Die Zürcher und ihr Geld 16: Freies Geld für freie Bürger


mit freundlicher Genehmigung des MoneyMuseum

In unserer Serie „Die Zürcher und ihr Geld“ nehmen wir Sie mit in die Welt des vergangenen Zürich. In dieser Folge hören Sie ein Gespräch aus dem Jahr 1934. Werner Zimmermann diskutiert mit einem potentiellen Investor in die WIR-Bank, die ein völlig neues Geldmodell vertritt.
Dazu gibt es wie auf einer guten DVD ein Making of, also welcher numismatisch-historische Hintergrund zu diesem Gespräch gehört.

1934. Werner Zimmermann diskutiert mit einem potentiellen Investor in die WIR-Bank.

Zimmermann: Was ist, Hans, schmeckt dir mein Bircher Müsli?

Freund: Ja, sagenhaft, und strahlende Sonne hier oben. Das ist eine andere Luft als unten in der Stadt.

Die Stadt ist ein Moloch, der die Menschen verschlingt. Der Smog lässt die Sonne gar nicht mehr auf die Haut dringen. Schau sie dir doch an, diese blassen Gestalten in Zürich. Eingehüllt von Hals bis Fuß in Kleidung. Da kann das Licht und die Luft die Zürcher nicht mehr erreichen. Bemitleidenswerte Menschen sind das, denen man helfen muss.

Du hast Recht. Jetzt erzähl mir von deinem neuen Projekt. Man hat mir gesagt, es hat etwas mit der Freiwirtschaftsbewegung zu tun.

Ja, genauer gesagt mit der Freigeldbewegung. Die Wirtschaftskrise, die wir heute erleben, ist doch zum größten Teil davon verursacht, dass viele Menschen ihr Geld horten, statt es dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung zu stellen.

Du, Werner, ich bin nicht so der große Theoretiker.

Aber das musst du verstehen, Hans. Geld hat, genau wie jede andere Ware, einen Preis, der von Angebot und Nachfrage abhängt. Wenn viel Geld auf dem Markt ist, wird die Ware billig, der Handel floriert, jeder hat Arbeit. Wenn wenig Geld zur Verfügung steht, dann stockt der Handel, die Menschen verlieren ihre Arbeit und keiner kann mehr etwas kaufen.

Also die Situation, die wir gerade erleben.

Genau. Man hat in den letzten Jahren in Deutschland Experimente gemacht. Dort hat die Krise ja schon viel früher zugeschlagen als bei uns. Also in Schwanenkirchen hat ein Bergwerksingenieur Arbeit für einen ganzen Landkreis geschaffen, indem er die WÄRA einführte. Und in Wörgl haben sie damit auch die Arbeitslosigkeit besiegt.

Dann lass uns doch in Zürich auch die WÄRA einführen.

Ja, schon, aber wir müssen vorsichtig sein. Überall haben sich bisher die Notenbanken gewehrt. Sie bestehen auf ihrem Geldmonopol. Wir müssen also die Sache anders angehen, aber wir haben schon eine Idee.

Erzähl!

Wir gründen einen Tauschring, in dem unser internes Geld nur auf Verrechnungsbasis kursiert. Damit können sie uns eigentlich vom juristischen Standpunkt aus nichts machen. Das ist erlaubt.

Und wie kann ich helfen?

Um das ganze in Schwung zu setzen, brauchen wir Leute, die uns zinslos Geld zur Verfügung stellen. Du verdienst doch sehr gut mit deinem Reformhaus. Wärst du nicht bereit, bei der Gründung mitzumachen?

Schweiz. 100 Franken 1925 Bern. Aus Auktion Gorny & Mosch Giessener Münzhandlung Stuttgart Auktion 1 (2010) 1238.

Making of:
Im Sommer des Jahres 1925 kehrte die Schweiz zum Goldstandard zurück. Das bedeutete, dass jede Schweizerische Banknote, welche auf dem Markt kursierte, jederzeit bei der Nationalbank in Goldmünzen umgetauscht werden konnte. Die Festlegung auf den Goldstandard brachte es allerdings mit sich, dass die Menge des umlaufenden schweizerischen Geldes nicht beliebig vergrößert werden konnte. Sie hing direkt ab von den staatlichen Goldvorräten. Damit beraubte sich die eidgenössische Regierung der Möglichkeit, mit einer verstärkten Ausgabe von Banknoten zu reagieren, wenn aus irgendeinem Grunde ein Teil der Bevölkerung plötzlich beschließen sollte, das eigene Geld nicht mehr auszugeben, sondern zu horten.

