Die punische Göttin
„Die Interpretation der Münzdarstellungen, die für Serie IV benutzt wurden, ist vielgestaltig, und man kann nicht sagen, dass irgendein wirklich positives oder zufriedenstellendes Resultat bisher erzielt wurde.“, so schrieb G. Kenneth Jenkins in der Schweizerischen Numismatischen Rundschau von 1977, als er die kleine Serie der karthagischen Tetradrachmen mit dem wunderschönen Porträt bewunderte.
Sikulopunier. Tetradrachme, 320-313, Lagermünzstätte. Jenkins III, 271. Aus Auktion Künker 262 (13. März 2015), 7079, geschätzt mit 25.000 Euro.
Er erörterte damals die Frage, ob es sich bei dem Frauenkopf nicht um Dido handeln könne. Schließlich war es in der griechischen Welt durchaus üblich, die Stadtgründer im Münzbild darzustellen. Aber auch Astarte, Tanit oder die von den Griechen als Aphrodite bezeichnete Göttin von Eryx zog er in Betracht. Andere dachten wegen des Löwen auf der Rückseite an die Personifikation von Lybia und interpretierten die Prägung als ein für den Sold lybischer Soldaten geprägtes Nominal.
10 Jahre später, in der Schweizerischen Numismatischen Rundschau von 1987, machte sich Linda-Marie Hans, die sich bereits in ihrer 1983 publizierten Dissertation mit der Epikratie der Karthager auf Sizilien beschäftigt hatte, an die Lösung des Problems…
Alexander der Große auf seinem Schlachtpferd Bukephalos. Alexandermosaik im Archäologischen Nationalmuseum von Neapel. Foto: Ruthven / Wikipedia.
Als nämlich Alexander der Große im Jahr 323 starb, so erzählen es die antiken Autoren, habe er geplant, nach dem Osten auch den Westen zu erobern. Ob es wahr ist? Niemand weiß es. Die Geschichtsschreiber hielten es jedenfalls für durchaus wahrscheinlich, genau wie die Politiker aus Karthago, die fasziniert auf Alexanders Erfolge blickten. In Karthago wusste man genau, wie das Alexanderreich organisiert war. An der Spitze der Herrscher, der in das Amt des persischen Großkönigs geschlüpft war und bei Gelegenheit gerne seine Hoftracht mit der aufgerichteten Tiara trug. Die verschiedenen Provinzen verwaltet von Satrapen, die als Zeichen ihrer Vollmacht eine von der persischen Königstiara abgeleitete Kopfbedeckung benutzten: Eine Tiara mit weich fallendem Bausch, umwunden von Bändern – genau so eine Tiara, wie sie den Kopf der Dame auf unserer Tetradrachme schmückt.
Dies, und das durch Hortfunde vermutete Prägedatum der Münzserie, irgendwann zwischen 320 und 310, veranlasst Linda-Marie Hans, die Münzen mit dem karthagischen Strategen Hamilkar in Verbindung zu bringen, der in diesem Zeitraum oberster Befehlshaber der Epikratie von Sizilien war. Hamilkar? Kennen wir den nicht? Nein, vermutlich nicht, denn es handelt sich sicher nicht um „den“ Hamilkar Barkas, Vater des Hannibal. Der Name Hamilkar war damals einfach in der karthagischen Oberschicht äußerst beliebt.
Syrakus. Agathokles, 317-289. Tetradrachme, 304-289. Ierardi 119. Aus Auktion Künker 262 (13. März 2015), 7070, geschätzt mit 5.000 Euro. Agathokles war zunächst der große Gegenspieler Hamilkars, dem der karthagische Stratege einen Frieden mit Akragas, Gela und Messana vermittelte. Diese Münze wurde geprägt, nachdem Agathokles nach einem langen Krieg gegen Karthago mit Hamilkars Nachfolger Frieden geschlossen hatte.
Dieser Stratege nun scheint ein sehr entschlossener Mann gewesen zu sein, der lieber schnell handelte als in Karthago um Anweisungen zu bitten. Er intervenierte 318 im syrakusanischen Bürgerkrieg. Er schickte seine Diplomaten nach Messana und verhinderte die Auslieferung der exilierten Syrakusaner. Er vermittelte den Frieden zwischen Akragas, Gela, Messana und Agathokles, der sich in Syrakus zum Tyrannen aufgeschwungen hatte. Und nur ein Jahr nach diesem Erfolg enthoben die Karthager Hamilkar seines Amtes. Die antiken Autoren berichten, man habe in Karthago Zweifel an dessen Loyalität gehabt.
Das Heiligtum der Aphrodite von Eryx, im Mittelalter zu einer Festung ausgebaut. Foto: KW.
Tatsächlich könnte die Münzserie mit der Dame mit Tiara einen Hinweis darauf geben, wie Hamilkar seine Position selbst verstand. Linda-Marie Hans weist darauf hin, dass eigentlich alle Damen auf sikulopunischen Prägungen die Gottheit darstellen, die im wichtigsten karthagischen Heiligtum von Sizilien verehrt wurde, auf dem Berg von Eryx. Es handelte sich dabei um eine Ischtar-Astarte, die von den Griechen als Aphrodite Urania verstanden wurde. Noch Pausanias wusste, dass die Assyrer die ersten Verehrer der Aphrodite Urania waren, kannte also den mesopotamischen Ursprung dieser Gottheit. Diese Ischtar war eine mächtige Herrscherin, Kriegsgöttin und Göttin des sexuellen Begehrens. Der Löwe war ihr Begleiter, was wunderbar zur Rückseitendarstellung der Tetradrachme passen würde.
Indem Hamilkar nun den griechischen Stempelschneidern befahl, diese Gottheit mit den Insignien einer persischen Satrapie auszustatten, beanspruchte er für seine Epikratie auf Sizilien denselben rechtlichen Status wie für eine persische Provinz, also eine beschränkte Unabhängigkeit. Man kann sich gut vorstellen, dass der Rat in Karthago das anders sah und Hamilkar deshalb seines Amtes entsetzte.
Römische Republik. C. Considius Nonianus. Denar, 56 v. Chr. Cr. 424/1. Aus Auktion Künker 262 (13. März 2015), 7674, geschätzt mit 600 Euro. Der von den Römern auf Stadtgebiet erbaute Tempel der Venus Erycina, wie man sie in Rom nannte, ist auf dieser Münze abgebildet.
Die Römer übrigens wussten sich die Bedeutung, die der Kult von Eryx für die Bewohner Siziliens hatte, zu Nutze zu machen. Nach der Eroberung Siziliens im Ersten Punischen Krieg war es Bestandteil der Bestimmungen für die erste Provinzialverwaltung, den Kult der Göttin so zu gestalten, dass die Römer und ihre Verbündeten die Kontrolle darüber erlangten. Eine Truppe von 200 Mann bewachte das Heiligtum und die romtreuen Städte durften als besonderes Privileg die Festtage der Göttin feiern. Damit hatten die Römer sich die Gottheit verpflichtet, und so ihren Schutz von den Karthagern abgezogen, um ihn auf Rom zu übertragen. Und als die Römer im Zweiten Punischen Krieg nach der Schlacht am Trasimenischen See kurz vor der Vernichtung durch die Karthager standen, gelobten sie, der Venus von Eryx einen Tempel in Rom zu bauen. Die Göttin, die ehemals die karthagische Epikratie geschützt hatte, wurde damit zu einer Helferin Roms.
Literatur: Linda-Marie Hans, Die Göttin mit der Tiara, in Schweizer Numismatische Rundschau 66 (1987), S. 47-62.
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