Die Hetäre Laïs in Korinth
Der griechische Reiseschriftsteller Pausanias berichtet im 2. Jahrhundert von seinem Korinthbesuch: „… Geht man nach Korinth hinauf, trifft man am Weg verschiedene Denkmäler, und am Tor ist Diogenes aus Sinope begraben, den die Griechen den ‚Hund‘ nennen. Vor der Stadt liegt ein Zypressenhain namens Kraneion; dort ist ein heiliger Bezirk des Bellerophontes und ein Tempel der Aphrodite Melainis und das Grab der Laïs, auf dem eine Löwinnenfigur steht mit einem Widder zwischen den Vorderpranken. Es gibt auch ein anderes Grabmal in Thessalien, das sich als das der Laïs bezeichnet. Sie kam nämlich als Geliebte des Hippostratos auch nach Thessalien. Ursprünglich soll sie aus Hykara in Sizilien stammen und von Nikias und den Athenern als Mädchen gefangen genommen, dann nach Korinth verkauft worden sein; sie habe an Schönheit alle damaligen Hetairen übertroffen und sei so sehr von den Korinthern bewundert worden, dass sie sich auch jetzt noch um Laïs streiten …“ (Pausanias II, 2, 4-5, Übersetzung von E. Meyer.)
Korinth (Achaea), AE, Hadrian, 117-138. Rs.: Grabmal der Lais: Kapitell einer dorischen Säule, darauf Widder, über ihm Löwin. BMC 692 var. und Taf. XXIII, 12. SNG Cop. 294 var. Aus Numismatik Lanz München 109 (2002), Nr. 200.
Eine Säule, darauf eine Löwin, zwischen deren Pranken ein Widder liegt; wir könnten uns auf diese Darstellung keinen Reim machen, hätten wir nicht von Pausanias eine genaue Beschreibung der Sehenswürdigkeiten von Korinth. Er erklärt uns, dass direkt vor den Toren der Stadt – Sie erinnern sich vielleicht, dass in der Stadt niemand beerdigt werden durfte – zwei wichtige Grabmäler zu sehen waren: Das des Diogenes und das der Laïs. Letzteres beschreibt er sogar ausführlich, so dass wir unsere Münzdarstellung als Abbildung dieses Grabmales interpretieren können.
Wer war nun diese Laïs, dass die Bürger von Korinth noch Jahrhunderte nach ihrem Tod so stolz auf sie waren, dass sie ihr Grabmal auf Münzen darstellten?
„Die in Purpur und Gold und in Liebe kokett sich bebrüstet
und noch feiner als selbst Kypris, die zarte, getan,
Laïs bedeck ich, die Frau vom meerumsäumten Korinthos,
die des peirenischen Quells Schimmer an Glanze besiegt,
sie, die sterbliche Kypris, die vornehme Freier in größrer
Zahl als Tyndareos’ Kind in seiner Jugend umschwärmt,
deren blühende Reize und käufliche Liebe sie pflückten
und deren Hügel sogar Düfte von Safran verströmt.
Heute noch ist ihr Gebein von köstlicher Myrrhe durchfeuchtet,
und aus dem leuchtenden Haar weht noch balsamisch ein Ruch.
Bei ihrem Tode zerkratzte sich Kypris ihr herrliches Antlitz,
und vor Jammer und Weh schluchzend hat Eros geweint.
Wäre ihr Bett nicht gemein die Sklavin des Geldes gewesen,
wie um Helena einst blutete Hellas für sie.“ (Antipatros von Sidon, Anthologia Graeca, VII, 218. Übersetzungen von H. Beckby, Anthologia Graeca, München 1957-1958.)
