Virginia City – Wo Geldgeschichte geschrieben wurde…
Wir schreiben das Jahr 1874. Wieder einmal treffen sich die Vertreter der Mitglieder der Lateinischen Münzunion zu einer Krisensitzung. Die Währung ist nämlich in Gefahr. Das Silber hat in den vergangenen Jahren einen unglaublichen Kurssturz erlebt. Und nun prägen alle Länder viel zu viele silberne 5 Franc-Stücke, weil die den höchsten Schlagschatz erbringen. Die im Verhältnis dazu wesentlich teureren Goldmünzen verschwinden aus dem Umlauf.
Nur zu gerne macht Frankreich Deutschland für diese Währungsturbulenzen verantwortlich. Der deutsche Michel sei schuld, der in Nachahmung der Engländer 1871 zum Goldstandard gewechselt habe. Tonnen von deutschem Silbergeld würden nun eingeschmolzen und das Londoner Fixing nach unten treiben.
Nun ja, ein bisschen deutsches Silber mag damals durchaus nach London geflossen sein, aber die wirklichen Massen, die kamen aus der Neuen Welt, wo mit industriellen Methoden mehr Silber aus der Erde geholt wurde, als die Märkte aufsaugen konnten.
Blick von einem der Friedhöfe aus auf die Stadt Virginia City, oder besser das, was von ihr übergeblieben ist. Das Silberlager zieht sich vom Berg aus unter der Stadt hindurch bis zu den Häusern im Tal. Foto: UK.
In der Silberstadt Virginia City zum Beispiel waren bis zu 25.000 Menschen damit beschäftigt, die Bonanzas – so nannte man die Silberlagerstätten, die zur Comstock Lode gehörten – auszubeuten.
Erz mit hohem Silberanteil aus der Consolidated Virginia Mine, die zwischen 1873 und 1880 Gold im damaligen Wert von 105 Mio. $ förderte. Foto: UK.
Sie förderten in den 20 Jahren zwischen 1860 und 1880 6.971.641 Tonnen reines Silber zu Tage. Um diese Menge Silber zu befördern, bräuchte man heute einen Güterzug, der von Madrid bis Moskau reichen würde.
Ein Blick auf die heutige Main Street von Virginia City mit all ihren Saloons und Andenkenläden. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts war hier eine Großstadt mit eigenem Opernhaus. Foto: UK.
Heute ist nur noch wenig von der weltgeschichtlichen Bedeutung Virginia Citys zu sehen. Die Stadt ist eine kleine Touristenattraktion. Es gibt ein Züglein, mit dem man durch den sehr steilen Ort fahren kann und ein Westerntheater, wo sich Gunmen zweimal am Tag eine Schießerei liefern.
Ja, das sind tatsächlich wilde Mustangs, auch wenn sie nicht anders aussehen als normale Pferde. Foto: UK.
Wilde Mustangs weiden vor dem Hotel, und das fühlt sich für jeden, der in seiner Kindheit Bonanza gesehen hat, richtig an. Schließlich lag die Fernseh-Farm der Cartwrights gar nicht so weit von Virginia City entfernt, einen Tagesritt südwestlich in Richtung Lake Tahoe. (Virginia City war übrigens auf der Karte eingezeichnet, deren Verbrennen den Vorspann von Bonanza einleitet.)
Marshall Mint, wo früher das offizielle Assayer Office war. Foto: UK.
Wo man heute in der Marshall Mint Anlagemünzen und Schmuck kauft, war während des Silberbooms das Büro des offiziellen Edelmetallprüfers untergebracht, …
„Silber? Aber sicher!“ Aus J. Ross Browne, A Peep at Washoe, veröffentlicht 1861.
… der den Wert von Silber probierte und bewertete.
Ponderosa Saloon, ehemals Bank of California. Foto: UK.
Der Untergrund von ganz Virginia City ist mit Gängen und Schächten durchlöchert. Und es berührt durchaus merkwürdig, dass man vom …
Vom Ponderosa Saloon kann man hinuntersteigen in die ersten Gänge einer Mine. Foto: UK.
… Poderosa Saloon, wo früher die Bank of California ihren Sitz hatte, hinabsteigen kann in die Unterwelt.
