Museum Frankfurt 1982; V. Novak, Nationalmuseum Prag 2006). Die Sammlung ist auch eine ausgezeichnete Grundlage für Ausstellungen zum Thema Geldgeschichte und sollte zusammengehalten oder sogar erweitert werden, trotz der Seltenheit an Gelegenheiten dafür. Übrigens wurden unmittelbar nach dem Dynastiewechsel von Umayyaden zu Abbasiden 132 AH die Glasgewichte in den syrischen Ländern durch Bronzegewichte ersetzt, welche infolge der politischen Entwicklung der Region heute in großer Zahl im Handel zu finden sind, nicht aber in der angebotenen Sammlung.

Lotbeschreibung und Provenienz

Eine Sammlung von 114 Glasgewichten, Gefäßstempeln und Siegeln aus den Dynastien der Umayyaden, Abbasiden bis hin zu den Ayyubiden und Mamluken, wobei der bedeutendste Teil fatimidisch ist.

Der Zustand des Glases ist generell sehr gut und ansprechend, einige Stücke befinden sich in außergewöhnlich schönem Zustand. Nur sehr wenige Stücke sind angeschlagen oder gebrochen. Wenige Stücke irisierend. Aus Auktion Numismatica Genevensis 19 (9. Dezember 2024), Los 368. Schätzpreis: 5.000 CHF.

Alle Stücke sind mit den originalen Sammlertickets versehen, die Informationen zur Provenienz enthalten; die Objekte stammen fast ausschließlich aus verschiedenen Auktionen von Stephen Album. Die Umayyaden-Eichmarke besitzt eine bemerkenswerte frühe Provenienz in die Sammlung Ernst Lejeune in Frankfurt, der das Stück im Juni 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, von Abemayor erwarb.

Nichts mehr verpassen?

NEWSLETTER HIER ABONNIEREN