Diese fehlende Flexibilität wurde zu einem Problem, als zu Beginn des Jahres 1930 die Weltwirtschaftskrise auch die Schweiz heimsuchte. Der Kanton Zürich produzierte traditionell größtenteils für den Export. Deshalb litt die Zürcher Industrie besonders stark unter dem Rückgang der Aufträge aus den bereits von der Krise gebeutelten Absatzländern.
In den Jahren zwischen 1929 und 1936 mussten 27 % der Textilfabriken im Kanton Zürich schließen, die Zahl der in diesem Industriezweig beschäftigten Arbeiter ging bei den Frauen um 45 %, bei den Männern um 36 % zurück. In der Maschinen- und Metallindustrie sah die Situation ähnlich aus. Im Jahr 1936 erreichte die Zahl der Arbeitslosen ihren Höhepunkt. 20.564 Menschen, bzw. 8,2 % der erwerbstätigen Bevölkerung im Kanton Zürich hatten keine Stelle.

Wegen des Ausfalls der auswärtigen Zahlungen für Exporte kam es also zu Entlassungen. Die Entlassungen brachten eine Verminderung der Kaufkraft der Bevölkerung mit sich. Diese Erscheinung wurde noch verstärkt, weil viele Menschen aus Angst vor dem Verlust ihres eigenen Arbeitsplatzes Sparguthaben anlegten. Damit wurde Dutzenden von großen und kleinen Unternehmen, die bis dahin auskömmlich vom Inlandsmarkt gelebt hatten und ursprünglich von der Weltwirtschaftskrise nicht berührt worden waren, die Einkommensgrundlage entzogen. Dies führte wiederum zu Entlassungen. Und damit war ein Teufelskreis geschaffen, gegen den die Schweizer Regierung durch ihr radikales Festhalten am Goldstandard kein wirksames Mittel parat hatte.

Silvio Gesell. 1895. Foto: Wikipedia.

Viele Intellektuelle kritisierten damals die Wirtschaftspolitik der Schweiz. Der einflussreichste von ihnen wurde Jean-Silvio Gesell (1862-1930), Gründer der Freiwirtschaftsbewegung. Gesell war jahrelang als Vertreter von zahnmedizinischen Artikeln durch Argentinien gezogen. Dort hatte er die großen Preisunterschiede erlebt, welche durch starke Konjunkturschwankungen hervorgerufen wurden. Gesell suchte nach einer festen Regel für den Zusammenhang von Konjunktur und Preis. Eines seiner Resultate war die Behauptung, auch Geld habe seinen Preis. Der Preis des Geldes hinge wie bei jeder anderen Ware vom Bedarf ab: Gebe es wenig Geld und viel Ware auf dem Markt, würde sein Wert steigen (= Deflation), gebe es viel Geld und wenig Ware, würde er fallen (= Inflation). Im Umkehrschluss bedeutete das, dass eine Regierung die Konjunktur fördern könne, wenn sie genau so viel Geld zur Verfügung stellte, dass damit alle produzierten Waren gekauft werden könnten. Im Gegensatz zum traditionellen Geld, bei dem der Wert im Material oder in einer Goldparität bestand, bezeichnete Gesells sein sich nach dem Bedarf richtendes Geld als „Freigeld“.

Gesell hatte sich nach seiner erfolgreichen Wirtschaftskarriere in der Schweiz zur Ruhe gesetzt und beeinflusste mit seinen Ideen viele begeisterungsfähige Männer. Einer von ihnen war der Protagonist unseres Hörspiels, der Berner Lehrer Werner Zimmermann. Zimmermann war ein typischer Vertreter seiner Zeit: denk- und experimentierfreudig, ein unabhängiger Geist, der mit allen Konventionen brach. Geboren im Jahr 1893, besuchte er zwischen 1909 und 1913 das Berner Lehrerseminar. Dort kam er in Kontakt mit den fortschrittlichen Ideen der damaligen Zeit. Dazu gehörte nicht nur die Freikörperkultur und der Vegetarismus, sondern auch die Theorie der Freiwirtschaft, die Zimmermann von Gesell persönlich nahe gebracht wurde. In den Jahren zwischen 1920 und 1934 reiste Zimmermann durch die ganze Welt. Er beobachtete und analysierte Erfolge und Scheitern der freiwirtschaftlichen Experimente, die es in den 30er Jahren an vielen Orten Europas gab.