Besuch in der Unterwelt. Foto: UK.
Weit kommt man nicht. Höchstens 300 Meter kann man in den Berg hineingehen. Die größte Attraktion ist es, wenn der begleitende Guide das elektrische Licht auslöscht, um zu demonstrieren, dass auch eine Kerze die Schwärze der Mine erleuchten kann.
Das Netz von Gängen, das sich unter der Stadt hinzieht. Foto: UK.
Im heutigen Virginia City ist es schwer, sich vorzustellen, wie unglaublich innovativ und technisch modern die Ausbeutung der gewaltigen Silbermengen in Angriff genommen wurde.
Rückkehr mit vollen Grubenhunden. Foto: National Archives and Records Administration 519526 / Wikipedia.
Zum Glück waren die Silberminen der Stadt ein Lieblingsthema der sich damals entwickelnden Illustrierten. So haben wir Bilder von den Bergleuten und ihrer Arbeit.
Nicht zu vergessen, der Bericht des immer wieder lesenswerten Mark Twain, der selbst in der Comstock Lode gearbeitet hatte. Als er feststellte, dass die Arbeit in den Bergwerken ziemlich anstrengend war und dazu noch finanziell wenig einträglich, heuerte er 1862 als Reporter des Territorial Enterprise in Virginia City an. Sein Bericht über diese Zeit ist spaßig und steht an Spottlust seinen Reiseberichten ins Ausland um nichts nach. Deshalb soll Mark Twain als Zeitzeuge hier zu Wort kommen. Wir bringen einen kleinen Ausschnitt aus Kapitel 52 von „Roughing it“ (dt. Durch dick und dünn):
Wohl die berühmteste Abbildung der Comstock Mine. Die abgebauten Erzlager wurden mit einem standardisierten Gerüst ausgefüllt, um einen Einsturz zu verhindern. Quelle: Wikipedia.
„Virginia war eine betriebsame Stadt mit Straßen und Häusern über Tage. Darunter, in den Eingeweiden der Erde, befand sich eine weitere betriebsame Stadt, wo eine große Menschenmenge in einem verworrenen Labyrinth von Stollen und Strecken ein- und ausschwärmte und unter blinkendem Lichtergefunkel hin und her huschte, während über ihr ein riesiges Netz von ineinandergreifenden Holzbalken die Wände des ausgeweideten Comstocks auseinanderhielten. Diese Balken waren mannsgroß, und ihr Gerüst strebte so weit hinauf, dass keines Menschen Auge durch die sich darüber schließende Dunkelheit bis an das obere Ende dringen konnte. Es war, als blicke man von unten durch die sauber abgenagten Rippen und Knochen eines riesigen Skeletts. Man stelle sich ein solches Gerüst vor, zwei Meilen lang, sechzig Fuß breit und höher als der höchste Kirchturm in Amerika. Und dann stelle man sich dieses stattliche Gitterwerk auf dem Broadway vor, vom St. Nicholas bis zur Wallstreet reichend und oben drauf paradierend ein zu Pygmäenproportionen verkleinerter patriotischer Festumzug mit hoch über der Spitze der Trinity-Kirche wehenden Fahnen. Das kann man sich noch vorstellen, man kann sich aber schlecht einen Begriff davon machen, was dieser Wald von Stämmen gekostet hat, angefangen beim Fällen in den Kiefernschlägen hinter dem Washoe Lake, über das Heranschleppen um den Mount Davidson zu schauderhaften Fuhrpreisen und das Behauen bis zum Hinunterlassen in den tiefen Grubenschlund und dem schließlichen Einbau. Zwanzig bedeutende Vermögen würden nicht ausreichen, auch nur eines der größeren Bergwerke dort zu verzimmern. Ein spanisches Sprichwort sagt, um eine Silbergrube zu betreiben, brauche man erst einmal eine Goldgrube, und das stimmt. Ein Mensch, der nichts weiter sein eigen nennt als eine Silbergrube, die ihm keiner abkauft, ist wahrlich bettelarm.
Bergarbeiter der Gould and Curry Mine. Wegen der großen Hitze in der Tiefe tragen sie keine Oberbekleidung. Quelle: Wikipedia.
