Ägypten und Alexandria. Ein numismatischer Streifzug: Teil 3
Das große Jahr
In Ägypten gab es zwei voneinander abweichende Zeitrechnungen. Da war zunächst das bürgerliche Jahr, das sich an der Nilschwemme orientierte. Es war in Nilschwemme, fruchtbare und wasserlose Zeit geteilt. Diese drei Jahreszeiten untergliederte man in jeweils vier Monate zu 30 Tagen, zählte dazu noch die fünf Tage vor dem Beginn des Neujahrs und kam so auf 365 Tage.
Gleichzeitig hatten aber die Astronomen bereits in der grauen ägyptischen Vorzeit beobachtet, dass das bürgerliche Jahr nicht mit dem astronomischen übereinstimmte. Letzteres machten sie am Aufgang des Sirius, bzw. ägyptisch Sotis, fest. Es dauerte 364 1/4 Tage, so dass sich das bürgerliche gegenüber dem astronomischen Jahr jeweils innerhalb von vier Jahren um einen Tag verschob. 1461 Jahre dauerte es, bis die beiden Kalender wieder zur Deckung kamen.
Antoninus Pius, 138-161. Tetradrachmon, 144/5. Rv. Sarapisbüste n. l., umgeben von den Büsten der sieben Planetengötter, außen zwölf Tierkreiszeichen. CNG 13 (1990), 158.
Am 19. Juli des Jahres 139 nun fiel der Aufgang des Sotis auf den Beginn des bürgerlichen Jahres. Rund ein Jahr zuvor hatte Antoninus Pius den römischen Thron bestiegen. Er witterte in diesem astronomischen Ereignis eine Möglichkeit, seine Herrschaft als Zeit des Friedens und Neubeginns zu propagieren, denn auch das Zeitkonzept der Römer basierte auf der Kreisbewegung. Eine Gesellschaft entstand, wurde älter und älter, bis sie sich durch den Eintritt in einen neuen Zyklus wieder verjüngte und befreit von aller Schuld von vorne begann.
Dieser Gedanke stand hinter dem römischen Saeculum. Nun war Antoninus Pius leider nicht in der Lage ein Saecularfest zu feiern, das letzte hatte schließlich erst unter Domitian stattgefunden. Aber das große Jahr bot einen perfekten Ersatz.
Antoninus Pius, 138-161. Tetradrachmon, 138/9. Rv. Phönix mit Nimbus. Auctiones 26 (1996), 411.
Kein Wunder, dass der Gedanke der Ewigkeit auf alexandrinischen Münzen formuliert wurde.
Die interessanten Prägungen der alexandrinischen Münzstätte mit ihrem astrologisch-astronomischen Hintergrund hängen wohl nur indirekt mit diesem Himmelsereignis zusammen. Sie legen lediglich ein Zeugnis ab dafür, dass das Interesse der Bewohner Ägyptens für die Geschehnisse am Sternenzelt durch das „große Jahr“, den Zusammenfall von bürgerlichem und astronomischem Jahresanfang, stark angestiegen war.
Moderne Forscher gehen heute davon aus, dass die wunderschönen Motive, die unter Antoninus Pius in der Münzstätte von Alexandria entstanden, nicht von einheimischen Stempelschneidern geschaffen wurden, sondern dass die Münzstätte Hilfe aus der Hauptstadt bekam.
Antoninus Pius, 138-161. Tetradrachmon, 144/5. Rv. Parisurteil. CNG 13 (1990), 220.
Nur so können sie sich den hohen künstlerischen Wert von Rückseiten wie dem Parisurteil, …
Antoninus Pius, 138-161. Tetradrachmon, 141/2. Rv. Schnitter. CNG 13 (1990), 221.
… dem Schnitter …
Antoninus Pius, 138-161. Tetradrachmon, 142/3. Rv. Herakles mit der Leier, seinen Lehrer, den Kentauren Pholos erschlagend. CNG 13 (1990), 215.
… oder den Taten des Herakles erklären.
Vielleicht hat diese künstlerische Entwicklung aber einen ganz anderen Hintergrund, nämlich Reichtum. Wer über einen Überfluss an Geld verfügt, könnte durchaus auf die Idee kommen, sich die besten Stempelschneider des Reiches kommen zu lassen. Und der Statthalter von Alexandria verfügte Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. über enorme Mittel. Es ging seiner Provinz nämlich besser als jemals zuvor.
Wohl Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. kam ein neuer Seeweg in Gebrauch, der durch einen Kanal zwischen dem Nil und dem Roten Meer ermöglicht wurde. Er führte von den Häfen Indiens über Clyma, das heutige Suez, in den römischen Kanal und weiter zum Nil, über den die Schiffe Alexandria und damit das Mittelmeer erreichten. Alexandria wurde der große Umschlagplatz für Waren aus dem Fernen Osten in das römische Reich. Auch die Kaufleute von Alexandria werden dabei prächtig verdient haben. Und der römische Zoll kassierte 25 % Einfuhrsteuer auf alle Waren, die in Clyma die Grenze des römischen Reichs überschritten. Um welche Summen es sich dabei gehandelt haben kann, verrät uns Plinius der Jüngere, der bereits lange vor dem Bau des Kanals schrieb, dass Waren im Wert von 100 Millionen Sesterzen jährlich aus Indien gekommen sein sollen. Mit der Eröffnung der neuen Handelsroute dürfte sich diese Zahl wohl vervielfacht haben.