Wära-Anzeige 1931. Radiogerät „Lumophon“ mit dem Angebot, als Zahlungsmittel auch Wära anzunehmen. Quelle: Wikipedia.

So war zum Beispiel im Jahr 1929 in Deutschland die „Wära“-Tauschgesellschaft gegründet worden. Sie nahm das Prinzip aller späteren Tauschringe vorweg. Die Idee, die dahinter stand und steht, ist uralt. Sie wurzelt im Tauschhandel: Ein Bauer, um unser Beispiel aus der ersten Folge aufzugreifen, tauscht seine überzähligen Schweine gegen die vom Schmied produzierten Waffen. Ein einfaches Geschäft, bei dem zwischen zwei Partnern Leistung gegen Ware getauscht wird. In unserer hoch spezialisierten Gesellschaft sind solche einfachen Tauschaktionen kaum mehr vorstellbar. Es braucht einen Wertmaßstab, um die Leistungen eines Zahnarztes, eines Friseurs, eines Maurers mit den Produkten eines Händlers von Lebensmitteln, Autos oder Kleidung zu verrechnen. Allerdings muss, und dies war die umwälzende Idee der Tauschringe, dieser Wertmaßstab nicht staatlich vorgegeben sein. Wenn der Staat sich weigert, genug Geld zur Verfügung zu stellen, dann können sich die Mitglieder eines Tauschrings intern darauf einigen, eine „private“ Verrechnungseinheit anzuerkennen. Jede Form von Geld funktioniert nur durch eine stillschweigende Übereinkunft seiner Benutzer. Und alternatives Geld bzw. Komplementärgeld, wie man heute solche Geldformen bezeichnet, funktioniert genauso gut wie staatliches, solange sich seine Benutzer an diese Übereinkunft halten.

Dies bewies das erfolgreiche Experiment von Schwanenkirchen im tiefsten Niederbayern. Dort war im Jahr 1927 ein Bergwerk stillgelegt worden, das bis dahin der größte Arbeitgeber der Region gewesen war. Arbeitslosigkeit und Armut waren die Folge. Ein Bergwerksingenieur wagte es, das Bergwerk zu kaufen und wieder in Betrieb zu nehmen. Er verfügte allerdings nicht über genügend Geld, um die laufenden Betriebskosten decken zu können. Er nahm einen Kredit bei der Wära-Tauschgesellschaft auf und zahlte seine Arbeiter zu 90 % in Wära, zu 10 % in staatlicher Währung. Dadurch sahen sich bald alle lokalen Kaufleute gezwungen, Wära zu akzeptieren, und tatsächlich begann in Schwanenkirchen eine blühende Binnenwirtschaft zu funktionieren. Beendet wurde das Experiment im Jahr 1931. Die Deutsche Reichsbank fürchtete die Konkurrenz der Wära für die Reichsmark und setzte ihr Verbot durch.

Freigeld aus Wörgl. Quelle: Wikipedia.

Ähnliches geschah in Wörgl, wo der Bürgermeister im Namen der Gemeinde eigenes Geld in Umlauf setzte und damit nicht nur die Arbeitslosigkeit innerhalb seiner Kommune beseitigte, sondern gleichzeitig umfangreiche Investitionen in die kommunale Infrastruktur finanzierte. Auch hier wurde das erfolgreiche Experiment von staatlicher Seite beendet. Die Österreichische Notenbank AG war vor den zuständigen Verwaltungsgerichtshof gezogen. Der verbot am 18.11.1933 jede Form von privatem Geld.