Ich sprach vom unterirdischen Virginia als einer Stadt. Die Gould & Curry ist zwar nur eine von vielen, vielen weiteren Minen dort unten, doch bildeten ihre düsteren Strecken und Stollen zusammengenommen allein schon fünf Meilen Straße mit einer Bevölkerung von fünfhundert Bergleuten. Insgesamt hatte die unterirdische Stadt ein rund dreißig Meilen langes Straßennetz und war von fünf- bis sechstausend Seelen bevölkert.
Sieben Bergarbeiter der Comstock Lode, die Originalunterschrift des Bildes lautete: Arbeiten ist Beten. Quelle: Wikipedia.
Heute arbeiten manche dieser Leute vier- bis fünfhundert Meter unter Virginia und Gold Hill, und die Signalglocken, die ihnen die Anweisungen des Obersteigers über Tage mitteilen, arbeiten telegraphisch wie unsere Feuersirenen. Mitunter fällt dort jemand einen dreihundert Meter tiefen Schacht hinunter. In solchen Fällen wird dann gewöhnlich eine Leichenschau abgehalten.
Bergarbeiter in der Comstock Mine. Foto: National Archives and Records
Administration 519527 / Wikipedia.
Will man eine dieser Minen besichtigen, kann man, je nachdem, was einem mehr zusagt, eine halbe Meile durch einen Stollen laufen oder aber, was schneller geht, auf einer kleinen Plattform pfeilgeschwind einen Schacht hinuntersausen. Das ist, als ob du mit den Füßen voran durch einen leeren Kirchturm plumpst. Kommst du unten an, nimmst du dir eine Kerze und strolchst durch Stollen und Strecken, wo Scharen von Männern häuen und sprengen; du siehst zu, wie sie Fässer voller großer Gesteinsbrocken – Silbererz – nach oben schicken; suchst dir als Andenken ein paar schöne Stücke aus; bewunderst das ungeheure Skelett der Verzimmerung; überlegst dir alle paar Augenblicke, dass du dreihundert Meter unter der Erdoberfläche in einem Berg begraben bist; da du dich an der tiefsten Stelle der Mine befindest, kletterst du von Sohle zu Sohle endlose und ganz steil stehende Leitern hinauf; können deine Beine dann schließlich nicht mehr, legst du dich in einem engen Schrägschacht, der wie ein halb hochgestellter Abzugskanal anmutet, in einen „Hund“ und lässt dich ans Tageslicht ziehen, wobei es dir vorkommt, als kröchest du durch einen Sarg, der kein Ende hat. Oben angekommen, findest du eine geschäftige Menge von Leuten, welche die hochgeförderten Hunde und Fässer in Empfang nehmen und das Erz von einer Bühne aus in lange Reihen von Behältern kippen, von denen jeder ein halbes Dutzend Tonnen fasst; darunter steht Wagen hinter Wagen, die aus Rutschen und Fallklappen der Behälter vollgeladen werden; und solche Wagen rollen in ununterbrochener Folge mit ihrer reichen Fracht die ganze lange Straße hinunter zu den Silberhütten.“
Der San Francisco Spekulant. Aus J. Ross Browne, A Peep at Washoe, veröffentlicht 1861.
Mark Twain spricht es an: Der Silberbergbau in Virginia City hatte nichts zu tun mit dem Kratzen an der Oberfläche, wie es in den ersten Jahren des kalifornischen Goldrauschs betrieben worden war. Um die gewaltigen Silbervorräte auszubeuten, brauchte man Geld, viel Geld. Und das wurde in der Börse von San Francisco eingesammelt. Dort konnte man Anteile kaufen an den Claims. Das Problem dabei war, dass der eine Claim eine sagenhafte Bonanza enthielt, der andere nicht. Und wer verkaufte schon einen Anteil an einem profitablen Claim? Da blieb nur die Hoffnung, der gerade gekaufte billige Claims würde sich auch zu einer Bonanza entwickeln.
Es war ein Glücksspiel – mit gezinkten Karten. Männer wurden dabei reich. Aber noch mehr verloren ihr Geld.
Das private Stampfwerk von James Fair, einem der so genannten „Silberkönige“. Foto: UK.