Einbruch der Prägungen Alexandrias unter Marcus Aurelius
Während zu Beginn der Herrschaft des Marcus Aurelius noch umfassende und reichhaltige Emissionen von alexandrinischen Münzen ausgegeben wurden, begann die Tätigkeit der Münzstätte von Alexandria um das Jahr 169/70 zurückzugehen. Im folgenden Jahr 170/1 wurden gar nur noch vier verschiedene Münztypen ausgegeben – zum Vergleich im Jahr 143/4 waren es 34 gewesen, ein Jahr darauf sogar 70.
Marcus Aurelius, 161-180. Tetradrachmon, 161/2. Die Büsten von Marcus Aurelius und Lucius Verus einander gegenüber. Rv. Adler mit Palmzweig n. r. gehend. Auctiones 7 (1977), 454.
Wir wissen nicht, was diesen Rückgang der Prägungen brachte – sicher wird er mit einer wirtschaftlichen Rezession zusammengehangen haben. Aber war die Pest die Ursache, die Alexandria als wichtige Handelsstadt besonders heftig heimgesucht haben dürfte? Oder gab es Überfälle von Stämmen aus der Wüste auf die Handelsroute nach Indien, von denen wir heute nichts mehr wissen?
Wie auch immer, es muss um 169-171 einen tiefen Einschnitt im Leben der Provinz Alexandria gegeben haben, dafür spricht auch der Aufstand der sogenannten Bukolen, einer Volksgruppe, die als Hirten im Nildelta lebten. Sie besiegten im Jahr 172 die Reste der in Ägypten stationierten Legion – der größte Teil der ägyptischen Schutztruppe kämpfte im Westen gegen die Markomannen – in einer offenen Feldschlacht. Avidius Cassius, den Marcus Aurelius zum obersten Kommandanten des Ostens gemacht hatte, musste mit einem Heer nach Ägypten kommen, um die Ordnung wieder herzustellen. Dafür war eine Sondererlaubnis nötig, denn immer noch galt das alte Gesetz des Augustus, dass kein Senator ohne Erlaubnis des Kaisers die Provinz Ägypten betreten dürfe. Wie richtig Augustus mit seiner rigorosen Regelung gelegen hatte, sollten die folgenden Ereignisse zeigen.
Avidius Cassius kannte Ägypten nämlich bereits. Er hatte, bevor ihn der Kaiser zum Senator machte, als praefectus Aegypti die Provinz geleitet. Im Jahre 175 nun soll sich im Osten das Gerücht verbreitet haben, Marcus Aurelius sei tot. Avidius Cassius ließ sich daraufhin zum Kaiser ausrufen. Die Provinz Ägypten erklärte sofort, ihn unterstützen zu wollen. Alexandrinische Münzen mit seinem Porträt kennen wir allerdings nicht. Doch wer weiß, es ist durchaus möglich, dass eines Tages welche auftauchen. Vielleicht erfolgte die Ermordung des Avidius Cassius durch seine Anhänger, als diese hörten, dass Marcus Aurelius noch lebte, aber einfach bevor die ersten Münzen hergestellt werden konnten. Wie auch immer, dem Osten blieb ein blutiger Bürgerkrieg erspart. Und Marcus Aurelius kam selbst im Winter 175/6 nach Ägypten, um dort nach dem Rechten zu sehen, was Alexandria wieder einen Anstieg im Prägevolumen bescherte. Während wir aus dem Jahr 13 (172/3) und 14 (173/4) jeweils nur einen einzigen Münztyp kennen, stieg die Prägetätigkeit 175 wieder auf 11 Typen mit zumeist militärischen Rückseitenthemen, im folgenden Jahr wurden schon 16 Typen geprägt.
Angst und Freude: Septimius Severus in Alexandria
Wie auch immer, gegen Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. war Alexandria nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Wirtschaft lag danieder und immer weniger Münzen wurden geprägt. In dieser verzweifelten Situation besuchte Septimius Severus die bedrängte Stadt im Winter 199.
Iulia Domna, + 217. Tetradrachmon, 195/6. Rv. Dikaiosyne n. l. stehend. Heidelberger Münzhandlung 20/I (1997), 420. Münzen des Septimius Severus und seiner Familie gehören zu den großen Seltenheiten der alexandrinischen Münzprägung.
Hinter ihm lag der Bürgerkrieg gegen Pescennius Niger, bei dem die Provinz Ägypten auf der Seite seines Gegners gestanden hatte. Trotzdem wurde Alexandria nicht bestraft, im Gegenteil, Septimius Severus gab der Stadt endlich wieder, nach mehr als 200 Jahren, einen von allen Bürgern gewählten Stadtrat, ein Privileg, um das die Alexandriner seit der Herrschaft des Augustus gekämpft hatten.
Die Familie des Septimius Severus. Zeitgenössisches Tondo, ca. 199-201. Das Bildnis des Geta wurde wegen seiner Damnatio memoriae ausgekratzt. Berlin, Antikensammlung, Inv-Nr. 31329. Foto: Ursula Kampmann.
Im April des Jahres 200 brach Septimius Severus auf, um sich touristischen Aktivitäten hinzugeben. Er reiste nach Memphis, besuchte die Pyramiden und fuhr nilaufwärts, an den Kolossen des Memnos vorbei bis zur Grenze zum Sudan. Dann ging es wieder zurück, nach Alexandria, weiter nach Syrien und von dort aus nach Rom, wo Septimius Severus im Jahr 202 n. Chr. wieder ankam.
In der nächsten Folge geht es um den Besuch des Sohnes von Septimius Severus, Caracalla, in Alexandria, der blutig endete, und um das bewegte 3. Jahrhundert.
Die anderen Teile dieser Reihe finden Sie hier.
Ursula Kampmann hat zusammen mit Thomas Ganschow einen Katalog der alexandrinischen Münzen herausgegeben. Wenn Sie ihn bestellen möchten, klicken Sie hier.