Laïs übte das älteste Gewerbe der Welt aus: Sie war eine Hetaira. Noch dazu eine sehr gute. Das lag wohl nicht zuletzt in der Familie. Schon ihre Mutter Timandra hatte den anspruchsvollen Alkibiades verführt. Laïs galt, solange sie jung war und es sich leisten konnte, als teuer und wählerisch. Ihre Härte im Geschäft und ihre hohen Preise waren allgemein bekannt. Berühmt wurde sie durch ihren Umgang mit bedeutenden Männern. Besonders die Philosophen hatten es ihr angetan. Diogenes, der Kyniker, gehörte zu ihren Kunden; da er nie über irgendwelche Geldmittel verfügte, genoss er allerdings diesen Luxus umsonst. Den Aristippos von Kyrene dagegen ließ Laïs teuer für ihre Dienste bezahlen. Er konnte es sich auch leisten, war er doch einer der berühmtesten und gefeiertsten Philosophen seiner Zeit. Er fuhr jedes Jahr für zwei Monate nach Ägina, wo ihm die käufliche Geliebte gegen wertvolle Geschenke als „Gefährtin“ zur Verfügung stand.
Das Alter schlug jedoch auch bei Laïs zu. Sie musste ihre Preise absenken, wurde zur Trinkerin und arbeitete als Kupplerin:
„Ypsilon heißt schon vierhundert, du aber, verlüsterte Laïs,
bist doch wohl doppelt so alt, Krähe und Hekabe du,
Sisyphos’ Oma und Schwester Deukalions … Färb dir die weißen
Haare nur weiter und sag kindlich zu jedem „Papa“.“ (Anthologia Graeca XI, 67. Übersetzungen von H. Beckby, Anthologia Graeca, München 1957-1958.)
Korinth (Achaea), AE, Geta, 209-211. Rs.: Grabmals der Lais: Kapitell einer dorischen Säule, darauf Widder, über ihm Löwin. Weber 3812 (stgl.). Aus Numismatik Lanz München 109 (2002), Nr. 649.
Nennen wir es also beim Namen. Die Bürger von Korinth stellten das Grabmal einer von Skandalgeschichten umwucherten berühmten Hure auf ihren Münzen dar. Ungewöhnlich.
Grund dafür ist eine menschliche Eigenschaft, die Sie heute noch in jeder Reisegruppe beobachten können. Sie können über Kunststile und Geschichte sprechen, über Bauten und Kultur, die gespannte Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe haben Sie aber erst, wenn Sie mit einer richtigen Skandalgeschichte aufwarten können. Welchen Herrscher von England kennt jedes Kind? Richtig, Heinrich VIII., aber nicht etwa weil er die englische Staatskirche gründete, sondern weil er sechs Frauen hatte.
So ähnlich war es auch in Korinth. Die Römer hatten Griechenland als Urlaubsziel entdeckt. Sie veranstalteten Bildungsreisen in dieses Land, die ähnliche Erscheinungen aufwiesen, wie wir sie von beliebten Reisezielen kennen. Besonders berüchtigt waren die Fremdenführer, die für ein dickes Trinkgeld dem staunenden Römer das Blaue vom Himmel herunterlogen, ihre Histörchen mit ein paar deftigen Skandalgeschichtchen würzten und sich als Hintergrund dafür das Grabmal der Laïs nicht entgehen ließen. Pausanias, von dem der einleitende Text stammt, wollte in einer Art „Reiseführer“ seinen bildungshungrigen Lesern dagegen verlässliche Informationen über die Sehenswürdigkeiten in Griechenland liefern. Das berühmte Grabmal der Laïs konnte und wollte auch er dabei nicht übergehen.
Wir haben also auf dieser Münze eine Art Wahrzeichen von Korinth vor uns, ein künstlerisch eigentlich unbedeutendes Monument wie zum Beispiel das Männeken Pis in Brüssel, das Hofbräuhaus in München oder den Eifelturm in Paris. Mit diesem Motiv konnte man ruhig ein wenig Werbung machen. Grabungsfunde lehren uns, dass Münzen oft weit weg von ihrem ursprünglichen Prägungsort aufbewahrt wurden, vermutlich als eine Art Souvenir, das man – man denke daran, dass es ja noch keine Photographie gab – dazu benutzen konnte, den Freunden zu zeigen, wo man schon überall gewesen war. Die Münzen mit dem Grab der Laïs waren mit Sicherheit ein besonders beliebtes Andenken und verbreiteten auf diese Weise den Ruf von Korinth als eine Hochburg des Tourismus.