Das lag daran, dass eine Gruppe von Insidern ihr Wissen monopolisierten und genügend Bergleute bestach, um stets besser informiert zu sein als die breite Öffentlichkeit. James Fair zum Beispiel, ursprünglich ein mittelloser irischer Immigrant, der es bis in den US-Senat brachte, hatte in seinem gut abgeschirmten Hinterhof ein kleines Stampfwerk stehen, mit dessen Hilfe er selbst testen konnte, welchen Silbergehalt das Erz aus einer neuen Grube aufwies.
Ein Grubenhund aus der Comstock Mine. Foto: UK.
Dieses private Stampfwerk steht in einem unglaublich voll gestopften Museum, das den schönen Namen trägt „The Way it was Museum“. Darin verbergen sich eine Fülle von technikgeschichtlichen Schätzen.
Ein Probierofen, fast sieht er aus wie ein Puppenherd. Foto: UK.
So zum Beispiel gleich zwei zeitgenössische Probieröfen. Zeitgenössische Abbildungen von solchen Objekten gibt es viele. Dass diese Öfen aber die Maße eines Puppenherds hatten, sieht man erst in der Realität.
Die Mackay-Villa. Foto: UK.
Aber zurück zu den Silberkönigen. Der wohl bekannteste von ihnen war John William Mackay, dessen Villa noch heute in Virginia City zu bewundern ist. Er investierte sein Geld in die transatlantischen Kabel, die für 25 Cents pro Wort alte und neue Welt verbanden.
Der Sutro-Tunnel – eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. Foto: UK.
Ein anderer Unternehmer war der deutsche Jude Adolph Heinrich Sutro, der mit 20 Jahren in die Vereinigten Staaten immigrierte. Er hatte die Idee, den Minen der Comstock Lode mittels eines langen, unter den Bergwerken durchführenden Tunnels das Wasser und die schädlichen Gase zu entziehen.
Durchfahrt durch den Sutro-Tunnel. Quelle: Wikipedia.
Nach der Fertigstellung des Tunnels transportierte er darin außerdem – natürlich gegen Gebühr – Leute, die eine Abkürzung nach Virginia City nehmen wollten. Sutro verdiente gut. Und als er sah, dass sich der Boom dem Ende entgegen neigte, verkaufte er seine Anteile.
Ein Erbe von Adolph Sutro: Cliff House, Lieblingsrestaurant der Bewohner von San Francisco. Foto: UK.
Er investierte in Immobilien, und zwar dort, wohin sich ein paar Jahre später San Francisco ausdehnte. Sutro wurde noch reicher, investierte einen marginalen Bruchteil seines Vermögens in publikumswirksame Attraktionen wie die Sutro-Bäder oder Cliff House und ließ sich 1894 zum Bürgermeister wählen.
Die meisten Silberkönige münzten ihren immensen Reichtum in politischen Einfluss um. Kein Wunder, dass es ihnen gelang, die Annahme des reinen Goldstandards für die USA zu verzögern. Im Bland-Allison-Act wurde beschlossen, in Unterstützung des Silberbergbaus monatlich Silber im Wert von zwei bis vier Millionen Dollar aufzukaufen und auszumünzen. Als der Kongress 1893 die Silberausprägung einstellte, war die Comstock Lode erschöpft, und ihre Nutznießer hatten ihr Vermögen in andere Dinge angelegt als den Silberbergbau.
Mehr über Virginia City erfahren Sie auf der Seite des Fremdenverkehrsamts. Dort finden Sie auch einen Hinweis auf alle Attraktionen und ihre Öffnungszeiten.
Eine sehr gute Zusammenfassung zur Comstock Lode finden Sie in der englischen Wikipedia.
Wenn Sie Mark Twains „Roughing it“ lesen wollen, es ist in Englisch beim Project Gutenberg zu finden.
Mindestens genauso gute Lektüre ist Gray Brechins Studie zu dem Einfluss, den die Silberkönige in San Francisco hatten. Sie können sie bei Amazon bestellen.
Und wenn ich Ihnen ein Hotel in Virginia City empfehlen darf? Wir waren sehr zufrieden mit dem freundlichen Service von Silverland Inn & Suites.