Werner Zimmermann kannte diese Experimente und ihr Scheitern, als er im Oktober 1934, auf dem Höhepunkt der Schweizerischen Wirtschaftskrise zusammen mit 16 Financiers, die ein Startkapital von 42.000 Franken zur Verfügung stellten, in Zürich die WIR Wirtschaftsring-Genossenschaft ins Leben rief. Ihre Mitglieder erklärten sich bereit, Leistungen und Produkte gegen WIR zu tauschen, eine Handelseinheit, deren Wert mit einem Franken gleichgesetzt wurde. Beim WIR handelte es sich in erster Linie um ein Buchgeld, das als Guthaben von der WIR-Zentrale verwaltet wurde. In den Genuss eines solchen Guthabens konnte man kommen, indem man eine Leistung erbrachte, einen Kredit der WIR-Genossenschaft bezog oder Bargeld gegen WIR tauschte. Anfang 1935 machten bereits 1.700 Teilnehmer davon Gebrauch, Ende des Jahres waren es sogar 3.000. In diesem Jahr umfasste das ständig neu aufgelegte Teilnehmerverzeichnis von WIR-Mitgliedern 850 Kategorien von Waren und Dienstleistungen. Messen und lokale Tauschbörsen sorgten für ein großes Maß an Solidarität, so dass der Umsatz der WIR Wirtschaftsring-Genossenschaft bereits im ersten Geschäftsjahr die Millionengrenze überstieg.

Der Erfolg der Freiwirtschaftslehre rief auch in der Schweiz die Notenbank auf den Plan. Unter ihrer Federführung war bereits am 21. Juni 1934 die „Vereinigung für gesunde Währung“ gegründet worden. Diese kapitalkräftige und politisch einflussreiche Gesellschaft setzte sich aktiv für die Unterdrückung aller Ideen von Gesell ein. Es gelang, die Schweizer Bischofskonferenz zu einer öffentlichen Verurteilung der Freiwirtschaftslehre zu bewegen. Damit wurden die vielen Priester mundtot gemacht, die sich bis dahin aktiv am Kampf für ein außerstaatliches Geld beteiligt hatten. 1935 wurde gar der Versuch unternommen, die erfolgreiche WIR-Genossenschaft zu verbieten. Dies misslang, allerdings wurde der Wirtschaftsring 1936 dem Schweizerischen Bankengesetz unterstellt.

Wesentlich gefährlicher für die Vertreter der Freiwirtschaftslehre wurde der Bundesratsbeschluss vom 19.6.1936 über den Schutz der schweizerischen Landeswährung, welcher all diejenigen mit einer Strafe bedrohte, die „vorsätzlich unwahre Tatsachen verbreiteten, die geeignet waren, den Landeskredit zu schädigen oder das Vertrauen in die Landeswährung zu untergraben“. Was „unwahre Tatsachen“ waren, entschied nun ein staatliches Gericht. So konnten die führenden Theoretiker der Bewegung belangt werden. Es wurde z. B. der Freiwirtschaftler und Oberleutnant H. K. Sonderegger nach einem geringfügigen Dienstversäumnis aus der Armee entlassen. Dem Freiwirtschaftler Hans Bernoulli wurde 1938 sein Lehrauftrag an der ETH Zürich entzogen.

Wobei zu diesem Zeitpunkt die Freiwirtschaftsbewegung bereits ihren Zenit überschritten hatte. Die Schweizer Regierung hatte nämlich am 27. September 1936 durch ihren Verzicht auf die Goldparität den Schweizer Franken gegenüber dem Ausland abgewertet. Dadurch kamen wieder Aufträge in die Schweiz, die Arbeitslosigkeit sank, das Konjunkturbarometer stieg. Durch die Überwindung der Wirtschaftskrise war die Notwendigkeit, zusätzliches, privates Geld in Umlauf zu setzen, nicht mehr so aktuell.

Der WIR-Wirtschaftsring allerdings überlebte. Heute bietet er als WIR Bank alle Dienste eines Tauschrings an kombiniert mit den Dienstleistungen einer modernen Bank. Und die komplementären Geldformen erleben in unserer immer mehr in Arm und Reich aufgespaltenen Welt eine überraschend erfolgreiche Renaissance.

Dies war die letzte Folge von „Die Zürcher und ihr Geld“.

Alle anderen Folgen der Serie finden Sie hier.

Die Texte und Zeichnungen entstammen der Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung im MoneyMuseum Zürich. Vertonte Auszüge sind als Video hier erhältlich.